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Mit zwei Jahren nierenkrank – was nun?

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Gerade zwei Jahre alt war ich, als meine Eltern von Neustrelitz nach Malchin in das Haus meiner Großeltern zogen. Eine Kleinstadt zwischen Rostock und Neubrandenburg gelegen inmitten der Mecklenburgischen Schweiz. Das idyllische Örtchen ist von dichten Wäldern umsäumt und kleinere und größere Seen wechseln einander ab. Die Gegend bietet ideale Bedingungen für eine unbeschwerte Kindheit, und meine Eltern wollten dort mit mir und meinen Geschwistern einen neuen Lebensabschnitt beginnen. Doch von einem Tag auf den anderen veränderte sich für die ganze Familie das Leben, und für mich begann eine entbehrungsreiche Zeit.

Unmittelbar nach dem Umzug und der Eingewöhnung in die neue Umgebung litt ich im Zuge einer schweren Erkältung unter hohem Fieber, das nicht in den Griff zu bekommen war. Ein Schock für meine Eltern, und stille Sorge machte sich breit. Die nächste größere Stadt mit einer Universitätsklinik, war Rostock. Hierher wurden alle Patienten überwiesen, deren Befund schwer zu erkennen und ambulant nicht zu diagnostizieren war. Auch ich wurde in die etwa sechzig Kilometer entfernte Bezirksstadt geschickt, um der Ursache meiner Erkrankung auf den Grund zu gehen und um sie bestmöglich zu heilen. Schon zu Beginn der Untersuchungen erkannten die Ärzte an den Blutwerten, dass es sich bei mir um eine akute Nierenentzündung handelte. Die diagnostischen Möglichkeiten waren 1958 begrenzt, und die genaue Ursache der Erkrankung herauszufinden, erwies sich als schwierig. Die Fachleute dachten zunächst an eine Pyelonephritis, eine Entzündung des Nierenbeckens, welche häufig durch Bakterien hervorgerufen wird.

Mein Gesundheitszustand verschlechterte sich zusehends, und nach einigen Kinderkrankheiten, wie Masern und Scharlach, kamen noch Schwindel und Übelkeit hinzu. Der bräunlich gefärbte Urin bestätigte die Nierenentzündung. Eine Reihe nicht enden wollender Untersuchungen folgte. Dabei wurde es nötig, dass ich stationär im Krankenhaus bleiben musste.

Schnell wurde aus einem Monat ein halbes Jahr, und nach kurzen Wochenendbesuchen zu Hause sollte ich fast ein volles Jahr stationär im Krankenhaus bleiben. Jetzt begann für mich eine ungewisse Zeit der Entbehrungen und des Heimwehs. Im Alter von zwei Jahren verstand ich natürlich noch nicht, warum ich von den Eltern getrennt wurde, warum ich Spritzen bekam oder Tabletten einnehmen musste.

Der Abschied war jedes Mal schmerzhaft für meine Eltern und auch für mich und viele Tränen flossen. Ein Jahr konnte ich pausieren, musste nicht in die Klinik. Dann sollte ich wieder öfter im Krankenhaus bleiben. Zwischendurch ordneten die Ärzte verschiedene Verhaltensregeln an: „Viel trinken, warm anziehen, um Erkältungen vorzubeugen, keine körperlichen Anstrengungen und viel Schlaf.“

Bereits 1923 erteilten die Ärzte folgende Ratschläge zum Behandeln und Vorbeugen von Nierenerkrankungen:

„Die Behandlungsgrundsätze bestehen der Hauptsache nach in der Durchführung strenger Bettruhe und in der Befolgung einer bestimmten Ernährungsweise. Die Bettruhe wirkt nicht bloß dadurch, dass die horizontale Lage besonders gute Durchblutungsbedingungen für die Nieren schafft, sondern auch dadurch, dass sie dauernd eine gleichmäßige Wärme gewährleistet. Aber auch wenn die Bettruhe aufgegeben wird, ist noch längere Zeit für entsprechende Ruhe zu sorgen und durch richtig gewählte Kleidung und Vermeidung plötzlicher Abkühlungen etwaigen Erkältungen vorzubeugen.“ 2

An diese Methoden erinnere ich mich noch sehr genau, denn sie begleiteten mich bis ins Jugendalter. Doch vieles aus dieser Zeit ist heute nur noch schemenhaft lebendig. Besonders erinnere ich mich daran, dass ich häufig sehr traurig war, nicht zu Hause bei der Familie sein zu dürfen. Für lange Zeit von Eltern und Geschwistern getrennt zu sein, hinterließ jedes Mal ein Gefühl der Einsamkeit.

Wenn ich gedanklich zurückblicke, entdecke ich Bilder, die mich etwa mit sieben Jahren auf einem Fest im Krankenhaus zeigen. Hier ging es relativ ausgelassen zu. Es war Fasching, und natürlich wollte ich eine Prinzessin sein, so wie andere Mädchen in meinem Alter auch.

Die lustigen Kostüme durften wir selbst basteln, und mit Hilfe der Schwestern schmückten wir unseren Raum mit buntem Krepppapier aus. Es waren Stunden, in denen wir wie ganz „normale Kinder“ spielen und toben konnten. Märchenstunden und Spielnachmittage mit anderen kleinen Patienten unterschiedlichen Alters gab es natürlich auch. Auf diese Weise konnten wir uns von den täglichen Behandlungen im Krankenhaus ablenken. Zwei Betreuer waren für uns Kinder verantwortlich. Sie umsorgten uns und waren einfühlsam und verständnisvoll. Dabei nahmen sie einzelne „Wehwehchen“ sehr ernst, waren immer für uns da und gaben uns ein sicheres Gefühl der Vertrautheit. Durch ihren Einfluss konnten wir uns zu einer kleinen Gemeinschaft formen und uns in dieser frühkindlichen Phase weiterentwickeln. Wir lernten, für den anderen da zu sein, Rücksicht und Anteil zu nehmen. Die vertrauensvolle Zuwendung der Pflegekräfte trug dazu bei, unsere Beschwerden zumindest seelisch zu lindern, und war viel besser als die zahlreichen Tabletten.


Etwa im Alter von sieben Jahren auf dem Faschingsfest im Krankenhaus. Bei meiner Lieblingsbeschäftigung Gedichte vortragen

Schon damals nahmen die Betreuer und Schwestern Einfluss auf uns Kinder, um uns ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. Sie wussten sicher, dass Frohsinn zu positiven Gedanken verhilft. Ähnlich der Stiftung „Humor hilft Heilen“, die damals allerdings noch nicht so professionell und gut organisiert war wie heute. Auf Grund meiner eigenen Erfahrungen begrüße ich die Aktivitäten von Dr. Eckart von Hirschhausen, dem Gründer dieser Stiftung, besonders: Der Arzt hat die Idee von Patch Adams nach Deutschland geholt und Clowns in die Krankenhäuser gebracht. Er sagt dazu: „Ich habe 2008 die Stiftung ‚Humor hilft Heilen‘ gegründet, um noch mehr kranken Menschen ein Lachen zu spenden. Das Ziel: Spender, Akteure, Ärzte, Pflegekräfte und Clowns weiterbilden und therapeutisches Lachen in Medien, Arbeitswelt und Öffentlichkeit fördern. Denn es gibt noch viele Kliniken und Ambulanzen, die ein Lächeln mehr brauchen können.“

Es gibt wohl keine Zeit im Leben, in der alles so intensiv erlebt und gelernt wird wie als Kind. In diesem Abschnitt meines Lebens lernte ich vor allem durch die anderen kranken Kinder eine Menge, beispielsweise helfen und verzichten. Gerade deshalb haben sich in diesem Alter frühzeitig Verhaltensmuster geprägt und gefestigt, die für mein weiteres Leben eine wichtige Grundlage darstellen.

Bereits als Dreijährige brauchte ich regelmäßig Tabletten. Am Anfang war die Überwindung groß, die zum Teil „riesigen“ Tabletten einzunehmen. Immer wieder half nur gutes Zureden der Pflegeschwestern. Manchmal musste ich eine spezielle Diät für nierenkranke Kinder einhalten. Zusätzlich förderten die Kortisontabletten meinen Appetit, und ich nahm rasch zu. Um wieder abzunehmen, gab es einen Obsttag in der Woche. Alternativ dazu durfte ich einmal in der Woche eine Wunschkost wählen. Es kam auch vor, dass ich gar nichts essen durfte, sondern tagsüber nur trinken. Die entsprechende Menge des Urins wurde gesammelt und die Mediziner untersuchten, ob Eiweiß oder Bakterien darin enthalten waren.

Es gab intensive und umfangreiche Anstrengungen, um auf meine Krankheit Einfluss zu nehmen. Ziel war es stets, sie zum Stillstand zu bringen. In meinem kindlichen Alter konnte ich die Diäten und Untersuchungen nicht nachvollziehen und sie schürten bei mir Angst und Widerwillen. Dazu kamen auch weitere notwendige Untersuchungen, wie zum Beispiel Blut abnehmen, Röntgen oder einen Harnkatheter legen.

Der Tagesablauf im Krankenhaus bot mir mitunter eine gute Gelegenheit, nach draußen auf das riesige Universitätsgelände zu gelangen. Für alle Kinder der Station durfte ich das Mittagessen holen und jedes Mal genoss ich diese willkommene Abwechslung. Der „Ausflug“ erschien mir unendlich interessant und spannend. Verwinkelte Gänge führten in den schmalen dunklen Keller. Große dicke Rohre hingen überall herum, und eilige Leute hasteten an mir vorbei. Dann hinaus, frische Luft einatmen und grüne Wiesen sehen, weg von dem „weißen Kleid“ der Station.

In einer großen Küche nahmen wir das in mehrere grüne Metallkübel gefüllte Essen in Empfang. Der Duft des warmen und dampfenden Essens stieg mir schon von weitem in die Nase. Bis heute verbinde ich starke Erinnerungen mit diesem Geruch.

Selbstverständlich durfte ich helfen, den großen Wagen mit dem Essen zu ziehen. Diese Tage erfüllten mich jedes Mal mit Stolz, dabei geholfen zu haben, dass alle Kinder pünktlich ihr Essen bekamen. Diese kleinen Exkursionen im Gelände waren ein kleines Abenteuer und machten mich froh.

Die schönsten Momente blieben jedoch die Wochenenden, wenn meine Eltern mich besuchten. An den Tagen, an denen es mir gut ging, konnten wir in den Zoo fahren und Eis essen. Manchmal kamen auch meine Geschwister mit, und wir unternahmen gemeinsam etwas. Eine gewisse Entfremdung war jedoch nicht zu verhindern, dazu waren wir zu oft und zu lange getrennt. Unsere fröhlichen Ausflugstage in Rostock brachten uns wieder etwas näher zusammen.

In dieser frühkindlichen Phase meines Lebens ist es ganz sicher dem sensiblen Einfühlungsvermögen der Pflegekräfte, der Ärzte und der außerordentlichen Fürsorge meiner Eltern zu verdanken, dass ich trotz der langen und intensiven Krankenhausaufenthalte mein positives und unbekümmertes Wesen behielt.

Bis 1966 gab es in Rostock nur allgemeine Kinderstationen. Kinder mit inneren Erkrankungen wurden auf der Station „Innere 1“ untergebracht. Spezielle Stationen für nierenkranke Kinder gab es noch nicht.

„Zwischen 1960 und 1970 verstarben jährlich drei bis vier Kinder ohne eine ernst zu nehmende Behandlungsmöglichkeit an terminalen Nierenversagen in der Urämie.3 Prof. Dr. med. Heinrich Kirchmair, der damalige Klinikdirektor entschied deshalb am 15.9.1966 eine spezielle Station für nierenkranke Kinder einzurichten. Das ist die Geburtsstunde der Kindernephrologie in der Uni Rostock.“4

Die diagnostischen Möglichkeiten waren zwar eingeschränkt, aber die Universitätsklinik in Rostock nahm bereits in den sechziger Jahren im Erforschen der Nephrologie5 einen wichtigen Platz ein. Es gab hier ein großes wissenschaftliches Potenzial.

Alle medizinischen Maßnahmen während meines stationären Aufenthaltes hatten das Ziel, eine Stabilität der Nierenerkrankung zu erreichen.

Bereits 1958 wurde in Rostock zum Thema: „Künstliche Nieren“ geforscht, Prof. Dr. Harald Dutz gab den Anstoß dazu. Unter seiner Anleitung wurde hier die erste Dialyse 1960 angewendet. Die Dialysemaschine wurde noch aus der BRD importiert. Ziel war es jedoch, eine eigene Maschine zu entwickeln.

„Die Rostocker Forscher waren diejenigen in der DDR, die in der Gruppe aller Forscher wichtige Leistungsparameter vorgaben und die Entwicklungsstufen kontrollierten und korrigierten. Ende der 80er Jahre kam die Maschine KN 501 auf den Markt, ein intelligentes, rechnergestütztes Dialysegerät. Motor der Gesamtentwicklung war Prof. Dr. Horst Klinkmann.“6


Vor meinem Fenster im Krankenhaus im Alter von etwa neun Jahren

Zu diesem Zeitpunkt erkannten die Ärzte die wirkliche Ursache meiner Erkrankung noch nicht. Welche Medikamente konnten helfen? Die Ärzte mussten experimentieren, um schwerwiegende Folgen so gering wie möglich zu halten. Bis zu meinem achten Lebensjahr verbrachte ich mehr Zeit im Krankenhaus als zu Hause. Das hatte zur Folge, dass ich mehrere Weihnachten, Geburtstage oder andere Feiertage im Krankenhaus feierte. Selbst eingeschult wurde ich auf der Station. Als kleine Entschädigung erhielt ich zum Schulbeginn vier dieser begehrten Schultüten, welche aber im Unterschied zu denen der anderen Kinder nicht mit Naschereien gefüllt wurden, sondern mit kleinem Spielzeug oder Heften und Stiften für die Schule. Süßigkeiten standen für mich damals auf der „Verbotsliste“. Trotzdem war ich überaus stolz, von nun an in die Schule gehen zu dürfen. Meine ersten Buchstaben und Zahlen lernte ich von einem Privatlehrer im Krankenhaus. Täglich hatte dieser für jedes Kind nur knapp eine Stunde Zeit, da er der einzige Lehrer im Haus war. So konnten wir nur einen begrenzten Lernstoff durchgehen und die überschaubaren Hausaufgaben wurden am folgenden Tag nur kurz korrigiert. In winzigen Schritten lernte ich lesen und schreiben und meine Wissbegier wuchs von Tag zu Tag. Dabei freute ich mich über jeden noch so kleinen Fortschritt. Es liegt wahrscheinlich an den damals begrenzten und rationierten Möglichkeiten, Wissen zu erlangen, dass ich bis heute alle sich mir bietenden Gelegenheiten nutze, um mich weiterzubilden.

Im weiteren Verlauf meiner Kindheit musste ich jeden Monat zu den Kontrolluntersuchungen nach Rostock. Wenn die Werte nicht akzeptabel waren, wurde ich wieder stationär aufgenommen. Die regelmäßigen Arztbesuche warfen immer auch die Frage auf: „Muss ich heute wieder allein im Krankenhaus zurückbleiben?" Noch heute sind die Gefühle von damals sehr gegenwärtig und sehr lebendig.

Die Schwestern und Pfleger bemühten sich zwar sehr intensiv um uns Kinder auf der Station, konnten dabei aber nie die familiäre Atmosphäre ersetzen. Auch andere soziale Kontakte, wie zum Beispiel sich geborgen fühlen, häusliche Wärme spüren, „eine richtige Schule“ besuchen und die Verbindung zu meinen Geschwistern, waren durch keine noch so große Zuwendung der Schwestern zu ersetzen.

Einige Pflegekräfte sorgten für eine besonders beliebte und spezielle Abwechslung: Sie ließen uns in ihre Rolle schlüpfen, um zum Beispiel den „schwerkranken Teddy“ mit echten Spritzen wieder gesund zu bekommen. Auf spielerische Weise lernten wir, uns mit der eigenen Erkrankung auseinanderzusetzen und erwarben ganz nebenbei auch Kenntnisse bestimmter Abläufe im Krankenhaus. Auch durften die Kinder, die länger als drei Wochen stationär blieben, ein wenig auf der Station oder in der Küche mithelfen. Bei mir war das sehr häufig der Fall, und ich wurde mit den Abläufen auf der Station schnell vertraut. Für mich hatten die Schwestern und Ärzte immer auch eine Vorbildfunktion und so war mein Berufswunsch in dieser Zeit natürlich auch: Krankenschwester oder Ärztin.

Durch die vielen Fehltage in der Schule gab es bei mir einige Defizite. Weil ich nicht aus den obligatorischen Schulbüchern lernte, fehlte sehr viel Lernstoff. Meine Klassenlehrerin und einige Mitschüler unterstützten mich bei meinem festen Willen, den versäumten Lernstoff so schnell wie möglich nachzuholen. Natürlich war das nicht im vollen Umfang möglich, denn bis zu einhundert Fehltage im Jahr sind nicht einfach aufzuholen. Doch Dank intensivem Nachhilfeunterricht, Unterstützung von allen Seiten und ausgeprägtem Ehrgeiz konnte ich trotz der langen Abwesenheit immer in die nächste Klasse versetzt werden. Dabei hat mir ein festes soziales Netz von Lehrern und Mitschülern geholfen, aber auch meine Eltern und Geschwister. Alle unterstützten mich, damit ich nicht auf der Strecke blieb. Schon damals durfte ich Solidarität durch Stärkere erleben, diese Erfahrung ist mir bis heute sehr wichtig geblieben.

Durch meine ernste Erkrankung wurde ich natürlich sehr verwöhnt. Und war ich mal zu Hause, wurde mir jeder Wunsch von den Augen abgelesen. Meine Eltern und Geschwister nahmen in besonderer Weise auf mich Rücksicht. Meine Mutter kochte extra für mich, denn salzlose Kost war vorgeschrieben. Milchprodukte durfte ich nur in begrenzten Mengen zu mir nehmen. In der DDR der sechziger Jahre gab es sehr selten Südfrüchte, und wenn es sie gab, dann sozusagen nur „unter dem Ladentisch“. Meine Geschwister verzichteten freiwillig darauf, um mir diese begehrten Früchte zu überlassen. Sie wussten, dass ich vieles andere entbehren musste.

Bereits in dieser Zeit musste ich Kortisontabletten einnehmen. Natürlich nahm ich zu und wurde runder, vor allem im Gesicht. Das hatte zur Folge, dass Nachbarskinder mich hänselten. Meine älteren Brüder setzten sich von nun an für mich ein, und meine Traurigkeit wich dem Stolz, starke Brüder zu haben.

In der Schule war das anders. Alle Mitschüler wussten von meiner Erkrankung und verhielten sich rücksichtsvoll, außerdem war ich durchaus kontaktfreudig. Bei einigen Bewegungen sollte ich mich einschränken und durfte weder heben noch springen. Darum war Sportunterricht generell für mich verboten, genauso wie Schwimmen, da ich nur bei sehr hohen Wassertemperaturen baden durfte. Von dieser Zeit an bis heute ist Wasser nicht mein Elixier, und ich kann gut auf ein kühles Nass verzichten.

Hörten damals Fremde von meiner chronischen Erkrankung und den damit verbundenen Entbehrungen, setzte meist eine Welle von Bedauern und Mitleid ein, was mir regelrecht zuwider war. Wohl deshalb verdrängte ich noch sehr lange Wahrnehmungen, wie Schwäche, Müdigkeit oder Schmerzen. Ich wollte akzeptiert werden so wie ich war und nicht wegen meiner Erkrankung. Ich wusste zwar, dass ich krank bin, hatte aber nie das Gefühl, dass ich bedauert werden müsste. Im Gegenteil, ich ärgerte mich über mitleidige Bemerkungen, und im Innern entwickelte ich sehr früh den Drang, stark zu sein und nie zu jammern.

Nierenkrank zu sein bedeutet zwar, sich in vielen Bereichen einzuschränken, aber ich kannte keine Schmerzen, mir tat nichts weh. Mein Alltag zu Hause verlief relativ normal und unbeschwert, dabei zeigte ich mich nie krank und wollte mich immer mit den starken Kindern messen. Diese chronische Erkrankung ist ein langsam fortschreitender Prozess und äußerlich selten zu erkennen. Erst ein hoher Blutdruck, bestimmte Blutwerte oder Eiweiß im Urin machen eine Nierenerkrankung deutlich. Ich spürte als Kind keinen körperlichen Leidensdruck, gewöhnte mich mit der Zeit an diese Situation.

Bereits mit zehn Jahren interessierten mich viele Dinge, ich hatte Freude daran, so viel wie möglich von meinen Ideen umzusetzen. Meine Freizeit war ausgefüllt mit ganz unterschiedlichen Hobbys. Eine besondere Neigung spürte ich für Literatur. Gedichte rezitieren und Theater spielen gehörten bald zu meinen liebsten Freizeitbeschäftigungen.

Als ich etwa zwölf Jahre alt war, wollte ich auch wieder Sport treiben. Ich befragte keinen Arzt, sondern gab meinem Bewegungsdrang einfach nach. Von einem Tag auf den anderen machte ich einfach beim Sportunterricht mit. Am Nachmittag fuhr ich Rad, spielte Tennis oder war mit meinen Freundinnen zusammen. Besonders schöne Erinnerungen habe ich an die Wochenendausflüge mit meinen Eltern und Geschwistern. Wir fuhren mit dem Boot auf dem Malchiner See und mit an Bord war immer auch ein prall gefüllter Picknickkorb mit leckeren Dingen für uns alle. Inzwischen war keine gar so strenge Restriktion beim Essen mehr erforderlich, und ich konnte alles essen und trinken. Nur salzarme Kost ist bis heute ein Bestandteil meiner Ernährung geblieben.

Mit etwa 13 Jahren verbesserte sich mein Gesundheitszustand auf ein stabiles Maß. Nur die monatlich regelmäßigen Routinekontrollen in Rostock erinnerten mich an mein Nierenleiden. Oft vergaß ich sogar, dass ich chronisch krank bin, und es sah mir auch niemand an. Die Werte hatten sich auf ein tolerantes Maß eingependelt, und fast schien es so, als wäre die schwierigste Zeit meiner Erkrankung überstanden.

Einmal im Monat fuhr ich jetzt allein nach Rostock zu den Kontrolluntersuchungen. Diese Fahrten bekamen inzwischen einen anderen Stellenwert für mich. Es ergab sich nämlich auch eine gute Gelegenheit, die Stadt zu erkunden oder einzukaufen. Die Fahrten waren mir mit den Jahren sehr vertraut und fast zu einem Ritual geworden. Nur die Angst blieb, ob die Werte zu hoch sein würden oder ich gar stationär aufgenommen werden müsste.

Davon blieb ich aber in der darauf folgenden Zeit meiner Jugend größtenteils verschont. Lediglich für ein oder zwei Wochen wurde ich entweder nur zur Beobachtung oder für eine Tablettenumstellung stationär aufgenommen. Verschiedene Einschränkungen hatten auch um die siebziger Jahre weiter Bestand. Außerdem blieb ich besonders wählerisch beim Essen, salzarme und eiweißarme Kost sowie mindestens zwei bis drei Liter Flüssigkeit waren ein tägliches Muss.

Mit der Zeit wurde die Erkrankung ein Teil von mir, und wir gehörten zusammen. Sie gehörte einfach zu meinem Leben, und ich hatte nie das Gefühl, dass ich mich durch irgendetwas von den anderen Kindern unterschied. Im Alltag lernte und spielte ich genau wie alle Gleichaltrigen und nahm dabei keine Sonderrolle ein. Die Zeit heilt alle Wunden, so war es scheinbar auch bei mir. Manchmal vergaß ich sogar, dass ich von einer heimtückischen Krankheit betroffen war, und das war gut so!

Durch mein Nierenleiden habe ich aber auch früh gelernt, für mich verantwortlich zu sein, für mich zu kämpfen und mich durchzusetzen. Gute Eigenschaften, die sich durch mein ganzes Leben ziehen. Sie sind mir bis heute erhalten geblieben und haben mein Leben weitestgehend geprägt und begleitet.

Vergangenheit ist Geschichte, Zukunft ist Geheimnis und jeder Augenblick ein Geschenk. (Ina Deter)

Mein Leben lang nierenkrank

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