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Darkover Das dritte Jahr des Exils 1

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Regis Hastur stand auf einem Balkon der Comyn-Burg hoch über dem Tal. Das Schloss hinter ihm lag im Schatten der Berge, vor ihm Thendara und die Terranische Handelsstadt. Der Raumhafen und die hochragenden Wolkenkratzer des Terranischen Hauptquartiers schlossen sich an. Er dachte, wie schon so viele Male zuvor: Das da hat seine eigene fremdartige Schönheit.

Viele Jahre lang hatte er einen Traum gehabt. Wenn er mündig war, wollte er Darkover verlassen, an Bord eines dieser terranischen Sternenschiffe gehen und hinausreisen zu den Sternen, zu den fremden Sonnen und Welten ohne Zahl. Er wollte allem entfliehen, was er an seinem Leben hasste: seiner eigenen schiefen Position als Erbe eines alten Haushalts und einer Regentschaft, die mit jedem Jahr stärker zum Anachronismus wurde, und ebenso dem unaufhörlichen Drängen, endlich zu heiraten. So jung er noch war, sollte er das Erbgut der Hasturs weitergeben, dies unbekannte Potenzial an Laran, jene angezüchtete psychische Fähigkeit, die im Gehirn, in den Knochen und Genen saß. Hinter sich lassen wollte er die Herrschaft über die sich streitenden Domänen, von denen jede in der sich ständig wandelnden Welt, wie sie das moderne Darkover darstellte, etwas anderes anstrebte. Regis war achtzehn, nach dem Gesetz seit drei Jahren volljährig, auf Hastur eingeschworen. Jetzt wusste er, sein Traum würde niemals Wirklichkeit werden.

Er wäre nicht der erste Comyn gewesen, der Darkover verließ. Abenteuerlust, die Lockungen einer fremdartigen Gesellschaft und ein weites, vielfältiges Universum hatten mehr als einen Darkovaner, auch solche von höchstem Adel, in das Imperium gezogen.

Die Ridenow-Domäne, dachte er. Sie machen kein Geheimnis aus ihrem Glauben, dass Darkover sich dem Imperium eingliedern, ein Teil dieser modernen Welt werden sollte. Lerrys Ridenow ist weit im Imperium herumgereist, und zweifellos wird er bei der nächsten Ratssitzung wieder das Lob der Terraner singen. Kennard Alton wurde auf Terra erzogen, und er befindet sich jetzt mit seinem Sohn Lew dort. Und dann fragte sich Regis, wie es Lew irgendwo da draußen in diesem fremden Universum gehen mochte.

Wenn wir von der Bürde des Hastur-Erbes frei wären, würde auch ich fortgehen und niemals zurückkehren. Wieder überkam ihn die Versuchung wie damals, als er ein rebellisches Kind in seinem ersten Kadettenjahr bei der Garde gewesen war – der notwendigen Lehrzeit, die alle Comyn-Söhne durchmachten. Er und sein Freund Danilo hatten zusammen Pläne geschmiedet. Sie wollten an Bord eines der terranischen Schiffe gehen, sich einen Platz im Leben erobern ... sich in der Unendlichkeit tausender von fremden Welten verlieren. Regis lächelte in der Erinnerung daran; es war ein Kindertraum gewesen. Ob zum Guten oder Schlechten, er war Erbe von Hastur, und das Schicksal Darkovers war Teil seines Lebens, so untrennbar davon wie sein Körper oder sein Gehirn.

Danilo war Erbe von Ardais, adoptiert von dem kinderlosen Lord Dyan Ardais, und wurde für dies hohe Amt vorbereitet wie Regis für das seine. Drei gemeinsame Jahre bei den Kadetten lagen hinter ihnen; als Offiziersnachwuchs hatten sie gelernt, anderen und sich selbst zu befehlen. Regis hatte es als eine friedliche Zeit empfunden, aber sie war endgültig vorbei. Er hatte den vergangenen Winter in der Stadt Thendara verbracht, an den Sitzungen der Cortes teilgenommen, mit dem Magistrat verhandelt, diplomatische Gesandtschaften aus anderen Domänen und den Trockenstädten jenseits der Domänen, die Repräsentanten der Terraner und des Imperiums empfangen. Kurz gesagt, er hatte gelernt, das Amt seines Großvaters als Vertreters der Domänen zu übernehmen.

Seit der Festnacht, mit der die Ratssitzungen endeten, hatte Danilo ihm nur einen oder zwei flüchtige Besuche abgestattet. Er hatte mit Lord Dyan nach Burg Ardais zurückkehren und sich mit der Domäne vertraut machen müssen, die ihm gehören würde, falls Dyan kinderlos starb. Dann war Danilo der schweren Krankheit seines eigenen Vaters wegen nach Syrtis gerufen worden.

Warum kommt mir ganz plötzlich Danilo in den Sinn? Und dann erkannte er es. Er war kein besonders guter Telepath, aber das Band zwischen ihm und Danilo war stark. Abrupt wandte er sich von dem Anblick der Stadt und des Raumhafens ab, zog die Vorhänge zu und ging hinein.

Es war der müßige Traum eines Knaben, dort zu stehen und sich zu den Sternen zu sehnen. Meine Welt liegt hier. Er trat in das Vorzimmer der Hastur-Suite, gerade als einer der Diener auf der Suche nach ihm erschien.

»Dom Danilo Syrtis, Erbe und Herr von Ardais«, meldete er, und Danilo kam herein, ein schlanker, hübscher junger Mann mit dunklen Haaren und Augen. Regis wollte ihn mit der offiziellen, unter Verwandten üblichen Umarmung begrüßen, sah jedoch über Danilos Schulter, dass der Diener den Raum verließ, und irgendwie verwandelte sich die förmliche Geste dazu, dass der eine Freund den anderen begeistert an sich drückte.

»Dani! Ich freue mich so, dich zu sehen! Du kannst dir nicht vorstellen, wie langweilig die Stadt im Winter ist!«

Danilo lachte und blickte liebevoll auf Regis nieder. Er war jetzt ein bisschen größer als sein Freund. »Mir wäre die Stadt lieber gewesen. Ich schwöre dir, das Klima von Ardais hat viel mit Zandrus kältester Hölle gemein. Lord Dyan im Nevarsin-Kloster kann es nicht kälter gehabt haben.«

»Ist Dyan immer noch in Nevarsin?«

»Nein, er hat das Kloster Anfang des Winters verlassen. Wir waren die ganze Zeit zusammen in Ardais; er hat mich vieles gelehrt, was ich, wie er sagt, als Regent der Domäne wissen sollte. Dann reisten wir gen Süden nach Thendara ... Seltsam, ich hätte nie gedacht, dass mir seine Gesellschaft Vergnügen bereiten könnte, aber er hat sich so viel Mühe gemacht, mich für meine zukünftige Aufgabe richtig zu erziehen ...«

»Das tut er schon der Ehre seines eigenen Hauses wegen«, bemerkte Regis trocken.

»Aber als mein armer Vater starb, war er die Freundlichkeit selbst.«

»Auch das überrascht mich nicht«, sagte Regis. »Du bist hübsch geworden, Dani, und Lord Dyan hat immer ein Auge für Schönheit bei Jungen gehabt...«

Danilo lachte. Jetzt konnten sie gemeinsam darüber lachen, obwohl es vor drei Jahren gar nichts Lustiges gewesen war. »Oh, ich bin mittlerweile zu alt für Dyan geworden – er bevorzugt Jungen, denen noch kein Bart wächst, und wie du siehst ...« Ein nervöser Finger drehte den kleinen dunklen Schnurrbart auf seiner Oberlippe.

»Dann frage ich mich, warum du dir keinen Vollbart stehen lässt!«

»Nein«, widersprach Danilo mit merkwürdiger, stiller Entschlossenheit. »Ich kenne Dyan heute besser. Und ich versichere dir, nicht einmal hat er mir mit einem Wort oder einer Geste ein zwischen Vater und Sohn unziemliches Angebot gemacht. Als mein eigener Vater starb, erwies er ihm alle Ehren. Er sagte, es sei ihm eine Freude, jemandem Ehre zu erweisen, der es verdiene, vielleicht sei das ein gerechter Ausgleich für die Ehren, die er denjenigen seiner Verwandten habe erweisen müssen, die sie nicht verdienten.« Der alte Lord Ardais war vor drei Jahren nach einem langen Leben in Liederlichkeit und Schande wahnsinnig und senil gestorben.

»So etwas Ähnliches hat Dyan auch einmal zu mir gesagt«, räumte Regis ein. »Aber genug davon – ich bin froh, dass du hier bist, Bredu. Wie ich annehme, wirst du dies Jahr im Rat unter den Ardais sitzen?«

»Das hat Dyan gesagt«, stimmte Danilo zu. »Aber die Sitzungen beginnen erst morgen, und heute Abend – nun, ich bin jahrelang nicht mehr in Thendara gewesen.«

»Ich gehe selten durch die Straßen«, sagte Regis so leise, dass es nicht bitter klang. »Ich komme keine halbe Meile weit, ohne dass mir eine Menschenmenge folgt...«

Danilo setzte zu einer oberflächlichen Antwort an und hielt sie zurück. Die alte Sympathie baute sich zwischen ihnen auf, eine bessere Verständigung als durch Worte, die telepathische Verständigung des Laran, der geschworenen Brüderschaft, und mehr als das.

Ja, du bist Erbe von Hastur, Regis. Das gehört mit zu der Bürde deiner Stellung. Ich würde sie dir erleichtern, wenn ich könnte, aber das kann kein lebender Mensch. Und du würdest es gar nicht anders haben wollen.

Du erleichterst mir die Bürde durch dein Verständnis, und jetzt, da du hier bist, bin ich doch nicht mehr ganz allein ...

Gesprochene Worte waren unnötig. Nach einer Weile meinte Danilo leichthin: »Es gibt hier eine Wirtschaft, die von Garde-Offizieren besucht wird. Wenigstens hat man sich dort an Comyn gewöhnt und hält uns nicht für Missgeburten oder Ungeheuer oder glaubt von uns, dass wir gehen, ohne den Boden zu berühren, wie einige Helden aus alten Sagen. Wir könnten dort etwas trinken, ohne dass uns die Leute anstarren.«

Die Burgwachen von Thendara wissen wenigstens, dass wir menschlich sind mit allen menschlichen Fehlern und Schwächen und manchmal noch einigen dazu ... Regis war sich nicht ganz sicher, ob es sein eigener Gedanke war oder ob er ihn von Danilo empfangen hatte. Sie stiegen durch das große Labyrinth der Comyn-Burg hinunter und traten auf die in der ersten Nacht des Festes überfüllten Straßen hinaus.

»Manchmal gehe ich zur Zeit des Festes maskiert«, gestand Regis.

Danilo grinste. »Was! Und beraubst jedes Mädchen in der Stadt der Freuden hoffnungsloser Liebe?«

Regis machte eine nervöse Geste – die Geste eines Fechters, der einen Treffer eingesteht. Danilo wusste, er hatte einen bloßliegenden Nerv berührt, hütete sich aber, das durch eine Entschuldigung noch schlimmer zu machen. Trotzdem empfing Regis den Gedanken: Der Regent drängt ihn zu heiraten, verdammter alter Tyrann! Mein Pflegevater versteht wenigstens, warum ich es nicht tue. Dann gelang es Danilo, seine Gedanken abzuschirmen. Sie gingen in die Wirtschaft nahe den Toren der Wachhalle.

Der vordere Raum war gestopft voll mit jungen Kadetten. Ein paar der Jungen grüßten Regis, und er musste ein paar Worte mit ihnen wechseln. Aber schließlich gelangten sie in das ruhigere Hinterzimmer, wo die älteren Offiziere tranken. Selbst zu dieser Stunde lag der Raum im Halbdunkel. Einige der Männer nickten Regis und seinem Gefährten freundlich zu, widmeten sich aber sofort wieder ihren eigenen Angelegenheiten. Das war keine Unhöflichkeit, sondern ihre Art, dem Hastur-Erben das bisschen an Privatleben und Anonymität, das er in dieser Zeit haben konnte, nicht zu schmälern. Den Jungen im Vorderzimmer machte der Gedanke Spaß, dass sogar der mächtige Hastur-Lord durch Gesetz und Sitte gezwungen war, ihre Grüße zu erwidern und ihre Existenz zur Kenntnis zu nehmen. Doch diese Offiziere wussten von Regis’ Bürde und waren bereit, ihn in Ruhe zu lassen, wenn er es wünschte.

Der Wirt, der ihn auch kannte, brachte seinen üblichen Wein, ohne zu fragen. »Was möchtest du trinken, Dani?«

Danilo zuckte die Schultern. »Das, was er gebracht hat.«

Regis begann zu protestieren, dann lachte er und goss Wein ein. Das Trinken war sowieso nur ein Vorwand. Er hob seinen einfachen Becher, nahm einen Schluck und bat: »Und nun erzähl mir alles, was du während deiner Abwesenheit erlebt hast. Das mit deinem Vater tut mir Leid, Dani. Ich mochte ihn gern und hoffte, ihn eines Tages in den Rat zu bringen. Hast du die ganze Zeit in den Hellers verbracht?«

Stunden vergingen, während sie sich unterhielten. Der Wein stand halb vergessen zwischen ihnen. Schließlich hörten sie das Trommeln von der Wachhalle, das die Gardisten ins Quartier rief. Regis zuckte in die Höhe, dann lachte er, sich erinnernd, dass ihn das nichts mehr anging. Er setzte sich wieder.

»Was für ein Soldat du geworden bist!«, neckte Danilo ihn.

»Mir hat das Soldatenleben gefallen«, erwiderte Regis nach einer Pause. »Ich wusste immer genau, was von mir erwartet wurde, wer es erwartete und was ich diesbezüglich zu tun hatte. Wenn wir Krieg gehabt hätten, wäre es etwas anderes gewesen. Aber ich habe an nichts Gefährlicherem teilgenommen, als Aufruhr in den Straßen niederzuschlagen, Betrunkene, die Ärgernis gaben, ins Gewahrsam abzuführen, oder nachzuforschen, wenn in ein Haus eingebrochen worden war. Manchmal musste ich auch irgendwen dazu bringen, einen bissigen Hund anzubinden. Im letzten Jahr gab es einen Aufstand auf dem Marktplatz – also, das war wirklich komisch, Dani. Die Frau eines Viehtreibers hatte ihren Mann verlassen, weil sie ihn, wie sie sagte, in ihrem eigenen Bett mit ihrer eigenen Cousine erwischt hatte. Daraufhin schlich sie sich in seinen Pferch und brachte die Tiere zum Durchgehen, die er hatte verkaufen wollen. Auf dem ganzen Platz waren Stände umgeworfen und Geschirr zerbrochen ... Zufällig war ich an dem Tag Offizier vom Dienst, also fing ich mir die Aufgabe ein. Einer der Kadetten beklagte sich, er habe sein Vaterhaus verlassen, um nicht mehr den ganzen Tag hinter Kühen herjagen zu müssen! Na, schließlich trieben wir sie wieder zusammen, und ich musste vor Gericht eine Zeugenaussage machen. Die Cortes belegten die Frau mit einer Geldstrafe von zwölf Reis für all den Schaden, den die Tiere angerichtet hatten, und der Mann musste die Strafe bezahlen. Er protestierte, er sei das Opfer gewesen, und seine Frau habe die Tiere losgelassen. Die Richterin – es war eine Entsagende – antwortete, das werde ihn lehren, seine Liebesangelegenheiten in anständiger Abgeschlossenheit und in einer Weise abzuwickeln, die seine Frau weder beleidige noch demütige.«

Danilo lachte mehr über die Belustigung, die sich bei der Erinnerung in Regis’ Gesicht zeigte, als über die Geschichte selbst. Er hörte, wie sich die Kadetten im Vorderzimmer knufften und neckten, während sie ihre Zeche zahlten und sich auf den Weg ins Quartier machten. »Habe ich unter den Kadetten da draußen einen Sohn deiner Schwester gesehen? Sie müssen inzwischen große Jungen geworden sein.«

»Dies Jahr noch nicht«, antwortete Regis. »Rafael ist zwölf, und Gabriel ist erst elf... Rafael wäre zwar gerade eben alt genug gewesen, aber da sein Vater Kommandant der Garde ist, meinte dieser wohl, es sei noch etwas früh.«

Danilo blickte überrascht drein. »Gabriel Lanart-Hastur ist Kommandant der Garde? Wie ist das zu Stande gekommen? Ist Kennard Alton nicht zurückgekehrt?«

»Es gibt keine Nachricht von ihm, nicht einmal, ob er tot oder lebendig ist, sagt mein Großvater.«

»Aber der Befehl über die Schloss-Garde ist ein Alton-Amt«, wunderte sich Danilo. »Wie kommt es in Hastur-Hände?«

»Gabriel ist einer der nächsten Verwandten der Altons von Armida. Was hätte man anderes tun sollen, wo Kennard und sein Erbe den Planeten verlassen haben?«

»Es muss doch nähere Verwandte der Altons geben als deinen Schwager«, protestierte Danilo. »Zum Beispiel Kennards zweiten Sohn – er wird jetzt fünfzehn oder sechzehn sein.«

»Selbst wenn er als Erbe von Alton anerkannt wäre«, sagte Regis, »wäre er nicht alt genug, die Garde zu kommandieren. Und Kennards älterer Bruder hatte einen Sohn – das ist der, den sie auf Terra fanden ... Aber er ist erster Techniker im Arilinn-Turm und versteht vom Kommandieren einer Truppe nicht mehr als ich vom Sticken. Seine terranische Erziehung wäre sowieso ein Handicap – da draußen in Arilinn schadet sie ihm nichts, aber in Thendara will man ihn nicht haben, um nicht täglich daran erinnert zu werden, dass sich Terraner im Herzen des Comyn-Rats befinden.« Regis’ Stimme klang bitter. »Es ist schließlich gelungen, Lew Alton loszuwerden, und letztes Jahr hat sich der Rat von neuem geweigert, Marius auch nur eins der Rechte – oder eine der Pflichten – eines Comyn-Sohns zuzugestehen. Mein Großvater erzählte mir ...« – seine Lippen verzogen sich zu einem ganz kleinen Lächeln – »... dass sie mit Lew einen Fehler gemacht hätten und ihn nicht zu wiederholen gedächten. Terranisches Blut – schlechtes Blut, Verrat.«

»Lew hätte von ihnen Besseres verdient«, entgegnete Danilo leise. »Und wenigstens Kennard ist keines Verrats schuldig und sollte gefragt werden.«

»Meinst du, ich hätte mich nicht in diesem Sinn ausgesprochen? Ich bin alt genug, im Rat zu sitzen und den älteren Leuten zuzuhören, aber glaubst du wohl, Dani, dass sie mir zuhören, wenn ich rede? Mein Großvater sagte, schließlich seien Lew und ich als Kinder Bredin gewesen, und das trübe mein Urteil. Wenn Kennard hier wäre, um gefragt zu werden, würden sie ihn vielleicht anhören. Das tun die meisten. Aber sie haben Marius nicht vernachlässigt, auch wenn sie ihm den Status als Alton von Armida nicht zugestehen. Sie haben Gabriel zu seinem Vormund ernannt, und er ist einer guten terranischen Erziehung wegen ins Terranische Hauptquartier geschickt worden. Er ist gebildeter als du oder ich, Dani, und was er dort gelernt hat, nützt ihm in dieser Zeit des Imperiums und der Sternenreisen vermutlich mehr als das da ...« Er wies auf die Schwert tragenden Gardisten in der Wirtschaft. Regis war durchaus für den darkovanischen Vertrag, der jede Waffe verbot, deren Wirkung über die Reichweite ihres Trägers hinausging. Der Grundsatz war, dass ein Mann, der töten wollte, sein eigenes Leben dafür einsetzen müsse. Aber Schwerter waren nicht allein Waffen, sondern auch Symbol eines Lebensstils, der angesichts eines interstellaren Imperiums überholt erschien. Danilo folgte Regis’ Gedanken und schüttelte hartnäckig den Kopf.

»Da bin ich anderer Meinung als du, Regis. Marius verdient vom Rat etwas Besseres als eine terranische Erziehung. Kennard hätte Darkover nicht verlassen und erst recht nicht so lange fortbleiben dürfen. Hastur sollte ihn sofort zurückrufen – es sei denn, dein Großvater giert danach, dass eine weitere Domäne unter die Herrschaft der Hasturs gerät. Wie es scheint, hat er die Elhalyn-Domäne bereits übernommen – oder warum ist Derik im Alter von achtzehn immer noch nicht gekrönt?«

Regis verzog das Gesicht. »Du kennst unseren Prinzen nicht. Er mag achtzehn Jahre zählen, aber er ist ein Kind von zehn – oder könnte es sein. Mein Großvater wünscht sich nichts sehnlicher, als von der Bürde der Regentschaft über Thendara frei zu sein ...«

Danilo blickte skeptisch, sagte jedoch nichts. Regis wiederholte: »Derik ist noch nicht reif zu regieren. Der Rat hat seine Krönung verschoben, bis er fünfundzwanzig ist. Es gibt einen Präzedenzfall dafür. Derik erreicht Mannheit und Weisheit eben langsam, und der Aufschub lässt ihm Zeit. Falls nicht – nun, den Falken wollen wir fliegen lassen, wenn seine Schwingen gewachsen sind.«

»Und was wird, wenn Derik nach Hasturs Meinung niemals fähig wird zu regieren?«, fragte Danilo. »Es hat eine Zeit gegeben, als die Hasturs alle diese Domänen beherrschten, und die Rebellion gegen ihre Tyrannei zersplitterte die Domänen in hundert kleine Königreiche.«

»Und die Hasturs waren es, die zur Zeit König Carolins alle wieder vereinigten«, entgegnete Regis. »Auch ich habe die Geschichtsbücher gelesen. In Aldones Namen, Dani, glaubst du vielleicht, mein Großvater möchte unbedingt König des ganzen Landes werden? Oder sehe ich in deinen Augen wie ein Tyrann aus?«

Danilo sagte: »Nein, das nicht. Aber im Prinzip sollte jede der Domänen stark sein – und unabhängig. Wenn Lord Hastur den Prinzen nicht krönen kann – und nach dem bisschen, was ich von Derik gesehen habe, sieht er gar nicht wie ein König aus –, dann sollte er anderswo nach einem Erben für Elhalyn Umschau halten. Verzeih mir, Regis, aber es gefällt mir nicht, so viel Macht in Hastur-Händen vereinigt zu sehen. Da ist erstens die Regentschaft, durch die der Erbe der Krone kontrolliert wird, und jetzt geraten auch noch die Altons unter die Herrschaft der Hasturs. Und mit der Alton-Domäne verbunden ist der Befehl über die Schloss-Garde. Welche Richtung wird Hastur als Nächstes einschlagen? Lady Callina von Valeron ist unverheiratet. Will er sie vielleicht mit dir zusammengeben und auch die Aillard-Domäne an sich bringen?«

»Ich bin alt genug, um bei meiner Heirat ein Wort mitzusprechen«, antwortete Regis trocken. »Und ich versichere dir, sollte er einen Plan dieser Art haben, dann hat er mit mir nicht darüber gesprochen. Stellst du dir meinen Großvater als eine Spinne im Mittelpunkt eines derartigen Netzes vor?«

»Regis, ich habe nicht die Absicht, einen Streit mit dir heraufzubeschwören.« Danilo hob den Weinkrug; Regis schüttelte den Kopf, doch Danilo goss trotzdem die Becher voll, hob seinen an die Lippen und setzte ihn ab, ohne getrunken zu haben. »Dein Großvater ist ein guter Mann, und was dich selbst betrifft – nun, du weißt genau, wie viel ich von dir halte, Bredhyu.« Er benutzte die intime Version des Wortes, und Regis lächelte. Danilo aber fuhr ernst fort: »All das schafft einen gefährlichen Präzedenzfall. Nach dir können Hasturs regieren, die tatsächlich nicht für so viel Macht geeignet sind. Es mag ein Tag kommen, an dem sich alle Domänen als Hastur-Vasallen wieder finden.«

»Zandrus Höllen, Dani!«, rief Regis ungeduldig. »Glaubst du wirklich, Darkover wird bis dahin unabhängig vom Imperium bleiben oder die Comyn werden, wenn dieser Tag kommt, immer noch über die Domänen herrschen? Ich finde, Marius Alton ist der Einzige von uns, der für die Entwicklung, die Darkover nehmen wird, richtig vorbereitet ist.«

»Dieser Tag«, sagte Danilo leise, »wird nur über die Leichen der Ardais-Domäne kommen.«

»Zweifellos werden an diesem Tag auch Hastur-Leichen daliegen, aber kommen wird er für alle. Hör zu, Dani«, drängte er, »verstehst du die Situation wirklich? Vor ein paar Generationen, als die Terraner herkamen, befanden wir uns zur richtigen Zeit am falschen Ort – auf einem Planeten, der zwischen dem oberen und dem unteren Spiralarm der Galaxis liegt, genau da, wo die Terraner einen Raumhafen als Knotenpunkt und Transitstation für den Verkehr des Imperiums brauchten. Sie hätten einen unbewohnten Planeten vorgezogen, und ich bin überzeugt, sie haben darüber diskutiert, ob sie Darkover in einen solchen verwandeln sollten. Dann entdeckten sie, dass wir eine verloren gegangene terranische Kolonie sind ...«

»Und Sankt-Valentin-im-Schnee liegt zu Nevarsin begraben«, fiel Danilo erregt ein. »Das alles habe ich gehört, als wir vor drei Jahren Gefangene in Aldaran waren, Regis!«

»Nein, hör zu – die Terraner fanden uns, die wir eine auf Terra selbst längst tote Sprache benutzten, aber wir waren eine primitive Welt, die terranische Technik war uns verloren gegangen – wenigstens dachten sie das. Sie gaben uns den Status einer Geschlossenen Welt, um uns zu rapide soziale Umschwünge zu ersparen. Das tun sie bei allen primitiven Gesellschaften, damit diese sich in dem ihnen gemäßen Tempo entwickeln können. Mit der Zeit fanden sie heraus, dass unsere Welt doch nicht ganz so primitiv ist, sie erfuhren von unserem Laran, von unserer Matrix-Technologie. Sie entdeckten, dass die telepathisch zusammengeschlossenen Turmkreise Metalle fördern, Flugmaschinen mit Energie versorgen und noch viel mehr zu tun vermögen. Ja, da wollten sie die Matrix-Technologie für sich, und sie haben alles Mögliche versucht, um ein wenig davon zu bekommen.«

»Regis, das weiß ich alles, aber ...«

»Willst du mir zuhören? Du weißt es ebenso gut wie ich; einige Darkovaner wünschten sich – und wünschen sich immer noch – die Vorteile der terranischen Technik, einen Platz im Imperium, für Darkover den Status einer Kolonie mit politischer Macht, Vertretung im Reichssenat – all diese Dinge. Andere, besonders die Comyn, waren der Meinung, die Mitgliedschaft im Imperium würde unsere Welt und unser Volk vernichten. Aus uns würde eine Kolonie wie ein Dutzend andere werden, abhängig von terranischem Handel, von außerplanetaren Metallen und Luxusgütern, vom Tourismus ... Bis heute hat sich diese Partei durchgesetzt. Ich bin überzeugt, auf Darkover müssen Veränderungen eintreten. Aber uns muss genügend Zeit bleiben, um sie zu verkraften.«

»Und ich will nicht, dass es überhaupt dazu kommt«, erklärte Danilo.

»Wer will das schon? Aber die Terraner sind hier, ob es uns passt oder nicht. Und ich will mich nicht beschuldigen lassen, ich versuchte, unser Volk auf der Stufe primitiver Barbaren zu halten, damit meine Familie und ich es weiter mittels seines Aberglaubens beherrschen können!«

Er hatte heftiger gesprochen, als es in seiner Absicht lag, und vergessen, wo sie sich befanden. Eine matte Stimme ließ sich hören: »Bravo! Der Erbe von Hastur ist erwachsen geworden und hat gelernt, dass die Terraner eine Realität und keine Horde schwarzer Männer sind, mit denen man kleinen Kindern Angst einjagt.«

Regis fuhr zusammen. Ihm kam zu Bewusstsein, dass sie nicht allein waren. Er drehte sich um und erblickte einen großen, dünnen Mann mit hellem Haar und dem Stempel der Comyn auf seinen eckigen Gesichtszügen. Er trug elegante, stutzerhafte darkovanische Kleidung, doch sein Mantel war mit kostbarem importiertem Pelz besetzt. Regis verbeugte sich, das Gesicht zu einer höflichen Maske erstarrt.

»Cousin«, grüßte er, »ich hatte Euch nicht gesehen, Lerrys.«

»Ich Euch auch nicht, Dom Regis«, antwortete Lerrys Ridenow. »Aber als Ihr so laut spracht, dass die Terraner in ihrem Hauptquartier Euch am anderen Ende der Stadt hören konnten, warum sollte ich da so tun, als hörte ich Euch nicht? Es freut mich, dass Ihr die Situation voll versteht. Ich hoffe, es bedeutet, in diesem Jahr wird im Rat ein weiterer Fürsprecher der Vernunft auftreten, so dass die Ridenows nicht mehr allein gegen dies tatterige Konklave von alten Jungfern beiderlei Geschlechts zu kämpfen haben.«

Regis erwiderte steif. »Bitte, glaubt nicht, dass ich völlig einer Meinung mit Euch bin, Dom Lerrys. Ich stelle mir gar nicht gern vor, zu welchen sozialen Umschwüngen es kommen wird, wenn wir zu einer weiteren terranischen Kolonie werden ...«

»Aber wir sind eine weitere terranische Kolonie«, behauptete Lerrys. »Und je eher wir uns das klarmachen, desto besser für uns. Soziale Umschwünge? Pah! Unser Volk will die guten Dinge, die das terranische Bürgerrecht mit sich bringt, und den Rest wird es akzeptieren, sobald es vor einer vollendeten Tatsache steht. Die Leute haben einfach nicht genug Bildung, um zu wissen, was sie wollen, und die Hasturs und die würdigen Lords der Comyn sorgen dafür, dass sie sie auch niemals bekommen!« Er erhob sich halb. »Müssen wir uns das von Tisch zu Tisch zurufen? Wollt Ihr Euch nicht zu uns setzen, Cousin – und Euer Freund ebenfalls?« Er benutzte die intime Version des Wortes mit all ihren Andeutungen. Regis, der sich getroffen fühlte, streifte Danilo mit einem Blick. Halb und halb wünschte er, der andere werde ablehnen, aber es fehlte ihnen an einem glaubwürdigen Vorwand. Lerrys war Comyn und sein Verwandter; Regis hatte keinen Grund für seine Antipathie.

Ausgenommen vielleicht den, dass wir mehr gemeinsam haben, als mir recht ist. Er spricht hemmungslos Dinge aus, die ich meines Großvaters wegen diskret behandeln muss. Ich beneide ihn darum, dass er ein jüngerer Sohn eines weniger bedeutenden Comyn-Hauses ist, dass auf ihm nicht ständig die Blicke der Öffentlichkeit ruhen. Was er auch tut, es wird nicht sofort zum Gegenstand des Klatsches oder der Zensur.

Sie siedelten an Lerrys’ Tisch über und nahmen eine neue Runde an, die keiner von ihnen wollte. Nach der nächsten oder übernächsten, dachte Regis, würde er sich entschuldigen und mit Danilo anderswohin zum Essen gehen. Bald würde Zapfenstreich getrommelt werden, und er konnte eine anderweitige Verabredung vorschützen. Die Speiselokale, die er bevorzugte, würden für Lerrys zu zahm sein, und ebenso für seine eleganten Begleiter. Die meisten von ihnen waren, wie er sah, Darkovaner, doch sie trugen kostbare terranische Kleidung – nicht die zweckmäßigen Uniformen der Raumhäfen, sondern glänzende, farbige Dinge aus den fernsten Winkeln des Imperiums.

Lerrys goss den von ihm bestellten Wein ein und nahm das Gespräch an dem Punkt wieder auf, wo er es unterbrochen hatte. »Schließlich sind wir Terraner; uns stehen alle Privilegien unseres Erbes zu. Jeder in den Domänen könnte von der terranischen Medizin und Wissenschaft profitieren – ganz zu schweigen von der Bildung! Zufällig weiß ich, dass du lesen und schreiben kannst, Regis, aber du musst zugeben, dass du eine lobenswerte Ausnahme bist. Wie viele, auch unter den Kadetten, können mehr als ihren Namen kritzeln und sich durch das Armee-Handbuch buchstabieren?«

»Ich finde, ihre Bildung reicht aus für das, was sie in der Welt tun müssen«, sagte Regis. »Warum sollen sie sich mit Unsinn belasten? Denn als das stellt sich das meiste Geschriebene heraus. Es gibt schon genug untätige Gelehrte auf Darkover – und was das anbetrifft, im Imperium auch.«

»Und wenn sie ungebildet sind«, erwiderte Lerrys mit hämischem Lächeln, »kann man sie leichter in den Banden abergläubischer Scheu vor den Comyn halten, unter der gottgewollten Herrschaft der Hasturs, den Verwandten der Götter...«

»Ich will dir gern darin Recht geben, dass es keine Entschuldigung für diese Art geistiger Sklaverei gibt«, sagte Regis. »Wenn du gehört hast, was ich zuvor sagte, weißt du, dass ich gegen diese Tyrannei protestierte. Aber du kannst nicht behaupten, wir seien Terraner und sonst nichts.« Er streckte den Arm über den Tisch, ergriff Lerrys’ Hand und legte seine eigene flach dagegen. Er zählte die sechs Finger, berührte den kleinen Lederbeutel an seiner Kehle, in dem der Matrixstein ruhte, warm, pulsierend ...

»Die Kräfte der Comyn sind real.«

»Ach – Laran.« Lerrys zuckte die Schultern. »Sogar einige der Terraner, die zu uns gekommen sind, haben es entwickelt. Auch dies ist Teil unseres terranischen Erbes, und wir können sie einiges darüber lehren ... Warum soll diese Kraft auf die Comyn beschränkt bleiben? Im Ausgleich dafür würden wir ihre wissenschaftlichen Errungenschaften teilen. Die Wetterkontrolle wäre in den Ländern jenseits der Hellers wie ein Segen der Götter. Die Trockenstadt-Wüste könnte vielleicht wieder urbar gemacht, einige der unbesteigbaren Berge hinter der Mauer um die Welt könnten in Kontakt mit den Domänen gebracht werden. Astronomie, Sternenreisen – und dafür würde sich das Wissen vom Laran über die ganze Galaxis ausbreiten ...«

»Es könnte gefährlich, zu gefährlich, sein, das ganze Imperium wahllos mit Laran zu beschenken«, erklärte einer von Lerrys’ jungen Begleitern schüchtern. »Warst du dabei, als Caer Donn verbrannte, Lerrys?«

»Ich war dabei«, sagte Regis und sah den jungen Fremden scharf an. »Ich kenne dich. Rakhal... Rafe ...«

»Rakhal Daniel-Scott, z‘par servu«, stellte der junge Mann sich vor. »In der Terranischen Zone nennt man mich Rafe Scott. Ich habe damals gesehen, was unkontrolliertes Laran anrichten kann – und hoffe, es nicht noch einmal sehen zu müssen!«

»Das steht nicht zu befürchten«, meinte Lerrys. »Die Sharra-Matrix ist zerstört worden. Soviel wir wissen, war sie die Einzige von diesen alten Matrices, die aus dem Zeitalter des Chaos bis in unsere Tage überdauert hatte. Abgesehen davon, wenn es solche Dinge gibt, sollten wir lernen, sie zu beherrschen und zu benutzen, aber uns nicht wie Banshee-Vögel im Sonnenschein verstecken und so tun, als existierten sie nicht. Glaubt mir, den Terranern liegt ebenso wenig wie uns daran, dass Laran auf diese Weise außer Kontrolle gerät.«

»Und, ganz gleich, was geschieht, es wird immer solche geben, die Laran benutzen können, und solche, die es nicht können«, warf ein anderer junger Mann ein. Auch er kam Regis bekannt vor; wahrscheinlich war er einer von Rafe Scotts Verwandten. Regis erinnerte sich gar nicht gern an die Zeit auf Burg Aldaran und die Schrecken, als Sharra in den Bergen jenseits des Flusses wütete. Er und Danilo waren auf ihrer Flucht aus Aldaran in diesen Bergen beinahe ums Leben gekommen ...

»Trotzdem sind wir alle Terraner«, nahm Lerrys den Faden wieder auf, »und das Imperium ist unser Erbe – als Recht, nicht als Vergünstigung. Wir sollten es nicht nötig haben, um das Bürgerrecht im Imperium und die damit verbundenen Vorteile zu bitten. Sie haben uns den Status einer Geschlossenen Welt gegeben, und es ist höchste Zeit, diesen Fehler zu korrigieren. Bevor wir das tun können, müssen wir anerkennen, dass unsere rechtmäßige Regierung das Terranische Imperium ist und nicht die hiesige rückständige Aristokratie! Ich verstehe wohl, dass du, Regis, auf deine Machtposition nicht gern verzichten möchtest, aber hör mich an! Spielt es angesichts eines Imperiums, das tausend Welten umspannt, eine Rolle, was die Bauern von unsern Adligen denken? Solange dies eine Geschlossene Welt ist, werden die hiesigen Aristokraten ihre persönliche Macht und ihre Vorrechte behalten. Jetzt nimm an, wir erklären uns zu einem Bestandteil des Terranischen Imperiums – wir erklären nicht etwa den Wunsch, Bestandteil des Imperiums zu werden, sondern dass wir es bereits sind und daher den terranischen Gesetzen unterstehen. Dann kann jeder Bürger Darkovers Anspruch auf dies Privileg erheben, und ...«

»Es mag viele geben, die das durchaus nicht für ein Privileg halten ...«, begann Danilo hitzig, und Lerrys höhnte: »Kommt es darauf an, was diese Leute denken? Oder verteidigt Ihr, indem Ihr ihnen dies Privileg verweigert, vielleicht nur Euer eigenes, Lord Danilo, als Regent von Ardais ...«

Bevor Danilo darauf antworten konnte, entstand Unruhe im vorderen Raum. Dann trat Dyan Ardais in das Hinterzimmer, wo die wenigen noch anwesenden höheren Offiziere und die Comyn saßen. Er schritt geradewegs auf ihren Tisch zu.

»Ich grüße euch, Verwandte.« Er verbeugte sich leicht. Danilo erhob sich und blieb in Erwartung einer Anrede oder eines Befehls stehen, wie es sich für einen Pflegesohn in Anwesenheit des Oberhaupts seiner Domäne geziemt.

Dyan war groß und mager, ein Berg-Darkovaner aus den Hellers mit adlerähnlichen Zügen und stahlgrauen, fast farblosen, metallisch wirkenden Augen. Regis hatte ihn, seit er ihn kannte, noch nie anders als ganz in Schwarz gesehen, falls er nicht Uniform oder die Zeremonienfarben seiner Domäne trug. Das gab ihm ein kaltes, strenges Aussehen. Wie bei vielen Bergbewohnern hatte sein Haar nicht die echte Comyn-Farbe, sondern war grob, kraus und dunkel.

»Danilo«, sagte er, »ich habe nach dir gesucht. Doch ich hätte mir denken können, dass ich dich hier finden würde, und Regis ist natürlich bei dir.«

Regis spürte die kurze telepathische Berührung als ironisches Flackern – Wahrnehmen, Erkennen. Ihn ärgerte die Intimität; es war, als habe der ältere Mann sich in aller Öffentlichkeit eine etwas unschickliche Geste erlaubt, zum Beispiel ihm das Haar gezaust, als sei er ein Junge von acht oder neun. Die Sache war so geringfügig, dass er nicht protestieren konnte, ohne sich etwas zu vergeben. Er wusste, Dyan freute es, wenn er ihn in einem Zustand des Unbehagens oder der Fassungslosigkeit erwischte, doch wusste er nicht, warum. Dessen ungeachtet war das Gesicht des Lords von Ardais völlig ausdruckslos.

Er sagte: »Wollt ihr beide mit mir essen? Ich habe dir etwas mitzuteilen, Danilo, das deine Pläne für die Ratssitzungen beeinflussen wird. Und da ich weiß, du wirst es Regis doch als Erstes erzählen, kann ich es euch ebenso gut gleichzeitig sagen und damit Zeit sparen.«

»Ich stehe Euch zu Befehl, Sir«, erwiderte Danilo mit einer leichten Verbeugung.

»Willst du dich uns anschließen, Cousin?«, fragte Lerrys. Dyan zuckte die Schultern. »Vielleicht für einen Becher.«

Lerrys rutschte auf der Bank weiter, um für Dyan und seinen Begleiter Platz zu schaffen. Regis kannte den jungen Mann nicht, und auch Lerrys sah Dyan fragend an.

»Kennt ihr euch? Merryl Lindir-Aillard.«

Dom Merryl war nach Regis’ Schätzung ungefähr zwanzig. Er war schlank, rothaarig, sommersprossig und sah auf jungenhafte Weise gut aus. Mit gedanklichem Schulterzucken – Dyans Freunde und Favoriten gingen ihn, Aldones sei gelobt, nichts an – verbeugte er sich vor dem jungen Merryl. »Seid Ihr verwandt mit Domna Callina, Vai Dom? Ich glaube, wir beide sind uns noch nie begegnet.«

»Ich bin ihr Stiefbruder, Sir«, antwortete Merryl, und Regis hörte in den Gedanken des anderen wie ein Echo die Frage, die Merryl nicht zu stellen wagte: Lord Dyan hat ihn Regis genannt – ist das der Enkel des Regenten, der Hastur-Erbe? Was tut er hier unter den anderen, warum sitzt er hier wie ein ganz normaler Mensch ...? Es war die übliche Reaktion, und für Regis war es anstrengend, damit zu leben.

»Dann werdet Ihr dies Jahr im Rat sitzen?«

»Ja, ich habe die Ehre. Ich soll meine Stiefschwester vertreten, die von ihren Pflichten als Bewahrerin in Arilinn festgehalten wird«, erklärte Merryl, und die quälenden telepathischen Dissonanzen klangen fort: In jeder anderen Domäne wäre es mein Ratssitz, aber gerade in dieser einen, verdammt soll der ganze Rat sein, hat die weibliche Linie den Vorrang, und so ist es diese verdammte Hexe, meine Halbschwester, die Herrin über uns alle ist...

Regis schloss mit aller Kraft seine Abschirmung, und das Geplätscher ausleckender Gedanken verstummte. Er sagte höflich: »Dann heiße ich Euch in Thendara willkommen, Verwandter.«

Der dunkle, schlanke Junge, der zwischen Lerrys Ridenow und Rafe Scott saß, fragte schüchtern: »Ihr seid Callinas Bruder, Dom Merryl? Ja, dann möchte auch ich Euch als Verwandten begrüßen. Callinas Halbschwester Linnell wurde zusammen mit mir auf Armida erzogen, und ich nenne sie Breda. Sie hat mir von Euch erzählt, Verwandter.«

»Es tut mir Leid, aber ich kenne nicht sämtliche Verwandten von Domna Callina«, entgegnete Merryl mit gleichgültiger Höflichkeit. Regis zuckte unter der Abfuhr, die Merryl dem Jungen erteilte, zusammen. Plötzlich ging ihm auf, wer der Dunkelhaarige sein musste: Kennards jüngerer Sohn Marius, der vom Rat niemals anerkannt worden und bei den Terranern erzogen worden war. Regis hatte Marius nicht wieder erkannt, aber das war nicht verwunderlich. Sie bewegten sich in verschiedenen Kreisen, und als er den Jungen das letzte Mal gesehen hatte, war er noch ein kleines Kind gewesen. Inzwischen würde er fünfzehn sein. Merryls Schroffheit schien ihm nichts auszumachen. Hatte er sich an Beleidigungen so gewöhnt, dass er gelernt hatte, sie zu ignorieren, oder hatte er nur gelernt, sich diesen Anschein zu geben? Mit besonderer Höflichkeit sagte Regis: »Dom Marius, ich hatte Euch nicht gleich erkannt, Cousin.«

Marius lächelte. Seine Augen waren dunkel wie die eines Terraners. »Entschuldigt Euch nicht Lord Regis; es sind nicht viele im Rat, die mich kennen.« Und wieder hörte Regis den unausgesprochenen Zusatz: Oder es zugäben, wenn sie mich kennen würden. Lerrys überspielte die peinliche Pause, indem er Wein eingoss und dabei bemerkte, der Wein hier sei nicht vom Besten.

»Aber als Gardist hast du sicher gelernt, darüber hinwegzusehen, Cousin!«

»Man kann sich heute gar nicht mehr vorstellen, dass du einmal die Uniform der Garde getragen hast, Lerrys«, gab Dyan für seine Verhältnisse recht liebenswürdig zurück.

»Nun ja, ich habe meiner Pflicht als Comyn-Sohn Genüge getan«, sagte Lerrys lächelnd, »wie wir alle. Allerdings erinnere ich mich nicht, dich unter den Kadetten gesehen zu haben, Merryl.«

Merryl Lindir-Aillard verzog das Gesicht. »Oh, zu der Zeit, als ich bei den Kadetten eintreten sollte, zog ich mir ein Fieber zu, und meine Mutter war eine ängstliche Frau, sie fürchtete, ich könne im Sommerregen schmelzen ... und später, als mein Vater starb, sagte sie, ich würde zu Hause gebraucht.« Seine Stimme klang bitter. Danilo meinte lächelnd: »Mein Vater vertrat die gleiche Meinung, und er war alt und schwach. Zwar ließ er mich ziehen, weil er glaubte, ich würde mich dort bessern, aber er war froh, als er mich wieder zu Hause hatte. Es ist nicht leicht zu entscheiden, wo man am nötigsten gebraucht wird, Verwandter.«

»Ich glaube, darin haben wir alle Erfahrung gesammelt«, warf Dyan ein.

»Du hast nichts versäumt«, fuhr Lerrys fort. »Zandrus Höllen, Verwandter, wer braucht heutzutage noch Übung im Schwert- und Messerkampf? Die Kadetten – entschuldigt, Lord Regis – sind ein Anachronismus, und je eher wir das zugeben und sie eine kostümierte Ehrenwache nennen, desto besser für uns. Die Garde bildet die Polizei der Stadt, aber wir sollten das Angebot der Terraner annehmen, sie von Raumsoldaten in modernen Techniken ausbilden zu lassen. Ich kann mir vorstellen, Merryl, dass du meinst, dir sei etwas entgangen, das ein Recht jedes Comyn-Sohns ist, aber ich bin drei Jahre Kadett und zwei weitere Offizier gewesen, und ich hätte gern darauf verzichtet. Solange du im Mantel eines Gardisten eine gute Figur machst – und ich brauche dich ja nur anzusehen, um zu erkennen, dass du da gar keine Probleme haben würdest –, weißt du alles, was du dafür brauchst. Ich bin überzeugt, Dyan hat es dir bereits gesagt.«

»Es besteht kein Grund, beleidigend zu werden, Lerrys«, erklärte Dyan steif. »Aber von dir ist ja nichts anderes zu erwarten – du verbringst mehr Zeit auf Vainwal mit der Erforschung fremder Vergnügungen als hier in Thendara mit der Erfüllung deiner Pflicht als Comyn-Lord. Das scheint heutzutage üblich zu sein. Ich kann es dir nicht vorwerfen; wenn die Altons ihre Pflicht vernachlässigen, was darf man sich da von einem Ridenow erhoffen?«

»Neidisch?«, fragte Lerrys. »Auf Vainwal brauche ich wenigstens kein Hehl aus meinen Neigungen zu machen, und wenn die Altons ihre Zeit damit verbringen dürfen, müßig im Imperium herumzureisen, woher nimmst du dann das Recht, mich zu kritisieren?«

»Die Altons tadle ich nicht weniger scharf...«, begann Dyan hitzig.

»Lord Dyan«, sagte Marius Alton zornig, »ich dachte, wenigstens Ihr wäret meines Vaters Freund – oder doch so weit sein Freund, dass Ihr seine Motive nicht verurteilt!«

Dyan sah ihm gerade in die Augen und fragte gedehnt: »Wer, zur Hölle, seid Ihr?«

»Ihr wisst, wer ich bin«, entgegnete Marius, »selbst wenn es Euch Spaß macht, es abzuleugnen! Ich bin Marius Montray-Lanart von Alton ...«

»Ach, der Sohn der Montray-Frau«, bemerkte Dyan in der herabsetzenden Art, die Balg oder Findelkind andeutete.

Marius holte tief Atem und ballte die Fäuste. »Wenn Kennard, Lord Alton, mich als seinen Sohn anerkennt, spielt es für mich gar keine Rolle, wer es nicht tut!«

»Einen Augenblick!«, fuhr Lerrys auf, aber Merryl Lindir sagte: »Müssen wir uns das sogar hier in Thendara anhören? Ich bin nicht hergekommen, um mit terranischen Bastarden zu trinken – und mit terranischen Spionen!«

Marius sprang wütend auf. »Terranische Spione? Captain Scott ist mein Gast!«

»Wie ich sagte, terranische Spione und Lakaien – ihrer Gesellschaft wegen bin ich nicht hergekommen!«

»Nein«, antwortete Marius, »anscheinend seid Ihr hergekommen, weil Ihr eine Lektion in gutem Benehmen braucht – und ich bin bereit, sie Euch zu erteilen.«

Er schob seinen Stuhl zurück und kam um den Tisch, die Hand auf dem Messer. »Lektion eins: Man kritisiert den Gast eines anderen nicht – und ich bin hier als Gast von Lord Lerrys, und Captain Scott ist mein Gast. Lektion zwei: Man kommt nicht nach Thendara und bewirft die Abstammung eines Mannes mit Schmutz. Ihr werdet Euch bei Captain Scott entschuldigen und zurücknehmen, was Ihr über meinen Vater gesagt habt – und über meine Mutter! Und Ihr ebenfalls, Lord Dyan, oder ich werde auch Euch zur Rechenschaft ziehen!«

Gut für ihn, dachte Regis beim Anblick des zornigen Jünglings, der mit dem Messer in der Hand kampfbereit dastand. Merryl blinzelte. Dann riss auch er sein Messer heraus und trat zurück, um sich Bewegungsfreiheit zu schaffen. Er sagte: »Es wird mir ein Vergnügen sein, Alton-Bastard ...«

Lerrys stand auf und legte eine Hand auf Marius’ Arm. »Langsam, Marius ...«

»Haltet Euch heraus, Sir«, presste Marius zwischen den Zähnen hervor.

Gut, der Junge hat Mut! Auf seine Art sieht er auch nicht schlecht aus! Zandrus Höllen, warum hat Kennard nicht... Regis vermochte die Quelle dieses Gedankens nicht gleich zu identifizieren, dann sagte Dyan laut: »Steck dein Messer ein, Merryl! Verdammt noch mal, das ist ein Befehl! Und du auch, Marius, Junge. Der Rat hat die Ehe deines Vaters nie anerkannt, aber man sieht gleich, dass du deines Vaters Sohn bist.«

Marius zögerte, dann senkte er das Messer. Merryl Lindir-Aillard schnaubte: »Verdammt sollst du sein! Du hast wohl Angst, mit mir zu kämpfen, wie alle Terraner Feiglinge sind – bereit mit euren Feiglingswaffen und Kanonen aus der Ferne zu töten, aber furchtsam vor nacktem Stahl?«

Lerrys trat zwischen sie. »Hier ist nicht der richtige Ort für einen Kampf! In Zandrus Namen ...«

Regis sah, dass die anderen Gäste der Wirtschaft sich zurückgezogen und einen Zuschauerring gebildet hatten. Wenn Verwandte streiten, erweitern Feinde den Riss! Macht es ihnen Vergnügen, Uneinigkeit unter Comyn zu sehen? »Merryl, Marius, hört auf! Das ist hier keine Räuberhöhle!«

»Geht an eure Plätze, alle beide«, erklang eine neue, befehlsgewohnte Stimme, und Gabriel Lanart-Hastur, Kommandant der Garde, trat vor. »Wenn ihr kämpfen wollt, sprecht eine offizielle Herausforderung aus, aber fangt hier keine dumme Balgerei an! Seid ihr beide betrunken? Lerrys, du bist Offizier, du weißt eine Herausforderung ist nur dann gültig, wenn beide Kontrahenten nüchtern sind. Marius ...«

Marius erklärte mit geballten Fäusten: »Er hat meinen Vater und meine Mutter beleidigt, Verwandter! Um der Ehre der Alton-Domäne willen ...«

Gabriel sagte ruhig: »Lass die Ehre der Domäne in meinen Händen, bis du älter geworden bist, Marius.«

»Ich bin nüchtern genug, um ihn herauszufordern!«, rief Marius wütend. »Also erkläre ich hiermit...«

»Merryl, du verdammter Narr ...« – Dyan legte dem jungen Mann mit Nachdruck die Hand auf die Schulter – »... das ist eine ernste Sache ...«

»Ich will verdammt sein, wenn ich mich auf einen ehrenvollen Kampf mit einem terranischen Bastard einlasse!«, brüllte Merryl außer sich und fuhr auf Gabriel Lanart-Hastur los: »Mit Euch werde ich kämpfen und mit Eurer ganzen verdammten Domäne – falls ich einen davon nach Darkover zurückbringen kann, wo sie hingehören! Aber Euer Lord Alton ist nicht besser als einer seiner Bastarde, er treibt sich im Imperium herum, wenn er im Rat gebraucht wird ...«

Gabriel wollte einen Schritt vorwärts tun. Aber da blitzte blaues Feuer auf, und Merryl taumelte zurück. Der telepathische Schlag hallte wie Donner in den Gehirnen aller Anwesenden wider.

ZÜGELE DEINE DUMME ZUNGE, DU SCHWACHKOPF! ICH HABE SCHON LANGE DEN VERDACHT, DASS DOMNA CALLINA DER EIGENTLICHE MANN IN EUREM HAUSHALT IST. ABER MUSST DU DAS HIER IN ALLER ÖFFENTLICHKEIT UNTER BEWEIS STELLEN? STECKT DEIN GEHIRN IN DEM KÖRPERTEIL, AUF DEM DU SITZT? Dem folgte ein obszönes Bild; Regis sah, dass Merryl sich krümmte. Diese Reaktion spürte er auch in Danilos Gedanken. Danilo wusste, was es hieß, von Dyan erniedrigt zu werden, erbarmungslos, mit sadistischer Kraft, bis Danilo zusammengebrochen war und das Messer gegen ihn gezückt hatte ... Die Qual seines Freundes veranlasste Regis, blindlings zurückzutreten und sich neben ihn zu stellen. Merryl war totenblass. Einen Augenblick lang dachte Regis, er werde vor ihnen allen in Tränen ausbrechen.

Dann sagte Dyan mit kalter Stimme: »Lord Regis, Danilo, ich glaube, wir haben eine Verabredung zum Essen. Dom Lerrys, ich danke Euch für den Wein.« Er nickte Regis zu und wandte sich von ihnen allen ab. Regis und Danilo konnten nichts anderes tun, als ihm zu folgen. Merryl umklammerte immer noch geistesabwesend sein Messer; er ließ es in die Scheide gleiten und ging ihnen nach. Ein schneller Blick zurück zeigte Regis, dass die Spannung sich verflüchtigt hatte. Gabriel sprach leise und beschwörend auf Marius ein, aber das war ganz in Ordnung. Regis wusste, in seinem Schwager war keine Spur von Bosheit, und schließlich war Gabriel in Kennards Abwesenheit Marius’ Vormund.

Draußen wandte sich Dyan mit zurechtweisendem Stirnrunzeln an Merryl. »Ich hatte die Absicht, auch dich einzuladen, denn ich möchte, dass du und Regis euch kennen lernt. Aber du bleibst uns besser fern, bis du gelernt hast, dich in der Stadt zu benehmen, Junge! Das erste Mal, dass ich dich in die Gesellschaft von Comyn mitnehme, fängst du einen blödsinnigen Streit an!«

Der Ton und die Worte hätten um keine Nuance geändert werden müssen, wenn er zu einem Jungen von acht oder neun gesprochen hätte, der sich beim Murmelspiel gehauen und eine blutige Nase geholt hatte. So unentschuldbar Merryls Benehmen gewesen war, tat der Junge Regis doch Leid. Blutübergossen stand er da und nahm Dyans Strafrede wortlos hin. Nun, verdient hatte er sie. Merryl schluckte. »Sollte ich dastehen und mich von Terranern und Halb-Terranern beleidigen lassen, Verwandter?« Er benutzte das Wort in der intimen Form, die Onkel bedeuten konnte, und Dyan verwies es ihm nicht. Er klopfte ihm ganz leicht auf die Wange.

»Ich finde, beleidigend warst du. Und es gibt eine richtige und eine falsche Art, so etwas zu tun, Kiyu. Denk einmal über die richtige Art nach. Wir sehen uns später.«

Merryl ging, aber er sah nicht mehr ganz so wie ein getretenes Hündchen aus. Regis, dem äußerst unbehaglich zu Mute war, folgte Dyan die Straße hinunter. Der Comyn-Lord bog in den Eingang eines Hauses ein, das nach einem kleinen, diskreten Lokal aussah. Drinnen merkte Regis gleich, um was es sich handelte, aber Dyan zuckte die Schultern und sagte: »Hier werden wir keine anderen Comyn treffen, und ich kann auf ihre Gesellschaft gern verzichten!« Ein unausgesprochener Gedanke flackerte auf. Wenn du Wert auf ein Privatleben legst, Junge, dann solltest du dich an Lokale wie dies hier gewöhnen. Es lag so viel Gleichmut darin, dass Regis die Botschaft ignorieren konnte, wenn er es wollte.

»Wie du wünschst, Verwandter.«

»Das Essen ist recht gut«, fuhr Dyan fort, »und ich habe ein Dinner bestellt. Du brauchst hier drin weiter nichts zur Kenntnis zu nehmen, wenn es dir lieber ist.« Er folgte einem sich verbeugenden Diener in einen mit Rot und Gold behängten Raum und sprach über unverfängliche Dinge – die Dekoration, die leise Streichmusik, während junge Kellner alle Arten von Speisen brachten.

»Die Musik ist aus den Bergen; das ist eine berühmte Gruppe aus vier Brüdern«, erzählte Dyan. »Ich habe sie gehört, als sie noch in Nevarsin waren, und ich persönlich habe sie gedrängt, nach Thendara zu kommen.«

»Eine schöne Stimme.« Regis lauschte dem klaren Sopran des jüngsten Musikers.

»Meine war seinerzeit besser«, sagte Dyan ausdruckslos, doch Regis hörte den Kummer doch heraus. »Es gibt vieles, was du nicht über mich weißt; dies gehört dazu. Ich habe seit dem Stimmbruch nicht mehr gesungen, nur ein bisschen im Chor, als ich im letzten Winter einige Zeit im Kloster war. Es war friedlich dort, obwohl ich kein Cristofero bin und nie einer sein werde; ihre Religion ist zu eng für mich. Ich hoffe, der Tag wird kommen, an dem auch du sie so sehen wirst, Danilo.«

»Ich bin kein guter Cristofero«, antwortete Danilo, »aber es war der Glaube meines Vaters und wird der meine bleiben, bis ich einen besseren finde.«

Dyan lächelte. »Religion ist eine Unterhaltung für müßige Geister, und dein Geist ist nicht müßig genug dazu. Doch es schadet einem im öffentlichen Leben stehenden Mann nicht, mit der Religion des Volkes zu sympathisieren, solange die Sympathie oberflächlich bleibt und sein ernsthaftes Denken nicht vergiftet. Ich halte es mit denen, die – sogar in Nevarsin – sagen: Es gibt keine höhere Religion als die Wahrheit. Und das ist durchaus keine Blasphemie, Pflegesohn. Ich habe es von den Lippen des Vaters Meister gehört. Aber genug davon – ich habe dir etwas zu sagen, Danilo, und ich wollte dir die Mühe ersparen, zu Regis zu laufen und es ihm sofort weiterzuerzählen. Mit einem Wort: Ich bin ein Mann, der Impulsen nachgibt, wie du seit langer Zeit wissen wirst. Im letzten Jahr verbrachte ich einige Zeit auf Aillard, und Merryls Zwillingsschwester hat mir vor zehn Tagen einen Sohn geboren. Neben anderen Comyn-Angelegenheiten bin ich hier, um ihn legitimieren zu lassen.«

Danilo erklärte korrekt: »Meine Glückwünsche, Pflegevater.«

Auch Regis brachte eine höfliche Redensart vor, doch er war verwirrt.

»Du bist überrascht, Regis? Ich bin selbst ein bisschen überrascht. Im Allgemeinen bin ich, nicht einmal der Zerstreuung wegen, kein Liebhaber von Frauen – aber wie gesagt ich bin... ein impulsiver Mensch. Marilla Lindir ist nicht dumm; die Aillard-Frauen sind klüger als die Männer, wie ich selbst feststellen konnte. Ich glaube, es hat sie gefreut, Ardais einen Sohn zu geben, da Aillard-Söhne keine Chance haben, diese Domäne zu erben. Ich nehme an, ihr wisst beide, wie so etwas passiert – oder seid ihr noch zu jung dazu?«, fragte er mit einem Heben der Augenbrauen und einer Spur von Bosheit. »Also, es passierte – und als ich erfuhr, dass sie schwanger war, sagte ich nichts. Es hätte eine Tochter für Aillard statt eines Sohns für Ardais werden können – aber ich machte mir die Mühe, sie überwachen zu lassen, um sicher zu sein, dass das Kind von mir war. Als wir uns zu Mittwinter trafen, Danilo, habe ich nicht davon gesprochen, weil alles Mögliche hätte geschehen können. Zwar wusste ich schon, dass sie einen Sohn trug, aber sie hätte eine Fehlgeburt haben, das Kind hätte tot oder deformiert sein können – die Lindirs haben Elhalyn-Blut. Er ist jedoch gesund und munter.«

»Dann gratuliere ich nochmals«, sagte Danilo.

»Glaub nicht, dass dies irgendetwas für dich ändern wird«, versicherte Dyan ihm. »Das Leben von Kindern ist... gefährdet. Sollte ihm ein Unglück zustoßen, bevor er erwachsen ist, bleibt sowieso alles beim Alten, und sollte ich sterben, bevor er zum Mann geworden ist, will ich doch hoffen, dass du bis dahin verheiratet bist und zum Regenten für ihn ernannt werden kannst. Und wenn er der Obhut seiner Mutter entwachsen ist, so bin ich nicht der richtige Mann, ein Kind aufzuziehen, und ich in meinem Alter habe auch gar keine Lust dazu. Ich würde es vorziehen, wenn du ihn als Pflegesohn annehmen würdest. Demnächst werde ich mich darum kümmern, eine passende Partie für dich zu finden – Linnell Lindir-Aillard ist mit Prinz Derik verlobt, aber es gibt andere Lindirs, und es gibt Diotima Ridenow, die jetzt fünfzehn oder sechzehn ist, und – nun, wir haben Zeit genug, darüber zu entscheiden. Ich vermute, du hast es nicht gar zu eilig, verheiratet zu werden«, schloss er ironisch.

»Das weißt du, Pflegevater.«

Dyan zuckte die Schultern. »Dann genügt jedes beliebige Mädchen, da ich dir die Mühe erspart habe, Ardais mit einem Erben zu versorgen. Wir können uns eine aussuchen, die liebenswürdig und damit zufrieden ist, deinen Haushalt zu führen«, meinte er. »Eine juristische Fiktion, wenn du so willst.« Er richtete die Augen auf Regis und setzte hinzu: »Und da wir gerade bei diesem Thema sind, möchte ich auch dir gratulieren. Dein Großvater erzählte mir von dem Di-Asturien-Mädchen, und dein Sohn – glaubst du, er wird in diesen zehn Tagen geboren werden? Steht eine Heirat ins Haus?«

Schreck und Zorn überfluteten Regis. Er hatte beabsichtigt, es Danilo im richtigen Augenblick zu erzählen. Steif antwortete er: »Ich habe nicht die Absicht, zu dieser Zeit zu heiraten, Verwandter. Ebenso wenig wie du.«

Dyans Augen glitzerten vor boshafter Belustigung. »Habe ich vielleicht etwas Falsches gesagt? Dann verlasse ich dich jetzt, Regis, damit du Frieden mit meinem Pflegesohn schließen kannst.« Er stand auf und verbeugte sich vor ihnen mit großer Höflichkeit. »Bitte, bestellt euch alles, was ihr möchtet, Wein oder Essen oder ... Unterhaltung. Ihr seid heute Abend meine Gäste.« Noch einmal verbeugte er sich und ging. Er hängte sich seinen weiten, pelzgefütterten Mantel über den Arm, und das Kleidungsstück wallte hinter ihm drein wie ein lebendes Wesen.

Nach einer Minute sagte Danilo ganz benommen: »Mach dir nichts draus, Regis. Er beneidet uns um unsere Freundschaft, das ist alles, und deshalb schlägt er um sich. Und ich glaube, er kommt sich dumm vor, dass er in seinem Alter einen Bastard-Sohn gezeugt hat.«

»Ich schwöre, ich wollte es dir sagen«, antwortete Regis betrübt. »Ich wartete auf den richtigen Augenblick. Ich wollte es dir sagen, bevor du es irgendwo als Klatsch hörtest.«

»Aber, Regis, was hat es mit mir zu tun, wenn du Liebesaffären mit Frauen hast?«

»Du weißt die Antwort drauf«, erklärte Regis leise und heftig. »Ich habe keine Liebesaffären mit Frauen. Du weißt, dass solche Dinge geschehen müssen, weil ich Erbe von Hastur bin. Comyn-Erben sind Zuchthengste in den Domänen – darauf läuft es hinaus! Dyan hat nicht mehr Freude daran als du, und trotzdem sprach er davon, dich zu verheiraten. Und ich will verdammt sein, wenn ich irgendein Mädchen heirate, das man für mich ausgesucht hat wie eine Stute! Das war es, und das war alles. Crystal di Asturien ist eine sehr nette junge Frau; ich habe mit ihr bei einem halben Dutzend öffentlicher Tanzveranstaltungen getanzt, ich fand sie freundlich, sie war eine gute Gesprächspartnerin, und ...« Er zuckte die Schultern. »Wie soll ich es dir sagen? Sie wünschte sich, einen Hastur-Sohn zu gebären. Sie ist nicht die Einzige. Soll ich mich entschuldigen für das, was ich tun muss, oder wäre es dir lieber, wenn es mir keinen Spaß gemacht hätte?«

»Ganz bestimmt brauchst du dich bei mir nicht zu entschuldigen.« Danilos Stimme klang kalt und tot.

»Dani...«, flehte Regis, »sollen wir es zulassen, dass Dyans Bosheit einen Keil zwischen uns treibt, nach so langer Zeit?«

Danilos Gesicht wurde weich. »Niemals, Bredhyu. Aber ich verstehe nicht. Du hast bereits einen Erben – du hast den Sohn deiner Schwester adoptiert.«

»Und Mikhail ist immer noch mein Erbe«, gab Regis zurück. »Aber die Hastur-Nachfolge hat zu lange von dem Leben eines einzigen Kindes abgehangen. Mein Großvater wird mich nicht zu einer Heirat zwingen – solange ich Kinder für die Hastur-Nachfolge zeuge. Und heiraten will ich nicht«, setzte er hinzu. Die unausgesprochenen Folgerungen hingen in der Luft zwischen ihnen.

Ein Kellner kam, verbeugte sich und fragte, ob die Vai Domyn noch etwas wünschten: Wein, Süßigkeiten junge Unterhalter ... Das Letztere betonte er, und Danilo konnte eine angewiderte Grimasse nicht unterdrücken.

»Nein, nein, nichts mehr.« Er zögerte, warf einen Blick zu Regis hinüber. »Es sei denn, du ...«

Regis brummte: »Ein Wüstling bin ich nur bei Frauen, Dani, aber zweifellos habe ich dir Anlass gegeben, anders von mir zu denken.«

»Wenn wir schon streiten müssen ...« – Danilo schluckte – »... lass es uns in sauberer Luft und nicht an einem Ort wie diesem tun!«

Regis wurde überwältigt von Bitterkeit. Das hatte Dyan angerichtet, verdammt! Er sagte: »Oh, genau hier ist der richtige Ort für einen Streit dieser Art unter Liebenden – und ich finde, wenn der Erbe von Hastur und sein Favorit streiten müssen, tun sie es besser hier als in der Comyn-Burg, wo es alle Domänen früher oder später hören werden!«

Und wieder dachte er: Die Bürde ist schwerer, als dass ich sie tragen kann.

Sharras Exil

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