Читать книгу Gildenhaus Thendara - Marion Zimmer Bradley - Страница 10

5

Оглавление

Magda saß beim Abendessen im Speisesaal des Gildenhauses von Thendara und ließ im Geist ihren vierten vollen Tag als Entsagende an sich vorüberziehen. Am ersten Tag war ihr aufgetragen worden, bei Keitha zu bleiben, die als Folge der Schläge, die sie erhalten hatte, krank war und fieberte. Am nächsten Tag hatte sie Irmelin in der Küche helfen müssen. Sie hatte sich beim Ausfegen und beim Putzen des Gemüses zum Abendessen unglaublich ungeschickt angestellt. Irmelin hatte zwar etwas über feine Damen gebrummt, die sich niemals die Hände schmutzig machten, doch sonst war sie freundlich gewesen und hatte ihr gutmütig gezeigt, wie man mit so unhandlichen Werkzeugen wie Besen und Schrubber umging und Gemüse schnitt, ohne sich selbst zu verletzen. Magda ertappte sich dabei, dass es ihr gar nicht passte, bei Tisch zu bedienen und hinterher das Geschirr zu spülen. Warum hatte noch nie jemand die einfachsten arbeitssparenden Geräte erfunden, um Frauen diese erniedrigenden Aufgaben abzunehmen?

Der heutige Tag war anstrengender gewesen: Man hatte sie zur Arbeit in den Stall geschickt. Es machte ihr nichts aus, den Tieren Futter und Wasser zu geben oder die Pferde zu bewegen, denn auf der großen Koppel schien die Sonne hell, und die Luft war frisch und klar. Aber die schweren Mistschaufeln waren schlimmer als Schrubber und Besen in der Küche, und von dem Geruch wurde ihr schlecht. Deshalb, sagte sie wütend zu sich selbst, hat es auf Terra eine industrielle Revolution gegeben. Irgendwem muss es bis obenhin gestanden haben, Ställe auszumisten!

Ihre Kollegin bei dieser Arbeit war Rafaella, die Partnerin Jaelles in ihrem Reiseberatungsgeschäft. Magda hatte gehofft, sie freundlich zu finden. Aber Rafaella hatte ihr wenig zu sagen gehabt. Am Ende des Tages war Magda todmüde. Sie hatte nie zuvor manuelle Arbeit getan und war froh, sich Staub und Schmutz abwaschen zu können. Doch obwohl sie sich die Haare wusch, fürchtete sie, immer noch nach Stall zu riechen. Der Geruch der Seife war nach den parfümierten Kosmetika der Terranischen Zone auch nicht der feinste. Magda hielt sich lange in dem heißen Becken auf und versuchte, sich die Müdigkeit abzuspülen, bis eine Gruppe sehr junger Mädchen, darunter Doria, hereinkam und eine Menge fröhlichen Lärm veranstaltete. Sie rannten nackt umher, kletterten in die Wannen hinein und wieder hinaus und zankten sich im Spaß um die Seife. Der Krach vertrieb Magda aus dem Baderaum, und erst später gestand sie sich ein, dass sie neidisch auf das Vergnügen gewesen war, den die Mädchen miteinander hatten.

So hungrig sie nach der Arbeit im Stall war, bekam sie das Essen jetzt doch kaum hinunter. Es war eine Art Fleisch, oder wahrscheinlicher Innereien, mit grob gemahlenem Mehl gekocht. Dazu gab es eine stark gewürzte Soße. Das Brot war dunkel, grob und ungesäuert. Das gekochte Obst in Honig hätte kalt ganz gut geschmeckt. Leider wurde es warm serviert. Magda war an darkovanische Speisen gewöhnt und mochte die meisten, aber durch einen unglücklichen Zufall war ihr alles neu, was heute auf den Tisch kam, und es schmeckte ihr nichts davon. Sie knabberte an einem Butterbrot, schob das Fleisch auf ihrem Teller herum und sehnte sich wütend und hoffnungslos nach einer guten Tasse Kaffee. Auf der Akademie hatte sie sich darin üben müssen, alle Arten von fremdartiger Nahrung ohne Protest oder sichtbaren Abscheu zu sich zu nehmen, und für gewöhnlich gelang ihr das auch, aber heute Abend fühlte sie sich erschöpft und im Stich gelassen. Konnte sie das wirklich ein halbes Jahr aushalten, zwischen diesen fremden Frauen und unter diesen ungemütlichen Bedingungen?

Sie hatte den Platz neben Doria bekommen. Ihr gegenüber saß Camilla, die ältere emmasca, die Zeugin ihres Eides gewesen war, und neben dieser Keitha, die Neue. Keitha sah heute besser aus und hatte etwas Farbe in den Wangen. Ihr glänzendes Haar, das für die Eidesleistung kunstlos abgehackt worden war, hatte man inzwischen ordentlich geschnitten. Ihre Amazonenkleidung war schäbig und abgetragen; wahrscheinlich stammte sie aus der gleichen Flickenkiste wie Magdas eigene. Keitha wirkte scheu und verloren und aß wenig.

Camillas hageres Gesicht trug den Ausdruck freundlicher Besorgtheit.

»Aber du isst ja gar nichts, Margali – magst du das Kaldaunen-Stew nicht?«

»Oh, das ist es?« Magda schob sich noch eine Gabel voll in den Mund und wünschte, sie hätte es nicht getan. »Es ist sehr gut«, log sie. »Aber ich habe heute Abend keinen großen Hunger.« Sie nahm sich eine weitere Scheibe Brot und strich Butter darauf. Das Brot ließ sich wenigstens herunterbekommen, und mit dem warmen gekochten Obst schmeckte es nicht allzu schlecht.

Mutter Lauria klopfte Schweigen gebietend an ihr Glas. »Heute Abend ist Schulungssitzung. Die Teilnahme ist Pflicht für alle neuen Schwestern und alle, die noch keine drei Jahre vereidigt sind. Willkommen ist natürlich jede. Die Schwesternschaft trifft sich heute Abend im Musikzimmer, deshalb findet die Schulungssitzung im Waffensaal statt.«

Ein hörbares Stöhnen war die Antwort. »Vergesst nur nicht, zusätzliche Schals mitzubringen«, knurrte jemand. »Da unten ist es eiskalt!«

»Wir legen die Matten zum Daraufsetzen aus«, versprach Rafaella. »Und ein bisschen Kälte wird euch nicht schaden. Sie hält euch munter, so dass ihr nicht einschlafen werdet, wie es andernfalls nach einem reichlichen Abendessen geschehen könnte.«

Beim Verlassen des Speisesaals erkundigte Magda sich im Flüsterton bei Doria: »Was ist die Schwesternschaft?«

»Das ist eine Geheimgesellschaft«, antwortete Doria ebenso leise. »Sie verbindet die Gildenhäuser miteinander, das ist alles, was ich wirklich darüber weiß, und die meisten Frauen, die dazugehören, sind Heilerinnen oder Hebammen. Auch Marisela ist Mitglied. Sie sind darauf vereidigt, nichts zu verraten, und das tun sie auch nicht.«

Auf dem Weg die Treppe hinunter in den Waffensaal kam Camilla und schob ihren Arm unter den Magdas. »Ich hatte angenommen, Jaelle habe dich nach Neskaya gebracht. Wie kommst du hierher? Wie ich hörte, hat Jaelle eine oder zwei Nächte hier geschlafen, aber ich hatte keine Gelegenheit, mit ihr zu sprechen. Allerdings habe ich die Narbe auf ihrer Wange gesehen. Was ist passiert?«

»Sie und ich wurden von Räubern angegriffen«, antwortete Magda. »Wir haben den Winter auf Burg Ardais verbracht; Jaelle war zu krank zum Reisen. Dann sind wir hierher nach Thendara gekommen ...«

»Nun, es ist nicht verwunderlich, dass sie ihre Eidestochter in ihrem eigenen Haus haben möchte«, meinte Camilla. Sie zog Magda hinter sich her in den Waffensaal, wo Frauen die Matten zu einem engen Kreis zusammentrugen. Camilla warf Magda eine Decke zu.

»Dir ist trotz deines Schals kalt, das sehe ich. Wickele dich hierin ein«, sagte sie.

Mutter Lauria ergriff das Wort: »Meine Schwestern, ihr alle habt die Neuen unter uns bereits gesehen. Es ist viele Jahre her, dass wir gleich drei auf einmal zur Ausbildung hier hatten. Ihr alle kennt Doria; Rafaella hat getan, was jede von uns eines Tages zu tun hofft: Sie hat eine erwachsene Tochter auf den Eid vorbereitet. Jetzt sollt ihr auch Margali n’ha Ysabet kennen lernen, die letzten Winter den Eid vor Jaelle n’ha Melora ablegte, und Keitha n’ha Casilda, die es hier im Haus vor vier Tagen vor Camilla n’ha Kyria tat. Camilla, du bist Eidesmutter der einen und Eidesschwester einer anderen von diesen dreien; willst du heute Abend die erste Fragerunde leiten?«

»Gern«, sagte Camilla. »Doria, du hast den Eid noch nicht abgelegt, obwohl du dein ganzes Leben unter uns verbracht hast. Warum willst du eine Entsagende werden?«

Doria lächelte und erklärte selbstsicher. »Weil ich unter euch aufgewachsen bin und das hier mein Zuhause ist. Auch wird sich meine Pflegemutter darüber freuen.«

Rafaella fiel schnell ein: »Das ist kein guter Grund, Doria. Habe ich jemals als Bedingung für meine Liebe von dir verlangt, du sollst eine Amazone werden?«

Doria blinzelte verwirrt, antwortete jedoch: »Nein, aber ich wusste, es war dein Wunsch ...«

»Was war dein Grund?«, drängte Camilla. »Deiner, nicht Rafis.«

»Weil – also wirklich, weil – ich mein ganzes Leben hier verbracht habe und gern eine von euch sein möchte, nicht nur ein Pflegekind, sondern eine wirkliche Amazone ...«

Irmelin fragte: »Hattest du Angst, wenn du den Eid nicht ablegtest, hättest du keinen Ort, an den du gehen könntest?«

»Das ist nicht fair!«, rief Doria mit bebender Stimme. Trotzdem bestand Irmelin auf einer Antwort. »Sag es mir. Wenn wir uns weigerten, dir den Eid abzunehmen, was würdest du dann tun?«

»Das brächtet ihr doch nicht fertig, oder?«, protestierte Doria. »Ich habe schon immer hier gelebt, ich habe immer damit gerechnet, dass ich den Eid ablegen würde, sobald ich fünfzehn geworden sei ...« Sie blickte entsetzt und verängstigt drein.

»Du sollst uns sagen«, bohrte Irmelin weiter, »was du dann tun würdest. Wohin würdest du gehen?«

»Wahrscheinlich – ich weiß nicht – zurück zu meiner Geburtsmutter, glaube ich, wenn sie mich haben will – ich weiß es nicht, ich weiß es nicht, ich weiß es nicht!«, schrie Doria und brach in Tränen aus. Camilla zuckte die Schultern und nahm sich Keitha aufs Korn.

»Du. Warum bist du hergekommen, Keitha?«

»Weil mein Mann mich geschlagen und schlecht behandelt hat und ich das nicht länger ertrug – und ich hatte gehört, hier könne eine Frau Zuflucht finden ...«

»Wie lange bist du verheiratet gewesen?« Magda erkannte die Sprecherin als die hochschwangere Byrna.

»Sieben Jahre.«

»Und hatte dein Mann dich zuvor schon geschlagen?«

»J-ja«, stammelte Keitha.

Byrna verzog das Gesicht. »Wenn du das zuvor ertragen hattest, warum entschlössest du dich plötzlich, es nicht länger hinzunehmen? Warum hast du, statt wegzulaufen, nicht versucht, dein Leben so einzurichten, dass du seine Misshandlungen nicht mehr zu fürchten brauchtest?«

»Ich ... ich habe es versucht ...«

»Und als deine weiblichen Listen sein Herz nicht erweichen konnten, bist du davongerannt, weil du als Ehefrau versagt hattest?«, fragte eine Frau, deren Namen Magda nicht kannte. »Glaubst du, wir seien ein Zufluchtsort für jede Frau, die mit ihrem Mann nicht fertig wird?«

Keitha hob den Kopf. Ihre grauen Augen flammten. »Ihr habt mich aufgenommen! Warum habt ihr mich das alles nicht gefragt, bevor ich den Eid ablegte?«

Ein seltsames Gemurmel lief um den Kreis, und Magda erkannte es zu ihrer Überraschung als Billigung. Camilla nickte, als habe Keitha einen Punkt für sich gebucht, und fragte sie: »In welcher Form hattet ihr die Ehe geschlossen? Als Freipartner oder di catenas

»Wir waren di catenas verheiratet«, gestand Keitha. Magda erinnerte sich: Das war die bindendste Art der Heirat, bei der die catenas oder Ehe-Armbänder beiden Parteien um die Arme gelegt wurden. Eine solche Ehe war zivilrechtlich schwer aufzulösen.

»Dann wart ihr durch einen Eid aneinander gebunden«, stellte Camilla fest. »Was hältst du von dem Sprichwort, nach dem eine, die den ersten Eid gebrochen hat, auch den zweiten brechen wird?«

Keitha starrte Camilla rebellisch an. Ihre Lider waren gerötet, und aus einem Augenwinkel rann eine Träne, aber sie erklärte deutlich: »Ich halte es für Unsinn. Für dein Sprichwort biete ich dir ein anderes. Bricht einer den Eid, ist der andere nicht länger daran gebunden. Mein Mann schwor mir, als wir durch die catenas miteinander verbunden wurden, für mich zu sorgen und mich zu ehren, und doch habe ich von ihm nichts anderes erfahren als schlechte Behandlung und böse Reden und in letzter Zeit Schläge, dass ich um mein Leben fürchtete. Er hat seinen Eid viele Male gebrochen, bis ich mir sagte, dass er mich dadurch von meinem Eid entbunden hatte.« Sie schluckte schwer und wischte sich die Augen mit dem Handrücken, sah die Frauen jedoch herausfordernd an. Endlich nickte Camilla.

»Das erkenne ich an. Margali, sag uns, warum du eine Amazone werden wolltest.«

Magda war plötzlich dankbar dafür, dass sie als dritte befragt wurde. Natürlich war der Sinn der Prozedur, die Neuen in die Defensive zu drängen, damit sie sich über ihre Motive klar wurden. Sie sagte mit fester Stimme: »Ursprünglich wollte ich gar keine Amazone werden. Ich wurde gezwungen, den Eid abzulegen, weil man mich entdeckte, als ich in Amazonentracht die Rolle einer Entsagenden spielte.«

»Und warum bist du in Amazonentracht herumgelaufen?«, fragte Rafaella.

Magda sagte: »Ich wusste, dass kein Mann eine Freie Amazone belästigt. Ich wollte kein Ärgernis erregen und mich keinen Beleidigungen aussetzen, wenn ich allein reiste.«

»Dann sag uns doch«, forderte Rafaella sie auf, »ob du es für richtig hieltest, ohne eigene Leistung Vorteil aus einer Immunität zu ziehen, die sich andere Frauen mit ihren Messern und durch Jahre der Entsagung verdient haben?«

Obwohl Magda sich innerlich unter der Feindseligkeit in ihrer Stimme wand, antwortete sie ganz ruhig.

»Ich wusste zu wenig von eurem Leben, um mir Gedanken darüber zu machen, ob es richtig oder falsch war. Lady Rohana schlug mir vor, als Freie Amazone zu reisen, aber für das, was geschah, trage ich selbst die Verantwortung.«

»Und warum hast du später deinen Eid gehalten?«, fragte eine Magda unbekannte Frau. »Da du ihn unter falschen Voraussetzungen ablegtest, hättest du die Gildenmütter doch darum bitten können, von ihm befreit zu werden.«

Magda warf einen Blick zu Mutter Lauria hinüber, die, in einen schweren Schal und einen Mantel gewickelt, unbewegt auf der anderen Seite des Kreises saß. Sicher würde sie doch etwas sagen? Aber sie sah Magda nicht an. Magda holte Atem. Sie versuchte, ihre Antwort so zu formulieren, dass sie ihre Meinung ausdrückte, ohne zu enthüllen, was vorerst geheim bleiben musste. Wenn sie es sich auch nicht erklären konnte, sie hatte das Gefühl, auf diese Weise ihren beiden Welten am besten zu dienen und eine Brücke zwischen Terranern und Darkovanern zu bauen. Irgendwie musste sie sich von den Fesseln der Vorurteile befreien, die Frauen auf Darkover daran hinderten, etwas von Bedeutung auszurichten. Sie sagte: »Ich hielt es für falsch, einen Eid, den ich geschworen hatte, zu brechen. Und da ich keine anderweitigen Verpflichtungen hatte ...«

Das stimmte nicht ganz. Sie hatte sich dem Zivildienst eidlich verpflichtet. Aber auf diese Weise konnte sie als terranische Agentin Besseres leisten und außerdem der Welt dienen, die sie zu ihrer Welt erwählt hatte.

»Verpflichtungen!« Sofort stürzte sich eine der Frauen darauf. »Glaubst du, hier sei einfach ein Ort für faule Frauen, die nichts weiter zu tun haben? Wie kommst du auf den Gedanken, du habest uns als Entgelt für den Schutz des Gildenhauses und deiner Schwestern irgendetwas zu geben?«

»Ich bin mir nicht sicher.« Magda kämpfte darum, ruhig zu bleiben. »Aber vielleicht könnt ihr mir helfen, herauszufinden, was ich zu geben habe.«

Camilla sagte: »Das ist eine gute Antwort.« Doch ihre Stimme ging beinahe unter in Rafaellas scharfer Frage:

»Glaubst du, wir hätten nichts Besseres zu tun, als unwissende Frauen zu lehren, was sie sich vom Leben wünschen?«

Magda spürte Zorn in sich aufwallen und war froh darüber. Wenn sie wütend genug war, würde sie vielleicht nicht weinen. »Ja, das glaube ich, denn dann würdet ihr es tun, statt hier zu sitzen und uns zu ärgern!«

Ringsherum brachen alle in Gelächter und anerkennende Rufe aus. Ich hatte Recht, dachte Magda, sie wollen uns provozieren, vermutlich deshalb, weil darkovanische Frauen dazu erzogen werden, unterwürfig zu sein. Wir sollen denken, wir sollen unsere Motive in Frage stellen, sie verteidigen. Das Einzige, was sie nicht wollen, ist, dass wir demütig hinnehmen, was uns befohlen wird.

Mutter Lauria sagte: »Keitha hat Schmuck mitgebracht und wollte ihn dem Haus schenken. Weißt du, warum er zurückgewiesen wurde, Keitha?«

»Nein, das weiß ich nicht«, antwortete die hellhaarige Frau. Sie rückte unruhig hin und her. Magda fragte sich, ob die schrecklichen Wunden auf ihrem Rücken noch offen seien. »Ich könnte es verstehen, wenn mir der Schmuck von meinem Mann geschenkt worden wäre. Aber er war Teil meiner Mitgift, und ich habe ihn von meiner Mutter bekommen. Warum steht es mir nicht frei, ihn euch zu geben? Soll ich ihn meinem Mann überlassen? Und ich habe ...« – ihre Stimme schwankte, obwohl sie sich mühte, ihr Festigkeit zu geben – »... keine Tochter ... mehr, der ich ihn vererben könnte.«

Mutter Lauria erwiderte: »Erstens, weil keine Frau sich einen Platz hier kaufen kann. Ich bin überzeugt, dass du daran nicht gedacht hast, aber wenn wir Geschenke annehmen, könnte eines Tages ein Unterschied gemacht werden zwischen den wenigen Frauen, die zahlen können, und den vielen, die nichts mitbringen. Früh in unserer Geschichte baten wir die Frauen, eine Mitgift mitzubringen, wenn sie dazu im Stande seien, und wir wurden beschuldigt, reiche Frauen ihrer Mitgift wegen an uns zu locken. Außerdem ist keine von uns vollkommen; wenn wir solche Geschenke zuließen, könnten wir uns verführen lassen, aus Habgier solche Frauen aufzunehmen, die untauglich für das Leben sind. Deshalb ist unsere erste Regel: Keine Frau darf irgendetwas mitbringen, wenn sie hier eintritt, ausgenommen die Kleider, die sie trägt, das Geschick ihrer Hände und die Ausstattung ihres Geistes und ihrer Seele.«

Lächelnd setzte sie hinzu: »Das und ein noch kostbareres Geschenk, ihr unbekanntes Ich, jenen Teil von sich selbst, den zu benutzen sie nie gelernt hat ...«

Sie sprach weiter, doch Magda hörte nicht mehr zu. Ihr war, als habe eine Stimme in ihrem Kopf geflüstert:

Schwestern, reichen wir uns die Hände, und treten wir gemeinsam vor die Göttin ...

Plötzlich tauchte vor Magdas Augen eine Vision auf, so deutlich, als seien die Frauen, die auf den Matten des Waffensaals im Kreis saßen, verschwunden. Die Vision hatte die Gestalt einer Frau, war jedoch größer als Menschenmaß. Gekleidet war sie in die grauen und sternenbesetzten Gewänder der Nacht, Edelsteine funkelten in ihrem dunklen Haar, und ihr Gesicht schien mit göttlichem Mitgefühl liebevoll auf Magda niederzublicken. Meine Töchter, was sucht ihr ...

Verwirrt fragte Magda sich: Ist das ein neuer Test, den sie für uns arrangiert haben? Aber von der anderen Seite des Kreises her hörte sie immer noch Mutter Lauria zu Byrna sprechen: »Wir entschuldigen dich, wenn du müde bist, Kind«, und Byrna verlagerte voller Unbehagen ihr Gewicht und antwortete: »Ach nein, bitte – für mich ist das die einzige Gelegenheit, mit euch allen zusammen zu sein!«

Magda konnte die schimmernde Gestalt immer noch schwach sehen – aber sah sie sie nur im Geist, oder war sie real und stand innerhalb des Kreises vor ihr? Sie blinzelte, und die Erscheinung war verschwunden. War sie überhaupt da gewesen? Magda fragte sich, ob sie den Verstand verliere. Als Nächstes, dachte sie ironisch, höre ich noch Stimmen, die mir sagen, ich sei der neue Messias der Frauen!

Offenbar war Rafaella aufgefordert worden, die nächste Fragerunde zu leiten. Magda erschrak. Rafaella war pausenlos unfreundlich zu ihr gewesen. Sie hörte nur noch die Hälfte der letzten Frage: »... euch lehren, Frauen und unabhängig statt nichts als der Besitz eines Mannes zu sein?«

Keitha tastete sich vor: »Vielleicht indem wir wie die Kadetten in der Burggarde darin unterwiesen werden, Waffen zu tragen, uns selbst zu schützen? Auf die Weise erzieht man Jungen zu Männern ...«

Ihr ängstlicher Blick verriet, dass sie auf eine scharfe Ablehnung gefasst war. Rafaella entgegnete jedoch nur milde: »Aber wir wollen, dass ihr Frauen seid, Keitha, keine Männer. Warum sollten wir euch dann ausbilden, wie Jungen ausgebildet werden?«

»Weil – weil Männer selbstsicherer sind. Frauen sind unterwürfig, weil sie all das nicht gelernt haben ...«

»Nein«, sagte Rafaella. »Obwohl alle Amazonen lernen müssen, sich selbst zu verteidigen, wenn sie angegriffen werden, gibt es Frauen unter uns, die nie ein Schwert in der Hand gehalten haben – Marisela zum Beispiel. Doria, was meinst du?«

Doria schlug vor: »Vielleicht – indem wir einen Beruf erlernen und uns den Lebensunterhalt selbst verdienen, damit wir nicht davon abhängig sind, dass ein Mann uns mit Nahrung und Kleidung versorgt?«

»Dazu brauchst du keine Amazone zu sein«, widersprach eine Frau, die, wie Magda gehört hatte, Constanza genannt wurde. »Ich verkaufe Käse auf dem Markt, wenn wir mehr herstellen, als wir essen können, und dort sehe ich viele Frauen, die sich den Lebensunterhalt selbst verdienen. Sie arbeiten als Zofen oder Dienerinnen oder waschen oder machen Lederarbeiten. Manche tun es, weil sie einen Tunichtgut oder einen Trunkenbold zum Mann haben und allein kleine Kinder durchbringen müssen, und ich kenne eine Frau, die Holzschüsseln schnitzt, weil ihr Mann auf einem Ritt im Gebirge ein Bein verloren hat. Und doch ordnet sie sich ihm, der in seinem Rollstuhl hinten in ihrer Bude sitzt, in allem unter. Das allein ist nicht die Antwort.«

Rafaella fragte: »Margali, was meinst du?«

Magda zögerte. Sie war überzeugt, dass sie sagen konnte, was sie wollte, es würde nicht als richtige Antwort anerkannt werden. Dieser Teil der Schulungssitzung diente dazu, die Neuen zu verunsichern, ihre früh erworbenen, dummen Vorurteile zu zerstören. Sie sah im Kreis herum, als könne sie eine Antwort auf einem der Gesichter geschrieben finden. Zwei Mädchen hatten eine Decke um sich beide gewickelt und hielten sich an den Händen. Vor Magdas Augen wandte sich die eine der anderen zu, und sie tauschten einen langen Kuss. Noch nie hatte sie gesehen, dass Frauen sich in der Öffentlichkeit ihre Liebe bewiesen, und es schockierte sie.

Rafaella wartete immer noch auf ihre Antwort. »Ich weiß es nicht«, gestand Magda. »Vielleicht wirst du es uns sagen.«

»Wir fragen nicht danach, was ihr wisst, sondern was ihr meint«, erklärte Rafaella bissig.

So gedrängt, versuchte Magda, ihre unklaren Gedanken in Worte zu fassen.

»Vielleicht – indem ihr uns abgewöhnt, uns wie Frauen zu kleiden, wie Frauen zu sprechen – denn das alles beeinflusst die Art, wie wir denken. Die Worte, die wir benutzen, die Art, wie wir gehen und reden und uns anziehen ...« – sie wusste nicht recht, wie sie es ausdrücken sollte – »... weil wir dazu erzogen worden sind, uns auf eine bestimmte Art zu benehmen, und ihr uns eine andere – bessere – Art lehren wollt ...«

War sie auf dem falschen Weg? Sie erinnerte sich an Jaelles Schwäche für schöne Kleider und ihre Sprache, die, wenn sie mit Dom Gabriel oder Lady Rohana gesprochen hatte, ebenso sittsam gewesen war wie die der Lady.

»In einer Beziehung hast du vollkommen Recht«, sagte Camilla, »und in anderer Beziehung vollkommen Unrecht. Ja, ihr alle werdet lernen, euch selbst zu schützen, auch mit Gewalt, wenn es mit vernünftigen Argumenten oder gutem Zureden nicht möglich ist, aber das allein macht euch nicht den Männern gleich. Der Tag wird kommen, wo Kleinigkeiten nicht mehr mit dem Schwert, sondern mit dem gesunden Menschenverstand entschieden werden. Im Augenblick akzeptieren wir die Welt, wie die Männer sie gemacht haben, weil keine andere zur Hand ist. Aber unser Ziel ist nicht, Frauen so aggressiv wie Männer zu machen, sondern zu überleben – nur zu überleben –, bis eine bessere Zeit anbricht. Ja, ihr alle werdet lernen, euch den Lebensunterhalt selbst zu verdienen, aber man ist noch längst nicht frei von Abhängigkeit, wenn man finanziell von einem Ehemann unabhängig ist. Auch eine reiche Frau, die einen armen Mann heiratet, so dass sie von ihrer Großmut leben, hält sich, dem Brauch folgend, für verpflichtet, ihm zu dienen und zu gehorchen. Ja, ihr werdet lernen, dass ihr Frauenkleidung tragen könnt, wenn ihr es wollt, nicht, weil ihr es müsst, und zu reden, wie es euch gefällt, nicht Worte und Gedanken aus Angst, man könne euch für unmanierlich oder unweiblich halten, in Fesseln zu schlagen. Aber nichts davon ist das Wichtigste. Mutter Lauria, willst du ihnen sagen, was das Wichtigste ist, das sie lernen werden?«

Mutter Lauria beugte sich ein bisschen vor, um ihren Worten Nachdruck zu verleihen.

»Nichts, was ihr lernen werdet, ist von der geringsten Bedeutung, außer dem einen: Ihr werdet lernen, auf neue Art von euch und von anderen Frauen zu denken.«

Der Unterschied liegt in der Art, wie ihr über euch und über andere Frauen denkt ... Die Gildenmutter hat Recht, dachte Magda nüchtern. So, wie sie erzogen worden war, hielt sie es für selbstverständlich, dass sie sich den Lebensunterhalt selbst verdiente, die Akademie des Nachrichtendienstes auf Alpha besucht und dort gelernt hatte, sich im bewaffneten und im unbewaffneten Kampf zu verteidigen. Und in der Terranischen Zone gab es keine besonderen Beschränkungen, was Kleidung oder Sprache betraf.

Und doch bin ich ebenso eine Sklavin des Brauchs und der Konvention wie ein Dorfmädchen aus den Kilghardbergen ... War es Lady Rohana, die einmal sagte, manche Frauen hielten sich für frei und beschwerten sich doch mit unsichtbaren Ketten?

Auch Männer leiden unter den Ketten des Brauchs und der Konvention. Vielleicht ist die Frau, die es am nötigsten hat, befreit zu werden, die in jedem Mann versteckte Frau ... Magda wusste nicht, woher der Gedanke gekommen war. Es war nicht ihr eigener. Ihr war, als habe ihn jemand hier im Raum laut ausgesprochen. Und doch sprach niemand außer Mutter Lauria. Aber was sie sagte, rauschte an Magda vorüber. Magda blinzelte und erwartete, wieder die Gestalt der Frau in Grau und Silber zu sehen, das göttliche Mitgefühl in ihren Augen ... Nein, da war keine Spur von ihr, vor ihren Augen war nichts als Gräue, in der fremde Gesichter schwammen, Männer und Frauen, und vor ihr schimmerte in der grauen Öde ein hoher weißer Turm ...

Eine Stimme – ob die eines Mannes oder einer Frau, konnte Magda nicht unterscheiden – rief: »Hier ist ein Eindringling, jemand hat sich hierher verirrt, vielleicht in einem Traum! Schließt eure Barrieren!«

Und plötzlich war die Gräue verschwunden, und Camilla fuhr sie an: »Margali, bist du hier mitten unter uns eingeschlafen? Ich habe dir eine Frage gestellt!«

Magda hatte völlig die Orientierung verloren. Sie sagte: »Ich bitte um Entschuldigung, meine Gedanken sind – abgeirrt.« Genau so war es gewesen, dachte sie, aber wohin waren sie abgeirrt? »Es tut mir Leid, ich habe nicht gehört, was du mich gefragt hast, Eidesschwester.«

»Was hältst du für den wichtigsten Unterschied zwischen Männern und Frauen?«

Magda wusste nicht, ob Keitha oder Doria die Frage schon beantwortet hatten; sie hatte keine Ahnung, wie lange ihr Geist in dem grauen Ödland dahingetrieben war. Die Gesichter, die sie dort gesehen hatte, das Bild der Frau, die eine Gedankenform der Göttin Avarra sein musste, füllten immer noch ihr Gehirn.

Sich bemühend, die zerstreuten Gedanken zu sammeln, sagte sie: »Ich glaube, nur der weibliche Körper macht den Unterschied aus.« Das war die aufgeklärte terranische Antwort, und Magda war überzeugt, dass es die richtige war. Der einzige Unterschied war der physische. »Frauen sind der Schwangerschaft und der Menstruation unterworfen, sie sind im Allgemeinen etwas kleiner und leichter, sie leiden nicht so sehr unter Kälte, ihr ...« Sie hielt inne, weil sie bezweifelte, dass die anderen es verstehen würden, wenn sie sagte, der Schwerpunkt ihrer Körper liege tiefer. »Ihre Körper sind anders, und das ist der Hauptunterschied.«

»Blödsinn«, sagte Camilla barsch. Sie wies auf ihren dürren, geschlechtslosen Körper, dessen Arme muskelbepackt wie bei einem Mann waren. Camilla war eine emmasca, eine Frau, die durch eine Operation zum Neutrum gemacht worden war. »Und was bin ich dann, ein Banshee?«

Vor dem zornigen Blick in den Augen der Älteren sagte Magda bescheiden: »Ich weiß es nicht. Ich dachte – mir ist gesagt worden –, ein Neutrum, eine emmasca, habe sich dazu machen lassen, weil sie sich weigerte, an sich selbst als eine Frau zu denken.«

Camilla fasste Magdas Hand und drückte sie leicht. Ihre Stimme war immer noch streng und ermahnend, aber sie lächelte Magda heimlich zu, als sie sagte: »Nun, das ist wahr; bei mir fing es so an, dass ich mich weigerte, mich als Frau zu akzeptieren. Weiblichkeit war mir so abscheulich, so hassenswert gemacht worden, dass ich mich lieber verstümmeln lassen als eine Frau sein wollte. Eines Tages wirst du vielleicht erfahren, warum. Es ist jetzt nicht wichtig. Wichtig ist, dass ich hier, im Gildenhaus gelernt habe, von mir als einer Frau zu denken und stolz darauf zu sein – mich an meiner Weiblichkeit zu freuen, obwohl in diesem meinem Emmasca-Körper wenig an Weiblichem übrig geblieben ist.«

Sie hielt immer noch Magdas Hand. Verlegen entzog Magda sie ihr.

Camilla wandte sich Doria zu und fragte: »Was hältst du für den Unterschied zwischen Mann und Frau?«

Doria, fest entschlossen, sich nicht wieder ins Bockshorn jagen zu lassen, erklärte herausfordernd: »Ich sage, es gibt überhaupt keinen Unterschied.«

Diese Antwort rief einen Sturm an Geschrei und Gelächter hervor, dazu ein paar obszöne Bemerkungen, von denen so ungefähr die höflichste lautete: »Wann hast du dein erstes Kind gezeugt, Doria?«

»Gerade eben habt ihr behauptet, der körperliche Unterschied sei unwichtig«, protestierte Doria. »Camilla hat Margali in Stücke gerissen, weil Margali behauptete, der Unterschied sei körperlicher Natur, und wenn das nicht so ist ...«

»Weder ich noch Camilla haben gesagt, der körperliche Unterschied sei unwichtig«, fiel Mutter Lauria ein, »und es müsste jemand schon viel dümmer sein als du, um zu glauben, dass es keinen Unterschied gibt. Er ist da, und er ist nicht unbedeutend. Keitha, hast du eine Idee?«

Keitha sagte langsam: »Der Unterschied könnte ja darin liegen, wie sie denken. Wie sie – und wir – zu denken gelehrt werden. Männer denken von Frauen als Eigentum, und Frauen denken ...« Sie runzelte die Stirn und stieß hervor, als habe sie gerade etwas entdeckt: »Ich weiß nicht, was Frauen denken. Ich weiß nicht einmal, was ich denke.«

Mutter Lauria lächelte. »Du bist der Lösung sehr nahe gekommen. Vielleicht ist der wichtigste Unterschied zwischen Männern und Frauen die Art, wie die Gesellschaft über sie denkt, die unterschiedlichen Dinge, die von ihnen erwartet werden. Aber eine umfassende Antwort gibt es nicht. Du und Margali und auch Doria, ihr habt jeder einen Teil der Wahrheit vorgetragen.« Steif stellte sie sich auf die Füße. »Ich glaube, für heute Abend ist es genug. Und die Glocke in der Halle hat schon verkündet, dass die Schwesternschaft fertig ist. Ich habe den Mädchen in der Küche gesagt, sie sollen uns Kekse und etwas zu trinken bringen. Aber dafür wollen wir ins Musikzimmer gehen – es wird hier tatsächlich ein bisschen frisch.«

Ein bisschen frisch – Magda sah darin ein Meisterstück an Untertreibung. Ihre Finger waren blau gefroren, und die Kälte des Steinbodens war trotz der dicken Matte durch ihre Beine und Hinterbacken gekrochen. Die Decke fest um sich schlingend, erhob sie sich und ging den anderen nach.

Sie hatte Hunger nach dem Abendessen, das sie nicht hinunterbekommen hatte. Die Kekse waren knusprig und lecker und mit Nüssen und getrockneten Früchten verziert. Magda aß mehrere und trank einen großen Krug von dem heißen gewürzten Apfelwein leer, der für die Frauen gebracht worden war, die keinen Wein mochten. Ihr Kopf war noch voll von der Diskussion. Natürlich war das eine ganz einfache Therapie, die die Menschen zwang zu denken, zu protestieren, alte gedankliche Gewohnheiten aufzubrechen. Doch sie hoffte sehr, nicht alle Sitzungen würden so sein. Sie fühlte sich außerordentlich unbehaglich; ihre Gedanken kreisten immer noch um die gestellten Fragen und die vielen Antworten, die sie hervorgerufen hatten. Warum hatte sie sich entschlossen, eine Amazone zu werden? Was ist der Unterschied zwischen Männern und Frauen? Wieder und wieder formulierte sie im Geist Antworten neu, die sie hatte geben können, und das, vermutete sie, war der Grund für die Diskussion. Sie hörte eine der Frauen zu einer anderen sagen: »Es ist eine intelligente Gruppe«, worauf die zweite skeptisch zurückgab: »Da bin ich mir nicht so sicher.«

»Oh, sie werden lernen«, meinte die Erste. »Das haben wir alle getan.«

Magda ging zu Doria, deren Augen immer noch rot waren. Das Mädchen fragte »Ich habe mich lächerlich gemacht, nicht wahr?«

»Das war ja ihre Absicht«, antwortete Magda leichthin. »Kopf hoch, deine Antworten waren nicht dümmer als die meinen.«

»Aber ich bin hier aufgewachsen, ich hätte es besser wissen müssen.« Doria drohte von neuem in Tränen auszubrechen. Eins der jüngeren Mädchen – Magda erkannte sie als eine von Dorias Zimmergefährtinnen – kam, nahm Doria in die Arme, sprach tröstend auf sie ein und führte sie weg. Magda hob den Blick und sah, dass Keitha sie mit etwas ironischem Lächeln betrachtete.

»Feuerprobe«, murmelte Keitha. »Glaubst du, wir haben sie überlebt, Mitopfer?«

Magda lachte. »Das glaube ich schon, denn es war ja ihr einziges Ziel, uns in die Verteidigung zu drängen. Wahrscheinlich wird es schlimmer werden, bevor es besser wird.«

»Ob alle Sitzungen so verlaufen?«, fragte Keitha laut, und eine Frau, die heute Abend nicht dabei gewesen war – sie war Magda als Marisela, die Hebamme und Heilerin des Hauses, vorgestellt worden – trat näher und lächelte ihnen beiden zu. »Nein, natürlich nicht«, sagte sie. »Die nächste Sitzung werde ich leiten. Dann weihe ich euch in alle weiblichen Mysterien ein, denn einige von euch mögen Mütter gehabt haben, die zu scheu waren, darüber mit ihren Töchtern zu sprechen.«

»Wenigstens darin werde ich nicht so vollkommen unwissend sein«, erwiderte Keitha. »Ich habe auf dem Gut meines Mannes den Wöchnerinnen beigestanden, und es hieß, ich hätte einiges Geschick zur Hebamme.«

»Oh, wirklich?«, fragte Marisela interessiert. Sie war eine hübsche Frau und trug nicht die Stiefel und Hosen einer Amazone, sondern normale Frauenkleidung, einen karierten Rock und einen Schal über einer weitärmligen Jacke mit Leibchen. »Dann wird nicht mehr die Rede davon sein, dich in einem Beruf auszubilden. Vielleicht schickt man dich ins Gildenhaus von Arilinn, sobald dein halbes Jahr vorüber ist, damit du die Hebammenkunst und einige der besonderen Fähigkeiten lernst, die die Frauen in den Türmen an uns weitergegeben haben. Wenn du auch nur eine Spur von Laran haben solltest, wäre das sehr nützlich. Was ist mit dir, Margali? Hast du irgendwelche Kenntnisse als Heilerin oder Hebamme?«

»Keine«, gestand Magda. »Ich kann auf Reisen eine Aderpresse anlegen und eine Schnitt- oder Kratzwunde verbinden, sonst aber nichts.« Marisela zog Keitha mit sich fort, und die beiden setzten sich hin, um miteinander zu reden. Magda jedoch dachte über das Wort Laran nach, das Marisela benutzt hatte. Es war der darkovanische Ausdruck für umfassende Telepathie, Clairvoyance und alle psychischen Künste. Rohana hatte Magda während des auf Ardais verbrachten Winters getestet und ihr erzählt, auch sie sei auf diesem Gebiet ein wenig begabt.

Hatte sie auf diese Weise die merkwürdigen Visionen empfangen? Hatte sie sich mit dem Laran, das sie nicht wirklich verstand und nicht kontrollieren konnte, ohne Absicht in das Treffen der Schwesternschaft eingeschlichen? Für einen Augenblick hatte sie den Eindruck, sie sehe den grauen Mantel Avarras um die schlanken Schultern Mariselas liegen ... Sie zwang ihre Gedanken in die Wirklichkeit des Musikzimmers zurück und sah sich die Instrumente an. Einige waren ihr vertraut; ihre Mutter, deren Leben dem Studium darkovanischer Volksmusik gewidmet gewesen war, hatte mehrere davon gespielt. Magda erkannte ein paar rryls, sowohl kleine, die man in der Hand hielt, als auch eine große, die man stehend spielte; sie waren in etwa mit Harfen zu vergleichen. Andere Instrumente hätte sie als Lauten, Hackbretter und Gitarren klassifiziert. Es waren keine Zungen- oder Blechinstrumente zu sehen. Einige waren so fremdartig, dass sie sich nicht vorstellen konnte, wie sie gespielt wurden.

»Spielst du ein Instrument, Margali?«, fragte Rafaella beinahe freundlich.

»Leider nein, ich habe die musikalische Begabung meiner Mutter nicht geerbt. Ich höre gern zu, aber ich habe kein Talent.«

Das Paar, das sich im Waffensaal unter seiner Decke umarmt hatte, saß jetzt aneinander geschmiegt in einer Ecke. Das größere Mädchen lehnte sich an die Schulter seiner Freundin, und die Hand der anderen berührte gerade eben ihre Brust. Magda wandte verlegen die Augen ab. Das taten sie vor allen Leuten? Nun ja, es war schließlich ihr Zuhause, und sie waren jung, nicht älter als sechzehn. Von jungen Leuten ausgetauschte harmlose Liebkosungen – wenn es sich dabei um einen Jungen und ein Mädchen anstatt um zwei Mädchen gehandelt hätte – würden in der Terranischen Zone keine einzige Augenbraue veranlasst haben, sich zu heben. Plötzlich fühlte Magda sich sehr einsam und wünschte, sie wäre dort.

Ob es Jaelle ebenso ging? Alles, was mir hier so fremd vorkommt, dachte Magda, ist ihr lieb und vertraut.

»Hast du Heimweh, Margali?«, fragte Camilla hinter ihr und legte einen Arm um Magdas Taille.

»Vielleicht ein bisschen«, gab Magda zu.

»Sei nicht böse auf mich, weil ich so grob mit dir gesprochen habe, Eidesschwester. Es gehört mit zur Ausbildung, um euch zum Denken zu veranlassen.« Sie folgte Magdas Blick zu den Mädchen, die sich in der Ecke umarmten.

»Der Göttin sei dafür gedankt! Janetta war so schwermütig, seit Gwennis abreiste, dass ich schon fürchtete, sie werde sich aus dem Fenster stürzen. Jetzt scheint sie sich getröstet zu haben.«

Magda wusste nicht, was sie sagen sollte. Glücklicherweise fasste Doria sie am Ellenbogen, bevor sie hätte antworten müssen.

»Komm und hilf mir, die Becher in die Küche zurückzutragen, Margali, und die übrigen Kekse wegzustellen. Irmelin schmollt, weil wir sie nicht alle aufgegessen haben – möchtest du noch einen?«

Magda lachte und nahm sich einen der knusprigen Kekse. Sie half Doria und Keitha, die Teller und Becher einzusammeln, wischte die Krumen vom Tisch und warf sie ins Feuer. Rafaella ließ die Hände über die große rryl gleiten, und Byrna rief. »Sing für uns, Rafi! Wir haben lange Zeit keine Musik mehr gehabt!«

»Nicht heute Abend«, lehnte Rafaella ab. »Ich bin heiser, nachdem ich all diese Kekse gegessen habe. Ein anderes Mal gern, und außerdem ist es schon spät, und ich muss morgen arbeiten.« Sie deckte die Harfe zu und verließ den Raum. Doria und Magda brachten den Rest der Becher in die Küche. Dann stiegen sie die Treppe hinauf. Vor ihnen gingen Janetta und ihre Freundin, sich immer noch umschlungen haltend. Sie waren so versunken, dass sie auf den Stufen stolperten und sich aneinander festhalten mussten. Byrna, die hinter Magda kam, seufzte und sah ihnen nach, wie sie, die Arme der einen um die Schultern der anderen gelegt, in ihrem Zimmer verschwanden.

»Hei-ho, da sind zwei, die heute Nacht nicht allein schlafen werden«, sagte sie, als sich die Tür hinter ihnen schloss. »Beinahe beneide ich sie.« Mit einem weiteren tiefen Seufzer faltete sie die Hände über ihrem Bauch. »Wie dumm bin ich gewesen – was täte ich jetzt mit einem Liebhaber, wenn ich einen hätte? Ich habe das so satt ...«

In einem ungeschickten Versuch, sie zu trösten, umarmte Magda sie. »Aber du bist nicht wirklich allein, du hast dein Baby ...«

»Ich bin nur so müde, ich möchte, dass es vorbei ist.« Byrnas Stimme brach in einem Schluchzen. »Ich schaffe es nicht mehr viel länger, das da herumzuschleppen ...«

»Nun, nun, nicht weinen – es wird nicht mehr lange dauern.« Magda klopfte ihr sacht die Schulter. Sie begleitete die schluchzende Frau in ihr Zimmer, zog ihr die Schuhe aus – Byrna war schon so dick in der Taille, dass sie ihre Füße nicht mehr erreichte – half ihr in ihr Nachthemd und steckte sie ins Bett. Sie küsste sie auf die Stirn, wusste aber nicht, was sie sagen sollte. Schließlich meinte sie: »Es kann nicht gut für dein Kind sein, wenn du so weinst. Denke daran, wie gut du dich fühlen wirst, wenn alles vorbei ist.« Sie blickte hoch und sah Marisela auf der Türschwelle stehen.

»Wie geht es dir, Byrna? Noch keine Anzeichen?«, erkundigte sie sich. Magda kam sich überflüssig vor und ging. Einige der Frauen standen noch im Flur zusammen. Sie sagten sich gute Nacht und suchten ihre Zimmer auf. Nur Camilla blieb zurück.

»Fühlst du dich einsam, Eidesschwester?«, fragte sie mit freundlicher, leiser Stimme. »Möchtest du heute Nacht mein Bett teilen?«

Magda stand ganz steif vor Schreck da. Zuerst konnte sie gar nicht glauben, was sie da gehört hatte. Es kostete sie Überwindung, sich nicht von Camillas Hand loszureißen. Dann ermahnte sie sich, sie befinde sich an einem fremden Ort, und ihre Pflicht sei es, die Sitten der anderen zu akzeptieren, nicht umgekehrt. Camilla hatte sie bestimmt nicht beleidigen wollen. Magda versuchte, mit einem Lachen darüber hinwegzugehen.

»Nein, ich danke dir, ich glaube nicht.« Mir sind schon verrückte Anträge gemacht worden, aber der hier ... Camillas Berührung war nicht unangenehm, aber Magda wünschte, sie könne sich davon befreien, ohne die andere Frau zu betrüben oder unfreundlich zu wirken.

Camilla flüsterte: »Nein? Ich bin zu Hause noch nicht willkommen geheißen worden, Eidesschwester ...« Ihre Fingerspitzen berührten Magda nur leicht, doch Magda war sich dessen sehr bewusst, und es setzte sie in Verlegenheit. Sie merkte, dass sich einige der Frauen, die sich noch im Flur befanden, nach ihnen umsahen, aber sie fürchtete nichts so sehr, wie Camilla zu kränken, die nach ihren eigenen Moralbegriffen nichts Anstößiges getan hatte. Sanft machte sie sich von ihr los und murmelte kaum hörbar: »Ich bin keine Liebhaberin von Frauen, Camilla. Aber ich danke dir, und ich freue mich, deine Freundin zu sein.«

Die andere Frau lachte gutmütig. »Ist das alles?« Lächelnd gab sie Magda frei. »Ich dachte, du könnest dich einsam fühlen, das ist alles, und wir sind Eidesschwestern, und jetzt, wo Jaelle fern von uns ist, hast du hier im Haus niemanden, der dir nahe steht.« Sie beugte sich vor und gab Magda einen behutsamen Kuss. »Wir sind alle einsam und unglücklich, wenn wir herkommen, so froh wir sein mögen, nicht mehr da zu sein, wo wir vorher waren. Es geht vorüber, breda.« Sie benutzte die intime Form, die dem Wort die Bedeutung Liebling oder Geliebte gab, und das war Magda peinlicher als der Kuss. »Gute Nacht, schlaf gut, mein Liebes.«

Allein in ihrem eigenen Bett, dachte Magda über den Abend nach. Ihr Verstand sagte ihr, dass das Stellen von Fragen, die nicht beantwortet worden waren und nicht beantwortet werden konnten, das absichtliche Erregen von Emotionen, über die man sich vorher nie ganz klar geworden war, seinen Zoll forderte. Es gelang ihr nicht einzuschlafen. Immer wieder ging sie die Fragen und die vielen Antworten durch. Dorias Tränen, die beiden sich umarmenden jungen Mädchen, Byrnas Ausbruch, Camillas Kuss auf ihren Lippen – alles vereinigte sich zu einem fieberartigen Wirbel. Was tat sie hier unter all diesen Frauen? Sie war eine freie Frau, eine Terranerin, eine ausgebildete Agentin, sie brauchte sich nicht mit diesen Fragen herumzuschlagen, die für die von der barbarischen Gesellschaft Darkovers versklavten Frauen so wichtig waren.

Unsichtbare Ketten ... flüsterte eine Stimme in ihren Gedanken. Wo war Jaelle jetzt? Sie lag in der Terranischen Zone in Peters Armen. Mutter Lauria hatte sie gefragt, ob es sie hart ankommen würde, ohne Liebhaber zu leben. Nein, das war es nicht, was sie wollte ...

Und dann entstand ganz plötzlich wieder das Bild der Göttin Avarra vor ihren Augen, das Gesicht voller Mitgefühl, die Hände ausgestreckt, als wolle sie die Magdas ergreifen. Durch all die unbeantworteten Fragen und den Aufruhr in ihrem Herzen empfand Magda mit einem Mal einen tiefen Frieden.

Sie schlief ein, immer noch grübelnd: Was ist der Unterschied zwischen Mann und Frau? Was macht eine Comhi’Letzii aus? Im Traum erkannte sie die Antwort, aber als sie aufwachte, hatte sie sie wieder vergessen.

Gildenhaus Thendara

Подняться наверх