Читать книгу Das großartige Leben des Little Richard - Mark Ribowsky - Страница 9
Оглавление„Little Richard and the Upsetters wurden echt berüchtigt. Fats Domino trat im Manhattan Club in Macon auf, und ich ging hin. Er war damals ein Star, spielte aber Blues; Chuck Berry war auch ein Star und ebenfalls Blueser. Sie fürchteten sich vor mir, weil jemand sie auf mich angesprochen hatte, so ungefähr: ,Bist du in Macon gewesen? Kennst du diesen Little Richard? Der ist wahnsinnig, hör dir mal an, wie er Klavier spielt!‘ Mein Name kam in aller Munde, die Leute interessierten sich wirklich für mich.“
– Little Richard
Entgegen der landläufigen Meinung hat Little Richard den Rock ’n’ Roll nicht erfunden. Der Begriff wurde erst Mitte der 1950er-Jahre als eigenständige Genrebezeichnung verwendet. Obwohl man die Formulierung schon früher etwa für Negro-Spirituals mit religiösem Unterton benutzt hatte, war sie in der Jazz-Szene als Euphemismus für Sex oder Tanzen am geläufigsten. So hieß es in dem Lied „Get Rhythm in Your Feet“ 1935 sinngemäß: „Wenn dir Satan im Nacken sitzt, fang an zu rocken und zu rollen“, was sich im Lauf der Jahre in Songs von Ella Fitzgerald, den Andrews Sisters, Bing Crosby, Countrysänger Buddy Jones und – wie Richard Penniman sicherlich wusste – Sister Rosetta Tharpe fortsetzte, die den Ausdruck für ihr „Rock Me“ verkürzte. Obwohl er das Fachblatt Billboard wahrscheinlich nicht las, hätte er dessen Beschreibung einer Fassung von „Caldonia“ als „richtig rhythmische Rock-’n’-Roll-Musik“ von ganzem Herzen zugestimmt.
Die sexuelle Konnotation der Worte standen außer Zweifel, auch wenn sie harmlos genug klangen, um „akzeptabel“ zu sein. So blieb es auch, als Alan Freed 1951 neue „Race Music“ als „Rock and Roll“ zu bezeichnen pflegte, die er in Cleveland im Radio spielte. Damit hielt sie Einzug in das Leben weißer Teenager im American Bread Basket. In Anbetracht der Tatsache, dass Rock ein Ableger des längst etablierten Blues und Jazz war, ist heftig umstritten, welcher jener wegweisenden Titel die erste Rock-’n’-Roll-Aufnahme war. Der allgemeine Tenor schreibt sie Ike Turner zu, meint aber keinen seiner kernigen Blues-Songs mit der damaligen Anna Mae Bullock (bald Tina Turner), sondern ein für seine Band Rhythm Kings komponiertes Lied: „Rocket 88“, aufgenommen 1951 in Sam Phillipsʼ Sun Studio in Memphis und unter dem Namen seines Saxofonisten Jackie Brenston veröffentlicht, der es auch sang.
In jedem Fall war dieses Stück das Erste der Ära, dessen Text von einem aufgemotzten heißen Schlitten handelte. Der zügellose, vom Bass getriebene Boogie mit Shuffle-Rhythmus, plärrendem Saxofon, übersteuerter Gitarre (ein defekter Verstärker war schuld) und wie aus der Maschinenpistole geschossenen Piano-Triolen – gespielt von Turner – bildeten eine Mustervorlage, die junge Musiker wie Little Richard unheimlich stark beeinflusste, vor allem, was das Tasteninstrument anging, das quasi in einen hochtourig laufenden Motor konvertiert wurde … dessen Rhythmus nicht zufällig an den rapiden Puls des Geschlechtsakts gemahnte. Jedes seiner Riffs, so Richard, sei eine Variation auf Turners Klavier-Intro gewesen, das er mehrere Male Note für Note übernahm, unter anderem in der Einleitung zu „Good Golly, Miss Molly“ und wiederholt während „Lucille“.
1954, als Little Richard im Land noch weitgehend unbekannt war, stieß der Rock an mehreren geografischen Fronten vor, wo er sich jeweils über einen indigenen, vom Blues abgeleiteten Sound definierte. Seine wohl kommerziellste Ausformung fand er typischerweise in der Tin Pan Alley am Broadway, wo Produzenten und Komponisten eng mit beliebten Sängern zusammenarbeiteten. Dort entstand Bill Haleys Rockabilly-lastiger Stil, andere Perlen kamen von Ahmet Ertegüns Label Atlantic Records. Es prägte den neuen R&B mit den glockigen Harmonien der ursprünglichen Drifters, wo Clyde Mc Phatter seine butterzarte Stimme bemühte, und den original „Shake Rattle and Roll“ mit Big Joe Turner. Im Norden New Yorks hingegen leitete George Goldner die kleine Firma Rama, in deren Soul-Programm von den Straßen Harlems 1953 die Single „Gee“ von den Crows herausragte, deren hemmungslos lyrisches Riffing, hohe Harmonien und bluesig als Soloinstrumente eingesetzte E-Gitarre waschechte Rock-Katalysatoren waren.
Im Bread Basket – Chicago, Detroit und Cleveland –, wo schlussendlich viele der alten Delta-Blueser auf ihrem Weg nach Norden landeten, erhielten Meister der E-Gitarre wie Muddy Waters, John Lee Hooker, Howlinʼ Wolf oder Lightninʼ Hopkins verspätet Anerkennung. Das angesagte Label Chess Records aus der „Windy City“, das viele der ergrauten Blues-Männer unter seine Fittiche nahm, ging gleichfalls Richtung Rock – nicht zu vergessen, dass es „Rocket 88“ veröffentlichte sowie 1954 einen Gitarre spielenden unbekannten Sänger aus St. Louis namens Chuck Berry unter Vertrag nahm.
Die Rockszene im Süden teilten integrierte Schwarze und Hillbillys in Memphis unter sich auf, wobei Sam Phillips eine entscheidende Rolle spielte. Im selben Jahr machte Elvis seine ersten beiden Aufnahmen, Coverversionen von Arthur Cudrups „Thatʼs Alright“ und Roy Browns „Good Rocking Tonight“. In New Orleans verquirlte 1949 Fats Dominos erster Hit „The Fat Man“, das an Willie Halls „Junker Blues“ angelehnt war, kreolische Klänge mit Scat-Jazz-Gesang, Stakkato-Klavierakkorden und einem gleichbleibenden Backbeat. Man könnte auch diese Platte, von der das hauptsächlich Blues veröffentlichende Label Imperial über eine Million Exemplare absetzte, als erste oder zumindest älteste Rock-’n’-Roll-Aufnahme ansehen. An der Ostküste, wo Johnny Otis das Zepter schwang, feierten im Blues verwurzelte Acts bei Federal Records Erfolge – siehe The Penguins mit ihrem umwälzenden Doo-Wop „Earth Angel“ und The Platters mit ihren samtweichen Harmonien. Das Material wurde in beiden Fällen von dem weißen jüdischen Blues-Jünger Buck Ram komponiert und produziert, der darauf bestand, dass die Plattenmogule von Mercury seine Protegés im Hauptprogramm führten und nicht auf einem Sublabel für „schwarze“ Musik – ein wichtiger Fortschritt für farbige Künstler.
So gestaltete sich die Situation Mitte des 20. Jahrhunderts. Ein stark verhallter und von tief wummernden Frequenzen – bis zur Erfindung des E-Bass auf sperrigen Kontrabässen mit Saiten dick wie Bandnudeln erzeugt – umrahmter Beat zu E-Gitarren wurde zum Soundtrack der Zeit. Es war eine Art Klangbrei und alles andere als perfekt, aber genau das verlieh diesem neuen und doch alten Sound seine Durchschlagskraft, fiebrige Wirklichkeitsnähe, schiere Freude an Wohlgefühl und Lüsternheit – den absoluten Grundprinzipien des Rock ’n’ Roll. Die gewagtesten Songs nahmen die geringste Rücksicht auf den guten Geschmack – dazu braucht man sich nur Hank Ballards „Work with Me, Annie“ oder „Sixty Minute Man“ von Billy Ward and His Dominoes anzuhören. Ferner wussten die Rocker zu Beginn der 1950er auf sich aufmerksam zu machen; sie trugen allesamt weite, schnittige Anzüge mit Hahnentrittmuster und zweifarbige Schuhe, ein weiteres Relikt der R&B-Hochphase. Fürwahr: Der Rock hatte seinen Look, seinen Sound und sein Milieu, womit er nun eine Möglichkeit zum Aufblühen bekam. 1953 wurde „Crying in the Chapel“, eine alte Country-Schote von RCA, die den neuen Zeitgeist völlig verkannt hatte, von den Orioles rockig nachgespielt und zu einem frühen Crossover-Schlager, den Little Richard später coverte.
Noch hatte kein reiner Rocksong die Popcharts unterwandert; zu den bestverkauften Singles des Jahres zählten „Vaya Con Dios“ und „(How Much Is) That Doggie in the Window?“. 1954 wurde die Hitliste jedoch durchlässiger: Zwischen „Little Things Mean a Lot“ und Doris Days „Secret Love“ stand in den Top 3 des Jahres „Sh-Boom (Life Could Be a Dream)“ von den Crew Cuts, eine glattgebügelte Interpretation eines Stücks der schwarzen The Chords – die ihrerseits noch auf Rang 26 stand. Den 19. Platz belegte „Earth Angel“, gefolgt von Bill Haleys „Shake, Rattle and Roll“. Es ging voran in kleinen Schritten, die zusehends größer wurden. Was weiterhin fehlte, war eine Galionsfigur, die Teenagern Rock so klar und aufrichtig in seiner reinsten Form vermitteln konnte, dass er religiöse Züge annahm.
* * *
Inmitten dieses Aufruhrs verrichtete Richard Penniman allerdings wieder den Abwasch am Busbahnhof, beobachtete Reisende und schrieb Songs in der Küche, älter nunmehr und ein wenig verlebter, aber nach wie vor für alle, die ihn kannten, ein Mann der Gegensätze. An und für sich hatte er als aufnehmender Musiker zweimal versagt, konnte aber jederzeit für volle Häuser innerhalb des Chitlinʼ Circuit sorgen, wo Clint Brantley ihn regelmäßig weiterhin touren ließ. Auf dessen Rat hin stellte er eine feste Begleitband zusammen, indem er die Instrumentalisten des R&B-Duos Shirley and Lee anheuerte, als es in Nashville auftrat. Es waren die Saxofonisten Wilbert „Lee Diamond“ Smith (später Mitkomponist von Aaron Nevilles „Tell It Like It Is“) und Clifford „Gene“ Burks“, E-Gitarrist Nat „Buster“ Daniel und Schlagzeuger Charles Connor.
Dieser erzählte: „Richard wollte uns mit nach Georgia nehmen. Er hatte nämlich keine Gruppe, nur einen Gitarristen aus Memphis, Thomas Hartwell. Der war auch sein musikalischer Leiter, weil er in Hausbands von Clubs spielte. Ansonsten zog damals niemand mit ihm durch die Gegend. Er war derjenige, der auf uns zukam und meinte, Richard wollte uns anheuern. Ich konnte ihm nur sagen: „Gern, Mann, aber ich hab kein Schlagzeug. Ich muss mein altes vom Pfandhändler zurückkaufen.“ Wir hatten halt überhaupt keine Kohle und seit drei Wochen nichts Anständiges zu uns genommen. Meine Schuhe waren voller Löcher, also ich fragte ihn: „Könntest du bitte dafür sorgen, dass wir was zu essen kriegen?“ Richard tat es. Dann holte er mein Kit vom Pfandleiher und kam für mein Hotelzimmer auf, mit dessen Miete ich im Rückstand war. Das zeigt, wie gern er mit uns arbeiten wollte.“
Connor, der seinerzeit erst 18 gewesen war, ergänzte noch: „Ich hatte Richard in dem Club Tijuana in New Orleans gesehen, wo er mit den Temple [sic] Toppers aufgetreten war, und wusste um sein großes Talent. Meine Mutter kannte ihn auch. Als ich ihr sagte, ich würde nach Macon fahren, erwiderte sie: „Little Richard, das ist doch der Junge, der wie ein Mädchen aussieht mit seinen langen Haaren, oder?“ Er hatte also schon einen Ruf weg, wollte aber noch viel mehr. Und er wusste, was wir für ihn tun sollten. Wir probten für gewöhnlich bei ihm zu Hause im vorderen Zimmer, während draußen an die 50 Leute standen und zuhörten. Nach einer Woche dort meinte Richard: ,Komm mit, wir gehen zum Bahnhof in der Fifth Street und schauen dem Zug hinterher.‘ Die Bahn fuhr also ab. Sie entfernte sich und machte dabei ‚tsch-tsch-tsch-tsch, tsch-tsch-tsch-tsch‘. Dann wurde sie schneller: ,tsch-tsch-tsch-tsch, tsch-tsch-tsch-tsch‘, und er sagte: ,Das ist der Rhythmus, den du bei uns spielen sollst.‘ Ich antwortete: ,Nun ja, du willst Achtelnoten.‘ Und die hatten eine Menge Energie, Mann.“
Richard erweiterte die Band, als sie nach Macon kamen, um den dritten Saxofonisten Grady Gaines und Kontrabassist Olsie „Bassy“ Robinson, der eine Schlüsselrolle einnahm, indem er das pochende Fundament legte. Die Gruppe spielte punktgenau zusammen und war so flexibel, dass sie auf Richards flatterhafte Stimmungs-, Tempo- und Stilwechsel reagieren konnte. Er behielt sie während seines Runs auf die Spitze die ganze Zeit über bei, wobei der Glanz der Upsetters fast so legendär wurde wie er selbst. Die Mitglieder schminkten sich ebenfalls und trugen einheitliche Kleidung; die liebten sie, Ersteres hingegen nicht, wenngleich sie es als notwendiges Zugeständnis an die lukrative Bekanntheit des Acts auffassten. Zudem hatte es praktische Gründe.
Laut Connor nannte Richard die Combo The Upsetters, weil „wir jede Stadt, in der wir spielten, in Aufruhr versetzen sollten. Er sagte etwa den Saxofonisten – allen außer mir, weil ich ja hinterm Schlagzeug saß: „Wenn eine Band von der Bühne springt, möchte ich, dass ihr vom Dach des Gebäudes springt!“ Er wollte alle anderen übertreffen … Wir mussten bunte Klamotten anziehen, wie Schwule. Das war nötig, um in den weißen Clubs zu spielen, damit wir nicht bedrohlich auf die weißen Girls wirkten, damit das weiße Publikum nicht bemerkte, dass diese schwarzen Jungs scharf auf sie waren.“
Auf der künstlerischen Ebene formten die Upsetters Richards charakteristischen Sound, den man idealerweise live erlebte, wenn sich alle Strömungen von „Race Music“ zu einer reißenden Welle vereinten und die brausende Begleitung der Band seine Sprengkraft verstärkte. Die Zuschauer in den Clubs kannten seine obskuren Songs und sangen sie mit. Die prall gefüllten Säle warfen pro Show 15 Dollar ab, sodass die Gruppe manchmal auf 100 Dollar wöchentlich kam, und Richard bestand darauf, nicht mehr einzustreichen als die anderen. Bei Konzerten etablierter Sänger wie Fats Domino oder Chuck Berry, der noch auf seinen Zenit zustrebte, rief er sich herablassend ins Gedächtnis, dass diese „Blues-Typen“ in kalter Furcht davor, ihm nicht gewachsen zu sein, in seinem Schatten stehen würden.
Trotzdem stand er nach der Tournee abermals am Busbahnhof, der die Ungewissheit bezüglich seines weiteren Werdegangs symbolisierte. Da sich keine Plattenfirma bei ihm meldete, vermutete er, Don Robey würde ihn madig machen. Er dachte sogar, es sei vielleicht der Wille Gottes, um ihn wieder auf den geistlichen Pfad zu lotsen. Gottes Wirken war für Little Richard jedoch rätselhaft. Just als er die Kanzel hätte wählen können, öffnete sich eine neue Tür, was seine musikalischen Hoffnungen aufrechterhielt. Dies geschah im Frühjahr 1955, als Lloyd Price ein Konzert im Macon City Auditorium gab. Er wurde hoch gehandelt und war neben Fats Domino ein früher Emporkömmling der Szenehochburg New Orleans. Seine erste Aufnahme „Lawdy Miss Clawdy“ führte 1952 die R&B-Charts an, und das in Los Angeles ansässige Label Specialty verkaufte über eine Million Exemplare der Single. Obgleich die darauffolgenden Veröffentlichungen weniger Erfolg hatten, schenkte ihm „Clawdy“ regen Hörerzulauf und einen markanten, ursprünglich von Fats (der hier auch Piano spielte) kultivierten Sound, zu dem die Studiomusiker einen knalligen Shuffle-Beat beisteuerten. Richard war einer von vielen, die sich davon mitreißen ließen, weshalb er die Upsetters anwies, sich an dieser Spielweise zu orientieren.
Er sah zu, dass er ins Auditorium kam, als Price dort auftrat, und mogelte sich an den Sicherheitskräften vorbei, um eine Audienz bei ihm zu bekommen. Price kannte Richard und die meisten anderen, die den Circuit bedienten, und begeisterte sich dermaßen für sein Schaffen, dass er ihn drängte, mit einem Tonbandgerät ein Demo aufzunehmen und an Art Rupe zu schicken, den Geschäftsführer von Specialty. Lloyd gab ihm die Adresse des Labels am Sunset Boulevard und versprach, ein gutes Wort für ihn einzulegen. Binnen weniger Tage trug Richard Songs zusammen, die er geschrieben hatte, und fand sich im Studio von Hamp Swainns Sender WBML ein. Nur in zwei der Tracks, „Wonderinʼ“ und „She’s my Star“, spielt er im Hintergrund Klavier, und zwei weitere, „Directly From My Heart To You“ sowie „Iʼm Just A Lonely Guy“, waren A-Capella-Nummern. Er wies Rupe direkt darauf hin, er möge ihn aufgrund des Letztgenannten unter Vertrag nehmen. Auch diese Stücke entsprachen nicht dem, was er gern aufgenommen hätte, doch er blieb bei Gospel-Blues, um Specialty nicht zu verprellen. Nach der Session nahm er das Band, steckte es behutsam in einen Umschlag und versandte es.
Daraufhin wartete er … und wartete.
* * *
Specialty hatte etliche heißere Eisen im Feuer. Das 1945 von Rupe gegründete Unternehmen bot ein beeindruckendes Programm aus Blues und frühem Rock ’n’ Roll mit besonderem Fokus auf den Sound von New Orleans. Kräftigen Aufwind bekam es nicht nur dank Price, sondern auch durch Eddie „Guitar Slim“ Jones, der 1953 den wichtigen Blues-Gospel-Hit „The Things I Used to Do“ einspielte; produziert wurden seine anspruchsvollen, kratzigen Gitarrenlinien und schwermütigen Vocals von dem jungen Pianisten R. C. Robinson, der bald darauf – als er einen Deal mit Atlantic abschloss – unter dem Namen Ray Charles firmierte. Das Lied wurde eine Nummer 1, hielt sich 42 Wochen lang in den R&B-Charts und schwappte auch auf den weißen Markt über (später coverten es James Brown und Jimi Hendrix). Des Weiteren hatte sich Rupe der Gospelgruppe Soul Stirrers angenommen, deren Leadsänger ein gewisser Sam Cooke war, ein Tenor mit honigsüßer Stimme, den die Girls umschwärmten, wenn er seinen Sexappeal auf den Brettern ausströmte, während er fromme Texte zum Besten gab. Mit diesem Stall stand das Label in erbitterter Konkurrenz mit den führenden Labels für „Race Music“ in L. A.: Imperial, Federal und Modern. Letzteres war die Heimat von John Lee Hookers und Etta James.
Von Belang war nichts von alledem für Little Richard, der erwartete, dass die Plattenfirma alles stehen und liegen ließ, um sein Demo zu hören. Da er in der Schwebe hing und nicht jünger wurde, rief er ständig bei Rupe an, verlangte ein Gespräch mit ihm und wollte – falls er durchgestellt wurde – unbedingt wissen: „Wann machen Sie Aufnahmen mit mir?“ Dann endlich, nach acht langen Monaten, reagierten Rupe und sein A&R-Topmann Robert „Bumps“ Blackwell: Sie hatten das Tonband auf einem Stapel von Bewerbungen suchen müssen. Als sie es fanden und laufen ließen, erkannte Blackwell – ein ehemaliger Jazzbandleader, der nicht nur Ray Charles, sondern auch Quincy Jones in ihrer Anfangsphase engagiert und „Lawdy Miss Clawdy“ produziert hatte – trotz der schlechten Aufnahmequalität: „Die Stimme war unbestreitbar die eines Stars“, wie er später sagte. Little Richard „hatte etwas zu sagen, und mir fiel niemand ein, der sich besser auszudrücken wusste.“ Bumps mochte einen guten Riecher bewiesen haben, ahnte aber nicht annähernd, was kommen würde.
Er legte Rupe ans Herz, Richard unversehens unter Vertrag zu nehmen, und der Firmenchef habe sich beileibe nicht überschlagen, es dann aber getan (Art behauptete das Gegenteil: Blackwell habe „nicht viel davon gehalten“, doch er selbst will gesagt haben: „Nehmen wir ihn unter Vertrag, er klingt wie B. B. King!“). Bevor man Clint Brantley jedoch einen Vertrag für Richard zum Unterzeichnen schicken konnte, fand Rupe heraus, dass dieser noch an Peacock gebunden war. Darüber hinaus war Don Robey immer noch äußerst empört über den Mann, der ihn einfach so verlassen hatte, und wollte seinen Vertrag erst nach einem weiteren Racheakt auflösen: Er mahnte 600 Dollar an, die Rupe schließlich für Richard bezahlte.
Er war überzeugt davon, einen richtigen Glücksgriff gemacht zu haben. Nach einem Telefongespräch, in dem sich Richard als großer Fan von Fats Dominos Sound geäußert hatte, setzte Rupe für den 13. September eine Aufnahmesession in New Orleans fest, und zwar im Zentrum der kosmischen Schwerkraft des Blues und Rock – bei J&M Recording im hinteren Teil eines Möbelgeschäfts in der Rampart Street. Er wusste schon zu diesem Zeitpunkt, dass Mr. Penniman bei all seinem Talent ein Quälgeist sein konnte. Richard war, während er auf eine Rückmeldung von Rupe wartete, an einer Tankstelle von der Polizei von Macon festgenommen worden. Er hatte sich auf einem sehr bizarren Ausflug mit einer Frau befunden, die sich (von ihm) beim Sex mit Männern zuschauen ließ. Man verdonnerte ihn wegen unzüchtigen Verhaltens zu einer mehrtägigen Gefängnisstrafe. Solche Aktivitäten konnten einem Star großen Ärger bereiten. Obwohl der Vorfall nicht aktenkundig wurde, hielt sich Richard eigenen Angaben zufolge zumindest für eine Weile von der Stadt fern. „Ich konnte deshalb nicht mehr dorthin zurückkehren. Wir sind einfach ununterbrochen weitergetourt.“
Er blieb gleichwohl lange genug, um den Vertrag mit Specialty zu unterschreiben, ehe er mit den Upsetters zu seinem dritten Versuch, weitreichenden Erfolg zu erlangen, nach New Orleans aufbrach. In seinem Übermut mochte er geglaubt haben, im Begriff zu sein, den Lauf der Geschichte zu ändern, indem er sich von seiner Bestimmung, „richtig rhythmischem Rock ’n’ Roll“ zu spielen, leiten ließ. Falls ja, war er der Einzige, der das dachte.