Читать книгу Elton John - Mark Bego - Страница 10
ОглавлениеAnfang der 1960er-Jahre war Reginald Dwight an verschiedenen Fronten gefordert. An erster Stelle stand seine schulische Laufbahn an der Pinner Grammar School. Danach kamen seine Stunden an der Royal Academy Of Music. Aber er hatte auch bereits ein Dauerengagement im Pub des Northwood Hills Hotel, und er spielte in einer neuen Band, der R&B-Gruppe Bluesology. Es sollte jedoch nicht mehr lange dauern, bis er alles andere, was seine Zeit beanspruchte, zur Seite schob, um sich ganz und gar auf Bluesology zu konzentrieren – und auf seinen Traum, in der Musikbranche zu Ruhm und Ehre zu kommen.
Als erstes fiel diesem Traum der Unterricht an der Royal Academy Of Music zum Opfer. Seiner Lehrerin Helen Piena war schon eine ganze Zeitlang aufgefallen, dass sich ihr Schützling allmählich ihrem Einfluss entzog und sich mehr mit Rock’n’Roll und Pop beschäftigte als mit klassischer Musik. „Damals wurde ihm wohl klar, was er tun wollte“, erinnert sich Piena. „Später erzählte er mir, er hätte eine eigene Jazzband gegründet und sei damit sehr beschäftigt. Für mich legte er sich nicht so ins Zeug. Ich gab ihm ein paar der schönsten Stücke, die ich kannte, Mozart zum Beispiel. Ich wollte ihn einfach irgendwie dazu verlocken, ein bisschen zu üben; mir war klar, dass in ihm sehr viel Musik steckte, die ich jedoch nicht zum Vorschein bringen konnte. Dabei war das normalerweise meine große Stärke, die Talente der Kinder, die ich unterrichtete, zu erkennen und zu fördern. Aber bei Reggie gelang mir das nicht, weil ich schlicht die falsche Musik anbot.“(1)
Piena erinnert sich auch daran, wie Reginald ihr davon erzählte, dass er seine Schulausbildung komplett abbrechen wollte, um seine Popmusikträume zu verfolgen, und wie sie versuchte, ihm das auszureden. „Ich sah ihn immer an, wie er da auf dem Hocker neben mir saß“, berichtete sie, „und ich versuchte eine Dreiviertelstunde lang, ihn dazu zu überreden, zur Universität zu gehen. Aber er sagte immer: ‚Nein, aus meiner Familie hat niemand studiert, das mache ich auch nicht.‘ Leider konnte ich ihn nicht überzeugen.“(2) Es dauerte nicht lange, bis er den Musikunterricht aufgab.
Obwohl er die samstäglichen Stunden an der Academy offenkundig langweilig fand, räumte er später ein: „Ich bin sehr froh, dass ich eine klassische Musikausbildung bekam, weil man dabei die verschiedensten Arten von Musik zu schätzen lernt. Es hilft einem auch beim Songwriting, weil man als Pianist in der Regel mehr Akkorde verwendet, als wenn man auf der Gitarre komponiert. Bei mir hatte das viel mit meinem Klavierspiel zu tun, meiner Liebe für Chopin und Bach und mit meiner Begeisterung für das Singen im Chor. Meine Songs sind bestimmt stärker klassisch geprägt als die Titel von Künstlern, denen diese Musikausbildung fehlt, und dafür bin ich dankbar.“(3) Tatsächlich bekam Reggie an der Royal Academy Of Music den musikalischen Schliff, der ihm später als Komponist sehr zugute kam. Nicht nur er profitierte davon: Zwei seiner späteren Mitstreiter, der Orchesterarrangeur Paul Buckmaster und der Produzent Chris Thomas, wurden ebenfalls an der Royal Academy ausgebildet.
Reggies Engagement im Northwood Hills Hotel erwies sich vor allem gegen Ende der zwei Jahre als recht nützlich, um Bluesology weiter voranzubringen. Er legte so viel Geld wie möglich beiseite, um sich irgendwann einen eigenen Verstärker für zusätzliche Clubauftritte leisten zu können, und er konnte gelegentlich auch die Bühne der Bar benutzen, um mit Bluesology zu proben.
Bei der Namensfindung hatte sich die vierköpfige Band von dem belgischen Jazzgitarristen Django Reinhardt und seinem musikalischen Meisterwerk „Djangology“ inspirieren lassen. Da Reggie und seine Freunde nun einmal Blues spielten, schien „Bluesology“ ideal, um schon mit dem Namen einen Hinweis auf ihren Sound zu geben. Zur Besetzung gehörten anfangs Rex Bishop am Bass, Stuart A. Brown an der Gitarre, Mike Inkpen am Schlagzeug und Reginald Dwight an den Keyboards. Wenig später beschloss die Band, zusätzlich noch einen Saxophonisten, Dave Murphy, hinzu zu holen.
Zunächst waren Bluesology nichts weiter als eine ordentliche Pub- und Bar-Band. Sie spielten überall, wo man sie auf die Bühne ließ. Elton erinnerte sich: „Wir spielten in Pfadfinderhütten und bei Tanzveranstaltungen von Jugendclubs – mit einem Zehn-Watt-Verstärker und akustischem Klavier. Aber wir spielten immer die falschen Sachen. Bluesology kamen entweder zwei Monate zu spät oder waren drei Jahre zu früh dran. Wir sprachen ein Minderheitenpublikum an und dachten, wir wären unheimlich hip, weil wir Songs von Jimmy Witherspoon spielten.“(4) Für Reggie und seine Bandkollegen galt es als Zeichen größter Coolness, das Material von Musikern wie Witherspoon zu covern, einem schwarzen Bluesmusiker aus Alabama, der mit Songs wie „Ain’t Nobody’s Business“, „Big Fine Girl“, „No Rollin’ Blues“ und „Times Getting Tougher Than Tough“ bekannt geworden war.
1965 ergab sich schließlich die große Chance für den siebzehnjährigen Reginald Dwight. Über seinen fußballspielenden Cousin Roy Dwight, der nach Stanleys Scheidung weiterhin mit Sheila und Reggie in Kontakt geblieben war, kam die Verbindung zu einem Musikverlag zustande, aus dem sich tatsächlich ein Job entwickeln sollte. Über einen Fußballkollegen war Roy mit Pat Sherlock bekannt, der bei dem Verlag Mills Music arbeitete, und Pat erklärte sich schließlich bereit, sich Roys kleinen Cousin einmal anzusehen.
„Ich sehe ihn noch vor mir, wie er in meinem Büro saß“, erinnerte sich Sherlock, und ich dachte: ,Für einen Pianisten hat er aber kleine Hände.‘ Er hatte die Angewohnheit, sich immer wieder nervös die Brille auf der Nase hochzuschieben, und so einen lustigen, schmollenden Gesichtsausdruck.“(5)
Reginald war bei dem Vorstellungsgespräch so engagiert, dass Sherlock ihm sofort einen Job als Bürogehilfe bei Mills Music anbot, zum fürstlichen Lohn von fünf Pfund die Woche. Reggie fällte die wichtigste Entscheidung seines jungen Lebens: Er war bereit, für diesen schlecht bezahlten Posten bei einem Musikverlag im West End die Schule abzubrechen.
Das führte zu großen Spannungen innerhalb der Familie. Stanley war entsetzt von der Vorstellung, dass sein Sohn alles hinwerfen wollte, und das nur wenige Monate vor seinem Abschluss. Aber Reggie hatte sich entschieden. Später erzählte Elton einmal: „Ich habe immer noch einen Brief von meinem Vater, in dem es heißt: ‚Er muss diesen ganzen Pop-Quatsch aus dem Kopf bekommen, sonst kommt er noch auf die schiefe Bahn, und er sollte sich einen vernünftigen Job bei der BEA oder Barclays Bank suchen.‘ Ich habe mich wirklich einmal bei der BEA beworben. Aber meine Mutter hat nie versucht, mir die Musik auszureden.“(6)
Reginald Kenneth Dwight ließ sich von den Ansichten seines Vaters nicht beirren. Am 5. März 1965 besuchte er zum letzten Mal den Unterricht an der Pinner Grammar School, und er bereute seinen Ausstieg nie. Wenn er wirklich ernsthaft Karriere im Musikgeschäft machen wollte, dann würde er eine bessere Ausgangsbasis haben, wenn er für einen anerkannten Musikverlag arbeitete.
Als Reggie seinem Geschichtslehrer von seinen Plänen erzählte, gab ihm Bill Johnson einen guten Rat: „Ich sagte ihm, wenn er es mit dem Musikgeschäft versuchen wollte, dann sei das vermutlich der vernünftigste Weg. ‚Wenn du vierzig bist‘, erklärte ich, ‚dann bist du entweder ein wirklich erfahrener Bürogehilfe – oder aber Millionär.“(7) Johnson sollte Recht behalten – für Reggie wurde die zweite Möglichkeit wahr.
Bei Mills Music handelte es sich um den Londoner Zweig eines amerikanischen Musikverlags, der unter anderem die Songs von Legenden wie Fats Waller, Leroy Anderson und Duke Ellington verlegte; die Londoner Tochter hatte einige Hits für den britischen Popsänger Cliff Richard verzeichnen können und Klavierstücke von Russ Conway herausgebracht.
Reggie arbeitete im hinteren Teil des Büros, das sich in einem Lagerhaus am Denmark Place befand. Der damalige Geschäftsführer hieß Cyril Gee; er erinnerte sich später, als man ihn nach dem jungen Reginald Dwight fragte, an „einen moppeligen Jungen“, der ihn stets mit „Sir“ ansprach, und er fügte hinzu: „Eines Tages kam er zu mir und fragte, ob er in der Mittagspause auf einem der Klaviere des Arrangeurs spielen dürfte.“(8)
Es war sicherlich nicht der aufregendste Job der Welt, aber Reggie arbeitete im Musikgeschäft und hatte das Gefühl, ein Profi in der Unterhaltungsindustrie zu sein. Er war der „Teekocher“, denn es gehörte zu seinen Aufgaben, die gesamte Belegschaft mit Tee zu versorgen. „Außerdem musste ich die Pakete zum Postamt bringen, das etwa eineinhalb Kilometer entfernt lag“, sagte er. „Ich arbeitete in der Packstation, packte alles ein und brachte die Sendungen dann mit einer Karre zur Post auf dem Kingsway in der Nähe des Oasis-Bads. Außerdem musste ich Joe Loss Nachrichten überbringen, das fand ich immer wirklich aufregend. Wenn ich heute an diese Zeit zurückdenke, dann hat mir die Arbeit dort wirklich viel Spaß gemacht. Die Leute waren nett, und wir haben uns immer gut amüsiert.“(9)
Als Botenjunge oder „Teekocher“ stieg man auf der untersten Ebene der Londoner Musikverleger ins Geschäft ein. Reggie freundete sich in dieser Zeit mit einem Jungen namens Caleb Quaye an, der damals als Bürogehilfe für den Musikalienhandel Paxton’s in der Old Compton Street arbeitete. Er kam jeden Tag zu Mills Music und lieferte Bestellungen ab; in den nächsten zehn Jahren sollte Caleb bei den verschiedenen musikalischen Unternehmungen Elton Johns eine große Rolle spielen.
Eine Weile lief Reggies Engagement im Northwood Hills Hotel weiter, während er gleichzeitig bereits mit seiner Band Bluesology probte. Es fiel ihm nicht leicht, eine feste Einkommensquelle aufzugeben, aber schon bald wurde es unumgänglich, seine ganze Zeit und Energie in Mills Music und Bluesology zu stecken.
Reggie trat noch eine Weile weiter in der Bar auf, vor allem, um Geld für besseres Equipment zusammenzubekommen. Georgie Fame hatte gerade mit dem Song „Yeh Yeh“ einen großen Hit gelandet, und plötzlich war der Sound des E-Pianos ausgesprochen angesagt. Reggie hätte gern selbst eins besessen und fragte schließlich George Hill, den Geschäftsführer der Bar des Northwood Hill Hotels, ob er ihm 200 Pfund für ein solches Instrument leihen würde; Hill erklärte jedoch, dass er sich das augenblicklich nicht leisten könnte.
Dem Schlagzeuger Mike Inkpen gelang es schließlich, einen Investor aufzutreiben, der das nötige Kleingeld mitbrachte. Inkpen arbeitete damals für einen Londoner Schmuckhersteller und hatte einen Chef in den Dreißigern, der Arnold Tendler hieß. Er lud seinen Boss zu einem Konzert ein, als die Band auf einem Kirchenfest in Pinner auftrat, und der war beeindruckt. Tendler wurde der erste Manager von Bluesology.
Seinen ersten Eindruck von Reggie schilderte Tendler später so: „Am Klavier saß ein kleiner, rundlicher Junge, der Sachen anhatte, die selbst mir spießig vorkamen. Aber wenn er spielte, war er großartig. Schon damals stieß er den Klavierhocker weg und spielte auf dem Boden sitzend weiter.“(10)
Elton hatte weniger gute Erinnerungen daran: „Ich musste auf einem alten Klavier spielen, das völlig verstimmt war, und ich sang über einen kleinen Verstärker. Einige Male musste ich aus dem Fenster springen, weil üble Schlägereien ausbrachen. Nach einiger Zeit fand ich den Job richtig furchtbar. Zum einen war ich ziemlich nervös, und zum anderen hatte ich angefangen, Rockmusik zu machen. Eigentlich spielte ich da nur noch, weil ich für ein E-Piano von Hohner sparte. Sobald ich das Geld zusammen hatte, hörte ich in dem Pub auf, weil Bluesology ohnehin immer mehr Auftritte bekamen.“(11)
Mit der Band ging es nun, da sie einen Manager hatte, schneller voran. Die Musiker nahmen jedes Auftrittsangebot an. „Wir haben verdammt viel gearbeitet“, sagte Elton später. „Einmal hatten wir vier Gigs an einem Tag. Wir spielten erst in einem Club eines amerikanischen Militärstützpunktes, dann fuhren wir nach Birmingham und traten dort in zwei verschiedenen Tanzsälen auf. Um sechs Uhr morgens waren wir zu einem Auftritt im Cue Club, einem schwarzen Pub in London, wieder zurück.“(12)
Doch schon bald gab es bei Bluesology Meinungsverschiedenheiten, was die musikalische Richtung betraf. Der Leadsänger Stuart Brown stand mehr auf den Blues Marke Jimmy Witherspoon, Reggie mehr auf Rock’n’Roll. Tendler buchte die Band damals für die unterschiedlichsten Konzerte. „Wir spielten beispielsweise bei der South Harrow British Legion“, sagte Elton, „und wir waren in jeder Hinsicht eine ziemlich snobistische Band. Meist waren wir einen Schritt hinter allen anderen zurück. Wir spielten Songs von Jimmy Witherspoon wie ‚Times Are Getting Tougher Than Tough‘ oder ‚When The Lights Go Out‘ – unser Sänger, Stuart Brown, war ein totaler Fan von Jimmy Witherspoon. Bei dem Gig vor der South Harrow British Legion tauchten diese ganzen Rocker mit ihren Motorrädern auf, die drohten, unsere Instrumente kurz und klein zu schlagen, wenn wir keinen Rock’n’Roll bringen würden. Mir kam das sehr entgegen, schließlich spielte ich zu der Zeit sowieso am liebsten Songs von Little Richard und Jerry Lee Lewis.“(13)
Arnold Tendler organisierte nicht nur die Konzerte, er brachte vor allem genug Geld mit, um die erste Aufnahme von Bluesology zu bezahlen. Die Band spielte ein Demo mit zwei Songs ein, die am 3. Juni 1965 in einem Aufnahmestudio in Rickmansworth aufgezeichnet wurden, das Jack Jackson gehörte, dem Sohn eines in Großbritannien sehr bekannten Bandleaders.
Für Reggie war es besonders aufregend, weil seine erste Komposition „Come Back Baby“ zu den beiden ausgewählten Titeln gehörte. Er hatte sie nicht nur geschrieben, er übernahm auch den Leadgesang. Und Mills Music, für die er immer noch als Teekocher arbeitete, verlegten Musik und Text des Liedes. Den zweiten Song, der an diesem Tag aufgenommen wurde, sang wie üblich der Bluesology-Sänger Stuart Brown. Dass er nicht auch Reggies „Come Back Baby“ brachte, hatte Elton zufolge einen einfachen Grund: „Er konnte es nicht singen. Er hatte eine sehr, sehr tiefe Stimme.“(14)
Der nächste Schritt bestand natürlich darin, eine Plattenfirma auf das Material aufmerksam zu machen. Reggie verschwendete keine Zeit und wandte sich an Phillips Records. Er erzählte später: „Zuerst schrieb ich den Song, und ich erinnere mich nicht mehr, wie es mir überhaupt gelang, einen Vorspieltermin zu bekommen. Ich ging zu Jack Baverstock bei Phillips Records und stellte ihm das Demo vor, das wir in Jacksons Studio eingespielt hatten, und ihm gefiel der Song. Wir gingen ins Studio, und in drei Stunden nahmen wir ‚Come Back Baby‘ und die B-Seite, Jimmy Witherspoons ‚Times Getting Tougher And Tougher‘, auf.“(15)
Im Anschluss an die Veröffentlichung der Single waren Bluesology plötzlich sehr gefragt. „Wir gaben neun oder zehn Gigs die Woche“, berichtete Elton. „Dafür bekamen wir jeder 15 Pfund, von denen wir aber auch unsere gesamten Spesen bestreiten mussten: Hotels, Benzin, Raten und Reparaturen der Instrumente, aber irgendwie kamen wir rum. Wir mussten nie hungern, weil man damals in Städten wie Manchester oder Newcastle durchaus für fünf oder sieben Shilling eine Übernachtung mit Frühstück bekam. Anstrengend war dabei lediglich, dass wir unsere ganze Ausrüstung selbst tragen mussten, weil wir keine Roadies hatten … und dass unser Bus gelegentlich liegen blieb [seufzt]. Das waren die einzigen Unannehmlichkeiten, ansonsten war ich eigentlich immer bester Laune.“(16)
Einer der erinnerungswürdigsten Auftritte fand im berühmten Cavern statt, jenem Liverpooler Club, in dem die Beatles einmal angefangen hatten. „Im Cavern spielten wir zweimal“, berichtete Elton, „und es war definitiv einer der übelsten Läden, wo wir wahnsinnig darauf aufpassen mussten, dass nichts von unseren Sachen geklaut wurde; einer von uns stand dauernd Wache. Und auf dem Männerklo liefen die Abflüsse über, es war total eklig. Trotzdem war es ein toller Ort für ein Konzert. Wenn ich heute an diese Zeiten zurückdenke, hatten wir wirklich unheimlich viel Spaß. Ich kann mich nicht daran erinnern, schlecht drauf gewesen zu sein oder Hunger gehabt zu haben. Ich wohnte noch zu Hause und musste keine Miete zahlen, aber trotzdem frage ich mich heute, wie es mir gelang, mit nur 15 Pfund in der Woche zurechtzukommen.“(17)
Die Karriere von Bluesology gliederte sich in drei Abschnitte. Im ersten versuchten sie, aus eigener Kraft den großen Durchbruch zu landen. In der zweiten konzentrierten sie sich darauf, als Begleitband für amerikanische Sänger zu fungieren, die durch Großbritannien tourten. Und in der dritten wurden sie die Backup-Band für den britischen Bluesrock-Sänger Long John Baldry. Als „Come Back Baby“ sich nicht sofort als großer Chartstürmer erwies, versuchten Reggie, Mike, Rex, Stuart und Dave, mit einer anderen Strategie zu Stars zu werden.
1966 ließen sie sich von amerikanischen Showgrößen engagieren, die für ihre Konzerte Begleitmusiker brauchten. „Im Gaumont State in Kilburn spielten wir bei Roy Tempest vor, und er sagte ‚Ja‘“, berichtete Elton. „Er bot uns einen Job als Band für Wilson Pickett an, und wir probten wie die Wilden … bis Pickett dann kam, sagte, dass wir lausig waren, und wieder nach Amerika fuhr. Wie man sich vorstellen kann, waren wir ziemlich enttäuscht. Allerdings nicht lange, denn wir bekamen gleich das nächste Engagement als Begleitband für Major Lance. Das war der Punkt, an dem wir beschlossen, Profimusiker zu werden. Wir begleiteten noch viele andere amerikanische Künstler wie zum Beispiel Patti LaBelle mit ihren Bluebelles.“(18)
Major Lance, der Bluesology nach der Ablehnung durch Wilson Pickett eine neue Chance gab und ihnen den Schritt ins Profilager ermöglichte, hatte damals einige große Hits wie „The Monkey Time“ (1963), „Hey Little Girl“ (1963) oder „Um, Um, Um, Um, Um, Um“. Für Bluesology boten diese Gigs zudem eine hervorragende Möglichkeit, sich vor einem unvoreingenommenen Publikum zu beweisen, das die Band noch nicht kannte.
Elton erinnert sich: „Major Lance war der erste, mit dem es losging, und dann folgte eine ganze Reihe weiterer Künstler. Wir spielten zweimal mit Patti LaBelle & The Bluebelles, hatten zwei Konzerte mit den Original Drifters, eine ganze Tournee mit Doris Troy und eine mit den Ink Spots und Billy Stewart. Zwischendrin, wenn wir keine anderen Musiker unterstützten, leisteten wir die obligatorischen Auftritte in Hamburg ab. Das war noch so eine Erfahrung, die mich erwachsen werden ließ und wirklich weiterbrachte. Danach fuhren wir nach Schweden und einen Monat nach Südfrankreich. Wir machten eben so ganz mittelmäßige Dinge.“(19)
Billy Stewart brachte Bluesology entscheidend voran. Er war ein echter Musikprofi, der in den 1950er-Jahren von Bo Diddley entdeckt worden war; seine ersten eigenen Aufnahmen hatte er 1956 eingespielt. Von Bluesology erwartete er, dass sie auf der Bühne richtig abrockten, und er duldete es nicht, wenn jemand nicht sein Letztes gab. Die Forderung nach punktgenauen Arrangements und prägnantem Zusammenspiel auf der Bühne wusste Elton später sehr zu schätzen: „Billy Stewart hat uns wirklich zusammengeschweißt. Er war auf der Bühne hervorragend … einfach unglaublich. Sein Timing, sein Showtalent und seine Stimme waren einfach großartig.“(20)
Die Aufträge, die ihnen Roy Tempest vermittelte, erwiesen sich oft genug als Sprung ins kalte Wasser. Die Soulmusiker, die er nach England holte, hatten oft den Höhepunkt ihrer Karriere längst überschritten. Zudem stellte Tempest den durchreisenden Künstlern seine eigene Wohnung als Hotel zur Verfügung und berechnete den Bandmitgliedern für die bescheidene Unterkunft sogar noch Miete. Zu seiner Geschäftsstrategie gehörte es, Bands zu engagieren, die eine bestimmte Erfolgsgruppe imitierten, und lediglich das Wörtchen „Original“ dem Bandnamen hinzuzufügen, um Schwierigkeiten mit dem Copyright zu vermeiden. Er holte beispielsweise eine Band, die wie die Drifters klang, und nannte sie „Original Drifters“, um zu vertuschen, dass die Sänger nicht das Geringste mit dem eigentlichen Hit-Ensemble zu tun hatten. „Tempests Doppelgänger waren faszinierend“, berichtet Elton, „und wie es uns je gelang, die Tourneepläne einzuhalten, weiß ich nicht mehr. Tempest kam später wegen dieser Geschichte mit den nachgemachten Bands aus den USA sogar in die Zeitung … ich erinnere mich an ‚James Brown Jr.‘ und ‚The Original Supremes‘, und wir spielten ein paar Mal als Backing-Band für ‚The Original Drifters‘. Richtig leid taten mir die Ink Spots, weil das Publikum erwartete, dass sie so ähnlich wie die Drifters sein würden. Als wir im Ritz und im Plaza in Birmingham auftraten, hatten sie drei Leute engagiert, die vorn an der Bühne standen und klatschten, um die Zuschauer zumindest ein bisschen in Fahrt zu bringen. Der Laden war voll, als sie auf die Bühne gingen, und leer, als sie ihren Auftritt beendeten. Das war wirklich schade, denn sie waren total nett. Sie fingen meist mit ‚Back In Your Own Yard‘ an, den Abschluss bildete ‚When The Saints Go Marchin’ In‘, und sie spielten auch Sachen wie ‚Whispering Grass‘. Aber selbst damals waren die Zuschauer im Twisted Wheel so hip, dass sie eine echte 78er-Schallplatte der Ink Spots ins Konzert mitbrachten, die sie irgendwo auf dem Dachboden aufgestöbert hatten, und sie auf den Schultern trugen. Das Wheel und das Mojo waren die angesagtesten Läden überhaupt.“(21)
Die aufregendste Band, mit der Reggie und seine Mitmusiker damals spielten, war zweifellos Patti LaBelle & The Bluebelles. Die vier jungen Frauen – außer Patti selbst waren noch Sarah Dash, Nona Hendryx und Cindy Birdsong dabei – stammten aus dem Süden von New Jersey und aus Philadelphia und sangen seit 1962 zusammen. Ihr erster Hit hieß „I Sold My Heart To The Junkman“, später folgten eher am Mainstream-Geschmack ausgerichtete Standards wie „Danny Boy“, „You’ll Never Walk Alone“ und „Over The Rainbow“, das aus jenem Film stammte, der später Eltons Album Goodbye Yellow Brick Road stark beeinflussen sollte: Der Zauberer von Oz.
Als Patti, Nona, Sara und Cindy 1966 durch England tourten, hatten sie eine Phase des Stillstands in ihrer Karriere erreicht. Selbst in den USA konnten sie nicht die Charthits verzeichnen, wie sie beispielsweise die Supremes oder Martha Reeves & The Vandellas vorlegten. Dennoch stand den Bluebelles der ganz große Erfolg noch bevor.
1967 stieg Cindy aus, um Florence Ballard bei den Supremes zu ersetzen. Patti, Nona und Sarah blieben zusammen und benannten sich 1970 in LaBelle um. Eine Weile arbeiteten sie mit demselben Manager zusammen, der auch The Who betreute, Kit Lambert. Doch erst, als sie die Zügel ihrer Karriere in die Hände einer engagierten Managerin namens Vicki Wickham legten, ging es für sie wirklich voran. Anfang der Siebziger hatten sie mit „Lady Marmalade“ einen Riesenhit, und 1975, auf der Höhe ihres Ruhms, kamen sie wieder mit Reginald Dwight zusammen – der inzwischen längst Elton John hieß.
Sarah Dash, Nona Hendryx, Cindy Birdsong und Patti LaBelle lernten Reg Dwight 1966 kennen, als sie ihre ausgedehnte Tour durch die Clubs und Diskotheken Großbritanniens begannen. „Unsere Band trafen wir in London“, berichtete Sarah. „Man hatte den Jungs die Musik schon vorab zugeschickt, aber aus irgendeinem Grund brachten wir damals Balladen und alles Mögliche, und bei ein paar Sachen waren sie sich nicht ganz sicher, wie sie die hinkriegen sollten. Wir sangen softe Songs wie ‚You’ll Never Walk Alone‘ oder ‚Groovy Kind Of Love‘, das damals ein großer Hit war.“(22)
Auch an den 19-jährigen Reggie Dwight erinnerte sich Sarah: „Er war ein kleiner, rundlicher Kerl mit Brille. Er war einfach süß, immer guter Laune und ein ganz angenehmer Typ, der ja auch einige Jahre jünger war als wir. Er war noch ein Teenager, immer gut drauf und ein bisschen kindlich. Außerdem fand er es total aufregend, mit einer Band aus Amerika zusammenzuarbeiten. Damals hatte ich keine Ahnung, dass er ein so vielseitiger Songwriter war. Für mich war er der Typ in der Band, der den Sound zusammenhielt. Es gab ein paar Momente, in denen es nicht so gut lief, aber wir mussten ja durchhalten.“(23)
LaBelle und Bluesology traten nicht nur in der britischen Hauptstadt auf, sondern reisten im Zickzack durch ganz Großbritannien. „Wir spielten in zahllosen Clubs im Norden, und das war wirklich harte Arbeit“, berichtete Dash. „Weil wir so lange in England waren, mieteten wir uns eine Wohnung. Das erste Mal blieben wir für drei Wochen, und wir mussten immer Shilling-Münzen in die Gasuhr werfen, damit die Heizung lief. Für uns war das ein ganz schöner Kulturschock. Später hatten wir dann allerdings ein wenig mehr Luxus auf Tour.“(24)
Sarah, aber auch die anderen drei Bluebelles, freundeten sich eng mit Reggie Dwight an. „Wir trafen uns bei den Proben. Sie spielten ja für uns. Hinter der Bühne war es oft langeweilig, wenn wir in Orten wie Manchester festsaßen. Patti liebte damals Ingwerkekse, ebenso wie Elton, den wir damals noch Reggie nannten. Es gibt ein Foto von Patti und Elton, auf dem sie beide diese runden Ingwerkekse wie kleine Kreise im Mund haben. Elton war uns gegenüber immer sehr respektvoll. Es war eine schöne Zeit. Er war einfach ein rundlicher, aufgeweckter kleiner Bursche.“(25)
Auf die Frage, wie es war, Bands wie Patti LaBelle & The Bluebelles zu begleiten, meinte Elton: „Hart. Ich meine, wir waren zunächst mal nicht die beste Band der Welt. Damals brachten LaBelle langsame Sachen wie ‚Over The Rainbow‘ und ‚Danny Boy‘; Sachen, die in den Clubs die völlig falsche Auswahl waren. Am besten kamen Songs wie ‚I Sold My Heart To The Junkman‘, ‚Groovy Kind Of Love‘ oder ‚All Or Nothing‘ an. … Seien wir ehrlich, wir waren eine sehr durchschnittliche Begleitband, und wenn man Patti LaBelle heute fragen würde, dann würde sie sicher ebenfalls sagen, dass Bluesology nicht die beste Truppe war, als sie zum ersten Mal nach England kam. Und sie hätte Recht!“(26)
Dennoch hatte Patti nur lobende Worte für Elton übrig. „Zu Beginn der Tour taten wir uns mit der energiegeladenen englischen Band Bluesology zusammen, die damals viele amerikanische Künstler begleitete. Nach den Konzerten kamen sie oft mit zu uns, und wir betranken uns und spielten Karten. Der Pianist Reggie Dwight spielte Klavier wie kein anderer Weißer, den ich je gehört habe.“(27)
Vor und nach den Konzerten saßen die Musiker gern beim Kartenspiel zusammen. Patti spielte am liebsten Tonk, eine Abart von Rommé, für das man ein Standarddeck von 52 Karten benötigt. „Reggie dachte aus irgendeinem Grund, er sei mit den Karten genauso gut wie am Klavier“, berichtete Patti amüsiert. „Er gab nicht auf, bis ich das ganze Bisschen Geld gewonnen hatte, das er besaß. ‚Komm schon, Patti‘, sagte er immer mit seinem süßen britischen Akzent. ‚Noch eine Runde Tonk, und dann gewinne ich meine ganzen Scheine zurück.‘ Dabei hat er nie etwas gewonnen außer meiner Sympathie. Ich hätte ihn mit leeren Taschen nach Hause gehen lassen können, aber ich ließ nie zu, dass er hungern musste. Wenn ich sein ganzes Geld gewonnen hatte, kochte ich Reg das größte, schärfste Abendessen, das er je gegessen hatte. Anschließend saßen wir zusammen und unterhielten uns – über Musik, die USA, über seine Träume.“(28)
Einige Monate später gingen Patti LaBelle & The Bluebelles erneut auf Großbritannien-Tournee, und wieder waren Bluesology mit Reg Dwight ihre Begleitband. „Als wir zurückkamen, spielte er nicht mehr mit denselben Leuten, sondern hatte sich eine neue Besetzung gesucht“, sagte Sarah Dash.(29) Bluesology war im stetigen Wandel begriffen, und eine Weile sah es so aus, als ob Reggie das einzige Element war, das die Band zusammenhielt.
Die dritte und letzte Bluesology-Phase wurde durch einen rockenden Bluesmusiker eingeläutet, der sich Long John Baldry nannte. Er hatte sehr großen Einfluss auf die Entwicklung, die aus Reg Dwight schließlich Elton John werden ließ. Baldry vermittelte Reg neue musikalische Erfahrungen, und er war der erste, der ihm in die Augen sah und rundheraus erklärte, er werde nie viel Glück bei Frauen haben – weil er schwul sei.
Die Karriere von Long John Baldry verlief in vielen Phasen ähnlich wie die von Elton John. Viele Male legte er auf den Mainstream an, und seine Laufbahn verzeichnete zahlreiche Höhepunkte. Er wurde vom Bluesmann zur Rocklegende, hatte einen überraschenden Pop-Hit, „entdeckte“ sowohl Rod Stewart als auch Elton John und sah sie beide dann einen Starstatus erlangen, der seinen eigenen Ruhm bei weitem überragte. Doch sie beide boten Baldry, als sie selbst zu Superstars aufgestiegen waren, ihre Unterstützung an und übernahmen die Koproduktion der beiden berühmtesten Alben seiner ganzen Karriere.
Seinen Spitznamen hatte der „lange“ John Baldry wegen seiner Größe von lichten zwei Metern bekommen, und er war überall, wo er erschien, eine imposante, gediegene Erscheinung. Der große Junge mit der klangvollen Stimme, der am 12. Januar 1941 zur Welt gekommen war, hatte zunächst im Kirchenchor gesungen, bevor er im Alter von zwölf Jahren den Blues entdeckte. Er liebte vor allem die Songs schwarzer Bluesmusiker wie Muddy Waters, Willie Dixon und Huddie „Leadbelly“ Ledbetter, die dafür sorgten, dass sich seine musikalischen Interessen grundlegend wandelten. Mit 15 stand Baldry das erste Mal in der Acton Town Hall auf der Bühne eines Clubs. Später beherrschte er auch die 12-saitige Akustikgitarre hervorragend und ging mit der Folk-Ikone Ramblin’ Jack Elliott auf Europa-Tournee.
In London trat er häufig mit dem Gitarristen Davy Graham auf, und gemeinsam mit Cyril Davies und Alexis Korner wurde Baldry bald zu einem der führenden Musiker im berühmten Folkclub The Roundhouse in der Wardour Street. In den frühen Sechzigerjahren zog Baldry nach Dänemark, kehrte dann aber nach London zurück und machte sich einen guten Namen in der Clubszene, wo er mit seiner Art, Bluesgitarre zu spielen, Musiker wie Eric Clapton und Spencer Davis beeindruckte.
Elton John kannte Baldry von seiner Musik und von der Bühne her. „Er war ein phantastischer Bluesgitarrist, insbesondere, wenn er ganz allein Sachen von Leadbelly brachte. Er war einfach überragend. Er war ein Pionier der britischen Bluesmusik und ganz weit vorne. Ohne John hätte es gar keine Bluesszene gegeben. Er war auf einer Höhe mit Alexis Korner und Cyril Davies. Und er trug immer schicke Anzüge und Krawatten und war ein unglaublich großer, imposanter Mann mit einem phantastischen Gespür für Mode.“(30)
In London gab es damals eine Szene, in der sich alle Musiker, die in den Siebzigern Furore machen sollten, über den Weg liefen. Dabei spielte das Hotel auf Eel Pie Island im Londoner Bezirk Richmond, das viele Konzerte veranstaltete, eine besondere Rolle. Baldry trat dort oft als Headliner auf und traf dabei auch alle anderen Künstler, die sich damals bemühten, ein Publikum für ihre Art von Blues, Rock oder Jazz zu finden, darunter auch die Rolling Stones.
Die Themse-Insel Eel Pie Island hatte ihren Namen erhalten, weil einst König Heinrich VIII. dort gern Aalpastete gegessen hatte. Etwa vierhundert Jahre später wurde sie zur Keimzelle einer ganz neuen Art britischer Popmusik. Der ehemalige Rolling Stones-Bassist Bill Wyman erinnerte sich: „Es gab dort einen tollen Rockclub. Wir spielten immer im Eel Pie Island Hotel. Früher war es einmal ein Jazz Club gewesen, aber das war, bevor wir dort anfingen. Es waren die Rolling Stones, die den Rock’n’Roll auf diese Insel brachten!“(31)
Am 7. Januar 1964 spielte Long John Baldry mit seiner damaligen Band, Cyril Davies’ R&B Allstars, im Eel Pie Island Hotel. Cyril war in der Nacht zuvor überraschend gestorben, und der ehemals zweite Sänger der Gruppe, Baldry, übernahm nun die Leadstimme. Auf dem Heimweg hörte Baldry auf dem Bahnsteig, wie ein junger Mann laut Bluessongs grölte, und er war sofort beeindruckt.
„Roderick David Stewart traf ich ungefähr zehn Minuten vor Mitternacht auf dem Bahnsteig der Twickenham Southern Railway Station, auf dem die Züge Richtung London abfahren“, erinnerte sich Baldry. „Es war eine kalte, feuchte, neblige Nacht, und der Bahnhof war damals noch ganz im viktorianischen Stil gehalten und von Gaslampen beleuchtet. Der Bahnsteig war leer, die dicke Nebelsuppe dämpfte alle Geräusche, und es war die perfekte Szenerie für einen Gruselfilm. Dann plötzlich drang durch den Nebel eine Mundharmonika an mein Ohr. Es war das Riff von Howlin’ Wolfs ‚Smokestack Lightning‘ und es war echter, unverfälschter Blues!“(32)
Als die beiden ins Gespräch kamen, zeigte sich, dass der junge Mann mit der Mundharmonika eine sehr gute Stimme hatte, und so lud Baldry ihn ein, am darauf folgenden Freitag in sein Konzert und zu ihm auf die Bühne zu kommen. Stewart berichtete: „Wenn ich den Abend auf Eel Pie Island verbracht hatte, war ich meist sturzbesoffen, aber ich erinnere mich, dass dieser Typ verdammt groß war, und deswegen ging ich auf seine Idee ein. Am nächsten Morgen, als ich wieder nüchtern war, fragte ich mich allerdings dann doch: ‚Ach du lieber Gott, worauf habe ich mich da bloß eingelassen?‘“(33)
Rod und Long John wurden enge Freunde, und es dauerte nicht lange, da sang Rod Stewart in Baldrys Band. Obwohl es viele Theorien darüber gibt, wie eng diese Freundschaft wirklich war, betonte Rod später, dass er und Long John nie miteinander ins Bett gingen, sondern sich wirklich nur platonisch sehr mochten.
Der Schallplattenproduzent Jimmy Horowitz meinte dazu: „Ich kenne Rod recht gut, und ich kannte auch Long John sehr gut, und ich bin mir sicher, dass es zwischen den beiden nie etwas gab. Rod ist ziemlich hetero und zog immer mit langbeinigen Blondinen herum. Er ist sich seiner Heterosexualität so sicher, dass er solche Gerüchte einfach nur ziemlich lustig findet. Es wurde immer viel darüber geredet, aber das war kompletter Blödsinn.“(34)
Rod erinnerte sich belustigt: „John nannte mich auf seine schwule Tour gerne Phyllis. Später verpasste er Elton den Namen Sharon. Paul Jones [aus Manfred Manns Band] bekam den Spitznamen Pimply Pearl, weil er so furchtbar schlechte Haut hatte. Das war alles Johns Idee. Er war der große Boss.“(35)
Baldry versuchte den großen Durchbruch mit einer Reihe von Bands. Sein nächstes Projekt nannte er The Hoochie Coochie Men; hier teilte er sich den Leadgesang mit Rod. Dann stießen Brian Auger und Julie Driscoll dazu, und sie nannten die Band Steampacket. Als auch Steampacket nicht den Sprung in den Mainstream schaffte, löste Baldry die Gruppe auf und suchte sich neue Mitstreiter.
Eines Abends erschien er im Cromwellian Club, und dort stand eine Band auf der Bühne, die sich Bluesology nannte und bei der ein strebsam wirkender Musiker namens Reginald Dwight am E-Piano saß. Reggie und seine Kollegen kannten Baldry zumindest vom Sehen, so wie man sich in der Londoner Clubszene eben kannte. Und ehe man sich versah, heuerte Baldry Bluesology als seine neue Begleitband an.
Elton John erinnerte sich an den schicksalhaften Abend: „John Baldry tauchte auf und fragte: ‚Hättest du nicht Lust, bei mir einzusteigen?‘ Und ich erwiderte: ‚Na, zumindest ist es ein Schritt in die richtige Richtung.‘ Ein Jahr spielten wir mit John, und am Anfang hatten wir ziemlich viel Soul im Programm. Unser Sänger Stuart A. Brown, Marsha Hunt, noch ein Sänger namens Alan Walker und Baldry selbst übernahmen den Gesang.“(36)
Bluesology waren damals gerade wieder nach London zurückgekehrt, nachdem sie zuvor ein Konzert in Schweden gegeben hatten. „Nach unserer Rückkehr aus Stockholm taten wir uns mit Long John Baldry zusammen“, berichtete Elton. „Baldry hatte seit der Auflösung von Steampacket nichts mehr gemacht, und als er uns eines Abends im Cromwellian sah, bot er uns einen Job als Begleitband an. Er wollte wohl wieder etwas Ähnliches wie Steampacket auf die Beine stellen, mit Stuart A. Brown, Alan Walker und Marsha Hunt. Sie sang im alten Studio 51 Club vor und brachte eine A-capella-Version von ‚Love Is A Many Splendored Thing‘ – und sie war ziemlich übel. Baldry aber sagte: ‚Großartig, meine Liebe, du bist dabei.‘“(37)
Weshalb Baldry sie einstellte, obwohl sie beim Vorsingen nicht überzeugt hatte, war für Elton klar: „Sie sah gut aus, und Marsha ist auf den ersten Blick eine beeindruckende Person. Sie war hübsch, und Baldry reichte es, dass sie schwarz war und einigermaßen singen konnte. Das war’s, was er wollte: Ein schwarzes Mädel, zwei Jungs und er selbst am Mikrofon.“(38)
Natürlich stellt sich die Frage, weshalb Reggie Dwight, der ja immerhin auf der A-Seite der ersten Bluesology-Single selbst gesungen hatte, nicht ebenfalls in die erste Reihe drängte. „Ich wollte nicht der Leadsänger sein“, behauptete Elton allerdings. „Ich wollte die Backing-Vocals machen, die ‚Ooohs‘ und ‚Aaahs‘. Aber ich durfte nicht mal das. Als wir mit Baldry loslegten, gab es vier Leadsänger, von daher bestand absolut kein Bedarf an weiteren Stimmen.“(39)
Reggie mochte und bewunderte John Baldry, und die beiden blieben Freunde, solange Long John lebte. Es war damals nur dem innersten Freundeskreis des Bluesgitarristen bekannt, dass er homosexuell war. Eric Clapton erklärte: „Er war sehr elegant und auffällig gekleidet, und dazu hatte er einen höchst bissigen Sinn für Humor. Dass er schwul war, habe ich erst viel später erfahren. Damals wusste ich auch noch gar nicht so richtig, was ‚schwul‘ überhaupt bedeutete.“ Außerdem, fügte Eric hinzu, habe Baldry den Eindruck vermittelt, dass sein Privatleben niemanden etwas anging: „Es umgab ihn schon eine Art dunkles Geheimnis, etwas, an das ich nie wirklich herankam. Ich spürte einfach nur, dass er Probleme hatte. Ich weiß nicht, ob er sich in dieser Phase seines Lebens wirklich schon mit seiner Sexualität ausgesöhnt hatte. In den Siebzigern war er dann ja sehr viel offener, nachdem er sich geoutet hatte, obwohl ich gar nicht weiß, ob er das jemals offiziell getan hat. Aber im privaten Bereich war es auf alle Fälle bekannt, dass er schwul war.“(40)
Im Juni 1967 veröffentlichten die Beatles ihr psychedelisches Meisterwerk Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band, und der „Summer of Love“ wurde ausgerufen. Plötzlich war der so genannte „Hippie-Chic“ angesagt, man trug farbenfrohe Kleidung und bunte Halsketten. Baldry beschloss, dass auch Bluesology auf diesen Zug aufspringen sollten. Elton: „Es war der Höhepunkt der Flower-Power-Zeit, und wir gingen übergangslos von den Jimmy Witherspoon-Songs zum Sound von Pink Floyd über. Einmal spielten wir in der Floral Hall in Scarborough, und Baldry brachte uns dazu, Schlaghosen und Kaftans zu kaufen – es war total schrecklich. Über Nacht wechselten wir von Satinhemden mit Rüschen ins komplette Love & Peace-Outfit.“(41)
Wie alle anderen, die durch die Clubs zogen – Reggie Dwight eingeschlossen –, sehnte sich auch Long John Baldry nach dem großen Durchbruch. Er schaffte es 1967 mit einer schmalzigen Popsingle, die den Titel „Let The Heartaches Begin“ trug.
„Als Baldry mit ‚Let The Heartaches Begin‘ seinen großen Hit hatte, trennte er sich ziemlich schnell von Stuart, Alan und Marsha“, berichtete Elton, „weil es schlicht unökonomisch war. Baldry war der fairste Typ, mit dem ich je gearbeitet habe. Ich mochte ihn unglaublich gern, und der einzige Grund, weshalb ich so lang bei ihm blieb, war der, dass es einfach so viel Spaß machte, für ihn zu arbeiten. Damals hatten wir eine ziemlich gute Band beisammen: Neil Hubbard an der Gitarre, Freddy Gandy am Bass, Pete Gavin am Schlagzeug, Elton Dean spielte Saxophon und Marc Charig Trompete. Es war die letzte Bluesology-Besetzung. Baldry schleppte ein Tonbandgerät zu allen Auftritten mit und spielte die Orchesterbegleitung für ‚Let The Heartaches Begin‘ darauf ab. Wir brachten unseren Set, bis Baldry den großen Hit ankündigte und das Publikum kreischte, und dann dröhnte das große Orchester los. Einmal ereignete sich eine ganz lustige Geschichte. Baldry hatte einen Club in Haverford West voll und ganz ausverkauft, und er war mitten in diesem Song, dem großen Hit, mit dem nach all den Jahren gar keiner mehr gerechnet hatte, als sich ein Mädchen wild an sein Mikrofon klammerte und er plötzlich brüllte: ‚Wenn du mein Mikrofon kaputt machst, dann zahlst du mir fünfzig Pfund!‘ Dann schlug er ihr richtig auf den Kopf. Sowas mochte ich an Baldry.“(42)
Baldrys großer Hit war jedoch auch für Reggie ein großer Segen. „Let The Heartaches Begin“ war natürlich die A-Seite der Single gewesen, aber für die B-Seite hatte Baldry den von Reginald Dwight komponierten Song „Oh Lord, You Made The Night Too Long“ aufgenommen, und so bekam Reggie für jedes verkaufte Exemplar Tantiemen als Songwriter. Später sagte er: „Ich habe enorm viel Geld dadurch eingenommen, und ich bekomme heute immer noch gelegentlich einen Scheck aus Italien über vier Pence, wenn mal wieder ein paar Stück umgesetzt worden sind.“(43)
Doch allmählich strebte Reggie nach Höherem, als nur der Keyboarder für Bluesology und Long John Baldry zu sein. Er hatte keine Lust mehr, nur im Hintergrund zu stehen, und außerdem bekam er allmählich das Gefühl, dass seine Band ihn auf der Karriereleiter nicht mehr viel weiter nach oben würde bringen können. Er wollte auf eigene Rechnung Rock’n’Roll spielen, und Bluesology schienen in kreativer Hinsicht längst an einem toten Punkt angelangt zu sein.
„Bluesology frustrierten mich schließlich sehr“, erklärte Elton, „weil keiner von den Jungs wirklich den Ehrgeiz hatte, höher hinaus zu kommen. Es war eine gute Band mit guten Musikern, aber ihnen reichte es, wenn sie am Ende der Woche ihre vierzig Pfund bekamen. Ich war immer echt neidisch, wenn ich andere Bands beim Proben beobachtete, wie zum Beispiel einmal The Move in Birmingham. Ich wusste, dass sie es schaffen würden, weil sie so viel Energie hatten. Aber in unserer Band fehlte eben gerade dieser Ehrgeiz, sie blieb aus Loyalität zusammen. Mir gab es schließlich den Rest, als wir in den kleinen Theatern auftraten. Es ist so grässlich, wenn man vor Leuten spielt, die Fish and Chips essen und auf ihren Tellern rumtrommeln. Wenn ich je wieder auf diese Bühnen muss, wäre das mein Ende.“(44)
Reggie Dwight hatte das Gefühl, dass er mit Bluesology und Long John Baldry so weit gekommen war wie möglich. Er war inzwischen zwanzig Jahre alt, und obwohl er mitten in der Londoner Musikszene steckte, spürte er, dass er einen Sprung nach vorn wagen musste. Er war überzeugt, dass er nur dann den Durchbruch schaffen würde, wenn er seinen neuen Traum konsequent weiterverfolgte: den Traum, ein erfolgreicher Songwriter zu werden.