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Magda

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Die Tür des Gildenhauses von Thendara fiel hinter ihr ins Schloss. Eine seltsame, verzweifelte Eingebung ließ Magda denken: Ich darf nicht zurückblicken. Was ich auch gewesen sein mag, ich muss es für immer hinter mir lassen und die Augen allein nach vorn richten ...

Sie stand in einer großen Halle, die mit dunklem Holz getäfelt war. Vorhänge erweckten den Eindruck von Raum und Luft und Licht. Das stupsnasige junge Mädchen, das ihr die Tür geöffnet hatte, führte sie durch die Halle und sagte: »Die Gildenmutter Lauria erwartet dich.« Sie musterte Magda neugierig, schob sie jedoch nur durch eine andere Tür, wo die Gildenmutter Lauria n’ha Andrea, Vorsitzende der unabhängigen Gilde der Handwerkerinnen Thendaras und eine der mächtigsten Frauen der Stadt, sie erwartete. Lauria war eine große, kräftige Frau. Ihr graues Haar war rings um den Kopf kurz geschoren. In einem Ohr trug sie einen Ohrring mit einem eingravierten Zeichen und einem roten Stein. Sie erhob sich und streckte Magda die Hand entgegen.

»Willkommen, mein Kind. Man wird dir gesagt haben, dass hier für das nächste halbe Jahr, bis zwei Monde nach dem Mittsommertag, dein einziges Heim sein wird. Während dieser Zeit wirst du in unseren Sitten unterwiesen werden. In Haus und Garten darfst du dich frei bewegen, aber du darfst nicht über die Ummauerung hinaus und nicht auf die Straße gehen, ausgenommen beim Mittsommerfest, wenn alle Vorschriften aufgehoben sind, oder auf den direkten Befehl deiner Eidesmutter oder einer der Gildenmütter hin.« Sie lächelte Magda an. »Du hast uns bewiesen, dass du bereit bist, unsern Eid zu ehren, auch wenn du ihn unfreiwillig abgelegt hast. Jetzt wirst du mir versprechen, dich nach dieser Regel zu richten, nicht wahr? Du bist eine erwachsene Frau, kein Kind.«

»Ich werde gehorchen«, antwortete Magda, aber sie hielt es für eine trostlose Aussicht, ein halbes Jahr lang, den ganzen langen, bitteren darkovanischen Winter hindurch, eidlich verpflichtet zu sein, nicht nach draußen zu gehen. Nun, sie hatte es so gewollt; warum sollte sie sich beklagen, weil sie bekam, was sie gewollt hatte?

»Das gilt natürlich nur in den Grenzen des gesunden Menschenverstandes«, fuhr Mutter Lauria fort. »Sollte das Haus in Brand geraten oder irgendeine andere Katastrophe eintreten, was die Götter verhüten mögen, handele nach eigenem Ermessen. Du bist nicht verpflichtet, dein eigenes Denken dem Gehorsam aufzuopfern. Aber draußen würdest du täglich mit Frauen Zusammentreffen, deren Verhalten nicht zu imitieren du lernen musst. Verstehst du das?«

»Ich glaube schon.« Man pflegte es Deprogrammierung zu nennen. Auf Darkover wurde von den Frauen ein so bestimmtes Rollenverhalten verlangt, dass es einer Gehirnwäsche gleichkam und ein Wunder zu nennen war, wenn eine es fertig brachte, zu rebellieren und sich den Entsagenden anzuschließen. Magda erinnerte sich an Jaelles Ausspruch: »Jede Entsagende hat ihre eigene Geschichte, und jede Geschichte ist eine Tragödie.« In einer so traditionellen Gesellschaft wie auf Darkover bedurfte es des Mutes der Verzweiflung, um sich loszureißen.

Ich habe gegen meine Heimatwelt und dann auch noch gegen meine Wahlheimatwelt rebelliert ... Sie verbannte diesen Gedanken als Selbstmitleid und konzentrierte ihre Aufmerksamkeit auf die ältere Frau, die sie zu einem Sessel winkte.

»Du bist sicher hungrig und müde? Aber du möchtest nicht gleich jetzt allen anderen im Speisesaal beim Abendbrot begegnen, stimmt’s? Das habe ich mir gedacht ...« Mutter Lauria berührte ein Glöckchen. Das stupsnasige Mädchen, das Magda eingelassen hatte, erschien im Eingang.

»Bringe mir und unserer neuen Schwester etwas zu essen aus dem Speisesaal«, sagte Mutter Lauria. Das kleine Mädchen ging wieder; sie konnte nicht älter als dreizehn sein. Mutter Lauria wies auf einen Sessel neben dem Kamin, in dem zu dieser Jahreszeit kein Feuer brannte. »Setz dich. Wir wollen uns eine Weile unterhalten; es gilt Entscheidungen zu treffen.«

An der hinteren Wand des Büros lehnte eine große Holztür mit Kupferbeschlägen. Es war daran wie mit einer Axt herumgehackt worden, und sie war teilweise verbrannt. Magda betrachtete das mitgenommene Relikt, und Mutter Lauria folgte ihrem Blick.

»Diese Tür befindet sich seit mehr als hundert Jahren hier«, berichtete sie. »Die Frau eines reichen Kaufmanns in Thendara floh zu uns, weil ihr Mann sie auf eine Weise, die man nicht wiederholen kann, misshandelt und schließlich von ihr verlangt hatte, auf dem Dachboden zu schlafen und ihn und seine neue Konkubine zu bedienen. Die Frau leistete bei uns den Eid, aber ihr Mann warb eine Armee von Söldnern an, und so waren wir gezwungen zu kämpfen. Er schwor, er werde dies Haus mit uns darin dem Erdboden gleichmachen. Rima – das war ihr Name – erbot sich, zu ihm zurückzukehren. Sie sagte, sie wolle nicht Ursache unseres Todes sein. Aber wir kämpften nicht für sie allein, sondern auch um das Recht, unabhängig von Männern zu leben. Die Schlacht dauerte drei Tage lang – die Spuren davon siehst du dort.«

Magda erschauerte. Die zerhackte, verbrannte Tür sah aus, als sei an einer Stelle eine Axt bis halbwegs zur Mitte vorgedrungen. »Und es gelang euch, sie zurückzuschlagen?«

»Wäre es uns nicht gelungen, würde keine von uns beiden jetzt hier stehen«, antwortete Lauria. »Die Götter mögen geben, dass wir uns eines Tages unserer Freiheit als eines Rechts erfreuen dürfen, das wir nicht mit dem Schwert zu verteidigen brauchen. Aber bis dieser Tag kommt, sind wir bereit dazu. Jetzt erzähle mir ein bisschen über dich. Dein Name ist ...« sie stolperte darüber. »Mak-ta-lin Lor-ran?« Sie verzog das Gesicht. »Wäre es dir recht, wenn wir den Namen Margali benutzen, mit dem Jaelle dich anredet?«

»Das ist wirklich mein Name«, erklärte Magda, »der Name, den mein Vater und meine Mutter mir gaben. Ich bin in Caer Donn geboren und außer in der Terranischen Zone hat mich nie jemand Magda genannt.«

»Also Margali. Wie ich höre, sprichst du die Sprache der Hellers und beherrschst Casta fließend. Kannst du Cahuenga ebenso gut?«

»Ich kann die Sprache sprechen«, antwortete Magda auf Cahuenga, »aber meine Aussprache ist nicht gut.«

»Sie ist nicht schlechter als die aller Neuankömmlinge in der Stadt. Jaelle hat mir erzählt, dass du lesen und schreiben kannst – heißt das, nur in Standard oder auch in Casta?«

»Ich kann Casta lesen und schreiben«, sagte Magda. »Denn mein Vater war Sprachwissenschaftler und ist Verfasser eines ...« Sie zögerte und suchte nach einer darkovanischen Möglichkeit, ein Wörterbuch zu erklären. »Eine Zusammenstellung eurer Sprache für Fremde und Ausländer. Und meine Mutter war Musiklehrerin und schrieb viele Volkslieder und Musikstücke der Hellers auf.«

Mutter Lauria schob Magda eine Feder und ein Stück Papier zu. »Schreib dies einmal ab.« Magda betrachtete die Schriftrolle und begann, die oberste Zeile zu kopieren. Dabei stellte sie fest, dass es ein Gedicht war, das ihre Mutter vertont hatte. Magda war an darkovanische Federn nicht gewöhnt. Sie waren nicht so glatt wie die, die sie für ihre eigene Arbeit benutzte. Als sie fertig war, nahm Mutter Lauria das Papier in die Hand.

»Eine unbeholfene und kindliche Handschrift«, stellte sie streng fest. »Nun, wenigstens bist du keine Analphabetin. Viele der Frauen, die zu uns kommen, können nichts weiter als ihren Namen schreiben. Du hast keine Begabung zur Schreiberin, aber ich habe schon Schlimmeres gesehen.«

Magda errötete bei diesem harten Urteil. Sie fühlte sich verletzt und gekränkt; in ihrem ganzen Leben hatte man sie noch nicht beschuldigt, unbeholfen zu sein.

»Dann wollen wir einmal sehen, was wir mit dir anfangen können. Eine Schreiberin bist du nicht. Kannst du nähen? Sticken?«

»Nein, nicht einmal ein bisschen.« Magda dachte an ihren Versuch, während ihres Aufenthalts auf Ardais ihre Reisekleidung zusammenzuflicken.

»Kannst du kochen?«

»Nur was man so unterwegs am Lagerfeuer kocht.«

»Kannst du weben oder färben?«

»Davon habe ich keine Ahnung.«

»Verstehst du etwas von Pflanzen und vom Gärtnern?«

»Noch weniger, fürchte ich.«

»Kannst du reiten?«

»O ja, gewiss!« Magda war froh, dass Mutter Lauria bei etwas angelangt war, das sie tatsächlich konnte.

»Kannst du dein Pferd selbst satteln, für sein Sattelzeug sorgen, dich um sein Futter und seine Pflege kümmern? Gut. Ich fürchte, wir werden dich zur Stallarbeit einteilen müssen«, sagte Mutter Lauria. »Macht es dir etwas aus?«

»Nein, natürlich nicht«, antwortete Magda. Doch von neuem musste sie Unwissenheit eingestehen, als die Frau sie fragte, ob sie etwas von den Krankheiten der Pferde und anderer Tiere, von Metall- und Schmiedearbeiten, von der Milchwirtschaft, dem Käsemachen, der Viehzucht und der Schuhmacherei verstehe. Jedes Mal musste Magda mit Nein antworten. Ein bisschen wie Anerkennung stahl sich in Mutter Laurias Blick, als Magda sagte, sie sei sowohl im bewaffneten als auch im unbewaffneten Kampf ausgebildet. Trotzdem meinte sie nachdenklich: »Du hast eine Menge zu lernen.« Magda hatte das Gefühl, für Mutter Lauria sei es eine ebensolche Erleichterung wie für sie, als das hellhaarige, stupsnasige Mädchen mit einem Tablett und Krügen zurückkehrte.

»Ah, da ist unser Abendessen. Stell es hier ab, Doria.«

Das Mädchen deckte das Tablett auf. Es enthielt eine Schüssel mit irgendeinem gebackenen Korn, dazu eine Gemüsesoße, Becher mit etwas, das wie Buttermilch schmeckte, und Obstscheiben, eingelegt in Honig oder Sirup. Mutter Lauria winkte Magda, sich zu bedienen, und aß eine Weile schweigend. Schließlich faltete sie ihre Serviette zusammen und fragte: »Wie alt bist du?«

Magda nahm an, sie meinte nach darkovanischer Rechnung, und nannte ihr Alter. Erst später ging ihr auf, dass Mutter Lauria hatte feststellen wollen, ob sie fähig sei, das relativ kurze terranische Jahr in das viel längere darkovanische umzurechnen.

»Du bist verheiratet gewesen, Margali? Hast du ein Kind?«

Stumm schüttelte Magda den Kopf. Es war einer der Hauptgründe für die Spannungen zwischen ihr und Peter gewesen, dass sie ihm den Sohn, den er sich wünschte, nicht geboren hatte.

»Ist diese Ehe offiziell aufgelöst worden, wie ihr Terraner es, wenn ich recht unterrichtet bin, im gegenseitigen Einverständnis veranlassen könnt?«

Es überraschte Magda, dass Mutter Lauria all dies wusste. »Sie ist aufgelöst. Eine terranische Ehe ist nicht ganz das Gleiche wie eine Freipartnerehe, kommt ihr aber näher als eine darkovanische Ehe di catenas. Wir sind vor mehr als einem Jahr übereingekommen, uns zu trennen.«

»Das ist ein Glück. Hättest du ein Kind unter fünfzehn, würden wir von dir verlangen, Vorkehrungen für seine Unterbringung zu treffen. Wir erlauben Frauen erst dann, hier Zuflucht zu suchen, wenn sie draußen keine unerfüllten Verpflichtungen zurücklassen. Wie ich annehme, hast du auch keine alten Eltern, die von dir abhängen?«

»Nein. Meine Mutter und mein Vater sind seit vielen Jahren tot.«

»Hast du jetzt einen anderen Liebhaber?«

Wieder antwortete Magda mit einem Kopfschütteln.

»Wird es dich hart ankommen, ohne einen Liebhaber zu leben? Vermutlich hast du dich, da du schon einige Zeit von deinem Mann getrennt bist, daran gewöhnt, allein zu schlafen, aber wird es dir schwer fallen? Oder liebst du vielleicht Frauen?« Sie benutzte den sehr höflichen Ausdruck, und Magda war nicht beleidigt – ihr war klar, dass jede nur aus Frauen bestehende Gesellschaft einen bestimmten Prozentsatz von solchen anziehen musste, die lieber sterben oder auf alles verzichten als heiraten würden. Es störte sie, dass die Befragung dermaßen persönlich wurde, aber sie hatte sich geschworen, alles so ehrlich wie möglich zu beantworten. »Ich glaube nicht, dass ich es unerträglich schmerzhaft finden werde«, sagte sie, und erst, als sie es ausgesprochen hatte, wurde ihr bewusst, wie sarkastisch es klang. Mutter Lauria lächelte. »Das will ich nicht hoffen, aber besonders während des Hausjahres kann das zum Problem werden, wie jede Frau, die kein Kind mehr ist, sich sagen kann. Lass mich nachdenken – was muss ich dich noch fragen? Ja: Hast du gelernt, die Empfängnis eines unerwünschten Kindes zu verhüten?«

Jetzt war Magda wirklich schockiert. Natürlich lernte das jeder Terraner, ob männlich oder weiblich, in der Pubertätszeit, aber sie war in Caer Donn aufgewachsen und hatte die darkovanische Einstellung übernommen, die so etwas nur bei Prostituierten für schicklich hielt. Sie sagte »Ja« und fragte sich, was die ältere Frau jetzt von ihr denken mochte, wo sie sich zu einem derartigen Wissen bekannt hatte.

Mutter Lauria nickte ruhig. »Gut. Dafür haben wir den Frauen in den Türmen zu danken. Frauen, die mit den Matrizes arbeiten, dürfen es nicht riskieren, ihren Dienst durch eine ungewollte Schwangerschaft zu unterbrechen, aber man kann auch nicht von ihnen verlangen, dass sie – manchmal für viele Jahre – im Zölibat leben. Es besteht von alters her, seit der Gründung unserer Gilde, ein Band zwischen den Frauen des Neskaya-Turms und den Entsagenden. Du weißt vielleicht, dass wir in der Zeit Varzils des Guten durch den Zusammenschluss zweier Frauenhäuser entstanden – dem Orden der Priesterinnen Avarras, Heilerinnen, die in der Anwendung von Laran ausgebildet waren, und der Schwesternschaft vom Schwert – das war in der Zeit der Hundert Königreiche und der Hastur-Kriege ein Zusammenschluss von Soldatinnen und Söldnerinnen. Später einmal sollst du diese Geschichte zu lesen bekommen. Die Priesterinnen Avarras lehrten uns vieles, was auch von Frauen vollbracht werden kann, die kein Laran besitzen, obwohl es mit Laran leichter geht. Bei den Entsagenden gilt es als Verbrechen, ein Kind zu gebären, das nicht von der Mutter und dem Vater gewünscht wird und auf das kein glückliches Heim wartet. Deshalb instruieren wir alle unsere Frauen.« Sie hatte Erbarmen mit Magdas Unbehagen und sagte: »Oh, meine Liebe, ich weiß, das ist dir unangenehm. Die eine wird rot, die andere ist moralisch entrüstet, und wieder eine andere weigert sich glattweg und schwört, lieber möchte sie nie wieder etwas mit einem Mann zu tun haben. Aber es ist unser Gesetz. Alle Frauen, auch solche, die noch nie bei einem Mann gelegen und nicht die Absicht haben, es jemals zu tun, müssen diese Dinge lernen. Vielleicht brauchen sie sie nie, doch ist das kein Grund, unwissend zu bleiben. Bei unsern Hausveranstaltungen spricht zweimal in zehn Tagen eine unserer Hebammen zu den jüngeren Frauen. Bist du gesund und kräftig? Kannst du eine gute Tagesarbeit leisten, ohne zu ermüden?«

»Ich habe nie viel manuelle Arbeit verrichtet.« Magda begrüßte den Themenwechsel mit Erleichterung. »Aber wenn ich auf Reisen war, konnte ich den ganzen Tag im Sattel verbringen, wenn es sein musste.«

»Gut. Viele Frauen, die ihr Leben im Haus verbringen und nur Frauenarbeit tun, fangen aus Mangel an körperlicher Übung an zu kränkeln, und wir haben hier nicht so viel Sonnenschein, dass wir es uns leisten können, darauf zu verzichten. Vielleicht wirst du lachen, wenn du erwachsene Frauen siehst, die wie Kinder spielen und seilspringen, aber Bewegung ist nicht nur für kleine Mädchen gut. Ich hoffe, du bist nicht zu prüde, um zu schwimmen, wenn das Wetter es erlaubt?«

»Nein, ich schwimme gern.« Magda hätte nur gern gewusst, wann das Wetter es auf dem gefrorenen Darkover erlaubte!

»Ist deine monatliche Periode regelmäßig? Macht sie dir viel zu schaffen?«

»Nur in der Zeit, als ich Darkover verlassen hatte.« Magda hatte auf der Akademie viel Last mit ihrer Periode gehabt, als sie sich an die andere Schwerkraft, an den anderen Rhythmus von Tag und Nacht, Sommer und Winter hatte anpassen müssen. Die ganze Zeit auf Alpha war sie ständiger Gast der Medizinischen Abteilung gewesen, hatte Hormonspritzen bekommen und war verschiedenen Behandlungen unterzogen worden. Aber bei ihrer Rückkehr nach Darkover hatte sie ihre übliche gute Gesundheit wiedergefunden. Das erklärte sie und setzte hinzu: »Bevor ich auf diese Mission geschickt wurde – die nach Ardais –, bekam ich von terranischen Ärzten eine Behandlung, die die Ovulation und die Menstruation unterdrückt. Das macht man bei Frauen vor einem Feldeinsatz immer so. Auf Burg Ardais fragte mich Jaelle danach – sie glaubte, ich sei schwanger.«

»Diese Behandlung wäre für uns von unschätzbarem Wert«, sagte Mutter Lauria. »Ich hoffe, deine Terraner werden sie uns lehren. Wenn Frauen zusammen mit Männern arbeiten müssen oder lange Zeit bei schlechtem Wetter miteinander reisen, wäre das eine große Annehmlichkeit. Einige Frauen hier waren verzweifelt genug, um die Operation in Erwägung zu ziehen, die Frauen in Neutren verwandelt und sehr gefährlich ist. Zwar haben wir ein paar Drogen, die für ein halbes Jahr oder länger unfruchtbar machen, aber sie sind zu stark und zu drastisch. Ich empfehle keiner Frau, sie zu nehmen. Aber Frauen, die große Probleme mit ihrer Periode haben, oder Frauen, die kein Talent für den Zölibat besitzen, während sie allzu leicht schwanger werden – nun, wir Ältesten können ihnen nicht verbieten, diesen Ausweg zu beschreiten. Jetzt gilt es, eine sehr wichtige Entscheidung zu treffen, und zwar von dir, Margali.«

Magda blickte auf ihren leeren Teller nieder. »Ich werde tun, was ich kann.«

»Du hast das junge Mädchen gesehen, das unser Essen hereinbrachte? Ihr Name ist Doria, und sie ist fünfzehn; zu Mittsommer will sie den Eid ablegen. Sie hat seit ihrer Geburt bei uns gelebt, aber es ist uns verboten, dem Gesetz nach noch nicht volljährige Mädchen in unseren Sitten zu unterweisen. So werdet ihr beide, du und sie, jetzt zusammen ausgebildet werden. Du bist nicht von unserer Welt, Margali. Sicher, du bist hier geboren, aber dein Volk unterscheidet sich so sehr von unserem, dass manches für dich seltsam und schwer zu ertragen sein wird. Ich weiß so wenig über die Terraner, dass ich nicht einmal erraten kann, um was es sich dabei handeln könnte. Jaelle kam im Alter von zwölf Jahren aus den Trockenstädten zu uns, und sie hatte viele Schwierigkeiten. Und vor ein paar Jahren hatten wir eine Frau hier, die aus den Regenwäldern weit hinter den Hellers stammte. Ihren Mut hatte sie bewiesen, indem sie sich uns anschloss, und sie brachte viel guten Willen mit, aber der Schock über so viele neue und fremdartige Dinge machte sie buchstäblich krank. Dabei waren es zum größten Teil Kleinigkeiten, die für uns zum täglichen Leben gehören – wir waren gar nicht auf den Gedanken gekommen, sie könne Probleme damit haben. Wir möchten nicht, dass du auf diese Weise leidest, Margali. Um es zu vermeiden, können wir zwei verschiedene Wege einschlagen.«

Die alte Frau sah Magda scharf an.

»Wir können allen deinen Schwestern hier sagen, dass du als Terranerin geboren bist, und dann werden wir alle daran denken, dass wir dir in Kleinigkeiten helfen müssen, und werden in deinem Fall Zugeständnisse machen. Wie bei jeder Entscheidung würde auch diese ihren Preis haben. Von Anfang an wäre eine Barriere zwischen dir und deinen Schwestern, und vielleicht würden sie dich nie als eine von uns akzeptieren. Die Alternative ist, dass wir ihnen nur erzählen, du seiest in Caer Donn geboren, und du musst dann sehen, wie du mit allem, was dir fremd ist, so gut wie möglich fertig wirst. Was wäre dir am liebsten, Margali?«

Mir ist nie bewusst geworden, welch ein Snob ich war, dachte Magda. Sie hatte den Darkovanerinnen nicht zugetraut, dass sie begriffen, was ein Kulturschock ist, und hier erklärte Mutter Lauria das Phänomen ihr, als sei sie nicht sonderlich intelligent. »Ich werde tun, was Ihr mir befehlt, meine Dame.«

Sie hatte das sehr förmliche Casta-Wort Domna benutzt, und Mutter Lauria blickte nicht sehr erfreut drein.

»Zunächst einmal bin ich nicht meine Dame«, erklärte sie. »Wir befreien uns doch nicht von der Titel-Tyrannei der Männer, nur um unter uns eine neue aufzurichten! Nenne mich Lauria oder Mutter, wenn du meinst, dass ich es verdiene, und du es gern möchtest. Erweise mir so viel Achtung, wie du sie deiner eigenen Mutter erwiesen hättest, nachdem du über ihre Befehlsgewalt hinausgewachsen warst. Und ich kann dir in dieser Angelegenheit nichts befehlen; dein Leben ist es, das von deiner Entscheidung bestimmt wird. Ich kann dir nicht einmal einen vernünftigen Rat geben, dazu weiß ich zu wenig von deinem Volk und seinen Sitten. Natürlich werden eines Tages alle hier erfahren müssen, dass du Terranerin bist. Glaubst du, das Gefühl der Fremdheit überwinden zu können? Du brauchst nicht mit diesem Handicap zu leben, wenn du nicht willst, aber andererseits würden die Schwestern dann vielleicht mehr Rücksicht nehmen ...«

Magda war sich nicht sicher. Jaelle hatte gewusst, dass sie Terranerin war, und das hatte gewiss geholfen, einige Schwierigkeiten, die zwischen ihnen aufgetaucht waren, zu glätten. Und doch, obwohl Jaelle und sie sich lieben gelernt hatten, war ein Gefühl der Fremdheit zwischen ihnen gewesen. Zögernd meinte sie: »Ich werde ... werde mich deinem Rat beugen, Lauria, aber ich glaube, anfangs ... wäre ich lieber eine von euch. Vermutlich ist allen Frauen, die hierher kommen, eine Menge fremd.«

Lauria nickte. »Ich glaube, du hast dich richtig entschieden. Mag sein, dass der andere Weg leichter gewesen wäre, aber gerade dadurch wärest du unter Umständen für immer die Fremde geblieben. Und ich setze voraus, dass du in Wahrheit eine von uns werden möchtest – dass du uns nicht nur für einen Bericht an deine Terraner studierst.« Sie lächelte dabei, aber ihre Stimme hob sich fast wie zu einer Frage, als ob Mutter Lauria Zweifel in Magdas Aufrichtigkeit setze.

Nun, Magda musste ihr den Beweis eben liefern.

Mutter Lauria warf einen Blick auf eine alte Uhr mit Zeigern, einem inneren Mechanismus und einem schwingenden Pendel und erhob sich.

»Ich habe eine Verabredung in der Stadt.« Magda erinnerte sich, dass diese Frau Präsidentin in der Handwerkerinnen-Gilde war. »Da du im Augenblick keine enge Freundin im Hause hast, habe ich dir ein Einzelzimmer anweisen lassen. Wenn du später eine Freundin findest und einen Raum mit ihr teilen willst, kannst du immer noch umziehen.« Dafür war Magda dankbar. Bis zu diesem Augenblick war ihr der Gedanke nicht gekommen, man könne sie in ein Zimmer zu zwei oder drei anderen Frauen stopfen, die sich untereinander fast ihr ganzes Leben lang kannten.

Mutter Lauria berührte das Glöckchen. »Du hast doch keine Angst, allein zu schlafen? Das habe ich mir gedacht, aber es kommen Frauen zu uns, die noch nie im Leben allein gewesen sind. Solange sie klein waren, hatten sie Ammen und Kinderfrauen um sich, später Zofen und Gesellschafterinnen. Da hat es sogar schon Schreikrämpfe gegeben, wenn sich so eine Frau allein im Dunkeln fand.« Sie berührte leicht Magdas Haar. »Wir sehen uns heute Abend beim Essen. Mut, Margali, lebe einen Tag nach dem anderen und denke daran, nichts ist so schlimm oder so gut, wie man es sich vorstellt. Jetzt wird dich Doria im Haus herumführen.«

Mutter Lauria ging, und Magda fragte sich: Sehe ich tatsächlich so verängstigt aus?

Nur ein paar Minuten später trat die kleine Doria wieder ein.

»Mutter sagt, ich soll dir das Haus zeigen. Tragen wir zuerst das Geschirr in die Küche zurück.«

Die Küche war leer bis auf eine kleine dunkelhaarige Frau, die vor sich hin döste und darauf wartete, dass der Brotteig in zwei großen Schüsseln aufging. Schläfrig hob sie den Blick, als Doria ihr Magda vorstellte.

»Margali, das ist Irmelin. Sie ist in diesem halben Jahr unsere Haushälterin. Wir wechseln uns dabei ab, ihr in der Küche zu helfen, aber wir sind hier im Haus so viele, dass keine öfter als einmal in zehn Tagen Küchendienst hat. Irmelin, das ist unsere neue Schwester Margali n’ha – wie war das, Margali?«

»Ysabet«, sagte Magda.

»Ich habe dich gestern Abend gesehen«, sagte Irmelin. »Du kamst mit Jaelle – bist du ihre Liebhaberin?«

Auch Mutter Lauria hatte sie das gefragt. Magda ermahnte sich, dass sie nicht ärgerlich werden dürfe – sie befand sich jetzt in einer anderen Welt –, und schüttelte den Kopf. »Nein – ich bin ihre Eidestochter, mehr nicht.«

»Wirklich?« Irmelin war offenbar skeptisch, doch sie sah nur auf ihren Brotteig. »Es wird noch eine Stunde dauern, bis man den Teig kneten kann – soll ich dir helfen, sie durchs Haus zu fuhren?«

»Mutter Lauria hat es mir aufgetragen – du kannst in der Küche und im Warmen bleiben«, lachte Doria. »Wir alle wissen, warum du dich für den Posten der Haushälterin gemeldet hast – du sitzt gern am Feuer wie eine Katze.« Irmelin kicherte nur, und Doria setzte hinzu: »Brauchst du für das Abendessen irgendetwas aus dem Gewächshaus, frisches Gemüse oder so? Margali hat vorerst noch keine Pflichten, sie kann mir helfen, es zu holen.«

»Du könntest fragen, ob die Melonen reif sind«, antwortete Irmelin. »Ich glaube, wir alle haben gekochtes Obst satt und hätten gern einmal frisches.« Irmelin gähnte und warf von neuem einen schläfrigen Blick auf den Brotteig. Doria fächelte sich heftig mit ihrer Schürze und zog Magda nach draußen.

»Puh, ich hasse die Küche an den Backtagen, da ist es zu heiß zum Atmen! Aber Irmelin backt gutes Brot – es ist erstaunlich, wie viele Frauen kein essbares Brot fertig bringen. Erinnere mich daran, dass ich dir irgendwann einmal von der Zeit erzähle, als Jaelle an der Reihe war, den Haushalt zu führen, und Gwennis und Rafaella ihr drohten, sie würden sie beim nächsten Schneesturm nackt aussetzen, wenn sie das Brotbacken nicht von jemand anders besorgen ließe ...« Doria plauderte weiter und fächelte sich immer noch. Es war bestimmt nicht zu heiß in dem zugigen Korridor zwischen der Küche und dem langen Speisesaal, wo Magda gestern Abend gesessen hatte, eine Fremde, die sich hinter Jaelle versteckte. Und jetzt war das hier ihr Zuhause, zumindest für das nächste halbe Jahr. An den Tischen hatten nach Magdas Schätzung vierzig bis fünfzig Frauen Platz. An einem Ende warteten Stapel von Tellern und Schüsseln, mit Handtüchern zugedeckt, auf den Abend. Hinter dem Speisesaal lag das Gewächshaus – ein fester Bestandteil der meisten Häuser in Thendara – mit seinen Sonnenkollektoren. Eine Frau in einer langen Kittelschürze kniete auf dem Boden und klopfte Erde um die Wurzeln einer Pflanze fest, die Magda nicht kannte. Es war eine große Frau mit lockigem, beinahe krausem strohfarbenem Haar. Ihre Hände waren von der Erde beschmutzt.

»Rezi, das ist Margali n’ha Ysabet, Jaelles Eidestochter. Irmelin lässt fragen, ob für heute Abend irgendwelches frisches Obst da ist.«

»Nicht für heute und nicht für morgen Abend«, antwortete Rezi, »aber dann vielleicht. Ich habe ein paar Beeren für Byrna ...«

»Warum soll Byrna sie bekommen, wenn nicht genug für uns alle da sind?«, fragte Doria. Rezi lachte vor sich hin. Ihre Aussprache war grob und ländlich; sie wirkte wie eine der Bäuerinnen, die Magda in den Kilghardbergen bei der Arbeit auf dem Feld und im Stall gesehen hatte.

»Marisela hat es angeordnet. Wenn du schwanger bis, wirst auch du die ersten Beeren bekommen«, zog Rezi sie auf.

Doria kicherte. »Ich werde mit gekochtem Obst auskommen!«

Durch das Gewächshaus kamen sie in einen Stall, in dem ein halbes Dutzend Pferde stand. Mehrere Boxen waren unbesetzt. Der saubere, weiß getünchte Stall dahinter roch angenehm nach Heu und enthielt ein halbes Dutzend Milchtiere. In einer kleinen Milchkammer, so erzählte Doria, wurde ihr ganzer Bedarf an Butter und Käse erzeugt. Blitzblanke Holzformen hingen an der Wand, aber auch dieser Raum war menschenleer. Ein Wintergarten, in dem Stroh eingegrabenes Wurzelgemüse schützte, war eiskalt und ungemütlich. Magda zitterte.

Überrascht fragte Doria: »Frierst du?« Sie selbst hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, ihren Schal um die Schultern zusammenzuziehen. »Ich dachte, du wärst aus Caer Donn? Mir kommt es überhaupt nicht kalt vor. Aber gehen wir nach drinnen.« Sie ging durch einen Saal, den sie die Waffenkammer nannte, voraus. Zwar hingen Waffen an den Wänden, aber Magda hatte eher den Eindruck einer Turnhalle, denn auf dem Fußboden lagen Matten, und ein in sauberen Druckbuchstaben gemaltes Schild bat auf Casta: Stelle deine Schuhe ordentlich auf die Seite; es könnte jemand darüber fallen. In einem kleinen Umkleideraum hingen Handtücher und Kleidungsstücke zum Wechseln an Haken. Das erinnerte Magda an das Erholungszentrum im Haus für unverheiratete Frauen des HQ. Aber dahinter lag ein größerer Raum, der zu Magdas Erstaunen voller Dampf war, und in dem Dampf versteckte sich ein Becken mit offensichtlich heißem Wasser. Sie hatte davon gehört, viele Privathäuser in Thendara seien über heißen Quellen erbaut, aber es war das erste Mal, dass sie so etwas sah. Auf einem weiteren Schild stand zu lesen: Bitte sei höflich gegen andere Frauen; wasch dir die Füße, bevor du ins Becken steigst.

»Das gibt es erst seit vier oder fünf Jahren«, sagte Doria. »Eine unserer reichen Wohltäterinnen ließ es einbauen; vorher hatten wir nur die Wannen auf den Schlafzimmerfluren. Nach dem Unterricht im unbewaffneten Kampf tut es gut, die blauen Flecken einzuweichen. Rafi und Camilla sind wunderbare Lehrerinnen, aber hart gegen jeden, den sie im Verdacht der Drückebergerei haben. Ich trainiere seit meinem achten Lebensjahr, aber Rafi ist meine Eidesmutter und meine Pflegemutter und unterrichtet mich nicht gern. Komm mit nach oben«, forderte sie Magda auf, und sie gingen über einen weiteren Korridor zur Treppe. »Hier an diesem Absatz liegt das Kinderzimmer. Zurzeit ist niemand darin außer Felicias kleinem Jungen, und er wird uns im nächsten Mond verlassen; im Gildenhaus darf kein männliches Kind über fünf leben. Bald bekommt jedoch Byrna ein Baby.« Damit öffnete sie die Tür des Zimmers. Ein kleiner Junge spielte auf einem Teppich vor dem Feuer mit Holzpferdchen, und eine junge Frau saß nähend in einem Armsessel.

»Wie geht es dir heute, Byrna? Das ist Margali n’ha Ysabet, sie ist neu ...«

»Ich habe sie gestern Abend beim Essen gesehen«, antwortete Byrna. Magda fragte sich, ob sie von jeder Frau im Haus bemerkt worden war. Byrna stand auf und ging unruhig im Zimmer hin und her. »Ich habe es langsam satt, aber es zieht sich hin, und Marisela sagt, es würde mindestens noch zehn Tage, wenn nicht einen ganzen Mond, dauern. Wo ist Jaelle? Ich konnte gestern Abend kaum eine Minute mit ihr reden.«

Wieder machte Magda die Feststellung, dass ihre Freundin sehr beliebt war. »Sie arbeitet in der Terranischen Handelsstadt.«

Byrna verzog das Gesicht. »Bei den Terranan? Ich dachte, das sei gegen die Gesetze der Gilde!« Der Ton ihrer Stimme ließ Magda erkennen, dass sie klug daran getan hatte, ihre Identität zu verheimlichen. Ihr war im Prinzip bekannt, dass es ein Vorurteil gegen Terraner gab, aber sie war noch nie unmittelbar damit konfrontiert worden. »Welches ist dein Haus, Schwester?«, erkundigte sich Byrna, und Magda erwiderte: »Ich nehme an, das hier – ich bin für ein halbes Jahr zur Ausbildung gekommen ...«

»Dann hoffe ich, du wirst hier glücklich sein«, sagte Byrna. »Ich werde mithelfen, es dir behaglich zu machen, sobald das hier –« sie klopfte sich auf den vorstehenden Bauch »– vorbei ist.«

Doria neckte sie: »Vielleicht wirst du in der nächsten Mittsommernacht allein schlafen.«

»Da hast du verdammt Recht«, erklärte Byrna, und Magda verstaute diese Bemerkung im Geist zu dem, was Mutter Lauria über antikonzeptionelle Drogen gesagt hatte. »Wo wird Margali schlafen, Doria? In deinem Zimmer?«

Doria kicherte. »Wir sind ja schon fünf. Mutter Lauria hat gesagt, sie soll Shernas Zimmer bekommen, solange Sherna in Nevarsin ist.« Sie führte Magda den Flur hinunter und öffnete die Tür eines Zimmers mit einem halben Dutzend Betten. »Mutter Millea hat uns erlaubt, alle zusammen zu wohnen. Wir mussten nur versprechen, leise zu sein, damit die anderen schlafen können. Wir haben viel Spaß. Hier ist das Bad ...« – sie zeigte Magda einen Raum mit Wannen und Becken – »... und hier ist das Nähzimmer, wenn jemand etwas ausgebessert haben muss und es nicht selbst tun kann. Und das ist Shernas Zimmer – jetzt deins. Sie und Gwennis haben es sich zwei Jahre lang geteilt, dann zog Gwennis zu ihrer Freundin.« Sie benutzte das Wort in der Form, die auch Liebhaberin bedeutete. Nun, so etwas galt hier für normal; Irmelin hatte sie ganz beiläufig gefragt, ob sie Jaelles Liebhaberin sei, und dann eine Bemerkung über den Brotteig gemacht.

Doria wies auf ein Bündel auf dem Bett. »Mutter Lauria hat mit den Näherinnen dafür gesorgt, dass du ein paar übrige Sachen bekommst – Nachthemden, Unterjacken und Arbeitszeug, wenn du im Garten oder Stall zu tun hast. Ich glaube, das meiste davon gehört Byrna. Sie ist jetzt so dick, dass sie es nicht mehr tragen kann, aber bis ihr Baby da ist und sie es wieder braucht, wirst du mit dem Nähen deiner eigenen Ausstattung fertig sein.«

Magda betrachtete die Kleider auf dem Bett. Wirklich, sie hatten sich viel Mühe gegeben, um ihr ein herzliches Willkommen zu bereiten. Es waren sogar ein Kamm, eine Haarbürste und wollene Socken sowie ein warmes, flauschiges Ding dabei, das Magda für einen Bademantel hielt; es war mit Pelz gefüttert und sah luxuriös aus. Das Zimmer war mit einem schmalen Bett, einer kleinen geschnitzten Holztruhe und einer niedrigen Bank mit einem Stiefelknecht einfach möbliert.

Doria sah sie an. »Du weißt, dass du und ich zusammen ausgebildet werden sollen? Aber du bist so viel älter als ich – wie bist du zu den Amazonen gekommen?«

Magda erzählte ihr so viel von der Wahrheit, wie sie konnte. »Der Räuber Rumal di Scarp hielt einen Verwandten von mir gefangen und forderte Lösegeld für ihn. Außer mir gab es niemanden, der es ihm bringen konnte, deshalb reiste ich allein und trug Amazonenkleidung, um mich unterwegs zu schützen. Als ich unterwegs Jaelles Gruppe begegnete, wurde ich entdeckt und gezwungen, den Eid zu leisten.«

Doria machte große Augen. »Aber ich habe gehört – warst du das? Das ist wie ein Roman! Nur hieß es, Jaelles Eidestochter sei nach Neskaya geschickt worden. Camilla erzählte es uns, nachdem sie Sherna und Devra nach Nevarsin und Maruca und Viviana nach Hause gebracht hatte. Sicher hat Irmelin angenommen, du seist nach Thendara gekommen, um mit Jaelle zusammen zu sein, und deshalb glaubte sie, du seist ihre Liebhaberin! Aber Jaelle arbeitet jetzt in der Terranischen Zone, nicht wahr?«

Magda kam zu dem Schluss, sie habe genug Fragen beantwortet. »Wie bist du so jung zu den Amazonen gekommen, Doria?«

»Ich bin hier aufgewachsen«, antwortete das Mädchen. »Rafaellas Schwester ist meine Mutter – du kennst doch Rafaella, Jaelles Partnerin?«

»Ich bin ihr noch nicht begegnet, aber Jaelle hat mir von ihr erzählt.«

»Rafaella ist eine Verwandte von Jaelles Pflegemutter Kindra. Rafi hat drei Kinder geboren, aber alle waren Jungen. Das dritte Mal waren sie und ihre Schwester zur gleichen Zeit schwanger – und der Vater von Rafis Kind war mein Vater, verstehst du? Meine Mutter wünschte sich einen Sohn, und als Rafi wieder einen Jungen bekam, tauschten sie die Kinder aus. Rafaellas Baby wurde als der Sohn meiner Mutter und meines Vaters – was er natürlich ist – aufgezogen, und Rafaella nahm mich zu sich, als ich noch keine drei Tage alt war, nährte mich und zog mich hier im Gildenhaus auf. Ich bin in Wirklichkeit Doria n’ha Graciela, aber ich nenne mich Doria n’ha Rafaella, weil Rafi die einzige Mutter ist, die ich je kennen gelernt habe.«

Im Geist machte sich Magda wie eine Wilde Notizen. Sie wusste, dass Schwestern häufig den Liebhaber oder sogar den Gatten miteinander teilten und dass es Brauch war, Kinder Pflegeeltern zu überlassen. Trotzdem kam ihr dieses Arrangement bizarr vor.

»Und jetzt stehe ich hier und schwatze, statt dir zu sagen, was du wissen musst. In manchen Jahren putzen wir unsere Zimmer selbst, aber in diesem Jahr haben wir bei der Hausversammlung beschlossen, dass zwei Frauen aus unserm Flur jeden Tag ausfegen und alle zehn Tage wischen. Du musst deine Stiefel und Sandalen in der Truhe aufbewahren, weil es den Putzfrauen die Arbeit erschwert, wenn sie darum herumfegen müssen. Alles, was auf dem Fußboden liegt, nehmen sie mit und werfen es in ein großes Fass in der Eingangshalle, und dann muss man es sich heraussuchen. Spielst du Harfe oder Rryl oder Laute? Zu schade; Rafi wünschte sich eine weitere Musikerin hier im Haus. Byrna singt gut, aber jetzt ist sie die ganze Zeit kurzatmig. Als ich heranwuchs und sich herausstellte, dass ich kein Ohr für Musik habe, fürchtete ich, Rafi werde mich verstoßen. Sie hat ...« Im unteren Teil des Hauses begann eine Glocke zu läuten, und Doria unterbrach sich.

»O gnädige Göttin!«

»Was ist das, Doria? Doch nicht schon die Essensglocke?«

»Nein«, flüsterte Doria. »Diese Glocke wird nur geläutet, wenn eine Frau bei uns Zuflucht sucht. Manchmal hören wir sie keine zweimal im Jahr, und jetzt haben wir an ein und demselben Tag zwei Neuankömmlinge? Komm, wir müssen sofort nach unten gehen!«

Sie zog Magda hastig auf die Treppe zu, und sie eilten die Stufen hinunter. Magda spürte dieses merkwürdige leichte Prickeln, das sie als Vorahnung kennen gelernt hatte: Das ist etwas für mich sehr Wichtiges ... Doch sie schob es als Nervosität aufgrund von Dorias Aufregung und dem vielen Neuen, das ihr begegnete, beiseite. In der Eingangshalle standen Irmelin und Mutter Lauria und zwischen ihnen eine schwächlich wirkende Frau, die in schwere Schals und Röcke eingebündelt war. Sie schwankte und hielt sich am Geländer fest, als werde sie gleich in Ohnmacht fallen.

Mutter Lauria hielt schnelle Umschau unter den Frauen, die sich in der Halle versammelten. Viele von ihnen hatte Magda gestern beim Essen gesehen, aber sie kannte ihre Namen nicht. Dann wandte sie sich der halb bewusstlosen Fremden zu. »Was suchst du hier?« Für Magda hatten die Worte die Macht eines Rituals. »Bist du gekommen, um hier Zuflucht zu finden?«

Die Frau flüsterte schwach: »Ja.«

»Willst du nur ein Obdach, meine Schwester? Oder ist es dein Wille, den Eid einer Entsagenden abzulegen?«

»Den Eid ...«, hauchte die Frau. Sie schwankte, und Mutter Lauria bedeutete ihr, sich hinzusetzen.

»Du bist krank; du brauchst im Augenblick keine Fragen zu beantworten, meine Schwester.« Mutter Lauria richtete den Blick auf Magda und Doria, die am Fuß der Treppe standen.

»Ihr beiden seid neu bei uns; ihr drei werdet in der Ausbildung zusammen sein, sollte diese Frau den Eid ablegen. Deshalb wähle ich euch als ihre Eidesschwestern und dazu ...« Sie sah sich um. Offensichtlich suchte sie nach jemandem. Schließlich winkte sie.

»Camilla n’ha Kyria«, sagte sie, und Magda erkannte mit einem Gefühl der Unausweichlichkeit die große, dünne emmasca, die Zeugin ihres eigenen Eides gewesen war. »Camilla, ihr drei bringt sie weg, schneidet ihr das Haar und bereitet sie darauf vor, den Eid zu leisten, sofern sie dazu fähig ist.«

Camilla kam und legte einen Arm um die taumelnde Fremde. »Komm, stütze dich auf mich.« Sie benutzte die unpersönliche Form, aber ihre Stimme klang freundlich. Plötzlich entdeckte sie Magda, und ihr Gesicht leuchtete auf. »Margali! Eidesschwester, bist du das? Ich dachte, du seiest nach Neskaya gegangen! Du musst mir alles darüber erzählen, aber später, denn zuerst müssen wir dieser Frau helfen. Schiebe deinen Arm unter ihre Arme ... so ... sie kann nicht gehen ...«

Magda umfasste die offensichtlich beinahe zusammenbrechende Frau, aber diese zuckte vor der Berührung zurück und schrie mit schwacher Stimme auf. Camilla führte sie in ein Kämmerchen neben Mutter Laurias Büro und drückte sie in einen weichen Sessel.

»Bist du misshandelt worden?«, fragte sie, nahm ihr den Schal ab und gab einen Laut des Entsetzens von sich.

Das Kleid der Frau – von teurem Zuschnitt, aus erstklassig gefärbtem Wollstoff und mit Pelz besetzt – hing in Fetzen und war blutdurchtränkt. Das Tuch hatte sich in schwarze Klumpen verwandelt, durch die immer noch rotes Blut sickerte.

Camilla flüsterte: »Avarra schütze uns! Wer hat dir das angetan?« Doch sie wartete nicht auf eine Antwort. »Doria, lauf in die Küche, hole Wein und heißes Wasser und frische Handtücher! Dann sieh nach, ob Marisela im Haus ist oder ob sie irgendwo in der Stadt einem Kind auf die Welt hilft. Margali, komm her, hilf mir, ihr das auszuziehen!«

Gemeinsam zogen sie ihr die zerfetzten Sachen aus. Jacke, Kleid, Unterwäsche, alles war elegant und mit Kupferfäden bestickt. In ihrem hellen Haar trug die Frau eine teure Schmetterlingsspange aus Kupferfiligran. Magda leistete Hilfestellung und reichte Camilla, was sie brauchte. Camilla entblößte die Frau bis zur Taille und wusch die schrecklichen Schnittwunden. Was konnte sie nur verursacht haben? Die Frau ließ sich alles gefallen, ohne zu schreien, aber es musste ihr furchtbar wehtun. Als sie fertig waren, zog Camilla ihr ein leichtes Hemd über, band die Zugschnüre am Hals lose zusammen und hüllte sie dann in einen warmen Hausmantel. Doria kam beunruhigt zurück und meldete, Marisela sei nicht im Haus.

»Dann suche Mutter Millea«, befahl Camilla, »und Domna Fiona. Sie ist Richterin am Stadtgericht, und wir müssen eine beschworene Zeugenaussage über den Zustand dieser Frau aufnehmen, damit wir das Recht bekommen, sie zu schützen. Es geht ihr zu schlecht, als dass sie den Eid ablegen könnte. Wir wollen sie ins Bett stecken und pflegen ...«

Die Frau richtete sich mühsam auf. »Nein«, stieß sie hervor, »ich will den Eid ablegen – ich will von Rechts wegen hier sein, nicht aus Mildtätigkeit aufgenommen werden ...«

Magda flüsterte wie im Selbstgespräch vor sich hin: »Was ist ihr nur zugestoßen? Was kann solche Wunden hervorgerufen haben ...?«

Camillas Gesicht war wie aus Stein. »Sie ist wie ein Tier geschlagen worden«, erklärte die emmasca. »Ich trage ganz ähnliche Narben. Kind –« sie beugte sich über die im Sessel liegende Frau »– ich weiß, was es bedeutet, misshandelt zu werden. Margali – du findest eine Schere in der Tischschublade.« Und als Magda sie ihr in die Hand drückte, fragte Camilla: »Wie ist dein Name?«

»Keitha ...« Die Antwort kam wie ein Hauch.

»Keitha, das Gesetz verlangt, dass du deine Absicht zeigst, indem du eine einzelne Haarsträhne selbst abschneidest. Wenn du dazu die Kraft hast, will ich den Rest für dich besorgen.«

»Gib mir – die Schere.« Sie sprach entschlossen, aber sie war so schwach, dass ihre Hand die Schere kaum halten konnte. Ihr Haar war in zwei Zöpfe eingeflochten. Sie fasste einen davon und mühte sich mit der Schere ab, doch es gelang ihr nicht, den Zopf durchzuschneiden. Sie wies auf die Flechten. »Bitte ...«

Camilla löste den Zopf auf. Keitha fuhr mit der Schere hinein und säbelte zwei Hand voll Haar ab. »Da!«, rief sie wild, und die Tränen stürzten ihr aus den Augen. »Und jetzt – nehmt mir den Eid ab ...«

Camilla hielt ihr einen Becher Wein an die Lippen. »Sobald du dazu stark genug bist, Schwester.«

»Nein! Jetzt ...«, drängte Keitha. Die Schere entglitt ihrer Hand und fiel zu Boden, und Keitha verlor in Camillas Armen das Bewusstsein.

Mutter Lauria sagte leise: »Bringt sie nach oben.« Camillas geflüsterten Befehlen folgend, half Magda, die ohnmächtige Frau die Treppe hinauf und in ein leeres Zimmer zu tragen.

Gildenhaus Thendara

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