Читать книгу Wer wird denn da gleich Schwarz sehen - Marius Jung - Страница 6
Vorwort
ОглавлениеMein Buch entsteht in einer wilden Zeit. Die Diskussion über Rassismus hat die Gesellschaft – endlich! – erfasst. Der Mord an George Floyd durch einen weißen US-Polizisten im Mai 2020 hat etwas aufgebrochen. Wie vor einigen Jahren bei der #MeToo-Debatte über Sexismus und sexuelle Belästigung wagen viele erstmals, öffentlich über den Rassismus zu sprechen, den sie täglich erleben. Dadurch wird auch vielen Betroffenen erst das Ausmaß des Problems jäh bewusst – und sie reagieren mit verständlicher Wut darauf, dass sie so lange allein mit den Schmerzen, Kränkungen und Verletzungen waren. Gräben reißen auf. Mit nachvollziehbarer Ungeduld, mit kämpferischer Wut, manchmal auch mit Verbissenheit fordern manche sofortige Veränderungen oder formulieren bittere Vorwürfe. Und manche schreiben allen Weißen pauschal bestimmte Eigenschaften zu.
Auch Übertreibungen gehören zu diesem Prozess des Aufbrechens; ich verstehe, wie sie zustande kommen. Und sie haben auch ihren Sinn, weil sie die Größe des Problems und der Frustration sichtbar machen. Denn der Rassismus liegt wie ein altes, verfilztes und schwer zu beseitigendes Wurzelwerk knapp unter dem Boden, auf dem wir gehen und stehen. Manchmal drängt eine seiner riesigen hässlichen Wurzeln ans Tageslicht: Hass. Gewalt. Tod. Darüber stolpern dann viele. Sie halten kurz inne, schütteln ungläubig und vielleicht auch empört den Kopf – und gehen danach weiter ihrer Wege. Aber der Rassismus bleibt die ganze Zeit da. Direkt unter uns. Er verletzt und schmerzt jeden Tag. Auch der, der nicht, wie die Todesqualen von George Floyd, mit der Handykamera gefilmt wird.
Zum Glück hat sich jetzt ein vielstimmiger Proteststurm erhoben. Die weißen Mehrheitsgesellschaften werden schärfer und hartnäckiger mit der ungleichen Chancen- und Machtverteilung konfrontiert. Black, Indigenous, People of Color (BIPoC), zu den Begriffserklärungen komme ich noch, werden permanent benachteiligt, und der Protest dagegen ist notwendig und berechtigt. Aber er kann nicht das Ende sein.
Denn wenn die Anklageschriften geschrieben, die Analysen erstellt, die Appelle formuliert sind, dann stellt sich eine Frage: Und jetzt? Genügt uns diese Bestandsaufnahme? Betrachten wir den Rassismus als unausrottbares Übel und begnügen uns mit wiederkehrender Empörung? Nehmen wir hin, dass unsere Gesellschaft sich weiter spaltet, wie die der USA, und in Gruppen zerfällt, die nicht mehr miteinander kommunizieren, sondern sich nur noch wütend attackieren und sich ansonsten in ihre Identitätsräume zurückziehen? Oder sollen wir unsere Hoffnung in militanten Antirassismus setzen, in den Kampf einer Minderheit gegen die unbelehrbare Mehrheit? Dieselben Fragen stellen sich im Übrigen für jede andere Form der gruppenbezogenen Diskriminierung – von Antisemitismus über Homophobie und Behindertenfeindlichkeit bis Sexismus.
Wie also geht es weiter, wenn der berechtigte Zorn auf dem Tisch liegt? Ich will, dass wir als Gesellschaft trotzdem im Gespräch miteinander bleiben. Ich will nicht, dass wir uns als feindselige Gruppen gegenüberstehen und in Schützengräben verschanzen. Denn wir sind mehr als Angehörige eines Geschlechts, Mitglied einer (oder keiner) Religion, Träger*innen einer Hautfarbe – wir sind auch Nachbar*innen, Kolleg*innen und Staatsbürger*innen. Und als solche sollten wir miteinander reden können. Wenn es besser werden soll, müssen wir das gewaltige Thema Rassismus gemeinsam angehen, bei aller Angst, Frustration und Anstrengung, die ein solcher Prozess mit sich bringt. Wir haben keine Wahl, wenn wir als Gesellschaft ein gutes Miteinander gestalten wollen. Ich bin sicher: Die Diskriminierung von Gruppen beruht nicht immer auf Bösartigkeit. Oft stecken Unwissen, Angst, Gedankenlosigkeit und fehlende Selbstreflexion dahinter. Damit der Kampf gegen Rassismus ein gesellschaftlicher Prozess bleibt und nicht zum Krieg ausartet, ist es wichtig, seine in ihren Ursachen verschiedenen Erscheinungsformen auch unterschiedlich zu behandeln. Bösartigem und gewalttätigem Rassismus muss man anders begegnen als arg- und ahnungslosem. Nicht zu vergessen den duldenden Rassismus derer, die bei Beleidigungen und Übergriffen gegen Mitmenschen schweigen und wegschauen.
Allen gemeinsam ist jedoch eins: ein Mangel an Respekt. Wer sein Gegenüber nicht als Individuum wahrnimmt, sondern aufgrund seiner Hautfarbe in eine Schublade steckt oder Schlimmeres, verweigert ihm die Begegnung auf Augenhöhe, also den Respekt, den alle Menschen einander schulden. Zum Respekt gehört auch, anzuerkennen, dass es Rassismus gibt – auf dem Arbeitsmarkt, auf dem Wohnungsmarkt, bei Behörden und Sicherheitsorganen und selbst in Familien, kurz: überall. Und um ins Gespräch zu kommen, sollte man anerkennen, dass erstens rassistische Strukturen existieren und zweitens niemand frei ist von Ressentiments. Um Empathie mit den Opfern des täglichen Rassismus zu empfinden, ist wichtig zu wissen, wie er sich äußert und anfühlt. Wir benötigen die Bereitschaft, solche Informationen an uns heranzulassen, anstatt sie abzublocken oder zu ignorieren.
Meine Überzeugung lautet: Dort, wo Rassismus kein offenes, ganz bewusstes Programm ist, sondern andere Gründe hat, kann man was machen. Dafür ist es wichtig, gedankenlos Schwatzende nicht gleichzusetzen mit rechtsradikalen Mörder*innen. Der Satzanfang „Ich bin kein Rassist, aber …“ ist zu Recht einer der meistgehassten unter Menschen mit einem dunkleren Teint. Aber er formuliert trotzdem ein anderes Programm als der Satz: „Klar bin ich Rassist. Und Neger gehören totgeschlagen.“* Wenn wir nicht alle in einen Topf schmeißen, auf dem „Rassismus“ steht, gibt es die Chance auf Kommunikation mit den Nichtböswilligen. Dabei hilft Humor statt Verbissenheit. Konstruktives statt Destruktives. Diskussion statt Geschrei. Argument statt Empörung. Weil wir ein respektvolles Miteinander erreichen wollen.
Natürlich erhebe ich nicht den Anspruch, für „die Schwarzen“ zu sprechen. Ich spreche für Marius Jung – und wenn mir andere im einen oder anderen Punkt zustimmen, freue ich mich. Ich bin nicht vollkommen, sondern fehlbar. Es kann also sein, dass ich in einigen Jahren manche Dinge anders formulieren würde oder sie sogar als Irrtum betrachte. Auch das gehört zu einem Diskurs.
Dieses Buch wendet sich an alle, die vielleicht verschiedene Wege wählen, aber das gleiche Ziel haben: keinen Rassismus, keinen Sexismus, keine Diskriminierung. Vor allem an jene, die der Meinung sind, dass eine Gesellschaft aus mehr besteht als aus einzelnen, voneinander separierten Gruppen. Sondern aus Gemeinschaft.
Auf die Frage „Wie sagt man denn nun richtig?“ und die N-Wort-Diskussion gehe ich im Buch ausführlich ein. An dieser Stelle zum Verständnis nur eine kurze Erläuterung: Die Abkürzung „PoC“ steht für „People of Color“, die inklusive Sammelbezeichnung „BIPoC“ für Schwarze, Indigene und nicht-weiße Menschen. Mir ist bewusst, dass „BIPoC“ ziemlich sperrig und technisch klingt und nicht gut zu meinem Anliegen passt, dieses Buch in gutem und angenehm zu lesendem Deutsch zu schreiben. Vielleicht finden wir ja mal sprachlich schönere Wörter für „Nicht-Weiße“. (Dieser die Negation betonende Ausdruck ist auf jeden Fall auch nur eine Behelfslösung.) In Ermangelung einer überzeugenden Alternative benutze ich „BIPoC“ ab und zu – und betrachte es, ähnlich wie das Gendersternchen, als eine Art sprachlichen Stolperstein: Man stutzt und hält kurz inne, weil man an etwas erinnert wird. Ohne diese Erinnerung wäre das Leben und Lesen ruhiger und bequemer. Aber Verdrängen ist keine Option.
Ich arbeite aber mit verschiedenen Ausdrücken. Wie bei jeder Sprachveränderung, die ich annehmen möchte, muss ich eine Übergangs- und Gewöhnungsphase einplanen. Angeregt durch die Übersetzung des schönen Buchs Mädchen, Frau etc. von Bernadine Evaristo verwende ich, so oft es geht, die englisch-deutsche Wendung „Menschen of Color“. Das ist auch nicht optimal, aber immer noch eleganter als „BIPoC“. Immer wieder nutze ich auch das Wort, mit dem ich mich lange Zeit selbst bezeichnet habe: schwarz. Weiße und Schwarze – das schien mir immer logisch, als grobe Unterscheidung. Die Anmerkung, ich sei ja gar nicht schwarz, sondern eher braun, konnte ich immer gut parieren. Denn eines war sicher: Wer auch immer das anmerkte, war selbst weder schwarz noch weiß. Es gibt keine Menschen, die tatsächlich weiß sind. Oder schwarz. Wir alle haben Haut, und die ist mal so, mal so getönt. Mehr ist nicht dabei. Es ist nur ein Pigment, Leute. Aber an der richtigen, respektvollen Sprache für diese Tönungen arbeiten wir noch.
Der Titel dieses Buchs lautet: Wer wird denn da gleich schwarzsehen. Will ich damit sagen: „Ist doch alles paletti“? Natürlich nicht. Was ich – im Unterschied zu manch anderen Autor*innen – nicht pessimistisch betrachte, ist die Zukunft. Ich glaube, dass wir die Möglichkeit haben, friedlich zusammenzuleben und die Haut-Sache zur Nebensache werden zu lassen. Dafür müssen wir alle uns aber die Vergangenheit und die Gegenwart bewusst machen. Und das heißt: die Realität von Rassismus anzunehmen.
Mit meinem Buch möchte ich möglichst unaufgeregt aufklären und eine Gesprächsbasis schaffen. Weil ich überzeugt bin, dass eine Mehrheit an einer konstruktiven Veränderung und Verbesserung unseres Zusammenlebens interessiert ist. Ich bin Optimist und sehe nicht schwarz für uns als Gesellschaft. Mein Buch will also mehr sein als eine weitere Diagnose oder Anklage. Lasst es uns doch mal mit einem Gespräch versuchen statt mit Geschrei. Ich halte es also mit dem großen Kabarettisten Hanns Dieter Hüsch, der in seinem Lied vom runden Tisch für das Gespräch aller mit allen plädiert – mit einer Ausnahme:
„… alle reden und trinken, essen und denken
Nach Herzenslust und Gelüsten
Mit Ausnahme der Faschisten!“
Ich wünsche dir eine gute Zeit mit meinem Buch.
*Wie ihr merkt, bin ich der Meinung, dass man das N-Wort durchaus verwenden darf – um Rassist*innen zu zitieren und damit bloßzustellen. Dazu mehr im Buch.