Читать книгу Hunde wollen nicht erzogen werden - Marion Höft - Страница 16
ОглавлениеEin neues Leben beginnt
Die Heimfahrt dauerte einige Stunden, aber Elli ist in allen Situationen ruhig geblieben, was mich doch ein wenig überrascht hat. Bis auf den Transport nach Deutschland war Elli noch nie in einem Auto gesessen, man hat es deutlich an ihrer anfänglichen Verweigerung gemerkt, in unser Auto einzusteigen.
Unterwegs haben wir einige Pausen eingelegt, damit Elli, und auch wir, uns zwischendrin erholen konnten. Natürlich gab es dann beim Einsteigen jedes Mal Probleme, weil Elli ihre Angst vor dem Auto noch lange nicht endgültig abgelegt hat, doch es wurde mit jedem Mal ein klein wenig besser.
Nach schier endlosen Stunden auf der Straße kamen wir endlich Zuhause an und waren natürlich überglücklich. Endlich zieht unsere Elli ein und die gemeinsame Reise konnte beginnen. Wir wussten unsere drei Hunde bei unseren Kindern in guten Händen und konnten uns ganz auf Elli einlassen.
Bereits hier machen viele Menschen einen kleinen, aber häufig entscheidenden Fehler. Sie sperren die Haustür auf, machen die Leine ab und lassen den Hund sein neues Zuhause erkunden. Die Menschen ziehen sich dabei auf einen Beobachtungsposten zurück, sind für den Hund nicht präsent und sehen freudig dabei zu, wie der Hund sein neues Revier gerne auch mal absteckt. Hier wohne ab sofort ich heißt das auf hündisch. Auch hier möchte ich anmerken, dass Hund nicht gleich Hund ist. Bei vielen geht es gut, bei vielen aber nicht und es wird bereits beim Einzug die Grundlage für die spätere Trennung gelegt.
Mit Elli an der Leine sind wir zusammen durchs Haus gegangen, habe ich sie in mein Revier eingeführt. Nachdem wir diese Erkundungsrunde abgeschlossen haben und ich gemerkt habe, dass Elli ruhiger wurde, habe ich ihr die Leine abgenommen. Dies war das Zeichen für sie, dass sie sich nun frei bewegen darf. Natürlich bin ich immer in ihrer Nähe geblieben und habe ihr auch sogleich ihre Grenzen aufgezeigt. So hat sie gleich zu Beginn gelernt, dass ich die Regeln aufstelle und auch die Grenzen setze.
Das gehört zu einem Ankommen unbedingt dazu. Bitte bedenken Sie, dass viele Hunde aus dem Tierschutz noch nie in einem Haus gelebt haben. Sie haben das Überleben auf der Straße oder in einem Shelter gelernt. Woher also sollen sie wissen, dass sie z.B. nicht auf eine Couch oder nicht ins Bett dürfen? Das können sie nicht wissen. Wie bereits beschrieben, sind solche Dinge für Hunde lediglich Ressourcen, die gerne in Beschlag genommen werden. Anfangs freuen sich viele Menschen, dass der Hund endlich weich liegt oder auf dem Bett glücklich ist. Spätestens aber, wenn der Hund diese Ressourcen mit den Zähnen, auch gegen seine Menschen, verteidigt, ist die anfängliche Freude schnell verflogen.
Einem Hund von Anfang an seine Grenzen aufzuzeigen und klarzustellen, wem die Ressourcen gehören, ist eine enorme Hilfestellung für den Hund. Zeigen Sie Ihrem Hund gleich zu Beginn wie er sich richtig verhält, ersparen Sie sich und Ihrem Hund das spätere ständige Aus! Nein! oder Pfui! Ein Hund, der weiß was er darf, weiß automatisch auch, was er nicht darf. So einfach kann es sein, für Mensch und Hund.
Nach dem Kennenlernen und natürlich der damit verbundenen Aufregung, wurde Elli mit der Zeit immer ruhiger und ich habe mich in eines der Hundebetten gelegt. Elli kam sofort zu mir und hat sich eng an mich gedrückt. So haben wir beide gemeinsam geruht und ich habe eine unglaubliche Verbundenheit zu diesem mir noch fremden Hund gespürt. Von Elli ging etwas aus, was ich bis heute nicht mit Worten beschreiben kann. Diese Hündin hatte etwas, was ich so noch nie bei einem Hund gespürt hatte. Und ich habe sehr viele Hunde in meinem Leben kennengelernt.
Die Nacht mit Elli verlief ruhig und problemlos. Als wir am nächsten Morgen aufgestanden sind, lag Elli immer noch in ihrem Bett. Als sie uns aber sah, sprang sie sofort auf und forderte ihre Streicheleinheiten ein, die ich ihr gerne gegeben habe. Danach war es Zeit für den ersten Gassigang. Ich machte mich fertig, legte Elli die Leine um und dann konnte es losgehen. Elli stürmte sofort raus, doch nach wenigen Metern ging ihr die Kraft aus. Durch die jahrelange Haltung in einem Zwinger, hatte sie kaum Muskeln, um weiter als ein paar Meter gehen zu können. In den folgenden Wochen bin ich daher mit Elli immer getrennt von meinen anderen Hunden Gassi gegangen und mit jedem weiteren Meter, den wir geschafft haben, hat Elli an Muskeln und Kraft gewonnen.
Nachdem ich mit Elli wieder zurück war, habe ich sie gefüttert und danach war es an der Zeit, unsere drei Hunde wieder nach Hause zu holen und sie mit der neuen Konstellation zu konfrontieren. Auch diese Entscheidung, wie wir das bewerkstelligen sollen, fiel aus dem Bauch raus. Wir entschieden uns, die nun vier Hunde auf neutralem Boden zusammen zu bringen und anschließend mit den vier Hunden nach Hause zu gehen. Gesagt getan. Unsere Kinder haben draußen in einiger Entfernung mit unseren drei Hunden gewartet, bis wir mit Elli rausgegangen sind.
Doch auch hier zeigte Elli keinerlei Interesse an den anderen Hunden. Ungeachtet der drei doch ein wenig aufgeregten Hunde, hat sie ihr Ding gemacht und einfach nur geschnüffelt. Langsam haben wir uns angenähert und meine Hunde waren aufgrund der Situation ein wenig verunsichert. Frauchen hatte einen fremden Hund an der Leine. Doch Ellis Souveränität half ihnen und natürlich auch uns, dass alle ruhig geblieben sind. Nachdem sich alle vier Hunde angenähert haben, sind wir alle gemeinsam ins Haus gegangen und das wars.
Wenn ein neuer Hund hinzukommt, können wir beobachten, wie sich die alten Strukturen verschieben. Jeder Hund muss seine neue Stellung finden und sich in ein neues Gefüge einfinden. Für die Hunde ist dies ganz natürliches Verhalten, aber viele Menschen treibt dies an den Rand der Verzweiflung und es zeigt uns, dass es mit der Zusammenführung alleine nicht getan ist. Hat die Zusammenführung geklappt, beginnt die eigentliche Aufgabe. Die Hunde darin zu unterstützen, ihren Platz in dem neuen „Rudel“ zu finden. An dieser Stelle möchte ich anmerken, dass dieser Streit um von Menschen erfundene Begrifflichkeiten die Zeit nicht wert ist, die damit vergeudet wird. Ob man es nun Rudelstellung, Rang, Position oder sonstwie nennt, ist nicht wichtig.
Wichtig ist vielmehr darauf zu achten, was die Hunde uns mitteilen. Müssen sie eine Rolle oder Position einnehmen, die sie überfordert, teilen sie uns dies mit. Häufig aber werden diese Signale nicht erkannt und die Hunde bekommen den Stempel „verhaltensauffällig“ oder „problematisch“. Das sind sie aber nicht. Sie verhalten sich wie Hunde, die führungs- und orientierungslos sind und versuchen, ihre Konflikte auf ihre Art und Weise zu lösen. Bedenken Sie bitte, dass Hunde in Hierarchien leben und wir im Grunde genommen auch. Einer muss immer der „Anführer“ sein, der die Individuen zusammenhält, der die Richtung vorgibt und auch Entscheidungen trifft. Wichtig dabei ist, in diesem Fall, dass diese Entscheidungen aus Sicht der Hunde auch logisch sind. Haben Sie Ihrem Hund z.B. nie seine Grenzen aufgezeigt und ihm alle Ressourcen zur freien Verfügung überlassen, wird er es nicht akzeptieren, wenn Sie diese plötzlich für sich beanspruchen und versuchen, dem Hund z.B. einen Schuh, den er zum Zerbeißen gern hat, wegzunehmen. Ihr Hund wird Ihnen deutlich mitteilen, was er von Ihrer Entscheidung hält.
Nun waren wir alle im Haus und man merkte den Hunden ihre Unsicherheit an, außer Elli. Von dem vermittelnden Verein bekamen wir den Hinweis mit, dass mit Elli bei uns nun eine Gouvernante einziehen wird und so war es auch. Elli hat den anderen Hunden schnell mitgeteilt, dass sie sich von ihnen nicht die Butter vom Brot nehmen lassen wird.
Mir war schnell klar, dass, wenn ich nicht aufpasse, Elli ganz schnell das Ruder übernehmen wird. Daher galt es für mich, wachsam zu bleiben und alle in ihre Schranken zu weisen, wenn die Hunde in ihren „Diskussionen“ zu heftig wurden. Dann war es an mir, die Hierarchie wieder herzustellen und für Ordnung zu sorgen. Die Herausforderung hier war wirklich, Elli ihre Souveränität zu lassen und auch ihre Kompetenzen zu berücksichtigen, aber auch ihr ihre Grenzen aufzuzeigen, wenn es sein musste.