Читать книгу Der Sohn des Verräters - Marion Zimmer Bradley - Страница 9
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ОглавлениеAls Mikhail Marguerida und die Kinder am nächsten Abend in den kleinen Speisesaal begleitete, stellte er angenehm überrascht fest, dass er sich beinahe wieder wie ein Mensch fühlte. Er trug einen Schmerz in sich, der nicht körperlicher Natur war und den er als Trauer erkannte. Er hatte ihn vor langer Zeit schon einmal erfahren, als sein Neffe Domenic Alar gestorben war, und später wieder bei Emun Elhalyn und bei Emuns Mutter Priscilla. Vor zehn Jahren hatte er ihn erneut gespürt, beim Tod von Diotima Ridenow, Lews Frau. Weder Ruhe noch Essen konnten diesen Schmerz vertreiben, das vermochte nur die Zeit. Und Regis hätte gewollt, dass Mikhail weitermachte und dafür sorgte, dass alles reibungslos funktionierte. Er wünschte nur, das wäre einfacher.
Gleichzeitig freute er sich darauf, Hermes Aldaran nach so vielen Jahren wieder zu sehen und seine Frau und die Kinder kennen zu lernen. Es war richtig von Lew gewesen, dass er Mikhail am Vortag ins Bett geschickt und darauf bestanden hatte, dass er sich eine Weile zurückzog, aber der junge Mann hatte trotzdem ein schlechtes Gewissen, weil er nicht in die Storn-Suite gegangen war, um die Aldarans persönlich zu begrüßen. Er hatte die ganze Zeit niemanden außer seiner Frau und den Kindern zu Gesicht bekommen, und schon das war ihm schwer genug gefallen.
Domenic, sein Erstgeborener und Erbe, schien tief berührt und irgendwie zornig zu sein. Das war verwirrend, aber Mikhail hatte im Augenblick nicht die Energie, sich damit zu beschäftigen. Er wusste, dass er seinem Jungen lieber keine Fragen stellte. Domenic war ein stilles Kind gewesen, und er war nun ein äußerst zurückhaltender junger Mann. Rhodri, sein zweiter Sohn, ließ sich nicht davon abbringen, wahrhaft fürchterliche Scherze zu machen, als könnte er die allgemeine Düsternis nicht ertragen, die sich über Burg Comyn gelegt hatte. Es war ihm gelungen, alle Leute zu verärgern, seine Schwester Yllana, seine Pflegeschwester Alanna und selbst Ida Davidson, die sich normalerweise vom Benehmen Heranwachsender in keiner Weise erschüttern ließ. Sogar Marguerida, die Rhodris Mätzchen sonst lustig fand, war kurz davor, wie sie sagte, den Dreizehnjährigen nach Nevarsin zu schicken, wo die Cristoforo-Mönche ihm Manieren beibringen würden. Rhodri grinste nur, nicht im Geringsten eingeschüchtert von dieser Drohung, wie ihm auch sonst kaum etwas Angst machte. Es war ein Jammer, dass er noch nicht alt genug für die Kadettengarde war, denn selbst Mikhail musste einräumen, dass es seinem Zweitältesten arg an Disziplin mangelte.
Alanna Alar befand sich bereits im Speisesaal. Ihr kastanienbraunes Haar glänzte wie pures Kupfer, ihren grünen Augen entging nichts. Sie war ein unruhiger Säugling und ein nervöses Kind gewesen und war nun zu einer wachen und ruhelosen Jugendlichen erblüht. Mikhail lächelte ihr quer durch den Raum zu, und zu seiner Freude lächelte sie zurück. Mikhail mochte seine Nichte sehr, aber er musste zugeben, dass er sie auch ziemlich unheimlich fand. Erleichtert stellte er nun fest, dass sie guter Laune war. Yllana war vollkommen untröstlich über Regis’ Tod gewesen, Alanna hingegen gab sich fast schon gleichgültig, was durchaus seltsam war, da sie ihrem Großonkel sehr nahe gestanden hatte. Mikhail nahm an, der Schock hatte sie betäubt, und sobald dieser nachließ, würde sie ihre gegenwärtige Ruhe mit einer doppelten Portion der Hysterie wettmachen, für die sie auf Burg Comyn wohl bekannt war. Es stand für ihn so gut wie außer Frage, dass sie etwas von der psychischen Labilität geerbt hatte, die so manchem Elhalyn zum Verhängnis wurde, und er konnte nur dankbar sein, dass sie lediglich nervös und reizbar zu sein schien und nicht eindeutig verrückt, wie es einige ihrer Verwandten gewesen waren. Vielleicht gab es sich sogar mit der Zeit. Mikhail hoffte es, denn er mochte das Mädchen wirklich sehr.
Sie war eine außerordentlich schöne junge Frau und sich dessen auch bewusst. Soeben hatte sie den ersten Teil ihrer Ausbildung in Arilinn abgeschlossen, wo man ihr starkes und bemerkenswertes Laran hoffentlich so schulen würde, dass es sich beherrschen ließ. Sie war bereits telekinetisch veranlagt und besaß die Gabe einer Feuerstarterin, eine potenziell tödliche Kombination und so selten, dass sie schwer zu begrenzen war. Außerdem hatte sie ein hitziges Temperament, was sie äußerst gefährlich machte. Mikhail sorgte sich mehr um seine Nichte als um seine eigenen Kinder, denn ihre lebhafte Veranlagung erinnerte ihn zu sehr an einige Elhalynkinder, vor allem an Vincent. Sie hatte einiges vom Egoismus des inzwischen Verstorbenen, wenngleich nichts von seinen tyrannischen Neigungen.
Mikhail sah, dass Domenic Alanna zulächelte; wie immer lebte er auf, wenn seine schwierige Base und Pflegeschwester in der Nähe war. Die beiden waren acht Monate auseinander, und Alanna wohnte seit ihrem fünften Lebensjahr auf Burg Comyn. Sie waren fast wie Zwillinge und hatten die unheimliche Fähigkeit, einander entweder aufzuheitern oder in trübe Stimmungen zu versetzen, die niemand sonst verstand. An diesem Abend schien sich Alanna trotz der allgemeinen Atmosphäre von Trauer von ihrer besten Seite zu zeigen. Mikhail dankte den Göttern für diese Gunst und wandte sich zum Eingang des Speisesaals um.
Herm und seine Familie betraten soeben den Raum, und Mikhail verbannte alle anderen Gedanken aus seinem Kopf. Hinter ihm nahm Donal Haltung an, er war mit jeder Faser auf der Hut und musterte die Neuankömmlinge prüfend und sehr feindselig, viel zu misstrauisch für einen so jungen Mann. Mikhail unterdrückte einen Seufzer, denn wie er selbst hatte Donal nie eine echte Kindheit gehabt. Er wusste, er hatte aus seiner Sicht die richtige Entscheidung getroffen, als er seinen jungen Verwandten zum Friedensmann machte, aber er war sich nicht sicher, ob es auch die beste Wahl für Donal bedeutete.
Mikhail musterte Hermes Aldaran und versuchte das Aussehen des Mannes vor ihm mit der Erinnerung an eine viel jüngere Person in Einklang zu bringen, die er vor mehr als zwanzig Jahren flüchtig kennen gelernt hatte. Herm hatte nun wesentlich weniger Haare auf dem Kopf und einen Bauchansatz, der von wenig körperlicher Aktivität zeugte. Um die Augen zogen sich interessante Falten, und der im krausen Bart beinahe versteckte Mund war üppig und wie zum Lachen geschaffen. Jetzt stand allerdings keine Fröhlichkeit in seinem Gesicht, sondern nur eine gewisse Anspannung, als wäre er sich nicht sicher, ob er hier willkommen war.
An seiner Seite war eine sehr attraktive Frau, mit schwarzem Haar und, wie Lew schon erwähnt hatte, einem kantigen und energischen Kinn. Zwei Kinder standen neben ihr. Der Junge, der wie etwa dreizehn aussah, hatte graue Augen, die sofort interessiert und bewundernd zu Alanna hinüberwanderten. Das Mädchen, es mochte neun oder zehn Jahre alt sein, wirkte ein wenig schüchtern in Gegenwart so vieler Fremder. Lew hatte Recht – die Kleine sah wie eine Aldaran aus und hätte leicht für eine Tochter Margueridas oder Giselas gehalten werden können.
Sie alle waren nach der Mode der Föderation gekleidet, was Mikhail überspannt und exotisch vorkam. Terése, das Mädchen, trug einen kurzen Rock aus irgendeinem glänzenden Stoff, und ihre noch staksigen Beine steckten in gewobenen Strümpfen mit einem lebhaften Muster. Ihre Mutter trug ein eng sitzendes Kleid aus dunkelrotem Samt, das tief ausgeschnitten war und den Busen betonte. Der Rock des Kleides war vorn knielang, fiel nach hinten zu Bodenlange ab und ließ anmutige Waden und Füße in glänzenden Schuhen sehen. Ihr offenbar langes schwarzes Haar war kunstvoll geflochten und zu einem Knoten aufgesteckt, der züchtig den Nacken verdeckte. Lange metallene Ohrringe baumelten links und rechts von ihrem schlanken Hals. Herm und der Junge trugen Jacken, die an der Taille abrupt endeten, darunter gestärkte Hemden und enge Hosen, die Mikhail ziemlich unbequem vorkamen. Alles in allem war es ein grotesker Aufzug, und er musste sich sehr zusammennehmen, um nicht auf Katherines Beine zu starren.
Katherine sah Marguerida an, dann Alanna und Yllana. Ihr Gesicht verdüsterte sich einen Moment lang bestürzt, und als Mikhail Gisela und seinen Bruder Rafael hinter den Aldarans hereinkommen sah, wurde ihm klar, dass seine stets boshafte Schwägerin wieder einen ihrer üblen Streiche gespielt hatte. Wahrscheinlich hatte sie Katherine zu dieser Bekleidung geraten. Doch schon bemerkte er, wie die Frau ihre Fassung wiedergewann und sich in dem hübschen, aber unpassenden Kleid kerzengerade aufrichtete. Sie war seit mehr als zehn Jahren die Frau eines Senators und kam wahrscheinlich in Situationen zurecht, die sich Mikhail nicht einmal vorstellen konnte.
Du meine Güte – sie ist schwer verstimmt, Mik.
Kaum zu übersehen, Caria.
Gisela hat angeboten, sich um Katherine zu kümmern, und ich bin davon ausgegangen, sie werde ihr schon sagen, welche Kleidung angemessen sei. Ich war so müde, dass ich nicht mehr richtig denken konnte! Ich weiß, dir ist es egal, aber wir Frauen nehmen solche Dinge sehr ernst. Verdammt!!
Mein optimistischer Liebling! Nach all den Jahren solltest du wissen, dass man Gisela nicht trauen kann. Katherine hat sehr hübsche Beine, findest du nicht?
Müsste ich eifersüchtig sein?
Niemals, Liebste, niemals.
Herm räusperte sich. »Guten Tag, Mikhail. Es ist lange her, nicht wahr? Ich möchte dir meine Frau vorstellen, Katherine Korniel Aldaran, und unsere Kinder Amaury und Terése.«
»Willkommen auf Burg Comyn. Ich wünschte, bei eurer Ankunft wäre es ein bisschen weniger hektisch zugegangen, und ich entschuldige mich, weil ich euch nicht früher begrüßt habe. Ehrlich gesagt, hat man mich ins Bett geschickt, wenn auch zum Glück nicht ohne Abendessen.« Mikhail bemühte sich, freundlich zu sein, um die allgemeine Verlegenheit zu überspielen.
»Korniel? Sind Sie zufällig mit dem Komponisten gleichen Namens verwandt?«, fragte Marguerida.
»Er war mein Großonkel«, antwortete Katherine.
Marguerida unterdrückte ein lebhaftes Interesse, das ihre Augen funkeln ließ. Sie streckte beide Hände, die wie immer in Handschuhen steckten, zum Gruß aus. »Wo bleiben meine Manieren! Wie geht es euch nach der langen Reise?« Sie hielt inne und wartete auf eine Antwort von Hermes, und als keine kam, fuhr sie fort: »Domna Katherine, das ist Mikhail Hastur, mein Mann, und das sind meine Kinder Domenic, Rhodri und Yllana. Yllana wie wär’s, wenn du Terése nimmst und ihr einen Becher Beerensaft besorgst. Oder verdünnten Wein, wenn Sie erlauben, Katherine.«
»Ich glaube, ein bisschen verdünnter Wein kann nicht schaden – aber nicht zu viel, Terése«, antwortete Katherine in einem tiefen Alt und mit vor Anspannung belegter Stimme.
Bei einem Blick über Katherines Schulter hinweg las Mikhail eine leichte Enttäuschung in Giselas Gesicht. Sie war jetzt rundlicher denn als junges Mädchen, im Gegensatz zu Marguerida hatten die Schwangerschaften sie um die Taille zunehmen lassen, und ihr Gesicht hatte einiges von seinem früheren Liebreiz verloren. Mikhail musterte sie streng, und sie machte ihm die Freude, leicht zu erröten. Katherine bemerkte seinen Gesichtsausdruck und riss überrascht die Augen auf; offenbar dachte sie, sein zorniger Blick gälte ihr. Doch dann wandte sie rasch den Kopf, bemerkte Giselas Erröten und drehte sich mit einem strahlenden Lächeln wieder zu Mikhail um.
Yllanas hellblaue Augen glitzerten, und sie lächelte dem fremden Mädchen rasch zu. Terése grinste erleichtert zurück, offensichtlich froh, dem Machtbereich ihrer Eltern entfliehen zu können und gleichaltrige Gesellschaft zu haben. Die beiden Mädchen schlüpften davon, als würden sie sich schon tagelang kennen, und Mikhail spürte, dass Yllana ebenfalls froh war, außer Hörweite aller Erwachsenen zu sein.
Rhodri verbeugte sich sittsam vor Katherine, seine Augen funkelten vor Übermut. »Komm, Amaury – die Erwachsenen brauchen uns nicht um sich herum. Domenic und ich beantworten gern deine Fragen, und ich wette, du hast jede Menge davon.«
Amaury sah seine Eltern an, dann begann er Rhodri in Richtung Kamin zu folgen. »Ich habe bereits eine Frage – wer ist das Mädchen dort drüben, das uns beobachtet?«, hörte ihn Mikhail fragen.
»Ach, das ist nur Alanna«, gab Rhodri zurück. »Sie ist unsere Base und Pflegeschwester.« Dann war er außer Hörweite, und Mikhail warf einen Blick über die Schulter auf seine Pflegetochter. Sie hätte neben ihm stehen sollen, damit er sie vorstellen konnte. Die Kinder machten es eben auf ihre Weise. Mikhail drehte sich wieder zu Katherine und Herm um. Einen Moment lang herrschte betretenes Schweigen.
»Habt ihr euch denn schon ein wenig von der Reise erholt?«, erkundigte sich Mikhail.
»Wir haben den versäumten Schlaf nachgeholt und richtiges Essen genossen.« Katherine sprach mühelos Casta, aber ihr Akzent war ungewohnt. Sie rundete die Vokale mehr als üblich, und die Sprache klang ungewöhnlich musikalisch aus ihrem Mund. »Wir möchten unser Beileid zum Tod Ihres Onkels ausdrücken, Dom Mikhail.«
»Danke, Domna. Es war ein großer Schock und ein schrecklicher Verlust für uns alle.« Er hielt inne, weil er spürte, dass diese förmliche Entgegnung ein wenig kalt wirkte. »Ich kann es noch gar nicht richtig fassen. Es kommt mir vor wie ein Albtraum, aus dem ich einfach nicht aufwachen kann.«
»Aber natürlich! Wenn ich Gisela recht verstanden habe, gab es keine Warnung, kein Anzeichen einer Krankheit oder sonst etwas.«
»Nichts dergleichen«, antwortete er, bewegt von ihrem sofortigem Verständnis.
»Das macht alles nur umso schwerer.«
Darauf senkte sich ein lastendes Schweigen auf die vier, als fielen keinem die rechten Worte ein. Zuletzt sprang Marguerida in die Bresche. »Es tut mir Leid, dass ich euch bei eurer Ankunft nicht begrüßen konnte, aber hier geht alles drunter und drüber. Ich freue mich aufrichtig, dass ihr bei uns seid, und hoffe, Darkover gefällt euch.« Sie hielt inne, und der Anflug eines Lächelns umspielte ihren Mund. »Kann sein, dass es ein Weilchen dauert, bis Sie sich eingewöhnt haben«, fuhr sie fort. In diesem Moment erschien ein Diener mit einem Tablett Weinbecher. Sie nahm einen und bot ihn Katherine an, die sie forschend ansah, als vermutete sie eine versteckte Botschaft in Margueridas letzten Worten. Donal nahm einen Becher und reichte ihn Mikhail. Herm bediente sich selbst, er sah inzwischen weniger verkrampft aus. »Ich weiß noch, welche Schwierigkeiten ich selbst hatte, als ich vor sechzehn Jahren hierher zurückkam«, fügte Marguerida lächelnd an und schüttelte gleichzeitig den Kopf über die lebhaften Erinnerungen.
Gisela und Rafael traten vor, und Mikhail schloss aus dem verdrießlichen Gesicht seiner Schwägerin, dass sein Bruder ihr gerade eine telepathische Standpauke hielt, über die sie alles andere als erfreut war. Er empfand bohrendes Schuldbewusstsein, dass Rafael diese schwierige Frau am Hals hatte, aber er wusste, sein ausgeglichener älterer Bruder mochte sie wirklich. Zugleich war er aufrichtig froh, dass man ihn nicht an Gisela gefesselt hatte, denn er war überzeugt, er hätte sie längst erwürgt. Er konnte die Geduld seines Bruders nur stillschweigend bewundern und widerstand dem Drang, ein kleines bisschen zu lauschen.
»Herm hat versucht, mir alles zu erklären«, sagte Katherine gerade zu Marguerida, »und Gisela ebenfalls, aber ich fühle mich immer noch sehr orientierungslos.« Sie musterte Herm streng, dann strafte sie Gisela mit einem Blick, aus dem offene Feindseligkeit sprach. Mikhail konnte nur ahnen, welchen Unsinn ihr seine Schwägerin weisgemacht hatte, und bewunderte Katherines sichere Selbstbeherrschung. »Mein Mann hatte jahrelang Geheimnisse vor mir, die ich jetzt gerade erst entdecke.« Sie schwankte nervös und fuhr sich mit der freien Hand über die Stirn, als hätte sie vor etwas Angst.
»Ich habe versucht, sie zu beruhigen, dass ihre Gedanken sicher sind, aber Katherine ist eine sehr eigensinnige Frau«, bemerkte Herm trocken. »In ein paar Jahrzehnten wird sie mir wahrscheinlich vergeben.«
Marguerida nickte und lachte leise. »Wenn Sie Glück haben, Dom Hermes. Vertrauen Sie mir, Domna, niemand wird in Ihre Privatsphäre eindringen.« Sie fürchtet sich sehr, Mik, aber ich muss sagen, sie verbirgt es sehr gut.
»Würde ich es denn bemerken, falls jemand eindringt?«, fragte Katherine freimütig. Mikhail fühlte, wie ihr Herz ein wenig schneller schlug; seine Zuneigung zu der Frau wuchs.
»Nein«, gab Marguerida ruhig zu. »Und ich kann Ihre obersten Gedanken hören, wenn ich mich auf Ihre Person konzentriere. Dennoch machen Sie sich grundlos Sorgen. Die Darkovaner sind in diesen Dingen äußerst gewissenhaft.«
»Das müssen sie wohl, sonst wären hier wahrscheinlich alle verrückt.« Katherine seufzte und trank mit einer nervösen Geste ihren halben Becher leer. »Wenn ich wieder arbeiten kann, geht es mir sicher besser.«
»Arbeiten?« Mikhail sah sie an und bemerkte, wie der Wein ihr Unbehagen langsam vertrieb.
»Katherine ist eine ausgezeichnete Malerin und hat einen großen Teil ihrer Kleidung zurückgelassen, damit sie Farben und Pinsel mitnehmen konnte.« Herm lächelte seine Frau liebevoll an. »Ich habe sie kennen gelernt, als sie gerade ein Porträt malte.« Zur Hölle mit Gisela, weil sie uns hereingelegt hat – ich hätte wissen müssen, dass sie etwas im Schilde führt. Mir ist es egal, wie ich angezogen bin, aber ich glaube, Kate wird meiner Schwester bei der ersten Gelegenheit die Augen ausstechen. Fast hätte ich vergessen, wie grundlos boshaft Gisela sein kann.
»Eine Künstlerin, das ist ja wundervoll. Dann müssen wir Ihnen aber auch einen Raum zur Verfügung stellen, in dem Sie arbeiten können«, sagte Marguerida mit Nachdruck. »Mal überlegen. Ach ja, im zweiten Stock gibt es einen hübschen Raum mit anständigem Nordlicht. Er ist sehr ruhig, Sie werden also ungestört sein. Brauchen Sie eine Staffelei? Ich nehme an, wegen der Beschränkungen beim Gepäck werden Sie keine mitgebracht haben.«
»Nein, da haben Sie Recht.« Katherine sah Marguerida erleichtert an. »Herm sagte mir nicht, worum es geht – er konnte es wohl auch nicht riskieren. Er befahl mir nur zu packen, und dann waren wir am Raumhafen, bevor ich wusste, wie mir geschieht. Nur gut, dass ich meinem Mann vertraue, denn andernfalls wären wir jetzt nicht hier. Aber es war sehr ... beunruhigend.«
»Das glaube ich gern«, erwiderte Marguerida teilnahmsvoll. Besser als jeder andere im Saal wusste sie, was es hieß, mitten in der Nacht ohne Erklärung aus dem Bett gerissen zu werden. Ihre Erinnerungen an die Sharra-Rebellion waren zwar verschwommen, denn sie war damals noch ein Kind gewesen, aber auch nach so vielen Jahren hatten sie noch etwas Verstörendes.
Entschlossen schob sie diese Gedanken beiseite und konzentrierte sich darauf, Katherines Unbehagen zu zerstreuen. »Wir müssen sofort eine Staffelei für Sie bauen lassen. Die Zimmerleute in der Burg schaffen das wahrscheinlich an einem Tag, wobei sie sich allerdings beklagen werden, dass man sie gehetzt habe und dass es keine gute Arbeit sei, weil das Holz nicht von der richtigen Sorte sei, und dann werden sie herumstehen und düster vor sich hin murmeln. Wahrscheinlich werden sie Ihnen erklären, es wäre besser gewesen, Eiche zu nehmen, sie hätten aber nur Kiefer zur Verfügung gehabt.«
Endlich lachte Katherine. »Das kenne ich. Handwerker sind immer solche Perfektionisten. Leinwände kann ich hier wohl nicht bekommen, oder?«
»Wir haben zwar Leinwand, aber nicht von der Qualität, wie man sie für Gemälde braucht, nur für Überdachungen und Zelte. Kommen Sie denn auch mit Holz zurecht? Davon gibt es genug, und unsere Maler hier arbeiten alle auf Holztafeln.«
»Vielleicht kann Meister Gilhooly welche zur Verfügung stellen«, schlug Mikhail vor. »Er ist der Vorsteher der Malergilde, zugegebenermaßen eine sehr kleine Gemeinde. Aber wahrscheinlich können sie Ihnen Holztafeln und alles andere besorgen, auch Pigmente.«
»Das wäre wunderbar. Meine Vorräte sind begrenzt, und es sieht nicht so aus, als könnte ich Nachschub besorgen, wenn sie erschöpft sind. Ich muss zugeben, ich bin sehr verwöhnt, da ich mich bisher nur an den Computer setzen und bestellen musste, und alles, was ich brauchte, wurde binnen Stunden geliefert.« Nicht zu glauben, dass ich hier stehe und mit diesen wildfremden Leuten über Malerfarben rede, als gäbe es nichts Wichtigeres. Warum trägt Mikhail im Haus einen Handschuh – ist seine Hand vielleicht vernarbt oder so? Und Marguerida trägt auch welche, Gisela hingegen nicht. Es ist nicht kalt hier, aber vielleicht hat sie Kreislaufprobleme. Werde ich diese Leute je verstehen? Es ist alles zu verwirrend. Ich wünschte, ich wäre woanders!
»Es gibt keine Computer hier, das ist verbotene Technologie und nur den Leuten im Hauptquartier erlaubt«, erklärte Mikhail. »Und es gibt auf Darkover nichts, was einem Lager für Künstlerbedarf gleichen würde. Die Gilde mahlt und mischt sich ihre Farben selbst, und die Bürstenmacher besorgen die Werkzeuge. Ich glaube, die Holzarbeitergilde ist für die Tafeln zuständig. Und damit wäre mein Wissen über die Angelegenheit so ziemlich erschöpft.«
»Dann haben Sie die Malergilde also nie persönlich besucht?« Katherine schien zuerst von seinem Wissen überrascht zu sein, dann von seiner Unkenntnis.
»Nein.« Mikhail zuckte die Achseln. Wie Regis vor ihm, war er seit Jahren buchstäblich ein Gefangener auf Burg Comyn gewesen. Die einzigen Ausnahmen waren ein paar Reisen nach Arilinn gewesen und eine nach Armida vor zehn Jahren. Jetzt würde er noch mehr auf die Burg beschränkt sein, eine Aussicht, die ihn nicht gerade freute. »Ich würde überhaupt nichts wissen, wenn ich nicht ein sehr neugieriger Junge gewesen wäre und aufgeschnappt hätte, was ich nur konnte. Ich weiß, wer an der Spitze der Gilde steht, weil es zu meinen Pflichten gehört, es zu wissen, aber ich bin Meister Gilhooly nie persönlich begegnet. Ich habe seinen Vorgänger vor langer Zeit einmal kennen gelernt, als ich wegen eines Porträts von Lady Linnea bei ihm war. Ich habe ihm viele Fragen gestellt, aber die Antworten darauf sind längst aus meinem Gedächtnis gelöscht.« Mikhail schüttelte den Kopf und lachte leise.
»Ich denke, wir sollten jetzt zu Tisch gehen, Mikhail. Führst du bitte Domna Katherine an ihren Platz?« Und sei weiter nett zu ihr, Cario. Es funktioniert. Sie wird schon ein bisschen lockerer, was ihrer Verdauung gut tun dürfte.
Das fällt mir gewiss nicht schwer. Ich mag sie. Du auch?
O ja. Und ich muss meine ganze Beherrschung aufbieten, um sie nicht auf der Stelle über Amedi Korniel auszufragen. Seine offizielle Biografie ist ziemlich trocken, und wahrscheinlich ist sie ihm nie begegnet, aber vielleicht kennt sie ein paar Familiengeschichten über ihn. Jedenfalls haben sie und ich damit eine Basis für weitere Gespräche.
Schön, dich so begeistert zu erleben, Liebste. Die letzten Tage waren sehr schwer für dich.
Für uns beide, Mikhail.
Mikhail bot Katherine den Arm, und sie fasste ihn vorsichtig, wobei sie sich des jungen Mannes hinter ihnen deutlich bewusst war, der sie misstrauisch beobachtete. Wer war er, und warum hatte ihn niemand vorgestellt? Katherine ließ sich an den Tisch führen, während ihr Mann sich elegant an Margueridas Seite gesellte, als handelte es sich hier nur um ein weiteres Staatsbankett, wie die beiden sie hunderte Male besucht hatten.
Die Stuhlbeine kratzten leise über den Boden, während sich alle niederließen. Mikhail sah, wie Domenic Alanna einen Platz anbot, während Rhodri Terése behilflich war. Amaury half auf ein Stichwort der Jungen hin Yllana und setzte sich dann zwischen sie und Alanna, wobei er die Alar-Tochter erneut bewundernd ansah. Mikhail setzte Katherine zu seiner Rechten auf den Ehrenplatz, während Marguerida das Gleiche mit Hermes tat.
Gisela steuerte zielsicher auf den Platz zu Mikhails Linken zu, aber genau in diesem Augenblick erschien Lew Alton mit Ida Davidson am Arm, der Witwe von Margueridas Mentor. Er setzte Ida neben Herm, dann schob er Gisela unauffällig einen Platz weiter, was ihm einen bitterbösen Blick einbrachte. Hinter ihnen kam noch Danilo Syrtis-Ardais und nahm den freien Platz auf Giselas anderer Seite ein. Sie sah zwar nicht so aus, als würde es ihr gefallen, zwischen den beiden Männern eingezwängt zu sein, aber sie zuckte nur die Achseln, offenbar entschlossen, das Beste daraus zu machen. Mikhail beobachtete, wie sie mit ihren grünen Augen rasche Blicke auf die andere Tischseite warf, wo Rafael links von Marguerida Platz nahm, die Kinder an seiner Seite.
Die Diener gingen umher und füllten die Becher, dann wurde die Suppe aufgetragen. Von den Kindern einmal abgesehen, wurde wenig gesprochen am Tisch. Rhodri erzählte Herms Tochter von seinem Pferd, und sie machte große Augen. Pferde waren in weiten Teilen der Föderation so gut wie ausgestorben, und das Mädchen hatte zweifellos nur im Tierpark welche gesehen.
Lew warf Mikhail einen raschen Blick zu; er sah besorgt aus.
Was gibt es, Lew?
Ich habe gerade eine höchst interessante Nachricht von Belfontaine erhalten – natürlich an Regis adressiert. Bisher konnte ich verhindern, dass die Nachricht von seinem Tod ins Hauptquartier gelangt, aber lange kann ich sie ihnen wohl nicht mehr vorenthalten.
Wozu die Mühe, sie finden es früher oder später ja doch heraus?
Weil ich nicht will, dass sie uns für verwundbar halten, Mikhail Die Föderation hat Ereignisse wie Regis’ Tod in der Vergangenheit häufig zu dem Versuch genutzt, ihre eigenen Interessen durchzusetzen. Ich bin vor allem froh, dass Dani hier ist und nicht auf Burg Elhalyn. Und Gareth Elhalyn ist vor einer Stunde eingetroffen, er ist also ebenfalls in Sicherheit.
Ich verstehe dich nicht.
Es ist nicht ausgeschlossen, dass sie versuchten könnten, ihn zu entführen und an die Macht zu bringen. Sie haben solche Dinge auf anderen Planeten des Öfteren getan. Ich glaube zwar, dass die Lage in der Föderation gegenwärtig zu chaotisch ist, als dass jemand einen solchen Plan wagen würde, aber je früher Domna Miralys und ihre Tochter hier sind, desto lieber ist es mir. Gareth verbringt den Abend bei seinem Vater und Lady Linnea. Wahrscheinlich sehe ich Gespenster und traue Belfontaine mehr Fantasie zu, als er verdient.
Was stand denn nun in der Nachricht?
Es war eher eine Forderung – er verlangt, dass ich ihm Herm aushändige, als angeblichen Feind der Föderation. Er machte ein paar versteckte Drohungen, was passieren würde, wenn wir es nicht tun, aber da ich weiß, dass die Föderation Darkover in unmittelbarer Zukunft verlässt, glaube ich nicht, dass er sie wahr machen kann.
Sie ziehen ab? Hat Belfontaine das gesagt?
Wohl kaum. Das habe ich gerade vor zehn Minuten aus einer Mitteilung von Ethan MacDoevid erfahren – unser Geheimdienst ist immer noch besser als der von Belfontaine! Anscheinend hat er die Information Belfontaines persönlicher Sekretärin entlockt, unmittelbar, bevor er für immer aus dem Hauptquartier gewiesen wurde. Er sagt, er komme morgen vorbei und erzähle mir alles, was er aufschnappen konnte. Ich preise den Tag, an dem Marguerida ihn zu Rafe Scott geschickt hat, denn er hat sich als unschätzbar erwiesen, seit Rafe seinen Abschied nehmen musste, auch wenn er kein Laran besitzt und nicht auf diese Weise lauschen konnte. Aber das heißt auch, dass wir jetzt tatsächlich niemanden mehr im Hauptquartier sitzen haben, und uns alle Informationen auf die skrupellose Tour besorgen müssen. In der letzten Bemerkung lag eine Art Belustigung, und Mikhail wusste, was sein Schwiegervater damit meinte.
Mikhail bemerkte, dass Katherine ihn aufmerksam beobachtete und offenbar ahnte, dass etwas gesprochen wurde, das sie nicht hören konnte. Ihr anfängliches Unbehagen hatte sich wieder eingestellt, und Mikhail verfluchte sich lautlos, weil er so unaufmerksam gewesen war. Katherine war eine intelligente Frau und konnte auch eine Spionin der Föderation sein. Nein, jetzt war er übervorsichtig. Sie war nur eine Frau in einer ungewohnten Umgebung, die man ohne Vorwarnung aus ihrem normalen Leben gerissen und mitten in eine politische Krise geworfen hatte.
»Lew hat erwähnt, dass Sie von Renney kommen, Domna Katherine. Ich muss gestehen, ich weiß nichts von dem Planeten, außer dass Ihr Vorfahre, dieser Komponist, von dort stammt. Er zählt zu den Lieblingsmusikern meiner Frau, und sie kann es kaum erwarten, Sie nach ihm auszufragen, aber das hat Zeit. Erzählen Sie mir doch bitte ein wenig von Ihrer Heimatwelt.«
Katherine legte den Löffel neben die leere Suppenschale und sah erleichtert aus, weil man sie nach einem so unverfänglichen Thema fragte. »Nun, da gibt es nicht viel zu erzählen. Es ist ein kleiner Planet, am Rande des Sektors Pollux. Wir sind Milch- und Ackerbauern und Seefahrer, ganz wie unsere Vorfahren, als sie noch auf Terra lebten. Wir sprechen eine Sprache, die der Ihrigen sehr ähnelt – ich war erstaunt, als Herm mir die Ähnlichkeiten zeigte. Dort habe ich gewohnt, bis ich sechzehn war, dann erhielt ich ein Stipendium für die Akademie der Schönen Künste auf Coronis. Ich habe bei Donaldo dePaul Malerei studiert und dann meinen ersten Mann, Amaurys Vater, kennen gelernt. Er kam bei einem Unfall ums Leben, als Amaury noch ein Säugling war, und zwei Jahre später traf ich dann Herm. Bis vor wenigen Tagen verlief mein Leben seitdem äußerst ereignislos.«
»Es tut mir Leid, dass Sie nicht unter glücklicheren Umständen nach Darkover gekommen sind, Domna.«
»Als ich Herm heiratete, gelobte ich, in guten wie in schlechten Tagen bei ihm zu sein, aber ich muss zugeben, ich habe nicht damit gerechnet, dass man mich mitten in der Nacht aus dem Bett zerren und ans andere Ende der Föderation verfrachten würde, weit weg von allem, was ich kenne, und mit sehr geringer Aussicht, Renney je wiederzusehen.« Die Trauer in ihrer Stimme war nun ebenso wenig zu überhören wie der besorgte Unterton. »Außer meinen Kindern und meiner Base Cara, die in der Abgeordnetenkammer saß, lebt noch meine ganze Familie dort, denn unsere Welt bringt in der Regel sehr viele Reisende hervor. Wir haben alles, was wir brauchen, auf Renney, oder zumindest fast alles. Als ich wegging, schüttelte meine Nana nur den Kopf und meinte, ich würde diesen Tag hoffentlich nicht einmal bereuen. Ich kann mir vorstellen, was sie jetzt sagen würde.«
»Ich hoffe, Sie werden Renney nicht zu sehr vermissen, und wir können beide nur beten, dass die Dinge nicht völlig außer Kontrolle geraten.«
Sie schüttelte den Kopf, und der Haarknoten in ihrem Nacken verrutschte, sodass Mikhail einen Blick auf die weiche Haut erhaschte. »Ich habe eine Unterhaltung zwischen Lew Alton und Herm mitgehört, und die beiden klangen nicht sehr fröhlich. Ich kann kaum glauben, dass die Premierministerin die Legislative aufgelöst hat. Das kommt mir so ... extrem vor. Und wenn man berücksichtigt, dass ich die Frau eines Politikers bin, ist es mir erstaunlich gut gelungen, relativ unwissend zu bleiben. Sich den Kopf über politische Auseinandersetzungen zu zerbrechen, verträgt sich nämlich nicht mit meiner Arbeit.« Sie wirkte leicht verlegen bei diesem Eingeständnis und starrte den inzwischen leeren Becher vor ihr an, als bräuchte sie einen Fixpunkt. Sofort begann ein Diener nachzuschenken.
Domenic, der neben Katherine saß, meldete sich erstmals zu Wort. »Die Auflösung der Legislative war Irrsinn, Domna.« Ein verwirrter Ausdruck trat in seine Miene, als wäre er von seinem eigenen Ausbruch überrascht. Er sah seinen Vater an und entspannte sich, als er keine Missbilligung in dessen Gesicht las.
Mikhail betrachtete seinen Ältesten, den geheimnisvollsten seiner Sprösslinge, mit großer Zuneigung. Er wusste nicht, ob es daran lag, dass der Junge in der fernen Vergangenheit empfangen wurde, oder daran, dass er mehrere Wochen im Schoß seiner Mutter verbrachte, während sie und Mikhail in den nebligen Wassern des Sees von Hali wateten, aber Domenic war wesentlich reifer, als sein Alter vermuten ließ, und außerdem unnahbar. Nein, eigentlich nicht unnahbar, es fiel ihm nur schwer, erwachsen zu werden. Manchmal war er unglaublich schüchtern, und dann wieder nahm er kein Blatt vor den Mund, wenngleich er nie die Kühnheit seines Bruders Rhodri an den Tag legte.
Istvana Ridenow, die ihn als Erste geprüft hatte, behauptete, er besitze ein einzigartiges Laran, eines, das sie nicht zu ihrer Zufriedenheit bestimmen konnte. Er verfügte natürlich über die Alton-Gabe des erzwungenen Rapports, sie war genauso ausgeprägt wie bei seiner Mutter, aber da war noch etwas anderes. Mikhail fragte sich gelegentlich, ob Domenic vielleicht die lebende Matrix der Hasturs besaß, aber Istvana meinte, das sei es nicht. Was immer es war, es entwickelte sich auf eigene Weise, langsam und fast schmerzlich. Er zeigte eine Scheu in Gegenwart anderer Leute mit Ausnahme seiner Base Alanna, die ihn zu einem stillen und reservierten Jungen machte.
Katherine sah Domenic interessiert an. »Dem stimme ich zu, aber ich würde gern deine Gedanken dazu hören.« Was rede ich denn da? Ich kann seine Gedanken gar nicht hören, weil ich keine Telepathin bin, aber er hört wahrscheinlich meine, auch wenn Marguerida meinte ... zur Hölle mit Herm, weil er mich nicht vorgewarnt hat! Und was ist mit Terése? Wird mein kleines Mädchen einmal eine Hellseherin oder eine andere Art Hexe, so wie Urgroßmutter Lila angeblich eine war? Bei Nanas Geschichten über sie bekam ich jedes Mal eine Gänsehaut, und jetzt bin ich hier auf einem Planeten, wo manche Leute die Fähigkeit besitzen, in meine Gedanken einzudringen, wann immer sie wollen, und ich kann nicht feststellen, wer es kann und wer nicht. Auch wenn ich nichts zu verbergen habe, das ist untragbar! Diese Gisela würde ich ja schon gern wissen lassen, was ich denke, aber wahrscheinlich hat sie gerade so viel Skrupel, dass sie nicht schnüffelt, wenn ich von Herzen wünschte, sie tue es! Ich muss wirklich versuchen, logischer zu denken – in einer Sekunde fühle ich mich nackt in diesem Raum, und in der nächsten erwarte ich, dass diese komischen Leute meine Gedanken hören. Was dieser Mann neben Gisela wohl gerade sagt? Was es auch sei, sie sieht nicht sehr glücklich darüber aus – geschieht ihr recht, dieser Schlange! Sie hat uns absichtlich in Verlegenheit bringen wollen!
Domenic dachte wortlos über ihre Frage nach, als suchte er nach der besten Annäherung an das Thema. Zurzeit wirkte er oft mürrisch, bevor er ohne Grund plötzlich beißende Bemerkungen von sich gab, die seine Eltern überraschten. Mikhail erinnerte sich an seine eigene Jugend und wusste, das war normal. Immerhin überlegte er, bevor er sprach, anders als Rhodri, der stets sofort sagte, was ihm in den Sinn kam, ohne an die Folgen zu denken. Mikhail liebte beide, aber er wusste, dass er Rhodri ein klein wenig bevorzugte, weil Domenic gar so undurchsichtig und distanziert war.
»Ich habe Großvater Lew zugehört. Und nachgedacht. Es scheint mir, die Terraner sind gesprungen, bevor sie geschaut haben.« Domenic runzelte die Stirn, bevor er fortfuhr. »Großvater sagt, seine Fehler kamen hauptsächlich davon, dass er handelte, bevor er überlegt hatte, was passieren könnte, und dass die Föderation genau das jetzt auch getan hat.« Er sah über den Tisch hinweg zu Lew, um festzustellen, ob er etwas Unglückliches gesagt hatte, aber Lew löffelte nur schweigend seine Suppe.
»Bist du nicht ein bisschen zu jung, um dir den Kopf über Politik und ihre Folgen zu zerbrechen?« Katherine wirkte belustigt und gleichzeitig aufrichtig interessiert. Sie fühlte sich eindeutig wohl in Gesellschaft des Jungen. Mikhail merkte, dass Domenic anfing, auf ihre Freundlichkeit anzusprechen, die übliche Zurückhaltung abzulegen und sich sogar zu amüsieren.
»Ich bin fünfzehn, und ich habe mein ganzes Leben lang über Politik nachgedacht, jedenfalls kommt es mir so vor.« Er schenkte Katherine ein bezauberndes Lächeln, was er selten tat, dann fuhr er sich mit den Fingern durchs Haar, wobei er unbewusst seinen Vater imitierte. Domenics Haar war ein bisschen zu lang, es berührte den Kragen seines grünen Übergewands, weil er den Barbier hasste. »Sehen Sie, bei unseren langen Wintern, wenn der Schnee monatelang bis zu den Fensterbrettern reicht, sind wir alle begeisterte Intriganten hier. Fragen Sie nur gelegentlich Tante Gisela, dann bekommen Sie was zu hören.« Er warf der Angesprochenen über den Tisch hinweg einen Blick zu, in dem zu Mikhails Überraschung so etwas wie echte Bosheit lag.
»Tante?« Katherine schaute einen Moment lang verwirrt. »Ja, natürlich. Weißt du was, dann sind wir ja auch verschwägert. Daran habe ich noch gar nicht gedacht. Ich habe eine Menge Schwestern, und Nichten und Neffen zuhauf, aber es ist mir nie so recht in den Sinn gekommen, dass ich auch auf Darkover unmittelbare Verwandte haben würde.« Sie wandte anmutig den Kopf und musterte Gisela von oben bis unten, wobei es ihr gelang, wortlos auszudrücken, dass ihre neue Schwägerin nichts als ein Mädchen vom Lande war und eine Art Dreingabe bei dem ganzen Handel. Mikhail tupfte sich mit der Serviette den Mund ab, um sein breites Grinsen zu verbergen, während Gisela vor Wut kochte. Dann drehte sich Katherine wieder zu Mikhail um, und ihre dunklen Augen funkelten anziehend, als hätte sie eine Rechnung beglichen und wäre nun sehr zufrieden mit sich. »Ich glaube, Amaury und ich sind die einzigen Personen am Tisch, die nicht irgendwie mit Ihnen blutsverwandt sind, hab ich Recht?«
Mikhail nickte. Sie war tatsächlich so gescheit, wie Lew angedeutet hatte. »Beinahe. Die ältere Frau neben Herm ist keine gebürtige Darkovanerin, sondern die Witwe von Margueridas musikalischem Mentor. Aber alle anderen sind Verwandte, das stimmt. Donal hier«, fuhr er fort und deutete über die Schulter, »ist sowohl mein Neffe als auch mein Friedensmann, und Alanna ist seine Schwester. Man kann behaupten, die meisten Versammlungen der Domänen sind Familientreffen, damit liegt man nicht weit daneben.« Das Thema schien keine Gefahren zu bergen, und er beschloss, es weiterzuverfolgen, damit Katherine nicht an ihre Ängste dachte. »Seit der Ankunft der Terraner vor mehr als einem Jahrhundert, gab es natürlich auch Ehen zwischen ihnen und uns. Lews Mutter Elaine, zum Beispiel, war eine Tochter von Mariel Aldaran und einem Terraner namens Wade Montray. Lews erste Frau Marjorie war mütterlicherseits ebenfalls eine Aldaran, und ihr Vater war Zeb Scott, ein Terraner. Damit ist meine Marguerida durch ihre Großmutter eine Base Ihres Mannes.«
Katherine runzelte die Stirn. »Aber keine Aldaran durch die erste Frau ihres Vaters, wenn ich recht verstehe.«
Sie begriff schnell! »Nein – Margueridas Mutter war Marjories Halbschwester Thyra.«
»Mutter spricht nicht gern über sie«, mischte sich Domenic sehr leise ein. Die Reste seiner Schüchternheit verschwanden in Katherines warmer Anteilnahme. »Sie war ein sehr seltsamer Mensch, und böse dazu.«
»Danke für den Tipp – wie ich sehe, könnte man leicht einen Fehler machen und etwas Beleidigendes zu ihr sagen. Jetzt verstehe ich endlich, warum sie und Gisela sich so ähnlich sehen – sie sind nicht nur Schwägerinnen, sondern auch Basen. Ich hielt die Verwandtschaftsverhältnisse auf Renney schon für verwickelt, aber ehrlich gesagt, glaube ich inzwischen, Darkover schlägt uns noch.«
»Vater wurde beinahe gezwungen, Gisela zu heiraten, aber er ist stattdessen weggelaufen«, sagte Domenic, dem der Wein die Zunge gelöst hatte. In seinen Augen funkelte etwas von der Schalkhaftigkeit seines Bruders. Er wusste, dass dieses Thema Mikhail immer noch zusammenzucken ließ. Dann sah er Katherine grinsend an. »Vater und Mutter sind mitten in der Nacht weggerannt und wurden getraut von ...«
»Domenic!«
»Ach komm, Vater, sie wird die Geschichte sowieso von irgendwem hören. Du willst doch sicher nicht, dass die Diener sie ihr erzählen, oder?«
»Domna Katherine will gewiss nicht mit Ereignissen aus der Vergangenheit gelangweilt werden.«
Domenic lachte laut auf, sodass ihn alle für einen Moment ansahen. »Aus der Vergangenheit! Ein guter Witz, Vater.«
Mikhail hätte seinen Erstgeborenen erwürgen können. Noch war Katherine nicht ganz wohl in ihrer Gesellschaft, und die Geschichte über eine Reise in Darkovers ferne Vergangenheit, in das Zeitalter des Chaos, würde ihr Unbehagen sicherlich nur steigern. Es genügte ihr vorläufig zweifellos zu akzeptieren, dass es hier Telepathen gab. Gleichzeitig erkannte er, dass Domenic Recht hatte. Wenn sie die Geschichte nicht von ihm erfuhr, dann aus einer anderen Quelle und wahrscheinlich mit Einzelheiten ausgeschmückt, die eher Fantasie als Wahrheit waren. Er konnte sich gut Giselas Version ihrer Abenteuer vorstellen.
Fragend sah Katherine vom Sohn zum Vater. Sie war wirklich eine gut aussehende Frau. »Jetzt bin ich aber sehr gespannt. Mein Nana sagte immer, ich sei so neugierig wie ein ganzer Sack Katzen. Und ehrlich gesagt, höre ich alles lieber als die Torheiten der Föderation. Dieses Thema habe ich gründlich satt.«
Ein Diener räumte ihre Suppenschale ab und ersetzte sie durch einen Teller mit gegrilltem Fisch. Mikhail hatte seine Portion bereits erhalten und griff nach seiner Gabel. Er spießte einen Bissen Fisch auf, der leicht mit Kräutern gewürzt war.
Als er hinuntergeschluckt und ein wenig Wein getrunken hatte, begann er: »Domenic meint, dass Marguerida und ich in die Vergangenheit gezogen wurden – etwa siebenhundert Jahre zurück. Dort hat uns ein alter Laranzu namens Varzil der Gute verheiratet, der von der Domäne Ridenow stammte. Es kommt selbst mir alles reichlich fantastisch vor, und ich war dabei!« Dann verfluchte er sich für seine unbeholfene Wortwahl und merkte, wie müde er immer noch war.
Katherine würgte, und Domenic versetzte ihr ein paar feste Klapse zwischen die nackten Schulterblätter. Sie rang nach Luft, ihre Augen traten hervor. Dann kam sie wieder zu Atem, trank den neu gefüllten Becher mit wenigen Schlucken aus und sah Mikhail an. »Sie meinen es ernst, hab ich Recht?«
»Ja, aber ich erwarte nicht, dass Sie mir glauben, wenn selbst meine eigene Mutter sehr an der Wahrheit der Geschichte zweifelt. Ich kann nur sagen, ich war dabei und weiß, was passiert ist. Sie müssen mir nicht glauben.« Er schaute auf das schwere Di-Catenas-Armband an seinem Handgelenk, das für einen anderen Mann gefertigt worden war, dessen Name eine Abwandlung von Mikhail war, dann sah er die Tafel hinab zu seiner Frau und dachte an jene seltsame, magische Zeit.
»Sie sind durch die Zeit gereist?« Katherine war erstaunt und ungläubig, aber die Neugier gewann die Oberhand.
»Ja.«
»Wie war es?«
Ihre Frage verblüffte Mikhail; eine solche Reaktion hatte er nicht erwartet. »Es war sehr unbequem.«
Katherine begann zu lachen. In ihren Augenwinkeln bildeten sich Tränen, die ihr kurz darauf über die Wangen rollten. Sie tupfte sie mit der Ecke ihrer Serviette ab. Schließlich hatte sie sich wieder unter Kontrolle und wandte sich an Domenic. »Ist er immer so kurz angebunden?«
»Meistens, außer wenn er Rhodri eine Standpauke hält.« Domenic sah seinen Vater liebevoll an, was den Worten größtenteils ihre Schärfe nahm. Aber nicht ganz. Mikhail erinnerte sich nämlich noch lebhaft an den Tag, an dem Dani Hastur ihm erzählte, dass sein Vater anscheinend nie Zeit hatte, mit ihm zu reden. Ging es Domenic etwa genauso? Mikhail hatte sich geschworen, ein guter Vater zu sein und seine Kinder nicht auf diese Weise zu vernachlässigen. Nun fühlte er sich als Versager.
Schon gut, Vater. Du hörst mehr zu, als du redest, das ist alles. Und du machst dir zu viele Sorgen.
Danke, Domenic. Du weißt, dass du immer zu mir kommen kannst, oder?
Ja, aber ich habe nicht viel zu sagen.
Bist du glücklich, mein Sohn?
Nein, aber daran kannst du nichts ändern. Und ich möchte nicht darüber sprechen, weder jetzt noch ein andermal.
Wie du meinst. Bedrückt wandte sich Mikhail wieder seinem Essen zu. Dann fiel ihm ein, wie kompliziert er selbst mit fünfzehn gewesen war. Er zwang sich, die Angelegenheit entspannt zu sehen, wahrscheinlich handelte es sich nur um die normalen Probleme, die das Erwachsenwerden so mit sich brachte und die sich mit der Zeit von allein lösten. Welcher Teenager war schon glücklich? Wahrscheinlich kein Einziger.
Mikhail blickte von seinem Teller auf und bemerkte, dass Marguerida ihn vom anderen Tischende her ansah. Sie schenkte ihm ein wundervolles Lächeln, eines von der Art, das ihn stets zu trösten und ermutigen vermochte, dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder Herm Aldaran zu. Der tiefe Schmerz über den plötzlichen Tod seines Onkels und die Wirklichkeit dessen, dass er jetzt der wahre Herrscher Darkovers war, schienen bei ihrem Blick ein wenig nachzulassen. Mit Marguerida an seiner Seite konnte er allem ins Auge sehen, egal wie unmöglich es zunächst aussah. Er war beruhigt und erlaubte sich, an nichts Besonderes zu denken, während sein Sohn und Katherine sich weiter unterhielten.
Vom anderen Tischende her beobachtete Marguerida Sohn und Ehemann und seufzte leise. Sie fragte sich, was Katherines Heiterkeitsausbruch wohl verursacht haben mochte. Die Frau kam ihr sehr ernsthaft vor, aber sie wirkte jetzt nicht mehr ganz so zornig, und darüber war Marguerida froh.
»Ich weiß nicht, was Mikhail gesagt hat, aber es tut gut, Kate wieder so lachen zu hören. Ich dachte schon... na, egal.« Herm lächelte Marguerida an.
»Sie muss außer sich sein.«
»Wissen Sie, diesen Ausdruck habe ich nie verstanden. Wie kann jemand außer sich sein? Aber Sie haben Recht, sie war sehr beunruhigt, was ich ihr nicht verübeln kann. Als ich sie kennen lernte, war sie eine junge Witwe und sehr traurig. Nach allem, was ich weiß, war Amaurys Vater ein sehr netter Mensch, und sein Tod war ein schwerer Schlag für sie. Ich habe mir oft gewünscht, ich hätte ihn gekannt, obwohl ich Katherine nicht hätte heiraten können, wenn er noch leben würde, und das wäre unerträglich für mich!« Er lachte in sich hinein. »Womöglich hätte ich ihn zu einem Duell oder etwas ähnlich Lächerlichem herausfordern müssen.«
»Sie kommen mir gar nicht vor wie ein Mann, der heiratet«, bemerkte Marguerida.
»Da haben Sie Recht, auch wenn ich nicht weiß, wie Sie das nach so kurzer Bekanntschaft feststellen konnten. Ich war recht zufrieden mit meinem Junggesellendasein, bis mir Katherine über den Weg lief, und dann konnte ich an nichts anderes mehr denken, als sie so schnell wie möglich zu heiraten, bevor sie mir ein anderer wegschnappt.«
»Gab es denn andere Bewerber?«
»Nein, überhaupt nicht, aber ich habe mir ständig vorgestellt, dass ganze Horden von ihnen in den Ecken der Ballsäle und Salons lauerten. Sie ist so wunderschön, dass ich einfach nicht anders konnte. Und mir ist immer noch rätselhaft, warum sie mich geheiratet hat. Ich weiß, ich bin kein gut aussehender Mann.« Er deutete auf seine spiegelnde Glatze. »Was ich je an gutem Aussehen hatte, hat Robert bei einem Faustkampf ruiniert, als wir junge Burschen waren.« Er rieb sich die Nase, die erkennbar mindestens einmal gebrochen war.
»Robert bei einem Faustkampf? Das ist aber eine bemerkenswerte Vorstellung. Er schien mir immer die Gutmütigkeit in Person zu sein.«
»Das ist er auch, aber ich habe es als Junge oft darauf angelegt. Nicht unähnlich Ihrem Rhodri, wie mir scheint. Aber sagen Sie, wie kamen Sie zu dem Schluss, ich sei nicht der Typ Mann, der heiratet? Meine Neugier will befriedigt sein.«
»Gisela hat vor langer Zeit einmal angedeutet, Sie seien ein überzeugter Junggeselle. Tatsächlich wusste ich bis zu Ihrer Ankunft gar nicht, dass Sie verheiratet sind, ganz zu schweigen davon, dass Sie auch schon Kinder haben. Irgendwie haben Sie es in den Nachrichten an meinen Vater oder den seltenen Briefen an Ihre Schwester nie erwähnt. Weshalb haben Sie es so geheim gehalten? Sollte Ihr Vater nicht erfahren, dass er eine weitere Enkelin hat?«
Herm knurrte. »Mein Vater und ich haben uns nicht sehr gut verstanden, Domna Marguerida, und ich habe den Posten in der Abgeordnetenkammer unter anderem deshalb angenommen, weil ich ihm entfliehen wollte. Und weil es die Chance meines Lebens war. Schon als Junge wollte ich zu den Sternen reisen, ich war besessen von den Geschichten der Raumfahrer, die man sich bei uns zu Hause erzählte. Ich selbst wollte allerdings nie Raumpilot werden – bei der Vorstellung, lange Zeit in einem Schiff eingepfercht zu sein, haben sich mir die Haare gesträubt. Abgesehen davon habe ich kein Talent für Mathematik und andere Fächer, die man dafür braucht. Und bis zu meiner Ernennung durch Onkel Regis schien das die einzige Möglichkeit zu sein, Darkover zu verlassen. Also habe ich meine Chance ergriffen, und offen gestanden war mein Vater ziemlich wütend auf mich.«
»Aber wieso?«
»Vermutlich, weil er Regis nie gemocht hat, aber ich kann es nicht mit Bestimmtheit sagen. Ich weiß nur, er hat einen seiner Wutanfälle bekommen und betrunken herumgetobt, dass die Diener schleunigst in Deckung gingen. Dazu hat er mich mit einer Reihe von Namen bedacht, die ich in der Anwesenheit von Damen nicht wiedergeben kann.«
Marguerida grinste. »Es dürfte Ihnen kaum gelingen, mich zu schockieren. Mikhail könnte Ihnen bestätigen, dass meine Ausdrucksweise gelegentlich einen Fuhrknecht rot werden ließe. Aber ich weiß Ihre Zurückhaltung zu schätzen, da ich keinen Wert darauf lege, dass Rhodri noch mehr Kraftausdrücke lernt, als er ohnehin schon kennt. Lassen Sie sich von seinem angenehmen Auftreten nicht täuschen – er hat nichts als Unfug im Kopf.« Sie sah ihren rothaarigen Sohn liebevoll an, und der errötete heftig.
»Alle Jungs in dem Alter sind so, selbst Amaury.«
Marguerida schüttelte den Kopf. »Nicht mein Domenic. Er war immer ein äußerst angenehmes Kind, so sehr, dass ich mir inzwischen Sorgen um ihn mache. Ich weiß, es klingt idiotisch, aber ich habe mir schon oft gewünscht, er würde irgendwelche Dummheiten anstellen. Er ist manchmal einfach zu gut.«
»Reden Sie bloß keine Probleme herbei, Domna. Das ist eine gefährliche Sache.«
»Ich weiß. Aber manchmal kann ich nicht anders.« Sie sah Lew Alton zärtlich an. »Schließlich bin ich das Kind meines Vaters.«
Zu ihrer Freude lachte Hermes Aldaran gellend, sodass ihn alle Leute am Tisch anstarrten. »Zum Ärger bestimmt. Ja, das kenne ich sehr gut«, gluckste er.