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Lyle Belfontaine, der Stützpunktleiter im Hauptquartier auf Cottman IV, lehnte sich in dem harten und unbequemen Sessel zurück und blickte durch das große Fenster nach Westen in Richtung der Nachmittagssonne, die sich fast ganz hinter einigen wässrigen Wolken versteckte. Es würde bald regnen, oder vielleicht fiel auch ein wenig Schnee. Von seinem Büro aus konnte er all die schmucklosen, viereckigen Gebäude sehen, aus denen der Komplex des Hauptquartiers bestand – den Stromgenerator, die Kaserne, das Krankenhaus und alles Übrige. Es war in seinen Augen eine gute Aussicht, denn er sah nichts von der einheimischen »Stadt« Thendara selbst. Das war ihm sehr recht. Er verabscheute die Stadt und ihre Bewohner, und ganz besonders verabscheute er Regis Hastur und all die anderen aufsässigen Oberhäupter der Domänen. Nichts, was er in all den Jahren seiner Verbannung auf diesem gottverlassenen Planeten getan hatte, hatte eine erkennbare Wirkung auf sie gehabt, und er hasste es, nicht wahrgenommen zu werden.

Nach einigen Minuten fruchtlosen Grübelns drehte sich Belfontaine um und nahm das dünne Fax zur Hand, das auf seiner ansonsten leeren Schreibunterlage lag. Er las es noch einmal, äußerst bestürzt und ungläubig. Unglücklich rutschte er auf seinem Stuhl hin und her, der für einen wesentlich größeren Mann gedacht und am Boden festgeschraubt war. Schon mehrmals hatte er einen neuen angefordert, aber nie war einer gekommen. Der Stuhl schien ihm symptomatisch für alles zu sein, was seiner Ansicht nach zurzeit in der Föderation schief lief – zu unbeweglich und die falsche Größe.

Er verzog unzufrieden das Gesicht, und die Narbe, die er von der katastrophalen Geschichte auf Lein III übrig behalten hatte, juckte auf Stirn und Wange. Belfontaine hätte sie entfernen lassen können, aber er hatte sich entschieden, es nicht zu tun. Sie ließ ihn seiner Meinung nach gefährlich und Respekt heischend aussehen. Und sie war eine Mahnung daran, wie er bei der Föderation in Ungnade gefallen war, an seine Versetzung auf diesen rückständigen Planeten mit seinem erbärmlichen Klima und an sein vollständiges Scheitern hinsichtlich der Pläne, die ihm vor seiner Ankunft hier vorgeschwebt waren. Er war entschlossen gewesen, zu tun, was vorher niemandem gelungen war – Cottman IV der Föderation auf dem Silberteller zu präsentieren. Aber bislang hatte er keinen Erfolg gehabt, nicht einmal ansatzweise. Wenn er doch nur nicht gezwungen wäre, durch Untergebene zu handeln und mit dummen, widerspenstigen Leuten wie Lew Alton zu arbeiten. Wenigstens war er Captain Rafe Scott losgeworden, hatte ihn zum Abdanken gezwungen. Sollte er doch seine Bergsteigerexpeditionen in den Hellers machen – hoffentlich brach er sich dabei den Hals oder erfror. Tatsächlich wäre es eine große Freude für ihn, wenn die ganze Bevölkerung zu Eiszapfen gefröre. Der Planet war bestenfalls unbedeutend, aber wenn es keine Einheimischen gäbe, könnte man ihn kolonialisieren und Belfontaine zumindest zum Generalgouverneur ernennen.

Doch nun war alles zunichte gemacht, worauf er gehofft hatte! Das gesamte Personal der Föderation hatte Befehl zum Abzug von Cottman, innerhalb von nur dreißig Tagen. Er schüttelte den Kopf und fuhr sich nervös durchs ergrauende Haar, dann knüllte er das Fax zusammen und warf es in Richtung Müllschlucker. Es flog zu kurz und landete auf dem Boden. Dort lag die zerknitterte Nachricht dann und verhöhnte ihn. Seine Chance auf Wiedergutmachung, auf neue Gunst, sie schwand dahin, und das alles wegen Premierministerin Nagy und ihrem rücksichtslosen Ehrgeiz! Vielleicht handelte es sich um einen Irrtum. Das war nicht der richtige Zeitpunkt für einen Rückzug der Föderation!

Er brauchte nur ein weiteres Jahr – höchstens zwei-‚ und der Titel des Generalgouverneurs wäre ihm gewiss. Es war natürlich nicht so, dass er damit am Ziel gewesen wäre. Gouverneur eines Planeten wie Cottman IV zu sein, stellte seinen Ehrgeiz nicht zufrieden, aber es wäre immerhin ein Anfang gewesen. Er war überzeugt, es hätte sich als Sprungbrett zu einer besseren Position nutzen lassen, auf einem Planeten, auf dem er wirklich Macht und Einfluss ausüben konnte. Cottman dagegen war der wertloseste Felsbrocken, den er je gesehen hatte.

Mann, wie er diesen Planeten hasste! Manchmal träumte er davon, ein Angriffsgeschwader einfliegen und diese Welt zu einem Klumpen radioaktiver Magma schießen zu lassen, die in der Leere des Alls vor sich hin dampfte. Das schien ihm das passende Schicksal für einen so verdammt kalten Ort zu sein, wo die dreckigen Eingeborenen die Hölle für einen Gefrierschrank hielten. Es war nur eine Fantasie, eine sinnlose dazu, aber der Gedanke verhinderte, dass er den Verstand verlor. Oder wenn das nicht ging, sehnte Belfontaine zumindest eine Eingreiftruppe herbei. Er hatte sich größte Mühe gegeben, eine Lage zu schaffen, die einen entsprechenden Befehl gerechtfertigt hätte, damit man ihm wenigstens ein paar Regimenter Elitesoldaten zur Verfügung stellte, um »die Ordnung wiederherzustellen«. Das hatte auf anderen Welten sehr gut funktioniert, selbst bei Mitgliedern der Föderation. Aber der verdammte geschützte Status Cottmans band ihm die Hände, und solange er nicht nachweisen konnte, dass der Raumhafen in Gefahr war oder das Hauptquartier von Feinden belagert wurde, hatte es keinen Sinn, um Hilfe zu ersuchen. Alles, was er bekam, waren schablonenhafte Ablehnungsbescheide eines Angestellten auf Alpha, der ihm mitteilte, dass es die gegenwärtigen wirtschaftlichen Probleme unmöglich machten, seinen Forderungen nachzukommen. Er bezweifelte, dass überhaupt jemand, der etwas zu sagen hatte, die Berichte zu sehen bekam, mit denen er sich so viel Mühe gab.

Er war nur von unfähigen Leuten umgeben! Er verfügte ja über Agenten – zugegeben, nicht viele, und nicht eben die besten, die der Sicherheitsdienst zu bieten hatte –, und er hatte sie mit dem Auftrag losgeschickt, genau den Ärger zu machen, der ihm die erwünschten Machtmittel in die Hände gespielt hätte. Sie hatten ihn enttäuscht, denn die Aufstände, die er hatte anzetteln können, hörten fast genauso schnell wieder auf, wie sie begannen, und Regis Hastur hatte sich nie um Hilfe an ihn gewandt. Er hatte stets seine eigene Garde eingesetzt und die Ordnung auf eine Weise aufrechterhalten, die ihm Belfontaines widerwilligen Respekt einbrachte oder vielmehr eingebracht hätte, wenn er den Burschen nicht so abgrundtief hassen würde. Er war Hastur nie begegnet und kannte ihn nur über den unheimlichen Danilo Syrtis-Ardais oder diesen verdammten Lew Alton, den sie zu etwas ernannt hatten, was einer Art Außenminister entsprach, nur dass man solche Titel auf Cottman IV nicht benutzte. Belfontaine verabscheute den hoch gewachsenen, einarmigen Mann und vermied es wenn möglich, ihn zu treffen. Er hatte etwas Unheimliches, fast Unnatürliches an sich, das Belfontaine nervös machte. Alton war eine Wand, die er nie hatte durchdringen können.

Einmal mehr spielte er mit dem Gedanken, einen falschen Bericht zu schicken. Seine persönliche Sekretärin war dumm und folgsam – für diese Eigenschaften hatte er sie schließlich eingestellt – und würde seine Befehle nicht in Frage stellen. Sie würde die Nachricht vermutlich nicht einmal lesen, sondern nur den Code eintippen. Belfontaine schauderte leicht. Genau ein solches Verhalten hatte ihm die Versetzung auf Cottman eingebracht, und dazu eine Degradierung vom Generalleutnant zum Colonel und einen schwarzen Fleck auf seiner Weste. Seine Bestrafung war diese rückständige, eiskalte Hölle, wo die Bevölkerung nie Nachrichten sah und sich, wenn überhaupt, nur durch Mundpropaganda beeinflussen ließ. Und Cottman hatte sich als erstaunlich resistent gegen die Gerüchte erwiesen, die seine Agenten zu streuen versuchten – fast als hätten die Leute gewusst, dass sie falsch waren.

Belfontaines einziger Versuch, die Technologiebeschränkungen offen zu umgehen, war komplett fehlgeschlagen. Er hatte Medienschirme in einigen Gasthäusern der Handelsstadt installieren lassen – obwohl er damit mehrere Abkommen unmittelbar verletzte –, und man hatte sie binnen eines Tages wieder abgebaut. Es war ein kostspieliger Fehler gewesen, und er war überzeugt, dass dieser Alton dahinter steckte. Wenn er doch nur direkten Zugang zu Regis Hastur hätte, bestimmt könnte er den Mann von den Vorteilen der Medienschirme überzeugen. Das würde leicht zu einer Elektrifizierung von Thendara führen und der Föderation eine Möglichkeit bieten, die Beachtung der Leute zu erlangen. Aber trotz vieler Anfragen hatte man Belfontaine nie auf Burg Comyn eingeladen, und was seinen Kontakt mit Hastur anging, hätte dieser ebenso gut eine reine Phantomgestalt sein können. In einem Anfall von Bosheit hatte er den Zugang zum Medizinischen Zentrum auf das Personal der Föderation beschränkt, weil er dachte, die Einheimischen würden der Annehmlichkeiten dieser Einrichtung nur sehr ungern verlustig gehen. Er hatte auch das John-Reade-Waisenheim geschlossen. Aber beide Maßnahmen hatten nichts genützt. Die Leute waren so dumm, dass sie sich nichts aus dem terranischen Gesundheitsstandard machten, und um ihre verlassenen Kinder kümmerten sie sich selbst! Sie verzichteten sogar auf Leben verlängernde Behandlungen – bis auf diesen alten Trottel oben in den Hellers, diesen Damon Aldaran –‚ sondern wurden einfach alt und starben!

Das und vieles andere kränkte ihn. Er beabsichtigte, mindestens hundertfünfzig Jahre zu leben – wenn möglich länger. Teufel, er würde seine Seele für die Unsterblichkeit verkaufen, wenn er noch an Seelen, Götter oder dieses ganze Gewäsch glauben würde. Aber wenn er keinen Weg fand, Cottman in der gesetzten Frist in die Hand zu bekommen, ein Mittel, die Regierung, so wie sie jetzt war, zu destabilisieren, würde er sich auf dem nächsten Hinterwäldlerplaneten wiederfinden und sich niemals die erforderlichen Medikamente leisten können. Er ging auf die sechzig zu, hatte dreißig Jahre Dienst in verschiedenen Zweigen der Föderation hinter sich und würde die Behandlung bald brauchen. Aber der Preis war in den letzten zehn Jahren gewaltig gestiegen, was er merkwürdig fand. Da er aus einer Unternehmerfamilie stammte, besaß er ein Grundverständnis von Ökonomie und wusste, dass die LV-Medikamente eigentlich mit der Zeit billiger werden müssten statt teurer. Irgendwer machte eindeutig einen Riesenprofit bei der Sache. Aber Belfontaine Industries hatte nichts mit pharmazeutischen Produkten zu tun, deshalb konnte er nur wütend spekulieren.

In einem ungeheuerlichen Vorstellungsgespräch mit seinem Vater war ihm gesagt worden, dass es ihm an der nötigen Geistesverfassung für das riesige Imperium von Belfontaine Industries mangelte. Andernfalls säße er jetzt nicht auf Cottman IV, sondern würde irgendeinem Planeten die geschmolzenen Eingeweide entreißen, wie sein Bruder Gustav, der das Rohmaterial für die Raumkreuzer und Schlachtschiffe produzierte, welche die Föderation so fleißig baute.

Nie würde er den Tag vergessen, an dem ihm sein Vater mitteilte, dass es bei BI keinen Platz für ihn gab, dass die firmeninternen Psychotests ermittelt hatten, er sei ungeeignet für eine Position im Unternehmen. Wenigstens hatte man ihm nicht die unaussprechliche Beleidigung einer Fabrikleitung angetan. Er erinnerte sich lebhaft, wie er vor dem riesigen Schreibtisch gestanden hatte, hinter dem sein Vater thronte, und auf die Mitteilung wartete, man werde ihn als Abgeordneten eines der vielen Planeten, die der Gesellschaft gehörten, in die Legislative der Föderation schicken. Das war die übliche Laufbahn für alle, die nicht in das Unternehmen eintraten.

Aber offenbar war er auch dafür nicht geeignet. Er spürte immer noch den Schock über die Worte seines Vaters, das Kribbeln auf der Haut und das Schrumpfen seiner Hoden. »Wir können nichts für dich tun, Lyle. Und wir werden dich keinesfalls durchfüttern – in dieser Familie gibt es keine Tunichtgute. Ich denke, die einzige Möglichkeit für dich ist der Dienst in der Föderation – logischerweise nicht im militärischen Bereich, da gibt es zu viele potenzielle Interessenkonflikte, die für die Gesellschaft peinlich sein könnten. Und Belfontaine Industries kommt natürlich an erster Stelle, ich weiß, du verstehst das. Aber irgendeinen Posten wirst du schon finden. Das ist alles – ich habe in dreißig Sekunden eine Holo-Konferenz.«

Wie betäubt hatte er seine Entlassung ohne ein Wort des Widerspruchs hingenommen und war aus dem Büro gegangen. Dienst in der Föderation! Das war etwas für Leute, die woanders keinen Erfolg haben konnten – die unfähig waren! Man hatte ihn dazu erzogen, den Dienst zu verachten, und nun befahl man ihm, sich dafür zu bewerben. Er hätte gern kehrtgemacht und Augustine Belfontaines glatte, medizinisch jung gehaltene Gesichtszüge zu Brei geschlagen. Aber sein Vater war groß und stark, im Gegensatz zu Lyle. Er hatte den Mann nie wieder gesehen und versucht, seine seelischen Wunden mit Intrigen zu lindern; sie sollten noch alle bereuen, dass sie ihn so schlecht behandelt hatten.

Seltsamerweise war ihm der Dienst eigentlich ganz gut bekommen, nachdem er die ursprüngliche Kränkung einmal überwunden hatte. Er entdeckte, dass er ein gewisses Geschick für Verwaltungsarbeit besaß – da konnte man sehen, was diese Psychotests wert waren. Er hatte sich rasch nach oben gearbeitet, bis er diesen dummen Fehler auf Lein III machte. Er hätte nie versuchen dürfen, einen planetarischen Herrscher zu stürzen, vor allem nicht mit Hilfe von Sprengstoff, der sich bis zu seinem Büro zurückverfolgen ließ. Und die falschen Berichte, die er an Alpha geschickt hatte, waren als ebensolche entlarvt worden. Er hatte noch Glück gehabt, dass er Cottman IV zugesprochen bekam. Bei weniger guten Beziehungen hätte er auch als Leiter einer Strafkolonie enden können – oder schlimmstenfalls gar als Insasse von einer.

Inzwischen war er klüger, und er wusste, was er bei seinem Hintergrundwissen in Sachen Informationstechnologie und Propaganda mit nur einem Medienschirm und der richtigen Sorte Unterhaltung auf Cottman hätte bewerkstelligen können. Mit Sicherheit hätte er die Bewohner Thendaras in weniger als einem Monat so weit in Rage gebracht, dass sie die Burg mit Mistgabeln und Knüppeln gestürmt hätten. Nach dem Zwischenfall auf Lein III war er in den Sicherheitszweig der Föderation gewechselt, der Außenposten wie diesen verwaltete, und stellte fest, dass es ihm dort sehr gefiel. Gut, er hatte nie eine Waffe benutzt, auch wenn er sich gelegentlich ausmalte, was er mit einem Flammenwerfer alles anstellen könnte. Liebend gern hätte er seinen Vater abgefackelt, der mit über neunzig noch immer Belfontaine Industries leitete, Lew Alton und noch ein paar andere Leute. Aber er verabscheute Soldaten fast ebenso sehr wie erbliche Herrscher vom Schlage eines Regis Hastur. Sie waren nur Verfugungsmasse, wie die Arbeiter in den Fabriken seines Vaters. In den seltenen Augenblicken der Selbstprüfung wurde ihm bewusst, dass in dieser Haltung ein Fehler steckte, und gelegentlich fragte er sich, ob die Psychotests der Firma diesen Makel aufgedeckt hatten und ob ihm deshalb sein rechtmäßiger Platz im Unternehmen verweigert worden war.

Aber es war nicht seine Schuld! Leute wie Lew Alton, die ihre eigene Macht bewahren wollten, verhinderten doch, dass die Föderation ihr Schicksal erfüllte, nämlich alle Planeten mit eiserner Hand zu regieren. So war es nun einmal vorgesehen. Aber nein, stattdessen behaupteten sie hartnäckig, sie seien mit ihren eigenen Sitten und Gebräuchen rundum zufrieden, und sahen nicht ein, dass sie das Unvermeidliche nur hinausschoben. Wie sollte ein kleiner, rückständiger Planet es auf Dauer mit den Terranern aufnehmen? Und er, Lyle Belfontaine, wollte der Mann sein, der Cottmans geschützten Status zertrümmerte und sie in die Föderation brachte, wo ihre rechtmäßigen Herren sie dann schon Folgsamkeit lehren würden!

Es ärgerte ihn zutiefst, dass sie bislang widerstehen konnten, denn es traf ihn in seinen wenigen aufrichtigen Überzeugungen. Dies waren einfache Dinge – Pflichtgefühl, Treue und Gehorsam –, und darüber hinaus wusste Belfontaine nur, dass es die Bestimmung der Föderation war, das Leben von mehreren Billionen Menschen auf hunderten von Planeten vollständig zu beherrschen. Alles darunter war nicht akzeptabel und regelrecht undenkbar. Die Föderation war die beste Struktur, damit alles glatt und effizient lief, was für ihn bedeutete, dass die großen Gesellschaften wie Belfontaine Industries tun konnten, was sie wollten, um zu überleben und einen Profit aufzuweisen. Das hatte man ihm so beigebracht, seit er denken konnte, und nichts hatte diese Überzeugung je wieder aus seinem Kopf vertrieben.

Ihm war klar, dass dies manchmal Schmerz und Leid verursachte. Aber im Großen und Ganzen gesehen, spielte es für ihn keine Rolle, ob ein paar Millionen rückständige, dumme Menschen hungerten, wenn man dafür jene Billionen auf den besser entwickelten und aufgeklärteren Planeten ernähren konnte. Schließlich waren Menschen ein disponibler Rohstoff. Natürlich nicht Leute wie er, die dazu auf der Welt waren, wichtige Entscheidungen zu fallen und die Zukunft zu gestalten. Die Bauern, Kaufleute und Soldaten, die namenlose Masse – auf die kam es nicht an. Selbst lokale Größen wie Regis Hastur waren Verfügungsmasse. Wenn er diesen eingebildeten Wicht doch nur loswerden könnte, den Rest der Bande würde er dann wahrscheinlich mühelos erledigen.

Lyle seufzte. So angenehm die Vorstellung auch war, einen Sprengsatz unter Burg Comyn zu legen und sie in tausend Stücke zu sprengen, er würde es lieber bleiben lassen. Selbst in ihrem gegenwärtigen Zustand der Auflösung herrschte noch so viel Ordnung in der Föderation, dass man Fragen stellen und einen Untersuchungsausschuss einrichten würde, wenn so etwas passierte. Und das hätte höchstwahrscheinlich neue Ungnade zur Folge. Es wäre unmöglich, die Sache den Einheimischen selbst anzuhängen – dazu waren sie technisch nicht in der Lage. Niemand würde glauben, dass ein Eingeborener ins Hauptquartier gelangt war, eine scharfe Ladung und einen Zeitzünder gestohlen und sich das Wissen angeeignet hatte, wie man beides richtig benutzt. Ein paar von ihnen könnten es vielleicht, wie Rafe Scott, der bis zu seinem Abschied jahrzehntelang im HQ ein und aus gegangen war, aber nicht einmal Lyle konnte sich vorstellen, warum irgendwer Scott so etwas Zutrauen sollte. Nein, diese Methode hatte er schon einmal versucht und seine Lektion gelernt. Es musste einen anderen Weg geben. Er war ihm nur noch nicht eingefallen.

Die Türglocke schellte leise, und Lyle blickte verärgert über die Störung auf. »Herein«, sagte barsch.

Ein großer, breitschultriger Mann in glänzender Lederkluft stand im Eingang. Er trat mit jener natürlichen Eleganz ein, um die ihn Belfontaine beneidete, und die gut eins achtzig große Gestalt des Mannes erinnerte ihn unfehlbar jedes Mal daran, wie klein er selbst war. Es war Miles Granfell, sein Nachrichtensekundant und sein Hauptagent, wenn es darum ging, Zwietracht auf Cottman zu säen. Er war fähig und durchtrieben, aber fast ein wenig zu ehrgeizig, und Lyle traute ihm nicht ganz über den Weg. Dennoch gelang es ihm, um des lieben Scheins willen strahlend zu lächeln.

»Und, was gibt es?« Granfell hielt nicht viel von Plaudereien und Höflichkeiten, ein Zug, den Belfontaine an ihm schätzte. Es war pure Zeitverschwendung, jemanden nach seinem Befinden zu fragen. Und höchstwahrscheinlich kannte Granfell den Inhalt des zerknüllten Dienstschreibens bereits, stellte sich aber aus Gründen unwissend, die nur er selbst kannte.

»Falls wir Hastur nicht überreden können, als Vollmitglied in die Föderation zu kommen, haben wir dreißig Tage, um von hier abzuziehen.«

»Lohnt es einen Versuch?«

»Ich glaube nicht, aber ich werde Lew Alton für morgen oder übermorgen zu mir kommen lassen und einen letzten Anlauf unternehmen. Ich wünschte, ich käme direkt an Hastur heran, aber das scheint nicht möglich zu sein. Und da die Föderation wegen anderer Probleme lahm gelegt ist, können wir im Moment nicht mit großer Unterstützung rechnen.«

»Lahm gelegt?«

»Es scheint, die Auflösung der Legislative ist nicht gut aufgenommen worden, und einige Mitgliedswelten lassen Anzeichen von Rebellion erkennen. Die ganze Sache war schlecht geplant, und ich muss mich leider fragen, ob Premierministerin Nagy weiß, was sie da tut. Das kommt davon, wenn man einer Frau die Verantwortung überträgt! Frauen sind viel zu emotional für das Regierungsgeschäft.«

Granfell nickte. »Wenn wir es doch nur geschafft hätten, einen neuen Mietvertrag für das Gelände des Raumhafens zu bekommen, bevor die Sache passiert ist. Unsere Position hier wäre dann viel besser.«

»Wir haben es aber nicht geschafft. Und diese Eiskugel lohnt sowieso kaum die Mühe. Sie haben nie richtig Handel mit der Föderation getrieben, und Hasturs Widerstand gegen unsere Technologie war nicht gerade hilfreich. Wenn ein anderer ihren Rat kontrollieren würde – jemand, der mehr auf der Linie der Föderation liegt –, dann hätten wir vielleicht eine Chance. Aber so nicht.« Damon Aldaran, dieser Narr, hatte eine Menge vager Versprechungen gemacht, aber bisher nichts davon einlösen können, und nun würde er keine Gelegenheit mehr dazu haben. Belfontaine hatte dem alten Säufer ohnehin nie recht geglaubt.

»Das Problem ist nicht, dass diese Dummköpfe gegen die Föderation sind, Belfontaine, sondern dass sie so stur für Cottman sind. Von vereinzelten Leuten mal abgesehen, scheren sie sich einen Dreck um andere Planeten, und selbst die scheinen diesen hier noch zu lieben. Ich bin seit zehn Jahren hier, und ich habe nie verstanden, was so großartig hieran sein soll. Es ist höllisch kalt, und die Leute sind rückständig – die meisten können nicht einmal lesen! Meiner Ansicht nach lohnt es wirklich kaum die Mühe, außer dass es ein schlechtes Beispiel abgibt, wenn man einem bewohnten Planeten erlaubt, sich der Kontrolle der Föderation zu entziehen.«

Belfontaine lachte. »Cottman wird wohl kaum anfangen, Raumkreuzer zu bauen und uns herauszufordern – dazu fehlen ihnen die Ressourcen. Aber ich hasse es, mich zurückzuziehen. Das hat etwas von Scheitern, und das hasse ich.«

»Sie sagten etwas von Rebellionen auf ein paar anderen Welten?«

»Dazu ist es nicht gekommen – noch nicht. Und offen gestanden, ich kriege nicht viel aus der Zentrale heraus.« Komisch, wie die Sprache seiner Unternehmerfamilie noch immer in ihm steckte. »Aber ich glaube, es besteht die sehr reelle Chance, dass einige Admirale das Ganze als Gelegenheit sehen, sich selbst an die Macht zu bringen, sich jetzt, in dieser Übergangszeit, der Föderation zu widersetzen. Und wie ich herausfinden konnte, gibt es gewaltige Unruhen auf einigen Welten mit liberaler Vertretung. Die werden natürlich bald niedergeschlagen sein, aber es ist trotzdem beunruhigend. Könnte sein, dass wir nirgendwo hinkönnen, wenn wir von hier Weggehen.«

»Oder noch schlimmer – vielleicht kommen wir gar nicht erst weg. Haben Sie daran einmal gedacht?«

»Wie meinen Sie das, Miles?« Er betrachtete den Mann argwöhnisch und fragte sich, ob Granfell mehr wusste als er. War es denkbar, dass Granfell seine eigenen Informationsquellen innerhalb des Hauptquartiers hatte oder, noch schlimmer, einen Außenkontakt, von dem Belfontaine nichts wusste?

»Wenn die Sicherheitskräfte der Föderation damit beschäftigt sind, überall Aufstände und Unruhen niederzuschlagen, dann sind sie womöglich nicht in der Lage, Schiffe zu schicken, um uns auszufliegen. Wir könnten jahrelang hier auf uns allein gestellt sein.« Granfell sprach so unaufgeregt, als wäre ihm der Gedanke schon lange vertraut.

Belfontaine starrte ihn entgeistert an. An dieses Szenario hatte er nicht einmal gedacht. Und es war durchaus nicht unmöglich. In letzter Zeit hatte die Föderation die Bereitschaft gezeigt, sich von einigen unbedeutenden Planeten zurückzuziehen, wenn sie sich anderweitig nicht durchsetzen konnte. Die Vorstellung, auf Cottman zu bleiben, war widerlich, und die andere war noch schlimmer. Es konnte durchaus passieren, dass er geopfert wurde – so undenkbar das war! Es musste eine Möglichkeit geben, die ganze Geschichte zu seinem Vorteil zu wenden.

Was würde er tun, wenn die Föderation sie zurückließ? Er kannte die Antwort, bevor der Gedanke richtig Gestalt angenommen hatte. Er würde die herrschenden Familien Cottmans im Handumdrehen ausschalten und sich zum Gouverneur ernennen. Ohne die Angst vor einem Untersuchungsausschuss konnte er tun und lassen, was er wollte. Die Vorstellung war so verlockend, dass er einen Moment lang fast wünschte, man würde sie im Stich lassen. Cottman war zwar kein erstrebenswerter Gewinn, aber das konnte er aushalten – wenn er erst einmal die Macht besaß, alles nach seinen Wünschen zu regeln.

Als Granfell ihn komisch ansah, zwang sich Belfontaine zu einer besorgten Miene, wohl wissend, dass ihn seine Gier manchmal verriet. »Ich bezweifle, dass es dazu kommen wird.«

»Wussten Sie, dass Hermes Aldaran zurück ist? Er kam irgendwann gestern durch den Zoll.«

»Ja, ich habe davon gehört. Welche Rolle spielt das?«

»Finden Sie es nicht ein bisschen merkwürdig, dass er ausgerechnet jetzt heimkehrt? Ich meine, er hat Terra vor Nagys Ankündigung verlassen.«

Belfontaine zuckte die Achseln. »Wahrscheinlich hat er einfach Glück gehabt. Wenn er jetzt durch den Raumhafen käme, könnten wir ihn verhaften. Aber dafür ist es nun zu spät. Und der Raumhafen bleibt bis zu unserer Abreise geschlossen, das war’s also.« Eine Idee begann in seinem Hinterkopf zu keimen, aber Granfells Worte verscheuchten sie wieder.

»Falls wir abreisen können. Ich würde mich im Augenblick nicht allzu sehr auf die Föderation verlassen. Ich war während der Evakuierung auf Comus, und ich denke nicht gerade gern daran zurück. Vergessen Sie nicht, Lyle, dass Sie und ich ersetzbar sind, es sei denn, uns fällt etwas ein, wie wir die Lage wenden können.«

Lyle starrte ihn mit offenem Mund an. Miles mochte sich ja für ersetzbar halten, aber doch nicht er! Dann gewann er seine Fassung wieder. »Haben Sie etwas Bestimmtes im Sinn oder nur den Wunsch, dass Ihnen etwas einfällt?«

»Noch nicht, aber ich habe mich in den Straßen umgehört, und meine Agenten ebenfalls. Irgendwas tut sich. Verdammt. Wissen Sie was, ich glaube, Burg Comyn ist der einzige Regierungssitz in der Galaxis, in dem wir nicht unsere Augen und Ohren haben. Wir haben alles versucht, aber die Leute sind entweder zu blöd, sich schmieren zu lassen, oder zu loyal gegenüber den Comyn. Ich versuche, noch mehr herauszufinden. Immerhin bleibt uns noch ein ganzer Monat, und in dieser Zeit kann viel passieren.«

»Ein Jammer, dass wir sie nicht einfach ...«

»Ich weiß. Aber auf dem ganzen verfluchten Planeten gibt es nicht mehr als dreihundert Soldaten, und die reichen selbst mit unserer überlegenen Bewaffnung nicht.«

»Stimmt. Vielleicht sehe ich zu, ob ich irgendwo Verstärkung herbekomme.« Er wusste, das war eine vergebliche Hoffnung.

»Tun Sie das, und ich versuche inzwischen, mit Vancof Kontakt aufzunehmen. Schade, dass unsere Bemühungen, einen Aufstand anzuzetteln, so spektakulär gescheitert sind, was?«

»Es ist schwer, Leute unglücklich zu machen, die glauben, dass sie zufrieden sind. Und ehrlich gesagt, sind diese Leute einfach zu ignorant, um zu begreifen, wie viel besser sie mit guter Technologie dran wären. Ich dachte, ich zwinge sie in die Knie, wenn ich ihnen das Medizinische Zentrum sperre, aber es hat nicht funktioniert. Sie wissen einfach nicht genug, um sich etwas daraus zu machen.«

»Unglaublich, was? Die Hälfte von ihnen sind Analphabeten und haben noch nie ein Video gesehen, aber sie schauen auf uns herab, als wären wir ... Barbaren oder so.«

»Arrogante Schweinehunde! Ich will sie zu Fall bringen!« Er verlor plötzlich die Beherrschung, seine Faust sauste krachend auf den Schreibtisch, sodass beide Männer erschraken. »Sie wissen nicht, was gut für sie ist!«

»Wie wahr«, entgegnete Granfell nachsichtig, als fände er den Ausbruch seines Vorgesetzten lustig. »Aber ich bin nicht bereit, mit den Männern, die ich zur Verfügung habe, einen Sturm auf Burg Comyn zu wagen, bevor ich nicht alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft habe. Ich werde noch einen weiteren Versuch machen, jemanden in die Burg einzuschleusen – allerdings habe ich nicht viel Hoffnung, dass es gelingt. Der Bau scheint einbruchsicher zu sein. Manchmal glaube ich, das alte Gerücht, dass es auf Cottman Gedankenleser gibt, enthält mehr Wahrheit, als wir dachten.«

Belfontaine starrte Granfell sekundenlang an. Wie kam sein Stellvertreter auf die Idee, er hätte das Recht, die Burg zu stürmen? Verfolgte er seine eigenen Ziele, oder wollte er sich Belfontaines Autorität anmaßen? Nein, er sprach wohl nur ganz allgemein. Es sei denn, er hatte einen eigenen Plan. Das war ein beunruhigender Gedanke, viel schlimmer als eingebildete Telepathen oder Zauberer.

Er schüttelte den Kopf, während er ein Schaudern unterdrückte. »Das kann nicht sein. Das Telepathie-Projekt war ein totaler Fehlschlag und reine Geldverschwendung. Klar, da laufen ein paar Mutanten herum, aber darüber muss man sich keine Sorgen machen. Ich glaube, dass sie für ein primitives Volk nur einen hervorragenden Sicherheitsdienst haben.« Er lächelte düster, weil er wusste, wie wütend Granfell darüber war, dass es ihm nie gelang, in die Burg einzudringen. Trotzdem konnte er nicht darüber hinweggehen, dass Miles geredet hatte, als würde er die Soldaten befehligen und nicht Belfontaine. Er würde in den nächsten Wochen ein Auge auf ihn haben müssen – der Mann war einfach zu ehrgeizig und zu schlau.

»Wir werden sehen. Dirck Vancof war bis jetzt so gut wie unbrauchbar, aber vielleicht beschafft er uns die nötigen Informationen ja doch noch. Wir sprechen uns später wieder.«

Nachdem Granfell gegangen war, saß Lyle an seinem Schreibtisch, starrte auf die leere Unterlage und spürte ein Rumoren in den Eingeweiden. Die Idee von zuvor kehrte nach einigen Minuten zurück, und er wälzte sie in Gedanken hin und her. Hermes Aldaran konnte nun als Feind der Föderation angesehen werden. Ließ sich das als Vorwand nutzen, um Hastur zu einer Dummheit zu verleiten, die den Einsatz einer Sondereinheit rechtfertigte?

Unglücklicherweise kannte Lew Alton das Föderationsrecht so gut wie er selbst, aber es konnte nicht schaden, wenn er Aldarans Auslieferung verlangte, oder? Er würde vielleicht den alten Lord Aldaran gegen sich aufbringen, aber der hatte sich bereits als nutzloser Verbündeter erwiesen. Robert, sein älterer Sohn, war keine Spur besser. Ein schwerfälliger Bursche ohne einen Funken Fantasie. Dann gab es noch die Schwester, die auf Burg Comyn lebte, aber sie war nicht annähernd so nützlich, wie er zunächst gehofft hatte. Abgesehen davon konnte man Frauen ohnehin nicht trauen. Aber es gab bestimmt einen Weg, die Hasturs zu stürzen – er musste ihn nur finden!

Der Sohn des Verräters

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