Читать книгу Das großartige Leben des Little Richard - Mark Ribowsky - Страница 6

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Am 8. Mai 2020 endete Richard Wayne Pennimans sagenhaft ereignisreiches Leben so, wie es seine Songs nie taten: friedlich, ruhig ausklingend. Nach 87 Jahren Rhythm ’n’ Blues ’n’ Rock ’n’ Roll – und Chaos – war das unglaubliche Energiebündel Little Richard dort, wo es sein wollte: daheim in Tullahoma in den Bergen im Süden Tennessees. 77 Meilen den Highway 41 runter sind es von Nashville aus, wo er sich seine ersten Sporen bei Auftritten in Clubs mit viel Getöse verdient und nicht eine Sekunde friedlicher Ruhe erlebt hatte. Schon damals schien ein Song besonders laut aus seiner Seele zu dringen: ein Lied – ein Groove – als wirr zerfahrenes Abbild einer aufgewühlten Jugend, das dem Rock ’n’ Roll 65 Jahre später immer noch aus der Seele spricht.

Dieses Lied trug einen Titel, der so schrill war wie Little Richards Garderobe: „Tutti Frutti“.

* * *

Als Little Richard im September 1955 nach New Orleans kam, um in den J&M Studios seine ersten Aufnahmen für Specialty Records zu machen, hatten Plattenfirmenchef Art Rupe und Produzent Robert „Bumps“ Blackwell seine angestammte Begleitband The Upsetters durch dieselben Nebenleute ersetzt, die Fats Domino und Lloyd Price bei ihren Einspielungen fürs Label zur Seite standen.

Einige der berühmtesten Sessionmusiker der Branche gehörten dazu – die Tenor- bzw. Bariton-Saxofonisten Lee Allen und Alvin „Red“ Tyler, Schlagzeuger Earl Palmer, Justin Adams und Edgar Blanchard an den Gitarren sowie Bassist Frank Fields, außerdem Huey „Piano“ Smith (der als Frontmann seiner eigenen Band The Clowns ebenfalls Starruhm erlangen sollte) und Mel Dowden an den Tasten. Sie waren Blackwell zufolge „die Besten in New Orleans“: zusammengekommen, um für einen Sänger zu arbeiten, von dem sie nie gehört hatten und den sie insgeheim hinter ihren Instrumenten auslachten.

„Sie alle dachten, ich sei verrückt“, sagte Richard rückblickend. „Wussten nicht, was sie von mir halten sollten. Sie hielten mich für einen Trottel.“

Der Produzent, der auch die Arrangements für die aufzunehmenden acht Stücke geschrieben hatte, lernte den im Mittelpunkt der Session stehenden Künstler erst unmittelbar vor Beginn der Arbeiten kennen. Little Richard schlenderte in den Raum, laut Blackwell „so ein Vogel im grellbunten Hemd mit gut 15 Zentimeter hoch toupierten Haaren“, der „wild plapperte und sich Sachen zusammenfantasierte, einfach, um anders zu sein. Ich erkannte ihn nicht als Ausnahmepersönlichkeit.“ Ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, ob er vertrauenswürdig wirkte oder nicht, tauchte Richard auf und gab den Ton an oder glaubte zumindest, dies zu können. Er hinterließ einen bleibenden Eindruck, so viel stand fest. Indem er die Leitung der Session jedoch praktisch an sich riss, klang das Ergebnis so stümperhaft, dass sich Blackwell im Kontrollraum gar nicht erst bemüßigt sah, das Aufnahmegerät einzuschalten.

Er spürte wie die Instrumentalisten auch, dass sich der Mann mit seiner großspurig überdrehten Art selbst im Weg stand. „Ich hatte von seiner irren Bühnenshow gehört, doch an jenem Tag im Studio war er arg verkrampft. Wahrscheinlich trieb ihn sein Ego an, seine Geisteshaltung herauszukehren. Wenn man wie Tarzan aussieht und wie Micky Maus klingt, funktioniert das einfach nicht … Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Mit dem Material zurück zu Rupe zu gehen war ausgeschlossen, denn ich hatte nichts zu vermarkten. Dabei kostete mich das eine Stange Geld.“

Blackwell und Richard fühlten sich beide niedergeschlagen, als sie gemeinsam mit Lee Allen in dem angesagten Club Dew Drop aufschlugen, um den Blues mit Alkohol zu vertreiben und frische Inspiration zu finden. Und die kam dann zufällig wie ein Blitz aus heiterem Himmel: In dem Club verlor Richard seine Hemmungen. Nachdem er auf die Bretter gestiegen war, woraufhin die Barbesucher vor der Bühne ein Publikum bildeten, befand er sich in seinem Element, setzte sich ans Klavier – oder besser gesagt, blieb daran stehen – und stimmte ein Lied an, das er zwar seit Monaten live spielte, aber nie als für Aufnahmen tauglich erachtet hätte. Die ersten Töne davon waren jene bezaubernden Silben Awop bop a loo mop a good goddamn / Tutti Frutti, good booty.

Dieser Originalwortlaut von „Tutti Frutti“ war ihm während seiner verbummelten Jugend in den Sinn gekommen, als er in der Küche des Greyhound-Busbahnhofs in Macon gearbeitet und beim Aufschreiben der anzüglichen Zeilen – von wegen „guter Hintern“ und „wennʼs nicht passt, nichts erzwingen / du kannst es schmieren, leicht machen“ – in sich hineingekichert hatte. Oben auf der Bühne pfiff er auf sämtliche Anstandsregeln. Er ließ es einfach heraus, und Blackwell staunte. Es war, als würde der Song Richard von der Zurückhaltung befreien, die er im Studio an den Tag gelegt hatte. Er hatte Schmiss, Pep und Witz, die Freude und das Knurren kamen tief aus seiner Seele. Er war ein „Vogel“ der anderen Art mit ausgefahrenen Krallen, unberührt von jeglichen R&B-Maßstäben, nur sich selbst gegenüber Rechenschaft schuldig und nicht kompromissbereit.

Sowie er den ersten Weckruf des Rock ’n’ Roll gehört hatte, öffnete ihm das Stück den Seiteneingang in den R&B, wo das Tempo erhöht wurde. Richard selbst sollte Rockmusik eines Tages auf „einfach schnell gespielten Rhythm ’n’ Blues“ herunterbrechen. „Tutti Frutti“ versinnbildlichte demnach von seiner pompösen Eröffnung an, die direkt in hämmernde Piano-Triolen überging, die Quintessenz des neuen Standards. Bumps, der hingerissen war, will gesagt haben: „Wow! Genau das will ich von dir, Richard. Das ist ein Hit!“

Allerdings ist im Rock, der hier wieder einmal als Metapher für das Leben selbst herhält, nicht alles so leicht. Es gab einen Haken: Die offensichtlich obszönen Lyrics mussten behutsam entschärft werden, doch Bumps lag richtig. Goldrichtig. Der Song basierte auf Rhythm ’n’ Blues, Jazz und Bebop, doch sein Beat war stärker, und der Text richtete sich an Teenager, die sich eine neue kulturelle Identität aneignen mussten – und traf so sehr ins Schwarze, dass man behaupten darf, Little Richards Aufnahme von „Tutti Frutti“ sei faktisch die Geburtsstunde des Rock ’n’ Roll gewesen.

Das großartige Leben des Little Richard

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