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Prolog
Das zweite Jahr des Exils

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Hier war die Heimat meiner Vorfahren.

Aber nun wusste ich, dass es niemals meine Heimat sein würde.

Ich blickte zum Horizont, wo die Sonne unterging – eine merkwürdig gelbe Sonne, nicht rot, wie eine Sonne sein sollte, eine gleißende Sonne, die meinen Augen wehtat. Doch gerade jetzt, kurz vor Einbruch der Dämmerung, war sie plötzlich rot und riesig und versank hinter dem See in einer karmesinfarbenen Glorie, die mich mit Heimweh erfüllte. Auch über das Wasser zog sich ein Streifen leuchtenden Rots... Ich stand wie angewurzelt, bis der letzte Schimmer verblasste und über dem See, bleich und silbrig, der einzige Mond Terras in einer schmalen, eleganten Sichel aufging.

Es hatte heute geregnet, und die Luft war schwer von fremden Düften. Doch sie waren nicht eigentlich fremd, sie waren mir ganz tief in meinen Genen irgendwie bekannt. Meine Vorfahren waren aus den Bäumen dieser Welt gestiegen, hatten die lange Evolution durchschritten, die sie zu Menschen gestaltete, und später hatten sie die Kolonistenschiffe ausgesandt, von denen eins – ich hatte die Geschichte erzählen gehört – eine Bruchlandung auf Darkover machte. Man hatte sich dort angesiedelt und so feste Wurzeln auf der neuen Welt geschlagen, dass ich, ein Rückkehrer, die Heimatwelt meiner Rasse als fremdartig empfand und mich nach der Exilwelt meines Volkes sehnte.

Ich weiß nicht, seit wann oder wie lange mein Volk auf Darkover lebt. Das Reisen zwischen den Sternen hat seltsame Anomalien; die enormen interstellaren Entfernungen vollführen merkwürdige Tricks mit der Zeit. Die Bewohner des Terranischen Imperiums werden nie eine Methode finden, festzustellen, ob Darkover vor dreitausend Jahren oder fünfzehntausend Jahren und von welchem bestimmten Schiff besiedelt worden ist... Die auf Terra inzwischen verstrichene Zeitspanne beträgt etwa dreitausend Jahre. Doch auf Darkover sind mehr als zehntausend Jahre vergangen, so dass Darkover eine Geschichte besitzt, die beinahe ebenso lang wie die irdische Geschichte der Zivilisation und des Chaos ist. Ich weiß, vor wie vielen Jahren Terra – es war lange vor der Zeit, als das Terranische Imperium sich unter den Sternen ausbreitete – das Schiff ausgeschickt hat. Ich weiß, wie viele Jahre seitdem auf Darkover vergangen sind. Doch selbst der genaueste Historiker vermag die beiden Daten nicht miteinander in Einklang zu bringen. Ich hatte den Versuch längst aufgegeben.

Auch bin ich nicht der Einzige mit einer tief im DNA meiner Zellen eingebrannten, hoffnungslos zerrissenen Loyalität. Meine Mutter ist auf der Erde unter diesem unmöglich blauen Himmel und diesem farblosen Mond geboren worden, und doch hat sie Darkover geliebt, meinen darkovanischen Vater geheiratet und ihm Söhne geboren, und endlich wurde sie in den Kilghardbergen auf Darkover in einem nicht gekennzeichneten Grab zur Ruhe gebettet.

Und ich wünschte, ich läge neben ihr...

Einen Augenblick war ich mir nicht sicher, ob dieser Gedanke nicht doch mein eigener sei. Dann schloss ich ihn wütend aus. Mein Vater und ich waren einander zu nahe ... nicht in der normalen Verbundenheit einer telepathischen Comyn-Familie (obwohl schon das den Terranern um uns recht eigentümlich vorgekommen wäre), sondern in einer Verstrickung von gemeinsamen Ängsten und gemeinsamen Verlusten ... geteilten Erfahrungen und Schmerzen. Ich werde von der Kaste meines Vaters als Bastard betrachtet, weil meine Mutter Halb-Terranerin war, und mein Vater hat endlose Mühen auf sich genommen, damit ich als Comyn-Erbe anerkannt wurde. Bis heute weiß ich nicht, ob er es meinet- oder seinetwegen tat. Mein vergebliches Aufbegehren hatte uns alle in die fehlgeschlagene Rebellion unter den Aldarans verwickelt und Sharra ...

Sharra. In meinem Geist brennendes Feuer ... Bild einer Frau aus Flammen, in Ketten, ruhelos, flatterndes Flammenhaar, das ein Feuersturm hebt... steigend, verzehrend ... Marjorie, vom Feuer ergriffen, schreit, stirbt...

Nein! Gnädige Avarra, nein ...

Dunkelheit, Schwärze. Alles ausschließen. Ich schließe die Augen und senke meinen Kopf, gehe fort, da ist nichts, gar nichts ...

Schmerz. Flammende Qual in meiner Hand ...

»Ist es so schlimm, Lew?« Ich spürte die beruhigenden Gedanken meines Vaters hinter mir. Ich nickte, biss die Zähne zusammen, schlug den schmerzenden Stumpf meiner linken Hand gegen das Geländer, ließ mich von der fremden Kälte der weißen Mondsichel überfluten.

»Verdammt noch mal, mir fehlt nichts. Hör auf...« Ich suchte nach dem richtigen Wort, und mir fiel nichts ein als: »Hör auf, ständig teilzunehmen.«

»Was soll ich denn sonst tun? Ich kann es nicht ausschließen«, antwortete er ruhig. »Du hast – wie soll ich sagen? – mit voller Kraft gesendet. Sobald du deine Gedanken für dich behalten kannst, werde ich dich mit ihnen allein lassen. Im Namen aller Götter, Lew, ich bin zehn Jahre lang Techniker im Arilinn-Turm gewesen!«

Er ging nicht in Einzelheiten. Das brauchte er auch nicht. Drei Jahre lang, vielleicht die glücklichsten Jahre meines Lebens, war auch ich Matrix-Mechaniker im Arilinn-Turm gewesen und hatte mit den komplizierten Matrix-Kristallen gearbeitet, die die Gedanken von Telepathen zusammenschließen, um unsere an Metallen und Maschinen arme Welt mit einem Kommunikationsnetz und Technologie zu versorgen. In Arilinn hatte ich gelernt, was es bedeutet, Telepath zu sein, Comyn unserer Kaste mit dem ererbten Geschenk oder Fluch, den eigenen Geist mit dem anderer verbinden zu können und hypersensitiv auf die gedanklichen Ausstrahlungen um mich zu reagieren. Man lernte, andere nicht zu belauschen, man lernte, anderen die eigenen Gedanken nicht aufzudrängen, nicht verletzt zu werden durch die Schmerzen, die Not anderer, von äußerster Empfänglichkeit zu bleiben und gleichzeitig zu leben, ohne sich aufzudrängen oder zu fordern.

Auch ich hatte das alles gelernt. Aber meine Kontrolle war von der Matrix der neunten Ebene ausgebrannt worden, die ich wahnsinnigerweise mit einem Kreis halb ausgebildeter Telepathen zu handhaben versucht hatte. Vergeblich war unsere Hoffnung gewesen, die alte, hoch entwickelte darkovanische Technologie wieder zu erwecken, wie sie uns als Legende aus dem Zeitalter des Chaos überliefert ist. Und dabei hätten wir es beinahe geschafft, indem wir mit den alten Künsten experimentierten. Vom gewöhnlichen Volk auf Darkover werden sie Zauberei und Magie genannt, doch wir wussten, dass es sich dabei in Wahrheit um eine komplizierte Wissenschaft handelt. Mit ihr hätte sich praktisch alles erreichen lassen – auch die Erzeugung von Energie für eigene Raumschiffe, die aus den armen, abhängigen Verwandten, die wir Darkovaner für Terra darstellen, gleichberechtigte Partner des Imperiums gemacht hätten.

Wir hätten es beinahe geschafft ... aber Sharra war zu mächtig für uns, und die Matrix, die seit Jahren in Fesseln geschlagen war und den Schmieden in den Bergen friedlich Feuer für ihre Werkstätten brachte, war frei geworden und hatte in den Bergen gesengt und verheert. Eine Stadt war zerstört worden. Und ich, ich war ebenfalls zerstört worden, verbrannt in diesem monströsen Feuer, und Marjorie, Marjorie war tot...

Und jetzt konnte ich in meiner Matrix nichts anderes mehr erblicken als Flammen und Zerstörung und Sharra ...

Ein Telepath stimmt seine Schwingungen auf den Matrixstein ab, den er benutzt. Mit elf hatte ich eine solche Matrix erhalten; hätte man sie mir weggenommen, wäre ich bald darauf gestorben. Ich weiß nicht, was die Matrixsteine sind. Manche Leute halten sie für Kristalle, die die psycho-elektrischen Emanationen des Gehirns in den »stillen« Teilen, wo die Comyn-Kräfte sitzen, verstärken. Andere nennen sie eine fremde Lebensform, die in Symbiose mit den besonderen Kräften der Comyn lebt. Was auch die Wahrheit sein mag, ein Comyn-Telepath arbeitet mittels seiner eigenen Matrix. Die größeren Matrices höherer Ebenen werden niemals auf Körper und Gehirn des einzelnen Matrixarbeiters abgestimmt, sondern durch seinen Stein weitergegeben und transformiert.

Aber Sharra hatte nach uns allen gegriffen und uns in das Feuer hineingezogen ...

»Genug!« Mein Vater sprach mit der den Altons eigenen Kraft, zwang mir seinen Willen auf, wischte das Bild fort. Gnädige Dunkelheit sank hinter meinen Augen nieder. Dann konnte ich den Mond wieder sehen, konnte etwas anderes sehen als Flammen.

Ich ruhte meine Augen aus, bedeckte sie mit meiner guten Hand, und mein Vater sagte leise: »Du glaubst es mir im Augenblick nicht, Lew, aber es ist wirklich besser geworden. Es kommt, wenn du deine Abschirmung sinken lässt, ja. Aber es gibt lange Zeitspannen, in denen du die Herrschaft der Sharra-Matrix zu brechen vermagst...«

»Wenn ich nicht darüber rede, meinst du«, unterbrach ich ihn wütend.

»Nein«, widersprach er, »wenn sie nicht da ist. Ich habe dich überwacht. Es steht mit dir längst nicht mehr so schlimm wie im ersten Jahr. Im Krankenhaus zum Beispiel... Es gelang mir nicht, dich für mehr als ein paar Stunden auf einmal herauszuholen. Nun sind es schon Tage, sogar Wochen ...«

Trotzdem würde ich niemals mehr frei sein. Als wir Darkover in der Hoffnung verließen, die in Sharras Feuer verbrannte Hand zu retten, hatte ich die Sharra-Matrix, verborgen in ihrem kunstvoll gearbeiteten Schwert, mitgenommen. Nicht weil ich sie bei mir haben wollte, sondern weil ich nach dem, was geschehen war, von ihr ebenso wenig getrennt werden durfte wie von meiner eigenen Matrix. Diese hing mir um den Hals, sie hatte dort seit meinem zwölften Jahr gehangen, und wenn ich sie entfernte, bereitete mir das Schmerz und würde wahrscheinlich mein Gehirn schädigen. Einmal hatte man sie mir mit der Absicht, mich zu foltern, weggenommen, und ich war dem Tod so nahe gewesen, dass ich gar nicht mehr daran denken mochte. Wäre sie mir einen weiteren Tag vorenthalten worden, hätte ich an Herz- oder Gehirnversagen sterben müssen.

Aber die Sharra-Matrix ... irgendwie hatte sie meine eigene überwältigt. Ich brauchte sie nicht um den Hals zu tragen oder in körperlichem Kontakt mit ihr zu sein, aber wenn ich mich über einen kritischen Punkt hinaus von ihr entfernte, begannen die Schmerzen, und die Feuerbilder löschten wie statische Geräusche alles andere in meinem Gehirn aus. Mein Vater war ein fähiger Techniker, und trotzdem konnte er nichts tun. Die Techniker im Arilinn-Turm, wo man versucht hatte, meine Hand zu retten, konnten nichts tun. Schließlich hatte mein Vater mich in der vagen Hoffnung, terranische Wissenschaft vollbringe mehr, von Darkover weggebracht. Es war illegal, dass Kennard Alton, Regent der Alton-Domäne, Darkover gleichzeitig mit seinem Erben verließ. Trotzdem hatte er es getan, und mir ist klar, dass ich ihm dafür dankbar sein sollte. Aber ich empfinde nur Müdigkeit, Wut und Groll.

Ihr hättet mich sterben lassen sollen.

Mein Vater trat ins Licht des blassen Monds und der Sterne. Ich konnte kaum seine Umrisse erkennen. Groß war er, einst kraftvoll und imposant, jetzt gebeugt von der Knochenkrankheit, die ihn seit Jahren verkrüppelte, aber immer noch stark und dominierend. Ich war mir nie sicher, ob ich die körperliche Anwesenheit meines Vaters wahrnahm oder die geistige, beherrschende Kraft, die mein Leben bestimmte, seit er, als ich elf war, meinen Geist mit Gewalt der Alton-Gabe geöffnet hatte – der Gabe des erzwungenen Rapports sogar mit Nichttelepathen, ein Charakteristikum der Alton-Domäne. Er hatte es getan, weil er dem Comyn-Rat mit keiner anderen Methode beweisen konnte, dass ich würdig war, der Erbe von Alton zu sein. Aber seitdem muss ich damit leben.

Meine nicht vorhandene Hand pochte von dem Schlag des Stumpfs auf das Geländer. Merkwürdig, dieser Schmerz – ich fühlte ihn in meinem vierten und sechsten Finger ... als hätte ich mir einen Nagel weggebrannt. Und doch war nichts da, nichts als eine leere Narbe ... Man hatte es mir erklärt, Phantomschmerz, im übrigen Arm noch vorhandene Nerven. Verdammt real für ein Phantom. Endlich hatten die terranischen Mediziner und sogar mein Vater eingesehen, dass für die Hand nichts mehr getan werden konnte, und sie entschlossen sich, was sie gleich zu Anfang hätten tun sollen, sie zu amputieren. Nichts hatte getan werden können, nicht einmal mit ihrer (zu Recht) berühmten medizinischen Wissenschaft. Mir grauste noch immer in der Erinnerung an das verrenkte, entsetzliche Ding, das die Krönung ihrer letzten Regenerationsversuche gewesen war. Das, was in den Körperzellen einer Hand befiehlt, eine Hand zu sein mit Handfläche und Fingern und Nägeln und nicht eine Klaue oder eine Feder oder ein Auge, war von Sharra weggebrannt worden, und einmal hatte ich durch die Drogenbetäubung gesehen, zu was meine Hand geworden war...

Zwinge meine Gedanken auch davon weg ... gibt es überhaupt noch etwas, woran ich ohne Gefahr denken kann?

Ich blickte in den stillen Himmel hinauf, aus dem die letzten verweilenden Spuren des Abendrots verschwunden waren.

Er sagte ruhig: »In der Dämmerung ist es am schlimmsten, glaube ich. Ich war noch nicht einmal ganz erwachsen, als ich das erste Mal nach Terra kam. Bei Sonnenuntergang ging ich immer hierher, damit meine Cousins und Pflegebrüder mich nicht beobachten konnten. Man bekommt es so satt ...« Er stand mit dem Rücken zu mir, und es war sowieso zu dunkel, um sein Gesicht zu erkennen, aber trotzdem sah ich im Geist das schiefe, traurige Halblächeln. »... so satt, immer nur den gleichen alten Mond zu sehen. Und meine terranischen Cousins hielten es für eine Schande, wenn ein Junge meines Alters weinte. Deshalb achtete ich nach dem ersten Mal darauf, dass sie es nicht merkten.«

Auf Darkover gibt es ein Sprichwort: Nur Menschen lachen, nur Menschen tanzen, nur Menschen weinen.

Aber für meinen Vater war es anders gewesen, dachte ich in wildem Neid. Er war aus freiem Willen hergekommen und zu dem Zweck, eine Brücke zwischen unsern Völkern, den Terranern und den Darkovanern, zu schlagen. Larry Montray, sein terranischer Freund, blieb auf Darkover als Pflegesohn der Alton-Domäne, Kennard Alton wurde in den terranischen Wissenschaften ausgebildet. Aber ich?

Ich war ein Verbannter, zerbrochen, verstümmelt. Meine geliebte Marjorie war tot, weil ich, wie mein Vater vor mir, versucht hatte, eine Brücke zwischen dem Terranischen Imperium und Darkover zu schlagen. Und ich hatte bessere Gründe gehabt: Ich war ein Sohn beider Welten, weil Kennard, der reine Comyn, Montrays Halbschwester Elaine heiratete. Also versuchte ich es, aber ich hatte das falsche Werkzeug gewählt, die Sharra-Matrix. Ich versagte und lebte weiter, und jetzt ist alles, was das Leben für mich lebenswert macht, tot oder durch eine halbe Galaxis von mir getrennt. Auch die Hoffnung, die meinen Vater bewog, mich herzubringen – dass meine Hand, im Feuer Sharras verbrannt, irgendwie gerettet oder regeneriert werden könnte –, hat sich als bloßes Trugbild erwiesen, zu Schanden geworden trotz allem, was ich habe durchmachen müssen. Und ich bin hier auf einer verhassten Welt, die mir gleichzeitig fremd und vertraut ist.

Meine Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit. Ich konnte meinen Vater jetzt erkennen, einen Mann am Ende der mittleren Jahre, gebeugt und lahm, das einmal feuerrote Haar ganz grau, das Gesicht zerfurcht von Schmerz und Zweifeln.

»Lew, möchtest du zurück? Wäre es dann leichter für dich? Ich war aus einem bestimmten Grund hier, ich war ein Austauschstudent mit einer offiziellen Mission. Es war eine ehrenvolle Aufgabe. Aber dich bindet hier nichts. Du kannst ein Schiff besteigen und nach Darkover zurückkehren, wann immer du willst. Sollen wir nach Hause gehen, Lew?« Er warf keinen Blick auf meine Hand, das brauchte er nicht. Das ist fehlgeschlagen. Es hat keinen Sinn, hier zu bleiben und auf ein Wunder zu hoffen.

(Aber ich spüre immer noch diesen dumpfen Schmerz wie von einem ausgerissenen Nagel um den Daumen. Und mein sechster Finger tut weh, als sei er in einen Schraubstock geklemmt worden oder verbrannt. Seltsam. Ich werde verfolgt vom Geist einer Hand, die nicht mehr da ist.)

»Lew, sollen wir nach Hause gehen?« Ich weiß, er würde gern heimkehren; dies fremde Land bringt auch ihn um. Aber dann sagte er das Falsche.

»Der Rat will mich zurückhaben. Man weiß jetzt, dass ich keine weiteren Söhne mehr zeugen werde. Und du bist als Erbe von Alton anerkannt. Als ich ging, sagte man mir, es sei ungesetzlich, wenn der Lord der Alton-Domäne und sein Erbe Darkover gleichzeitig verließen. Wenn du zurückkehrtest, wäre der Rat gezwungen, dich ...«

»Verdammt sei der Rat!«, brüllte ich so laut, dass mein Vater zusammenzuckte. Die gleichen alten verfluchten politischen Winkelzüge! Er hörte nie auf mit den Bemühungen, den Rat dazu zu bewegen, mich anzuerkennen. Das hat meine Kindheit zum Alptraum gemacht, hat ihn zu dem schmerzvollen und gefährlichen Schritt gezwungen, meine Laran-Gabe vorzeitig und mit Gewalt zu erwecken. Später trieb es mich zu meinen Aldaran-Verwandten, zu dem schicksalhaften Versuch, Macht durch Sharra heraufzubeschwören, und Marjorie ...

Im Geist schlug ich diese Tür zu. Ein verschlossener Raum, Schwärze, Leere. Daran wollte ich nicht denken, ich wollte nicht... Ich wollte nicht teilhaben an ihrem verdammten Rat, und auch an den Comyn und an Darkover nicht... Ich wandte meinem Vater den Rücken und ging fort, auf die Hütte am See zu, und ich spürte ihn hinter mir, nahe, zu nahe ...

Geh weg aus meinen Gedanken! Geh weg! Lass mich allein! Ich verschloss meinen Geist wie die Tür der Hütte, hörte die Tür sich wieder öffnen und noch einmal schließen, fühlte ihn, obwohl ich mit geschlossenen Augen dastand. Ich wandte mich ihm nicht zu, ich sah ihn nicht an.

»Lew. Nein, verdammt noch mal, schließ mich nicht wieder aus, hör mir zu! Glaubst du, der Einzige auf der Welt zu sein, der den Verlust eines geliebten Menschen erfahren hat?« Seine Stimme klang rau, aber diese Rauheit kannte ich; er musste so rau sprechen oder weinen. Zweiundzwanzig Jahre war ich alt geworden, bis ich erfuhr, dass mein Vater weinen konnte.

»Du warst zwei Jahre alt, und deine Schwester starb bei der Geburt. Wir wussten beide, weitere Kinder würde es nicht mehr geben. Elaine ...« Er hatte ihren Namen noch nie vor meinen Ohren ausgesprochen, wenn ich ihn auch von seinen Freunden gehört hatte; immer war es das distanzierte, formelle deine Mutter gewesen. »Yllana«, wiederholte er, diesmal die darkovanische Version benutzend. »Ihr war ebenso klar wie mir, dass die Herrschaft eines Mannes mit nur einem Sohn auf schwachen Füßen steht. Und du warst kein kräftiges Kind. Glaub mir, ich verlangte es nicht von ihr. Es war ihre eigene freie Wahl. Und fünfzehn Jahre lang habe ich diese Bürde getragen und mir Mühe gegeben, es Marius nicht empfinden zu lassen... dass ich ihm sein Leben missgönnte, weil es mit Yllanas Leben bezahlt worden war.«

So viel hatte er noch nie gesagt. Die Härte seiner Stimme verriet mir, was es ihn kostete, es zu sagen.

Aber es war meiner Mutter eigene freie Wahl gewesen, ihr Leben bei der Geburt meines Bruders Marius aufs Spiel zu setzen. Marjorie hatte keine Wahl gehabt...

Feuer. Rasende Flammen schießen in den Himmel, die gewaltigen, schlagenden Schwingen des Feuers. Marjorie brennt, brennt in Sharras Flammen ... Caer Donn, die Welt, Darkover, alles steht in Brand ...

Ich schloss die Barriere und zwang Schwärze in meinen Geist, ich hörte mich mit aller Kraft »Nein!« schreien, und wieder hob ich meinen verstümmelten Arm und ließ ihn auf irgendetwas niedersausen, nur damit körperlicher Schmerz alles andere in meinen Gedanken auslöschte. Er soll mir nicht ständig vor Augen führen, dass ich das Einzige getötet habe, was ich je liebte und je lieben werde ...

Von sehr weit weg hörte ich ihn meinen Namen rufen, fühlte, wie er besorgt meine Gedanken berührte ... Ich schloss die Barriere dichter, machte die Schwärze noch undurchdringlicher. Ich stand da und hörte nicht und sah nicht, bis er wegging.

Sharras Exil

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