Читать книгу Elton John - Mark Bego - Страница 12

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Elton John und Bernie Taupin waren 1969 bestrebt, sich neu aufzustellen und ihre Karriere sorgfältig zu planen und mit Nachdruck voran­zutreiben. Sie schrieben weiterhin Songs und hofften, dass andere Künstler sie einspielen würden. Sie boten ihre Werke überall dort zum Verkauf an, wo man ihnen zuhörte. Die Erfahrungen, die sie bei den Aufnahmen von Empty Sky gemacht hatten, hatten sie sehr inspiriert, und sie brannten nun darauf, eine zweite Platte aufzunehmen, die großartiger, besser und für Radioleute und Musikhörer auch zugänglicher ausfallen sollte.

Dass „Lady Samantha“ auf das Three Dog Night-Album Suitable For Framing gelangte, war ein echter Coup für Elton und Bernie. Als sich das Album in den USA zum Verkaufsschlager entwickelte, trafen eine Reihe hübscher Tantiemenchecks für das Songwriter-Duo ein. Elton war überwältigt, dass es ihnen endlich gelungen war, einen Titel auf einer Erfolgs-LP unterzubringen. Danny Hutton berichtete: „Ich habe noch einen drei Seiten langen Brief, in dem er unserer Gruppe dafür dankte, dass wir Bernie und ihm die Miete bezahlten!“(1)

Elton war über diesen Erfolg so glücklich, dass er Danny gleich noch ein Päckchen mit neuen John/Taupin-Kompositionen schickte, damit er das Material vielleicht für das nächste Album von Three Dog Night in Erwägung zog. „Er schickte mir einen ganzen Stapel“, erinnerte sich Hutton, „im Grunde die komplette Tumbleweed Connection, was ich damals allerdings nicht wusste. ‚Your Song‘ und diese ganzen anderen Sachen waren damals schon dabei.“(2)

Three Dog Night waren zu jener Zeit so angesagt, dass ihre Plattenfirma schnell ein Live-Album auf den Markt warf, das den Titel Three Dog Night: Captured Live At The Forum trug. Es erreichte Platz 6 der amerikanischen Charts und wurde mit Gold ausgezeichnet. Die Band arbeitete bereits an der nächsten Studioplatte, für die wieder ein Titel von Elton und Bernie eingespielt wurde, die Ballade „Your Song“. Danny fand sie schon beim ersten Hören großartig. Das dazugehörige Album It Ain’t Easy erschien im März 1970. Die erste Auskopplung „Mama Told Me Not To Come“ schoss auf den ersten Platz der Charts, das Album erreichte Goldstatus und stieg bis auf Platz 8. Es war der zweite Song von Elton und Bernie, der in den USA erschien, und wieder erhielten sie ein hübsches Sümmchen für ihre Arbeit.

Dennoch mussten sich die beiden Songwriter Mitte 1969 noch ein wenig strecken, damit das Geld reichte. Elton spielte und sang weiterhin auf den nachgespielten Hitalben und versuchte auch anderweitig, über die Runden zu kommen; er nahm unter anderem einen Job als Verkäufer im Plattenladen Musicland an der Berwick Street in Soho an, wo er nicht nur ein kleines Gehalt bekam, sondern auch Rabatt auf die Platten, die er selbst erwarb. Zudem versuchten beide, die gemeinschaftlichen Kompositionen für Fernsehwerbung, Filme und Radiospots zu verkaufen. Zu den Unternehmen, die damals Songs aufstrebender Komponisten für einen Pauschalbetrag zur Weitervermarktung aufkauften, zählte unter anderem die von David Platz geführte Agentur Essex Music.

Elton John zählte zu den zahlreichen Musikschaffenden, die regelmäßig in Platz’ Büro auftauchten und auf ein Gespräch mit dem Agenten hofften. Auch ein anderer ehrgeiziger Songwriter schaute häufig vorbei – ein gewisser David Jones, den die Welt bald unter dem Namen David Bowie kennen lernen sollte.

1969 hatte Bowie Angela Barnett getroffen, und die beiden wurden schnell ein unzertrennliches Paar, das am 20. März 1970 heiratete. Während ihrer sechs Jahre dauernden Ehe galten David und Angela Bowie als das verruchteste Paar des Rock’n’Roll, über dessen bisexuelle „offene Beziehung“ viel geredet und geschrieben wurde.

Die Wege von Elton John und David Bowie kreuzten sich 1969 und 1970 mehrere Male, und einige gemeinsame Bekannte – der Musikverleger David Platz und die miteinander wetteifernden Produzenten Tony Visconti und Gus Dudgeon – spielten eine entscheidende Rolle in den Karrieren der beiden späteren Stars.

„David Platz’ Unternehmen Essex Music hatte sein Büro in der Wardour Street“, erinnerte sich Angela Bowie, „eineinhalb Blocks von der Kreuzung entfernt, wo das kleine Gässchen abzweigte, das zum Trident führte. Das Trident war ein winziges Studio, und viele der Musiker nahmen dort ihre Demos auf. Um Songwriter – also Leute wie David Jones und Reg Dwight – zu unterstützen, zahlte David Platz ihnen sofort einen Pauschalbetrag. Sie gingen zu ihm und verkauften ihm eine Melodie. Manchmal hatte er wahrscheinlich nicht genug Geld oder konnte es sich nicht leisten, sie zu ­unterstützen, und dann gab es nichts. Aber immer, wenn ich mit David zu ihm ging – etwa drei oder vier Mal – zahlte Platz David Geld für die Veröffentlichungsrechte an einem Song. Vielleicht suchte er Musik für Filme oder Werbung oder irgendetwas anderes. Die Songs wurden nicht unbedingt gesungen, und manchmal waren es auch nur Jingles oder kleine Melodien.“(3)

Angela erinnert sich gern an das bunte Viertel, in dem die Musikverleger ihre Büros hatten und in dem sie, Bowie und Elton so oft unterwegs waren. „Damals war die Wardour Street noch nicht voller Junkies, so wie in den Achtzigern oder Neunzigern. Es waren vor allem Leute unterwegs, die im Musikgeschäft arbeiteten. Die ­Carnaby Street war um die Ecke. Dort konnte man bummeln gehen und ein paar tolle Mode-Schnäppchen machen. Wenn man etwas weiter schlenderte, konnte man in Chinatown essen gehen; manche Leute gingen mittags auch gern in ein Pub. Dort wurden manchmal auch die Plattenverträge abgeschlossen. Und wenn man sich jemanden anhören wollte, musste man nur eine kleine Session im Trident um die Ecke arrangieren, und schon hatte man einen Song auf Band, den man mitnehmen konnte.“(4)

Bei einem dieser Besuche bei Essex Music traf Angela auf Reginald Dwight, und sie kam schnell mit ihm ins Gespräch. Über jenes erste Treffen sagte sie: „Mit Reg unterhielt ich mich im Vorzimmer, als ich auf David wartete, während er einen Termin mit David Platz hatte; die Tür war offen. Es liefen ja keine krummen Geschäfte. Platz sagte: ‚Klar, ich kann ein bisschen Geld auftreiben.‘ Es ging nicht um Bargeld, es war nichts Unredliches. Ein Buchhalter kam mit einem Scheck über fünfzig Pfund angelaufen, und dann ging man zur Bank und bekam ihn dort anstandslos ausgezahlt. Für die jungen Songwriter war es perfekt.“(5)

Was dachte Angela über Reggie Dwight? „Oh, es machte Spaß, ihn ein wenig aus der Reserve zu locken“, sagt sie. „Er war ziemlich in sich gekehrt, aber wenn man ein wenig mit ihm warm geworden war, dann war er lustig und freundlich. Er gehörte zu diesen Leuten, die richtig witzige Sachen sagen, aber ganz leise, sodass man schnell nachfragen muss: ‚Wie war das?‘ Und wenn sie es dann wiederholen, dann merkt man, dass sie richtig clever sind, ganz phantastische Menschen. Er versuchte nicht, mich zu erobern – das lag wohl daran, dass er schwul war. Er war einfach ein ganz natürlicher, witziger Typ, und ich fand ihn sehr sympathisch.“(6)

Angela erinnert sich auch an Gespräche zwischen David Bowie und Elton John in besagtem Büro: „Sie redeten über Konzerte, fragten, ‚Wie sieht’s aus, trittst du irgendwo auf?‘ – ‚Ja klar, komm doch vorbei und sieh dir den Gig an.‘“(7)

Damals standen beide, Elton John und David Bowie, kurz davor, den jeweils entscheidenden Hit zu veröffentlichen, der ihnen den großen Durchbruch bringen sollte. Für David Bowie war es das futuristische „Space Oddity“, für Elton John das introviertierte „Your Song“.

Bowie ging kurz, nachdem er Angela kennen gelernt hatte, in das bereits erwähnte Trident Studio und nahm dort „Space Oddity“ auf. Er hatte ebenfalls schon ein Soloalbum eingespielt und veröffentlicht, aber damit weder beim Radio noch in den Plattenläden großen Erfolg gehabt. Als er an „Space Oddity“ arbeitete, spielte er den Song dem Produzenten Tony Visconti vor, mit dem er normalerweise arbeitete, und zu seiner großen Überraschung rümpfte der klassisch ausgebildete Visconti die Nase. Anstelle von Visconti übernahm schließlich der Produzent Gus Dudgeon die Betreuung der Aufnahmen, ein ehemaliger Tontechniker, der auch für Eltons weitere Karriere von entscheidender Bedeutung sein sollte.

Elton nahm weiterhin die verschiedensten Jobs an, um etwas Geld zu verdienen. Im Juni 1969 spielte er in den Olympic Studios in London einen Song von Francis Lai und Hal Sharper ein, „From Denver To L.A.“, der für den bald erscheinenden Film The Games vorgesehen war. Zwar erschien der Song auch im folgenden Jahr als Single auf Viking Records, verschwand aber schnell wieder in der Versenkung.

In dieser Zeit begleitete Elton auch den Sänger Lou Christie bei seinem Fernsehauftritt in Disco Two, einer Sendung auf BBC 2. Eltons Gesicht blieb den Fernsehzuschauern dabei verborgen; sie sahen nur seinen Rücken und hörten sein Klavier.

1969 erschien im Jugendmagazin Jackie der erste längere Artikel über den aufstrebenden Musiker. Darin hieß es: „Reg ist ein melancholischer, ernsthafter Typ mit sandfarbenem Schnurrbart und langem Haar, aber er macht trotzdem einen gut gelaunten Eindruck und kommt richtig in Fahrt, wenn es um Themen geht, die ihn interessieren. Er sagt von sich selbst, er könne unerträglich launisch und selbstmitleidig sein, aber normalerweise gelänge es ihm, sich mit einem Lachen aus solchen Phasen zu befreien.“(8) Eben jene Selbstmitleids- und Tobsuchtsanfälle sollten von nun an viele der bedeutendsten Augenblicke seines Lebens überschatten, wenn nicht ganz ruinieren.

Während Taupin gern abends durch Clubs und Kneipen zog, entwickelte Elton eine Vorliebe fürs Einkaufen. „Bernie geht gern mal was trinken“, erzählte er in Jackie. „Ich nicht, obwohl ich ihn manchmal begleite. Wir gehen öfters ins Kino, aber da läuft meist auch nur Müll. Ich kaufe gern was zum Anziehen.“(9) Selbst in dieser Zeit, als er noch nicht über ein großes Einkommen verfügte, liebte Elton lange Streifzüge durch Boutiquen und Geschäfte.

Zwar war Empty Sky nicht gerade ein großer Hit geworden, aber es zeigte doch allen Beteiligten, dass sie wirklich einer ganz großen Sache auf der Spur waren – Eltons unverfälschte Darbietung, sein großartiges Klavierspiel und die faszinierenden Songs, die Bernie und er gemeinsam schrieben, hatten großes Potenzial. Und auch, wenn er als Sänger auf den Billig-Hit-Alben andere Künstler immer nur nachahmen musste, wuchs mit dieser Arbeit doch sein Selbstbewusstsein vor dem Studiomikrofon. Er sang ebenso leidenschaftlich und energiegeladen wie die Interpreten der Original-Hits, da ihn die Plattenfirma dafür bezahlte, jede Phrasierung Note für Note genau zu kopieren.

Dick James war inzwischen ebenfalls so sehr von seinem Komponisten überzeugt, dass er das Geld für ein zweites Album bereitstellte. Es sollte wieder nach der Formel von Empty Sky entstehen, aber mit einem besseren Sound auch ein breiteres Publikum ansprechen. Außerdem sollte Elton eine eigene Band zusammenstellen, damit er selbst auf Tour gehen, die Musik durch Konzerte bewerben und so die Plattenverkäufe ankurbeln konnte.

Elton war immer noch ein wenig unsicher. Ihm war völlig klar, dass er nicht gerade wie ein Rockstar aussah, und er war auch nicht hundertprozentig von seinen Fähigkeiten als Sänger überzeugt. Wenn er sich im Spiegel betrachtete, sah er immer noch den linkischen Reggie Dwight aus Pinner. Er erinnerte sich: „Nach Empty Sky sagte man uns, wir sollten eine Band zusammenstellen, und um zumindest eine kleine Fangemeinde aufzubauen, tat ich das auch. Aber eigentlich war es das letzte, was ich machen wollte. Ich hielt mich für alles Mögliche, aber nicht für einen Sänger. Aber sie meinten halt, das sei unbedingt nötig.“(10)

Zunächst war Elton jedoch mit anderen Dingen beschäftigt, vor allem damit, genug Material zusammenzutragen, das stark genug für ein zweites Album war. Er war immer noch ein glühender Musikfan und verfolgte mit großem Interesse alles, was sich in den Charts bewegte. Im Musicland, dem Plattenladen, in dem er arbeitete, hörte er stets die neuesten Songs gleich nach ihrem Erscheinen. Außerdem war er ständig unterwegs, um sich andere Musiker in den Clubs vor Ort anzusehen, und er ging zu den Konzerten der großen Stars der damaligen Zeit: Die amerikanische Folkrock-Legende Bob Dylan erlebte er bei einem Gig auf der Isle Of Wight, The Who im September in Croydon. Inzwischen waren die Songs, die er mit Bernie schrieb, von einem ganz neuen Sound geprägt. Und am Montag, den 27. Oktober 1969, setzte sich Elton ans Klavier und komponierte in nur zehn Minuten die Musik zu einem von Taupins Texten – „Your Song“.

Während die beiden das Material für die neue Platte zusammenstellten, dachten sie auch darüber nach, mit welchem Produzenten sie im Studio arbeiten wollten. Und wieder kreuzten sich die Wege von Elton John und David Bowie. „Space Oddity“ war inzwischen ein Riesenhit geworden. Da Gus Dudgeon den Sound dieses Titels geschaffen und Paul Buckmaster die Arrangements dazu geschrieben hatte, waren beide als Mitstreiter äußerst interessant für Elton, der seine Songs gern mit derselben Dynamik ausstatten wollte.

Bei den neuen Titeln handelte es sich größtenteils um dramatische Balladen. Bernie und Reggie fanden den Gedanken traumhaft, dass Buckmaster eine üppige Orchesterbegleitung dazu schreiben könnte, und Buckmaster war, als man ihn darum bat, tatsächlich an einer Zusammenarbeit interessiert. Anschließend gingen sie auf die Suche nach einem Produzenten und hatten auch hier schon eine Traumbesetzung im Kopf: George Martin, der legendäre Soundtüftler, der die Beatles im Studio betreut hatte.

Daraus wurde jedoch nichts, und nun fiel Elton Gus Dudgeon ein, der zweite Mann hinter dem Sound von Bowies erstem großen Hit: „‚Space Oddity‘ war für mich eine der besten Platten aller Zeiten. Als ich erfuhr, dass Dudgeon das produziert hatte, war klar, dass wir ihn wegen der zweiten Platte ansprechen mussten.“(11)

Die Band, die Elton nun zusammenstellte, bestand aus verschiedenen Freunden und Bekannten, die auch im Musikgeschäft tätig waren. Den Kern stellte die Band Hookfoot, die ebenfalls bei DJM unter Vertrag stand, mit Eltons Freund Caleb Quaye an der Gitarre, Roger Pope am Schlagzeug und David Glover am Bass. Den Begleitgesang übernahmen unter anderem Tony Burroughs von der Band Edison Lighthouse („Love Grows Where My Rosemary Goes“), die Sängerin und Songwriterin Sandy Denny und die energiegeladene Madeline Bell von Blue Mink. Diana Lewis spielte Moog-Synthesizer auf „First Episode At Heinton“ und „The Cage“. Darüber hinaus wirkten verschiedene andere Sessionmusiker mit. Gus übernahm die Produktion, Paul Buckmaster das Arrangement, während Robin Geoffrey Cable als Toningenieur an Bord war und Steve Brown den Titel „Projektkoordinator“ erhielt.

Gus Dudgeon erinnerte sich später voller Stolz: „Das Album war damals bis ins kleinste Detail geplant. Jeder Streichereinsatz, jeder Trommelschlag, alles war vorher auf Papier notiert worden: ‚Hier Cello-Einsatz‘. Die Woche, in der die Platte entstand, war für mich wohl die aufregendste aller Zeiten. Ich würde mich sehr glücklich schätzen, wenn ich eine solche Zeit noch einmal erleben könnte. So etwas passiert einfach nicht sehr häufig. Es waren eine Menge Leute im Studio, und so gut wie Caleb Quaye kannte Elton nur die wenigsten. Ich hatte mir schon vorab überlegt, mit welchen Schlagzeugern ich gern arbeiten wollte, mit Barry Morgan und mit Terry Cox. Bei den Musikern handelte es sich überwiegend um Leute, die ich durch meine Arbeit als Toningenieur bereits gut kannte; mit einigen hatte ich auch schon als Produzent gearbeitet. Ein paar der Tracks waren live eingespielt worden, darunter auch ‚Your Song‘, vom Gesang einmal abgesehen. Als Elton ins Studio kam und sah, dass ein Orchester darauf wartete, seinen Song zu spielen, hat er so geschwitzt, dass er in fünf Minuten bestimmt fünf Pfund abgenommen hat.“(12)

Für Reggie und Bernie war das Album Elton John das Projekt, das über ihre ganze berufliche Karriere entschied: Wenn sie es jetzt nicht schaffen würden, dann vielleicht niemals. Es musste einfach ein Hit werden, schon allein, damit Dick James das Geld wieder reinbekam, das er investiert hatte. Das war jedenfalls das Ziel. Elton erklärte später rückblickend: „Es war das erste Album, bei dem mir ein größeres Budget zur Verfügung stand. Wir sprechen hier von ungefähr 7.000 Pfund – dafür hätte man sich in Pinner eine Doppelhaushälfte kaufen können. Ich bekam das Beste vom Besten – die Trident Studios, einen Arrangeur, Gus Dudgeon, ein Orchester. Wir hätten ursprünglich gern George Martin verpflichtet, aber für die Arrangements war schon Paul Buckmaster an Bord, ein Genie, von dem die Streicher für ‚Space Oddity‘ stammten. Das meiste Geld ging für das Orchester drauf – wir mussten drei Songs pro Session einspielen, weil das so teuer war. Es war verdammt Furcht einflößend! ‚I Need You To Turn To‘ war ein wirklich kitzliger Moment. Ich spielte Cembalo. Das Instrument sieht einem Klavier zwar ähnlich, aber durch den speziellen Mechanismus erklingen die Töne immer ein wenig verzögert, und es ist ziemlich leicht, mit dem Ding ein ganzes Stück zu versauen, wenn man nicht vorausdenkt. Der Song war stark von Leonard Cohen beeinflusst, den Bernie und ich ganz großartig fanden; so ein Songwriting gibt es heute gar nicht mehr. Es war ein Risiko, aber eine total echte, ehrliche Performance.“(13)

Als sie mit der Arbeit an „Border Song“ begannen, wurde klar, dass der Text nicht reichte, um aus Bernies Zeilen einen ganzen Song zu machen. Da Bernie gerade nicht greifbar war, setzte sich Elton hin und ergänzte ihn. „Die letzte Strophe ist von mir“, berichtete Elton, „weil der Titel nur zwei hatte, wir aber noch einen Vers brauchten. Deswegen klingt dieser letzte Teil sehr schnörkellos.“(14)

Für Elton waren die Aufnahmen dieses Albums eine sehr stressige Erfahrung – eine wahre Feuertaufe. Wenn er vom Klavier aufblickte und feststellte, dass professionelle Violinisten auf sein Zeichen für ihren Einsatz warteten, flippte er beinahe aus. Er, der 22-jährige Reginald Dwight, Schulabbrecher, Plattensammler, Möchtegernkomponist, saß da und seine eigene Streichergruppe beobachtete ihn dabei, wie er spielte. „Das Album Elton John wurde quasi live eingespielt – mit dem Orchester. Nur der Gesang wurde später hinzugefügt. Ich machte mir fast in die Hosen. Ich saß zwischen diesen ganzen Musikern, die alle Noten lesen konnten, und dachte, wenn ich jetzt einen Fehler mache … Diese Woche war ein Alptraum, aber es hat letztlich alles gut funktioniert.“(15) Glücklicherweise brachte die Angst sein musikalisches Talent nur noch stärker zum Vorschein, und er lieferte eine Performance ab, die alle Anwesenden beeindruckte.

Aber wie verwandelt man einen eher nach einem Außenseiter aussehenden Typen aus der Vorstadt in einen Rockstar? Zunächst einmal braucht man dazu herausragende Musik, aber natürlich auch ein aufregendes, sexy Image, um diese Musik der Öffentlichkeit zu verkaufen. Elton, der noch immer an seiner Buddy Holly-Brille festhielt, war alles andere als sexy. Zwar war er erst Anfang zwanzig, aber ihm ging bereits das Haar aus. Und obwohl er in der letzten Zeit etwas Gewicht verloren hatte, wirkte er immer noch ein wenig moppelig. Sein Gesicht konnte man allenfalls als unauffällig bezeichnen. Um seiner eher blassen Erscheinung etwas mehr Farbe zu verleihen, war er dazu übergegangen, hochmodische, grelle Kleidung zu tragen, hellrote Hosen, bunte Halstücher und andere ausgefallene Accessoires, die er in den Läden auf der Carnaby Street fand.

Als es um das Coverfoto ging, stellte Eltons Erscheinung eine kleine Herausforderung dar. Für die Hülle von Empty Sky hatte man im Jahr zuvor eine etwas billig wirkende Porträtzeichnung verwendet. Bei Elton John war es nun aber entscheidend, den Mann hinter der Musik zu präsentieren, und zwar so ansprechend und sexy, wie es überhaupt nur möglich war.

Die Aufgabe, für das richtige Layout zu sorgen, fiel dem Fotografen Stowell Stanford und dem Designer David Larkham zu. Interessanterweise ist das Cover von Elton John optisch stark an ein anderes, damals sehr erfolgreiches Album angelehnt – an Suitable For Framing von Three Dog Night. Da diese Platte der größte Verkaufsschlager war, an dem er bis dahin je beteiligt war, ob als Songwriter oder anderweitig, wieso sollte sich Elton nicht daran orientieren? Auf dem Cover von Suitable For Framing waren Danny Hutton, Cory Wells und Chuck Negron in schwarzen, kragenlosen Hemden vor einem schwarzen Hintergrund zu sehen, im Schatten, sodass nur ein kleiner Ausschnitt ihrer Gesichter sichtbar war. Auf der Vorderseite von Elton John sieht man den Sänger ganz in Schwarz, vor schwarzem Hintergrund im Schatten, und nur ein kleiner Ausschnitt seines Gesichts ist zu erkennen.

Auch die Rückseite beider Alben ist weitgehend identisch. Auf der Rückseite des Three Dog Night-Albums befand sich eine Ganzkörperaufnahme der drei Sänger sowie der vier Musiker (Greenspoon, Allsup, Schermie und Sneed). Sieben Leute stehen da, verschwimmen ein wenig mit dem schwarzen Hintergrund, und keiner von ihnen lächelt, sie alle sehen mit missmutigen Gesichtern direkt in die Kamera. Elton wiederum stand auf seiner Coverrückseite neben sechs weiteren Mitwirkenden seiner Platte, die alle in die Kamera blickten, ohne zu lächeln: Diana Lewis, Paul Buckmaster, Elton, Bernie, Gus, Caleb Quaye und Steve Brown.

Stuart Ebbs war damals Steve Browns Assistent bei DJM. Über das Coverfoto sagte er: „Elton war nicht gerade besonders attraktiv. Als wir die Bilder durchsahen, waren sie alle ziemlich schrecklich. Auf einem Foto konnte man ihn kaum erkennen, weil es so dunkel war, deswegen benutzten wir das.“(16)

Elton John erschien in Großbritannien im Frühjahr 1970, und das Album war wie eine Synthese all dessen, was Elton im Musikgeschäft der Sechzigerjahre bisher mitgemacht hatte. Das Plattencover war von Three Dog Night beeinflusst, Bernies Texte trugen Spuren von Bob Dylan, die Kompositionsarbeit war geprägt von Eltons Ausbildung an der Royal Academy Of Music, der Hauch von Blues stammte aus seiner Zeit mit Long John Baldry, gelegentlich blitzte etwas vom souligen R&B-Balladengesang von Patti LaBelle & The Bluebelles auf, und dann teilte sich das Album auch noch den Produzenten und Arrangeur mit David Bowies „Space Oddity“. Doch ungeachtet all dessen, was einem künstlerischen Prozess zugrunde gelegen haben mag, wird Musik immer daran gemessen, ob sie für sich selbst spricht, ob sie den Hörer bewegt oder inspiriert. Letzten Endes kam es auf die Musik an, und zum Glück für alle Beteiligten war sie tatsächlich sehr aussagekräftig.

Einer der größten Pluspunkte von Elton John war der überzeugende, einheitliche Sound, den Buckmaster und Dudgeon produziert hatten. Zudem hatte Elton als Sänger enorm an Selbstbewusstsein gewonnen. Es war seine große Chance, es im Musikgeschäft zu etwas zu bringen. Da er gezwungen gewesen war, den größten Teil der Platte sozusagen „live“ im Studio einzuspielen, vor den Augen und Ohren zahlreicher Profimusiker und Tontechniker, war ihm gar nichts anderes übrig geblieben, als über sich hinauszuwachsen. Ob er Bernie Taupins Texte tatsächlich komplett verstand oder nicht, spielte keine Rolle – er gab dem Hörer aber das Gefühl, dass dem so war.

Unter den zehn Titeln, die sich auf Elton John befanden, waren drei, die sich zu echten Meilensteinen seiner Karriere entwickeln sollten: „Your Song“, „Take Me To The Pilot“ und „Border Song“. Schon allein deshalb zählt diese Platte zu den beliebtesten und bestverkauften Alben seiner Karriere. Bei dem bewegend persönlichen „Your Song“, dem ersten Titel auf dem Album, packte Elton mit seiner eindringlichen Interpretation den Hörer von der ersten Note an: „It’s a little bit funny …“ Damit legte er die nachdenkliche, emotionale und bewegende Atmosphäre des ganzen Albums vom ersten Ton an fest.

Der nächste Song, das vom Cembalo-Sound geprägte „I Need You To Turn To“, ist eine der berührendsten Liebeserklärungen, die John und Taupin je geschrieben haben; gut möglich, dass sie von den Gefühlen handelt, die Elton für Bernie empfand. Der Song war jedoch aus Bernies Blickwinkel gesungen, der seinem Gegenüber – möglicherweise Elton – erklärt, dass er die Liebe, die man ihm entgegenbringt, sehr zu schätzen weiß, der aber dennoch beklagt, dass es eine unerfüllbare Liebe bleiben wird, ganz egal, wie oft man spätnachts zusammen aufsitzt.

Erst Jahre später räumte Bernie ein, dass Elton damals sehr in ihn verliebt war und nur zu gern auch mit ihm geschlafen hätte. Taupin zog diese Möglichkeit nie in Betracht und hielt an einer platonischen Freundschaft fest. „Er machte mir schon deutlich, wie sehr er mich mochte“, sagte Bernie. „Als ich anfing zu lachen, brach gewisser­maßen das Eis … er hat es dann ziemlich schnell überwunden.“(17) Das war der Hintergrund des Textes von „I Need You To Turn To“. Elton war stets Bernies Schutzengel, und Taupin brauchte Reggie, der ihm Schutz, Freundschaft und Liebe bot.

Ein weiterer Höhepunkt auf Elton John ist „Sixty Years On“, das in eine ähnliche Kerbe schlägt wie „When I’m Sixty-Four“ von den Beatles. Der Sänger fragt sich, wie sein Leben mit sechzig aussehen und wo er dann sein wird. (An seinem 60. Geburtstag stand Elton John tatsächlich im Madison Square Garden auf der Bühne, spielte „Your Song“ und auch diesen Titel.)

„Border Song“ sorgte für einen brillanten Tempowechsel und war geprägt von leidenschaftlichem, gospelartigem Gesang. Die Queen of Soul, Aretha Franklin, zeigte sich im folgenden Jahr von diesem Titel so beeindruckt, dass sie ihn für ihr Album Young, Gifted And Black selbst aufnahm. Als „Border Song“ 1970 in ihrer Version als Single erschien, wurde er auf dem fünften Platz der American R&B-Charts notiert und war damit die bis dato erfolgreichste John/Taupin-Komposition.

Es war ein vielseitiges, leidenschaftliches, nachdenklich machendes Album, und es sollte Bernie und Elton tatsächlich in die vorderste Reihe der Rock- und Popwelt katapultieren.

Am 25. März 1970 wurde Elton 23, und in seinem neuen Lebensjahr sollte er sich endlich selbst finden, in verschiedener Hinsicht. Zu Anfang des Jahres lernte Elton einen Mann kennen, der seine Karriere entscheidend vorantreiben sollte. Er hieß John Reid und war, ebenso wie Elton selbst, noch jung und sehr engagiert. 1970 wurde Reid mit 19 Jahren Manager der britischen Niederlassung von Motown Records, dem berühmten Label aus Detroit, das in Europa unter der Bezeichnung Tamla Motown von EMI vertrieben wurde. Reid war zwar zu Beginn seiner Karriere nur ein Teenager aus der schottischen Provinz, aber er war intelligent, einfallsreich und ausgesprochen ehrgeizig. Zu seinen ersten Aufgaben bei Tamla Motown gehörte es, den Katalog des Labels auf potenzielle Radiohits zu durchsuchen, die bisher übersehen worden waren, und tatsächlich entdeckte er auf einem Album von Smokey Robinson & The Miracles einen Titel, der ihm viel versprechend erschien. Reid bereitete die Single-Veröffentlichung in Großbritannien vor, und „Tears Of A Clown“ schoss sofort auf den ersten Platz der Charts. Das amerikanische Motown-Büro hatte keine andere Wahl, als den Titel auch zu Hause als Single aufzulegen, die prompt ebenfalls an die Spitze der Hitparaden stürmte. Anschließend hatte das, was John Reid sagte, beim britischen Ableger großes Gewicht.

Motown Records zählten zu den großen Hitfabrikanten der Sechziger, nicht nur in den USA, sondern weltweit. Berry Gordy Jr., der Vorsitzende, war seinem Traum gefolgt und hatte damit in Detroit, Michigan, ein Unternehmen geschaffen, das Hits geradezu am Fließband produzierte. Es dauerte nicht lange, und Künstler wie die Four Tops, die Supremes, Martha Reeves & The Vandellas, Marvin Gaye, Smokey Robinson & The Miracles, The Temptations, Stevie Wonder, die Marvelettes und die Jackson Five waren weltweit ein Begriff. Und für diesen phantastischen Katalog war Reid plötzlich in Großbritannien verantwortlich.

John Reid war am 9. September 1949 im Barstow Hospital in Paisley zur Welt gekommen. Die kleine Stadt liegt westlich von Glasgow und ist vor allem für die Textilfabriken bekannt, in denen unter anderem auch das berühmte Paisley-Muster entstand. Daher überrascht es nicht, dass Johns Eltern in der Thread Street – der „Fadenstraße“ – Nummer 1 wohnten und John Senior als Textilfacharbeiter in einem Betrieb vor Ort tätig war.

1959 verlegte das Unternehmen die Produktionsstätten nach Neuseeland, und die Reids zogen um und lebten zwei Jahre lang dort. Der junge John zeigte schon damals viel Initiative, und mit elf Jahren hatte er bereits begriffen, dass er gutes Geld verdienen konnte, wenn er alte Zeitungen sammelte und sie den Gemüsehändlern verkaufte, die darin ihre Waren verpackten. Sein Geschäftssinn sollte ihm auch später im Leben gute Dienste leisten, als er begann, die Karrieren einiger ganz großer Stars im Unterhaltungsgeschäft zu lenken.

Reids Mutter bekam Heimweh, und so zog die Familie wieder zurück nach Schottland, in ein kleines Haus in Gallowhill. Johns Vater bekam einen neuen Job am Fließband im Chrysler-Werk von Linwood. Als 1964 die ganze Welt beatlesverrückt wurde und den Rock’n’Roll entdeckte, begann auch John in Konzerte zu gehen und Musikcafés zu besuchen. Dabei war er schon immer ein ruppiger kleiner Kerl gewesen, der sich durchaus durchzusetzen verstand – auch mit Fäusten, wenn nötig. Ein Freund brachte ihn auf den Gedanken, dass er sowohl aggressiv als auch musikinteressiert genug sei, um als Promoter für einen Musikverlag zu arbeiten, und John war von der Idee begeistert und zog nach London. Seine erste Anstellung fand er in einer Filiale des Bekleidungsunternehmens Austin Reed, und ein paar Wochen schlug er sich damit durch, Herrenmode zu verkaufen, bevor er bei Ardmore & Beechwood unterkam, einem kleinen Verlag unter dem Dach der großen EMI. Das Büro lag in einem aufregenden Teil der Stadt, gleich über dem großen Plattengeschäft von HMV in der Oxford Street.

In nur wenigen Wochen war der 17-jährige John Reid vom Hemdenverkäufer in Knightsbridge zum Promoter aufgestiegen, der Songs an interessierte Sänger verkaufte. Zunächst widmete er sich der Aufgabe, die Titel eines jungen amerikanischen Songwriters namens Neil Diamond an den Mann oder die Frau zu bringen, der damals hauptsächlich als Komponist des Monkees-Hits „I’m A Believer“ bekannt war.

1969 wurde eine Stelle beim EMI-Ableger Tamla Motown frei. John bewarb sich, ebenso wie ein junger Mann namens David ­Crocker, der damals im Plattengeschäft One Stop arbeitete. Zu einem der größten Kunden von Crocker zählte ein rundlicher Junge aus der Nachbarschaft, Reggie Dwight.

Zunächst bekamen weder Reid noch Crocker den Job bei Tamla Motown, aber 1970 wurde die Stelle erneut frei. Dieses Mal erhielt der 19-jährige Reid den Posten. Crocker hingegen ging zu Harvest Records, die ihr Büro ebenfalls bei EMI hatten. Reid stand plötzlich vor der Aufgabe, die 1970er-Besetzung der Supremes zu bewerben, zu der damals Mary Wilson, Jean Terrell und Cindy Birdsong gehörten. Wenn Stevie Wonder nach London kam, dann holte John ihn vom Flughafen ab. Wenn die Four Tops in die Stadt kamen, dann unternahm er alles Mögliche mit ihnen, um ihre Musik zu promoten.

Reid berichtete: „Alle Motown-Künstler liebten England. Dort waren die Fans treuer, und das verlängerte die Karriere. Für die Musiker war es wie eine zweite Heimat – sie flogen gern für zwei oder drei Wochen herüber, um die Platten vorzustellen und mit den Auftritten ein bisschen Geld zu verdienen. 1970 kamen Stevie Wonder und die Temptations nach London und nahmen die Live At The Talk Of The Town-Alben auf. Jimmy Ruffin hatte damals eine Wohnung in der Curzon Street; ihn wurden wir gar nicht mehr los. In einem Jahr hatten wir drei Top-Ten-Hits mit Jimmy – mehr, als er je zu Hause verbuchen konnte. Martha & The Vandellas lieh ich einmal sogar Geld, damit sie ihre ‚Uniformen‘ wieder aus der Wäscherei abholen konnten, sie waren immer pleite. Aber damals herrschte ein großes Zusammengehörigkeitsgefühl.“(18)

Da Elton oft in der Gegend war, dauerte es nicht lange, bis er Reid, dem Ein-Mann-Vertreter von Tamla Motown, einmal über den Weg lief. „Ich hatte ein Büro im ersten Stock eines Eckhauses am Manchester Square, und außerdem bekam ich ein Jahresgehalt von 1.650 Pfund“, berichtete John Reid. „Das war verdammt gut. Ich war drei oder vier Jahre jünger als die anderen Labelmanager, mal abgesehen von David Crocker, der das Büro neben mir hatte und dort Harvest Records leitete. Eines Tages kam er zu mir rein und sagte: ‚Das ist mein Freund Reg.‘ Und so lernte ich Elton kennen. Er leierte mir ein paar amerikanische Motown-Singles aus dem Kreuz, was genau, weiß ich heute nicht mehr. Jedenfalls erzählte er, dass er selbst auch eine Platte gemacht hatte, und gab mir ein Weißmuster [eine Testpressung] von dem, was einmal das Album Elton John werden sollte.“(19)

Im März 1970 wurde der alte Vertrag, den Elton mit Dick James Music hatte, aufgelöst und durch einen neuen ersetzt. Darin war festgelegt, dass Elton in den nächsten fünf Jahren jedes Jahr zwei komplette Alben abliefern musste – genauer gesagt: sechs Albumseiten, damit auch genügend Material zur Auswahl und für B-Seiten von Singles zur Verfügung stand. Zunächst erschien es Elton und Bernie, als sei ein Traum wahr geworden, da sie noch so viele Songs auf Halde hatten. Das dritte Album, das später den Titel Tumbleweed Connection erhalten sollte, war schon komplett fertig.

Als sie an Elton John gearbeitet hatten, waren sie alle Songs mit Dick James und Gus Dudgeon noch einmal durchgegangen, und Elton und Bernie hatten schließlich vor allem die ganz persönlichen Nummern für dieses Album ausgewählt. Bernies Songs über den Wilden Westen und die Pioniere des späten 19. Jahrhunderts, über Cowboys, Revolver und Americana hatten sie für Tumbleweed Connection aufgehoben. Es war eine weise Entscheidung, denn so bekamen beide Alben ein einheitliches Thema und einen ganz eigenen Sound. Die Tracks für Tumbleweed Connection entstanden im März 1970 in den Trident Studios, erneut unter der Ägide von Gus Dudgeon.

Die Platte wurde zunächst kaum beachtet, als DJM Elton John am 10. April 1970 in Großbritannien veröffentlichte. „Sie verkaufte vielleicht um die 4.000 Exemplare“, berichtete Elton, „und kam nicht in die Charts. Und wir saßen da und fragten uns: Warum? Schließlich beschlossen wir, dass ich das Album mit ein paar Musikern live auf der Bühne vorstellen sollte, wogegen ich mich zuvor lange entschieden gewehrt hatte. Aber mir war klar geworden, dass es keine andere Möglichkeit gab.“(20)

Er brauchte unbedingt eine Band. Zuerst beschränkte er sich darauf, zu seinem Klavier nur zwei weitere Instrumente hinzuzuholen. Elton ging die Liste der befreundeten Musiker durch. „Nigel Olsson war damals der Schlagzeuger von Plastic Penny, als ich ihn engagierte“, erinnerte er sich, „und Dee Murray, der Bassist, war in einer Band namens The Mirage. Wir gingen als Trio auf Tournee.“(21)

Sie spielten fünfzehn Gigs und traten unter anderem beim Krumlin Festival, in der Universität von Leeds, im Mothers und im Speakeasy auf. Jeder Auftritt, den Elton mit seinen beiden neuen Mitstreitern absolvierte, gab ihm mehr Selbstvertrauen. Olsson und Murray sollten ihm in seiner weiteren Karriere zwei treue, langjährige Begleiter ­bleiben.

Etwa zur gleichen Zeit, im April 1970, erschien die Single „From Denver To L.A.“ in den USA auf dem Label Viking. „Die Platte wurde später wieder zurückgezogen“, erklärte Elton, „und deswegen sind Exemplare dieser Single heute ein Vermögen wert. Der Song entstand bei einer Session in den Olympic Studios für 25 Pfund. Ich sang ihn für den Film The Games von Michael Winner ein. Als der Film erschien, dachte man wohl: ‚A-haa!‘ und brachte ihn schnell als Single auf den Markt, aber wir schritten mit einer gerichtlichen Verfügung dagegen ein.“(22) DJM wollten schließlich nicht, dass diese eine Session ihre Chancen ruinierte, Elton bei einer größeren amerikanischen Plattenfirma unterzubringen.

Wie heißt es so schön: Auf das Timing kommt es an. Das traf auch auf die Pläne zu, Elton und seine Musik auf dem amerikanischen Markt unterzubringen. In jenem Jahr hatte sich schon eine ganze Reihe neuer Künstler und Komponisten in den Charts etabliert – Leon Russell, James Taylor, Eric Clapton, Stephen Stills, John Sebastian und sogar Paul McCartney veröffentlichten 1970 ihre ersten Soloalben. Außerdem boten inzwischen die zahlreichen UKW-Sender, die sich neu in der amerikanischen Radiolandschaft abseits des Popdiktats der Mittelwellenfrequenzen etablierten, ein Forum für jene introvertierten, nachdenklichen und persönlichen Songs, wie Elton und Bernie sie auf Elton John vorgestellt hatten. Es war schnell klar, dass auf der anderen Seite des Atlantiks ein ganz neuer Markt auf den Sänger und seine Songs wartete.

Für Elton war es ein Glück, dass amerikanische Plattenfirmen damals aktiv nach neuen Künstlern suchten, die sie aufbauen und formen konnten. Nachdem die Originalsongs für Elton John im Kasten waren, gab es bereits erste Gespräche zwischen Dick James Music und verschiedenen US-Labels. Dabei kontaktierten die Briten im Januar 1970 auch Russ Regan von UNI Records, einem Label, das zum MCA-Konzern gehörte.

Russ Regan erinnerte sich an das erste Gespräch mit DJM-Mitarbeiter Len Hodes, der ihm damals erklärte: „Pass auf: Wir sind so von diesem Künstler überzeugt, dass wir ihn euch umsonst geben, wenn ihr ihn wirklich mögt und etwas für ihn tun könnt und wollt.“(23) Das war ein so gutes Angebot, dass Regan kaum ablehnen konnte.

Das Treffen fand im Continental Hyatt House auf dem Sunset Boulevard in Los Angeles statt. Hodes gab Regan, nachdem er ihm das Angebot unterbreitet hatte, ein Exemplar von Empty Sky und Eltons eigene Version der Single „Lady Samantha“.

Regan kehrte danach in sein Büro bei UNI Records zurück und legte Eltons Aufnahmen eine Weile beiseite. „Ich packte sie auf ein Regal, bis ich mich um fünf Uhr nachmittags wieder daran erinnerte. Dann hörte ich mir das Material an und stellte fest, dass ich Elton sehr gut fand. Außerdem gefiel mir der Song ‚Skyline Pigeon‘. Gegen sechs Uhr dämmerte mir dann plötzlich: ‚Verdammt, die sind hier, um diesen Künstler irgendwo unterzubringen. Was ist, wenn er von einer anderen Plattenfirma unter Vertrag genommen wird?‘“ (24)

Er wollte nun nur noch das demnächst erscheinende, zweite Album hören, also meldete er sich noch einmal bei DJM. „Schon am nächsten Tag hatte ich die Platte aus England vorliegen“, berichtete Regan. „Das Album warf mich total um. Es war ein unglaublicher Moment, einen solchen Künstler und ein derart phantastisches Album zu entdecken.“(25)

Regan wusste sofort, dass er einen Hit in Händen hielt: „Damals arbeitete ich schon zwölf Jahre lang im Musikgeschäft, und mich hatte noch nie ein Album so beeindruckt wie Elton John. Fünf Jahre lang hatte ich als Promoter gearbeitet, viele Musikergrößen betreut und viele tolle Sachen gehört, aber noch nie hatte mich eine Platte so begeistert. Die Songs waren einfach unbeschreiblich. Ich schloss das Büro, stellte das Telefon ab, holte alle Mitarbeiter herein, und die ganze Firma hörte sich die Platte an. Am Schluss flippten alle völlig aus, weil uns klar war, dass wir etwas ganz Besonderes vor uns hatten.“(26)

Bei DJM war man sich einig, dass man sofort handeln musste. Im Londoner Büro waren alle Mitarbeiter von Elton John begeistert, und eine Veröffentlichung in den USA erschien als ein sicherer Weg, um die Investitionen wieder hereinzuholen und Eltons Karriere in Gang zu bringen. „Man sagte mir: ‚Versprechen Sie uns persönlich, dass Sie etwas Geld in den Jungen investieren. Wir verlangen keine Vorschüsse‘“, berichtete Regan über die Reaktion der Briten, als er ihnen von den Plänen bei UNI Records erzählte. „Ich sagte: ‚Ihr macht wohl Witze?‘ Und tatsächlich bekam ich Elton John umsonst – es war einer der besten Deals, die ich je abgeschlossen habe.“(27)

„Border Song“, die erste Single aus Elton John, wurde auf beiden Seiten des Atlantiks veröffentlicht, in England auf DJM Records, in den USA auf Congress Records, einer Tochterfirma von MCA. Die US-Version tauchte kurz im Branchenmagazin Billboard auf und schaffte es bis auf Platz 93. Zwar war „Border Song“ damit kein großer Überflieger, aber immerhin war der erste Sprung in die amerikanischen Charts geglückt. In England kam die Single gar nicht in die Hitparaden, aber sie wurde gelegentlich im Radio gespielt und trug Elton einen Gastauftritt mit diesem Song in der Fernsehsendung Top Of The Pops ein.

Bei den Aufnahmen zu der berühmten Fernsehsendung erlebte Elton einen der aufregendsten Momente seines jungen Lebens: Er traf sein Idol Dusty Springfield hinter der Bühne in den Television Centre Studios. Dusty war das Pin-up seiner schwulen Jugendträume gewesen, und nun stand sie leibhaftig vor ihm! Damals hatte sie gerade das Album Brand New Me für Atlantic eingespielt, produziert von Kenny Gamble und Leon Huff, die den berühmten Philly-Sound erschaffen hatten und mit denen Elton später selbst arbeiten sollte.

Elton John kam am 22. Juli 1970 ohne allzu viel Aufsehen in die amerikanischen Läden. Allerdings war Russ Regan bereits damit beschäftigt, die Werbetrommel für seinen neuen Künstler zu rühren. Er wusste, dass er mit Elton John ein Hitalbum und einen potenziellen Superstar in Händen hielt. Er brauchte jetzt nur noch einen Aufhänger, ein Ereignis, irgendeine Möglichkeit, seine neue Entdeckung der Öffentlichkeit vorzustellen. Da das eher blasse Album Empty Sky in den USA nur als Import erhältlich war, wurde Elton John als Debüt des neuen Sängers und Songwriters verkauft. „Als es veröffentlicht wurde, im Juli, hatten wir ein großes Verkaufsmeeting in New York. Das Album und auch die Präsentation fanden alle toll, und so planten wir, Elton John im August im Troubadour groß vorzustellen“, erinnerte sich Regan.(28)

Das Troubadour war 1957 an der Kreuzung von Santa Monica Boulevard und North Doheny Drive eröffnet worden und galt in Los Angeles als erste Adresse, um neue Rocktalente zu präsentieren. Der verstorbene Singer-Songwriter Jim Croce sagte einmal: „Das Troubadour war ein ganz einzigartiger, sehr anerkannter Auftrittsort. Vor der Tür parkten Cadillacs und Porsches, und drinnen tobte meist eine wilde Party. Die Leute nahmen Drogen und legten es darauf an, dass sie jemand abschleppte, während neue musikalische Entdeckungen auf der Bühne standen und spielten. Wenn es um junge Talente ging, gab es in den Sechzigern und Siebzigern keinen Club mit größerem Einfluss und Bedeutung als das Troubadour. Wenn man das Glück hatte, dort einen Gig zu landen, dann hatte man wirklich eine große Chance, entdeckt zu werden und einen Plattenvertrag an Land zu ziehen.“(29)

Der Besitzer des Clubs, Doug Weston, hatte bereits des Öfteren erlebt, dass sein Club von aufstrebenden Rockmusikern wie Joni Mitchell, James Taylor und Kris Kristofferson als Karrieresprungbrett genutzt wurde. 1969 war dort Linda Ronstadt mit ihrer Begleitband aufgetreten, aus der sich später die Eagles entwickelten, und auch Jackson Browne hatte sich im Troubadour im Vorprogramm etablierter Musiker die ersten Sporen verdient.

Weston erinnerte sich noch gut daran, wie er zum ersten Mal auf Elton Johns Musik aufmerksam wurde. „Wir bekamen seine Platte in einem ganzen Stapel neuer Sachen von einer Plattenfirma“, sagte er. „Sie suchten nach einem Auftakttermin für eine geplante Tournee dieses Sängers, und nachdem ich ungefähr die Hälfte der Platte gehört hatte, war ich sehr, sehr aufgeregt und sagte spontan zu, ihn für das Troubadour zu buchen. Im Radio wurde er damals nicht gespielt, aber wir engagierten ihn trotzdem als Headliner.“(30)

Im August 1970, als das Konzert näher rückte, war Elton John von MCA auf dem UNI-Label veröffentlicht worden. „Das Album wurde von den amerikanischen Radiosendern sehr gern gespielt“, erinnerte sich Elton. „Ich hatte gerade bei MCA unterschrieben, und die Platten­firma hielt es für eine gute Idee, wenn ich im Troubadour auftrat. Kurzfristig überlegten wir sogar, ob ich dort mit Jeff Beck auf die Bühne gehen sollte, den ich in London gerade kennen gelernt hatte und mit dem ich mich phantastisch verstand. Aber dann mischte sich Jeffs Manager ein und wollte, dass ich zehn Prozent der Gage bekomme und Jeff neunzig, weil Jeff in den USA schon so bekannt sei. Er teilte meinem Manager Dick James mit, dass Jeff an einigen Abenden 10.000 Dollar kassiere und es noch sechs Jahre dauern würde, bis ich soweit sei. Ich saß da, hörte mir das an und dachte, wow, 10.000 Dollar am Abend! Und dann sagte Dick: ‚Pass mal auf, ich garantiere dir, dass der Junge schon in sechs Monaten genau so viel verdienen wird!‘ Damals dachte ich bei mir: ‚Dick, was bist du für ein blöder alter Sack! Dafür kommst du in die engere Auswahl für den Arsch des Monats! Was für ein Idiot!‘ Denn damit war die Sache mit Jeff Beck natürlich vom Tisch, und ich schmollte deswegen. Aber schließlich trat ich doch im Troubadour auf – Dick übernahm die eine Hälfte der Kosten, MCA die andere, und wir flogen in die USA.“(31)

Dass Elton John dem Konzert im Troubadour so skeptisch entgegensah, war im Grunde recht amüsant – er hielt es für einen ganz normalen Club-Gig, der ihm nicht viel bringen würde. Dem Magazin Phonograph Record sagte er später: „Ich bin überhaupt nur deshalb nach Los Angeles geflogen und habe im Troubadour gespielt, weil ich dort in einen bestimmten Plattenladen wollte. Auf den Auftritt habe ich gar keinen Wert gelegt. Ich hielt es für einen Witz, für eine aufgeblasene Promo-Geschichte, die als Katastrophe enden würde. Ich wollte nur in diesen Plattenladen und ein paar Alben kaufen.“(32) Aber der Abend sollte ihm mehr einbringen als nur ein paar neue Schätze für seine Vinylsammlung. Auf dem Hinflug mochte er noch der rundliche, linkische Reggie Dwight gewesen sein – als er die Heimreise antrat, war er über Nacht zum Star geworden.

Als „Your Song“ allmählich immer öfter von den Radiosendern in den USA gespielt wurde, überraschte das niemanden mehr als Danny Hutton von Three Dog Night. Er hatte gedacht, dass die Version, die seine Band für ihr aktuelles Album eingespielt hatte, die einzige aktuell in Umlauf befindliche Fassung sein würde. „Der kleine Drecksack hatte mir nicht erzählt, dass er den Titel selbst veröffentlichen wollte“, erinnerte sich Hutton. „Ich wusste gar nicht, dass er ihn für sich aufgenommen hatte. Wir hatten eine Demoversion gehört. Das wurde bei ALMO Music oft so gemacht. Ich bekam alle möglichen Songs als Demo zu hören, obwohl es sich tatsächlich um richtige Alben handelte, die auch veröffentlicht werden sollten, weil der Musikverlag versuchte, zusätzliches Geld mit den Rechten zu verdienen.“(33)

Es ist oft recht amüsant, wie andere Kulturen im eigenen Land wahrgenommen werden. Der durchschnittliche Amerikaner glaubt, dass jeder Deutsche Lederhosen anhat, Bier trinkt und Brezel isst, und dass jeder Franzose Barretts trägt und sein Croissant zum Frühstück braucht. Als MCA Records den Werbestrategen Norman Winter mit dem Projekt Elton John betreute, kam er auf den originellen Gedanken, etwas „ganz Englisches“ zu machen, um den Sänger bei seinem ersten US-Aufenthalt willkommen zu heißen. Und was hätte englischer sein können als ein großer roter Doppeldecker-Bus, an dessen Seiten groß Eltons Name prangte?

Als Elton und seine Band am Flughafen von Los Angeles aus dem Flieger stiegen, wartete sein Gefährt bereits auf ihn: der besagte Doppeldecker. Elton war gleichermaßen überrascht, entsetzt und peinlich berührt. Was würde wohl als nächstes kommen – Fish and Chips für alle?

Der Verantwortliche für diese Werbeidee, Norman Winter, erinnerte sich heiter: „Ich dachte, es wäre eine nette Geste, die ihm vermitteln sollte, dass er uns wichtig war – es war nicht so sehr als Werbegag gedacht, um Aufmerksamkeit auf das Album zu lenken, sondern vor allem, um ihn und seine Crew willkommen zu heißen. Wir organisierten diesen englischen Bus und dachten dann, ach Scheiße, gehen wir noch einen Schritt weiter und schreiben ELTON JOHN IST ANGEKOMMEN an die Seite. Er war noch bei der Gepäckausgabe, als er dieses Ding sah, und ihm fielen fast die Augen raus. Aber er war dann sehr ruhig, sagte ‚sehr schön‘ und so. Anschließend fuhren wir alle mit dem Bus nach Hollywood. Später erzählte er mir, dass er erwartet hätte, mit einem großen Cadillac abgeholt zu werden und ein bisschen Luxus geboten zu bekommen. Stattdessen saß er in einem schlecht gefederten Bus, der kaum die Steigungen der Straßen bewältigte – diese englischen Busse sind ziemlich scheußlich.“(34)

Norman hatte die Aufgabe, die ganze Stadt darüber zu informieren, dass Elton John in Los Angeles gelandet war – obwohl kaum jemand wusste, wer dieser Elton John eigentlich war. „UNI war eine kleine Firma“, erklärte Winter. „Wir beschlossen, dass wir alle Energie auf diesen Künstler konzentrieren wollten, weil wir wirklich an ihn glaubten, und uns war gar nicht klar, dass der Künstler selbst schon allein aufgrund seiner Fähigkeiten als Performer dafür sorgen würde, dass er ein Star wurde. Wir planten jede Menge Dinge, die damals sehr zeitgeistig, abgefahren und abseits der Norm waren, und wir steigerten uns so sehr hinein, dass es fast wie ein Orgasmus war. Zusätzlich zu den überall aushängenden Plakaten verteilten wir Poster in den Läden, und Elton bekam auch eine Menge Airplay. Wir behandelten ihn, als sei er Elvis Presley, der eine neue Show in Las Vegas vorstellte, obwohl noch niemand etwas von Elton John gehört hatte.“(35)

Wer vom Flughafen von Los Angeles zum Sunset Boulevard fährt, muss eine heftige Steigung bewältigen, die zu den Hollywood Hills hinaufführt. Daher war es fraglich, ob der PS-schwache rote „Elton“-Doppeldecker es überhaupt bis zum Hotel schaffen würde – bis zu DEM Hotel, in dem man unbedingt übernachten musste, wenn man in einer Rockband spielte, dem Continental Hyatt House auf dem Sunset Boulevard. Unter Rockmusikern nannte man es statt „Hyatt House“ gern „Riot House“, um auf die wilde Randale anzuspielen, die dort schon stattgefunden hatte. Genau hier hatten UNI Records ihren neuen Star auf seinem ersten Amerika-Trip untergebracht.

Zwar war Elton entsetzt gewesen, als er den großen roten Bus mit seinem Namen darauf gesehen hatte, aber er musste zugeben, dass auf diese Weise tatsächlich die ganze Stadt von seiner Ankunft erfuhr. „Er hat tatsächlich verdammt hart gearbeitet“, sagte er über Norman Winter. „Jeder Laden, den ich Los Angeles sah, hatte sein Fenster mit der Platte dekoriert – klar, dafür hatte das Label wahrscheinlich bezahlt, aber sie haben sich wirklich Mühe gegeben. Diesen Bus fand ich allerdings extrem peinlich. Jeder von uns versuchte, sich auf den Bänken möglichst klein zu machen. Es kam mir billig vor. Ich mag es, wenn Dinge geschmackvoll gestaltet werden, und Doppeldeckerbusse sind alles andere als geschmackvoll!“(36)

Elton und Danny Hutton von Three Dog Night waren in Kontakt geblieben, und Hutton hatte sich vorgenommen, zum ersten Konzert von Eltons einwöchiger Auftrittsreihe im Troubadour zu kommen. „Ich war recht gut mit dem Besitzer des Troubadour, Doug Weston, befreundet“, erinnerte sich Hutton. „Ich hatte ihm Elton immer wieder schmackhaft gemacht, und ich glaube, dass das durchaus half, damit er das Engagement dort bekam. Er flog bereits ein paar Tage vor der ersten Show ein, und die Woche im Troubadour brachte ihm tatsächlich den Durchbruch. An seinem ersten Abend in der Stadt, so gegen fünf oder sechs Uhr, ging ich mit ihm essen. Billy James, der früher im Dienst von Columbia Records für Bob Dylan gearbeitet hatte, wohnte um die Ecke und besaß ein Restaurant auf der Melrose Avenue, das Black Rabbit, und dorthin gingen wir. Danach kam er mit zu mir. Das Klavier, das auf dem Cover von It Ain’t Easy von Three Dog Night zu sehen ist, mit uns dreien daneben, dem großen Jesusbild dahinter und so, das ist das Klavier, auf dem er an dem Abend spielte. Ich rief Van Dyke Parks an und sagte: ‚Du musst unbedingt mal rumkommen und dir den Typ anhören, Van Dyke.‘ Er kam tatsächlich, und später saß er auf dem Boden neben dem Klavier, und Elton spielte. Es war einfach überwältigend! Damals sagte Elton mir: ‚Weißt du, Danny, ich bin nicht der Typ, der stundenlang dasitzt und grübelt und ganze Tage lang an einem Song arbeitet. Bernie gibt mir einen Text, den lege ich mir aufs Klavier und dann lege ich los. Es strömt einfach alles aus mir heraus.‘ So schreibt er.“(37)

Dann nahm Hutton Elton mit zu Brian Wilson. Das musikalische Genie der Beach Boys war als drogenumnebelter Exzentriker bekannt. Elton erinnerte sich: „Ich war ein Typ aus einem stinknormalen Vorort wie Pinner, und als wir Brians Auffahrt sahen, die voller Schlagzeuge stand, da dachte ich mir schon, dass das jetzt ein wenig seltsam werden würde. Wir klopften an seine Tür, und er sagte als erstes: ‚Ah, Elton, I hope you don’t mind, I hope you don’t mind, I hope you don’t mind‘, in Anspielung auf den Text von ‚Your Song‘. Es war ein bisschen komisch, aber auch sehr nett.“(38)

Hutton erklärte: „Brian wohnte in einem Haus in Bel Air, das früher einmal Edgar Rice Burroughs gehört hatte, und er hatte es lila angestrichen. Die Nachbarschaft war deswegen schon komplett ausgerastet! Im Haus hatte er sich ein Studio einbauen lassen – ein ganz modernes, professionelles Studio. Das Albumcover von Wild Honey zeigt ein farbiges Glasfenster mit einer Biene drauf; das war Teil des Studios. Brian zeigte uns die Räumlichkeiten, und ich fragte, ob er Elton nicht ‚Good Vibrations‘ vorspielen könnte. Brian holte den Tontechniker aus dem Bett. Ich weiß nicht mehr, wo der wohnte, aber er stand auf und kam vorbei. Dann spielte er uns die ganzen kleinen Elemente aus dem Hintergrund vor, die man in der Gesamtaufnahme nicht heraushört, die aber echt unglaublich waren. Ich merkte schon, dass Elton ein wenig eingeschüchtert war, und deswegen schlug ich vor, dass er Brian ja auch ein paar von seinen Sachen präsentieren könnte. Er fing an mit ‚Amoreena‘, und er hatte ungefähr ein Viertel oder die Hälfte des Titels gespielt, als Brian ihn unterbrach. Elton kannte Brian ja nicht, er wusste nicht, dass Brian, wenn er etwas hört und kapiert hat, worum es geht, mit dem nächsten weitermachen will. Elton war mitten in ‚Amoreena‘, und Brian sagte: ‚Das ist toll, was hast du sonst noch?‘ Und ich dachte: ‚Oh verdammt, Elton wird glauben, dass Brian seine Songs nicht mag.‘ Er spielte dann noch ein oder zwei andere Titel, und jedes Mal sagte Brian mitten drin: ‚Das ist gut, was gibt’s noch?‘“(39)

Elton erinnerte sich später: „Es war halb acht Uhr morgens, als ich vom Laurel Canyon zum Sunset Hyatt House zurückfuhr und dachte: ‚Ich bin in meinem ganzen Leben noch nie bis halb acht aufgeblieben. Ich muss richtig aufgeregt gewesen sein.‘ Jahre später gestand Danny mir, dass man mir Kokain ins Essen getan hatte.“(40)

Elton, Bernie, Dee und Nigel hatten sogar ein paar Tage Zeit, um sich ein wenig in Kalifornien umzusehen. Ray Williams, der Reggie mit Taupin zusammengebracht hatte, arbeitete eigentlich als Talent­scout bei Dick James Music, hatte seine Musiker auf dieser Reise aber als Tourmanager begleitet. Als er einmal einen Fön brauchte, rief er Janice, die Schwester einer Ex-Freundin, an. Als sie mit dem Fön erschien, hatte sie eine Freundin im Schlepptau, die Maxine Fiebelman hieß. Maxine zog Bernie Taupin sofort in ihren Bann, und sie wurde später seine erste Frau, die Tour-Näherin für die Band und die Inspiration für eins von Bernies Liebesliedern, „Tiny Dancer“.

Janice und Maxine machten den Vorschlag, den Briten Palm Springs zu zeigen, und die Jungs waren von der Vorstellung begeistert, einen Ausflug in den luxuriösen, zwei Autostunden östlich von Los Angeles gelegenen Wüstenort zu machen. Elton hatte jedoch keine Lust auf die Fahrt und blieb allein im Hotel. Es dauerte nicht lange, und seine Lustlosigkeit schlug in Langeweile und schließlich in Frust um.

Als seine Kumpels am Abend ins Hyatt House zurückkehrten, hatte Elton einen seiner ersten echten Tobsuchtsanfälle. Ray Williams begriff sofort, dass Eltons „dunkle Seite“ zum Vorschein kam, als Reggie wütend brüllte, dass er von diesem Quatsch genug hatte, den Gig im Troubadour absagen und nach London zurückfahren würde. Williams versuchte sein Bestes, Elton, der sich wie eine gereizte, zickige Diva benahm, zur Vernunft zu bringen, und es wunderte den Manager sehr, dass sich sein Schützling, der noch immer kein Star war, sich plötzlich wie ein verwöhntes Kind aufführte.

„Du musst den Auftritt machen, du kannst dieses ganze Geld nicht für nichts und wieder nichts verschwenden!“, versuchte Ray ihm klar zu machen.

„Das ist mir scheißegal, ich fahre nach Hause!“, schrie Elton. Es war der erste von Reggies zahlreichen „kleinen Augenblicken“.

Als Elton nachts deprimiert allein in seinem Zimmer war, rief er bei Dick James in London an, um über die anderen herzuziehen und zu jammern. James versuchte, ihn zu beruhigen und ihm ebenfalls begreiflich zu machen, dass er sich nur ein bisschen ausruhen musste, um für den Gig im Troubadour in guter Verfassung zu sein.

Das mit Spannung erwartete Konzert im 300 Plätze fassenden Troubadour war für Dienstag, den 25. August 1970, angesetzt. Als die Band vor dem Club in West Hollywood vorfuhr, bot sich ihnen ein seltsamer Anblick. Auf der Anzeigetafel vor dem Eingang war Elton John als Headliner angekündigt, der Folksänger David Ackles hingegen als Vorprogramm. Das Staunen war deshalb so groß, weil Elton und Bernie große Fans des Sängers waren und Ackles als echten Star betrachteten. In den USA war er allerdings weitgehend unbekannt und hatte auch noch nie einen Hit gehabt. Eltons Nervosität steigerte sich dadurch nur noch weiter. Er machte sich Sorgen, weil er als völlig Unbekannter nach einem etablierten Künstler auf die Bühne musste, den er sehr respektierte. Es war die erste einer Reihe von Überraschungen, die sich an diesem Abend ereigneten.

Zwar ließen die Songs und das Cover von Elton John vermuten, dass es sich um einen eher schüchternen und zurückgezogenen Performer handelte, aber Reggie Dwight war fest entschlossen, an diesem schicksalhaften Abend ein für alle Mal aus seinem Kokon auszubrechen. Damit man ihn nicht für einen singenden Börsenmakler hielt, hatte er sich Bühnenkleidung ausgesucht, die ihn sofort zum Stadtgespräch von West Hollywood machen würde. In London gab es eine Boutique namens Mr. Freedom, die völlig verrückte Sachen führte, und dort hatte Elton seine Garderobe für diesen Abend erworben: Hotpants, ein Paar weiße Stiefel mit grünen Flügeln und ein T-Shirt, auf dem der Schriftzug „Rock’n’Roll“ prangte.

Am meisten überwältigte ihn an diesem Abend vermutlich die Tatsache, dass im Publikum sehr viel Prominenz saß, die neugierig auf die Show wartete. Neben Neil Diamond, der ebenfalls bei UNI Records unter Vertrag stand und Elton auf der Bühne ankündigte, waren unter anderem Gordon Lightfoot, Mike Love von den Beach Boys, David Gates von Bread, Danny Hutton von Three Dog Night, der Musiker und Produzent Van Dyke Parks und Odetta dort. Selbst Filmkomponisten wie Quincy Jones, Henry Mancini und Elmer Bernstein beehrten das neue Gesicht aus Großbritannien mit ihrem Besuch.

Elton begann das Konzert mit einigen der eher persönlichen, ruhigen Nummern. Zu Anfang klang er etwas steif und langweilig. Robert Hilburn von der Los Angeles Times schrieb über das Konzert: „Er präsentierte seine Songs auf leicht distanzierte, geschäftsmäßige Art. Er wirkte verängstigt und hielt die Augen starr auf das Mikrofon und das Klavier gerichtet.“(41) Doch dann spürte Elton, wie ihm das Publikum entglitt. Von der Bar drangen Gesprächsfetzen herüber, und der Applaus zwischen den einzelnen Titeln war nicht gerade überschwänglich.

Beim vierten Song begann er sich zu ärgern, dass einige Zuschauer seinem Gesang und seinem Spiel nicht genügend Aufmerksamkeit zollten, und er erhob sich von seinem Platz am Klavier und erklärte in gereiztem Ton: „Na schön! Wenn ihr nicht zuhören wollt, dann gefällt euch das vielleicht besser.“ Und dann legte er in bester Jerry Lee Lewis-Manier los.

Das war der Wendepunkt. Nun kam Elton richtig in Fahrt und präsentierte „Take Me To The Pilot“ mit so viel Feuer, dass die Folksängerin Odetta angeblich aufsprang und tanzte. Sänger und Band stellten nun Material von der demnächst erscheinenden Tumbleweed Connection vor und zündeten mit „Burn Down The Mission“ ein echtes musikalisches Feuerwerk. Elton rutschte im Eifer des Gefechts zu Boden und spielte auf den Knien weiter. Als der Gig vorüber war, tobte das normalerweise eher als blasiert bekannte Publikum von L.A., und Elton bekam nicht nur eine, sondern zwei stehende Ovationen.

Die Zuschauer hatten einen ruhigen, gesetzten Vortrag erwartet und stattdessen einen wilden, alle Aufmerksamkeit auf sich ziehenden Showman bekommen. Über diesen ersten Abend im Troubadour berichtete Elton später: „Gerade war mein Album Elton John erschienen, das ziemlich düster und mit üppigen Orchesterarrangements versehen war, und das Cover war auch ziemlich dunkel und zeigte nur mein Gesicht und meine Brille. Und dann kam ich mit einer dreiköpfigen Band und in Hotpants, mit Flügeln versehenen Stiefeln und einem Mr. Freedom-T-Shirt auf die Bühne, sprang auf das Klavier, stellte mich darauf oder machte Handstand auf den Tasten, und die Leute waren total verblüfft: ‚Ach du Scheiße, was ist das denn?‘ Ich fühlte mich zum ersten Mal in meinem Leben wirklich befreit.“(42)

Am Ende des Konzerts fraß ihm das Publikum aus der Hand. Die Stars, die Elton anschließend persönlich kennen lernen wollten, bildeten eine so große Gruppe, dass Norman Winter sie bat, sich in einer ordentlichen Reihe aufzustellen, damit alle in den Backstagebereich und später auch wieder aus dem Club hinaus gelangen konnten.

Russ Regan war von der Vorstellung, die er miterlebt hatte, völlig überwältigt. „Es war vermutlich eine der mitreißendsten Veranstaltungen, die es je im Troubadour gegeben hat“, meinte er. „Mann, wir wussten nach der ersten Dreiviertelstunde, dass wir einen Superstar vor uns hatten. Als die Band ‚Burn Down The Mission‘ spielte, hielt es niemanden mehr auf den Sitzen. Es war unglaublich energiegeladen, ein großartiger Abend.“(43)

„Elton hat allen die Socken weggebrannt“, erklärte Danny Hutton.(44)

Die höchsten Weihen erhielt Elton in der Los Angeles Times von Robert Hilburn: „Wenn das kein Grund zur Freude ist. Die Rockmusik, die noch vor kurzem mit wenig frischen Impulsen aufwarten konnte, hat einen neuen Star. Er heißt Elton John, ein 23-jähriger Engländer, dessen US-Debüt am Dienstag Abend im Troubadour in fast jeder Hinsicht einfach phantastisch war. Seine Stimme erinnert oft an José Feliciano, aber sie reicht gelegentlich auch an Leon Russell oder Mick Jagger heran. John schreibt seine Songs zusammen mit dem ­Texter Bernie Taupin, der häufig jenen zeitlosen, kontemplativen Geist einfängt, wie man ihn auch von Robbie Robertson von The Band kennt. Er wird einer der größten und wichtigsten Stars des Rock werden.“(45)

Am zweiten Abend erlebte Elton eine sogar noch größere Überraschung. Im Publikum war Leon Russell, der Rockpianist, den er damals sehr verehrte, und das warf ihn beinahe um. „Ich wäre fast gestorben!“, erinnerte Elton sich später. „Er saß einfach da, mit seinem wunderschönen silbernen Haar, und sah aus wie Rasputin.“(46)

Leon mochte Elton sofort, und er lud seinen britischen Kollegen noch am gleichen Abend zu sich nach Hause ein. Elton hatte Angst, Leon Russell würde sein Klavierspiel kritisieren, aber stattdessen war Leon sehr charmant und lobte ihn sehr. Elton sagte damals: „Er ist mein Idol, was das Klavierspielen betrifft, und dann saß er da vorn vor der Bühne. Mir wurden die Knie richtig weich! Ich meine, es wäre schon ein Sakrileg, mein Spiel überhaupt mit seinem zu vergleichen. Er spielt in einer völlig anderen Liga! Aber er sagte, dass er mit uns Songs aufnehmen will, und er hat auch erzählt, dass er ‚Delta Lady‘ geschrieben habe, nachdem er einen unserer Titel gehört hatte, und das war echt der Hammer. Ehrlich, es ist fünf Millionen guter Kritiken wert, wenn jemand, den man als Künstler respektiert, auf einen zukommt und sagt, dass er es gut findet, was man so macht.“(47)

Als sie später am Abend bei Russell zu Hause saßen, redeten sie über das Musikgeschäft und tauschten Erfahrungen aus. Leon erzählte von seinem Geheimrezept bei Halsproblemen, und bis zum heutigen Tag verwendet Elton bei rauer Kehle stets Leons stimmbandschmeichelndes Geheimgebräu.

Auch Jimmy Greenspoon kam zu einem der Konzerte, die Elton in jener Woche im Troubadour gab, und war schlicht „überwältigt“ von dem Auftritt: „Ich hatte für den Abend eine Limo gemietet, denn ich wollte mich nach echter Rock’n’Roll-Manier so richtig bis zur Halskrause abfüllen und nicht mehr selbst fahren. Dann suchte ich mir einen Platz hinten in der Mitte des Zuschauerraums, sodass ich alles gut hören konnte. Elton kam auf die Bühne, und das Publikum brüllte wie aus einem Mund: ‚Woah!‘ Die Probleme, die er später gelegentlich mit der perfekten Umsetzung der ganzen Showelemente hatte, gab es noch nicht, weil alles noch sehr auf Sparflamme arrangiert war. Da stand dieser kleine, ungelenke Kerl, der noch ein halbes Jahr zuvor Klinken geputzt hatte, um seine Kompositionen an den Mann zu bringen, und haute einen phänomenalen Song nach dem anderen raus. An dem Abend war sich der ganze Laden einig: Ein echter neuer Star stand vor uns! Die Musik überzeugte total. Und wenn er mit dem Klavier ganz allein auf der Bühne gewesen wäre, es wäre trotzdem etwas ganz Besonderes gewesen. Wenn man die Augen zumachte, sah man die Geschichten, von denen er sang, wie einen Film vor sich ablaufen.“(48)

Es gab keinen Zweifel: Elton John hatte Los Angeles im Sturm erobert. Voller Stolz sagte er über diese Woche, in der seine ­Karriere den entscheidenden Schub bekam: „Wir brachten vom ersten Augenblick an echten Rock’n’Roll. Zwar waren wir ja schon immer eine Rockband gewesen, aber die Leute waren absolut überrascht. Wir spielten Songs wie ‚Sixty Years On‘ oder ‚The King Must Die‘, und zwar noch besser als auf Platte.“(49)

Trotz seines kindischen Wutausbruchs am Abend vor dem ersten Troubadour-Auftritt war der ganze Trip nach Los Angeles ein großer Erfolg geworden. Selbst Elton musste zugeben: „Von dem Augenblick unserer Ankunft an ging alles drunter und drüber. Der erste Auftritt im Troubadour bekam natürlich eine völlig überzogene Bedeutung, weil die Leute von der Plattenfirma und der Presse da waren, aber die Show an sich war absolut unglaublich, und das ging so weiter. Wir bekamen unglaubliche Kritiken – ich habe nicht eine schlechte gesehen.“(50)

Abgesehen davon, dass er sich endlich in die Umlaufbahn hineinkatapultiert hatte, in der die echten Stars ihre Kreise zogen, gab es während dieses Aufenthalts in Los Angeles für Elton ein weiteres Highlight – das Plattengeschäft Tower Records am Sunset Boulevard, ein riesiger Vinyl-Supermarkt. Für ihn als besessenen Plattensammler und Musikfan war es das ultimative Einkaufserlebnis.

Nach der phänomenal erfolgreichen Woche im Troubadour gab Elton auf seiner Minitournee durch die USA noch ein paar Konzerte. Als nächstes trat er in San Francisco auf, wo Doug Weston einen Ableger des Troubadour in der Bay Area betrieb. Da er dem jungen Briten nur schlappe 500 Dollar für die eine Woche in L.A. gezahlt hatte, zeigte sich Weston großzügig und erhöhte die Gage für die Woche in San Francisco auf 750 Dollar. Russ Regan brachte MCA/UNI Records dazu, noch ein bisschen mehr in die gute Sache zu investieren und die Kosten der Tour zu übernehmen.

Für die Auftritte in San Francisco baute Elton nach und nach immer mehr Rocksongs in sein Programm ein, da sie beim Publikum offensichtlich sehr gut ankamen. Er spielte unter anderem „Honky Tonk Women“ von den Rolling Stones, das eine ganze Weile einen festen Platz in seinen Livekonzerten behielt.

Zu den bemerkenswertesten Gästen, die bei Eltons Gigs in San Francisco auftauchten, zählte ein alter Bekannter aus London – der Chef des dortigen Tamla Motown-Büros, John Reid. Es war reiner Zufall, dass er ausgerechnet in dieser Woche geschäftlich in der Stadt war. Reid berichtete später: „Motown gab im August 1970 anlässlich des zehnten Geschäftsjubiläums ein großes Fest in San Francisco. Ich war inzwischen recht gut mit [dem stellvertretenden Motown-Geschäftsführer] Barney Ales und seiner Frau Mitzi befreundet. Ich bin ja aus Schottland, und Barney sagte, dass ich nur dann zu der Veranstaltung kommen dürfte, wenn ich einen Kilt trüge. Es war eine phantastische Feier, unglaublich ausgefallen und luxuriös. Sie fand auf dieser Insel mitten in der Bucht von San Francisco statt. Dort gab es auch ein Casino, und alle bekamen Geld, um dort zu spielen. Außerdem erhielt jeder Gast ein Paar Duell­pistolen.“(51)

John Reid kam nicht nur zu Eltons Konzerten in San Francisco, er war auch der erste Mann, mit dem Elton je ins Bett ging. Das Jahr 1970 schien für den Sänger zum Schicksalsjahr zu werden: Nicht nur seine Karriere kam entscheidend voran, er entdeckte auch den Sex mit Männern. Frauen seines eigenen Alters waren für ihn nie interessant gewesen, jedenfalls nicht in sexueller Hinsicht, obwohl er immer wieder halbherzige Versuche unternahm, ihnen gegenüber charmant zu sein. Diese eine Nacht in San Francisco änderte alles. Innerhalb der nächsten Wochen wurde John Reid zu einem der wichtigsten Männer in seinem Leben. Als beide wieder nach London zurückgekehrt waren, übernahm Reid nicht nur das Management von Eltons Karriere, sondern zog auch mit ihm zusammen.

Es passte gut, dass sich für Elton zu dieser Zeit die Beziehung mit John Reid ergab, schließlich hatte Bernie Taupin sich auf dieser ersten Amerika-Tournee ebenfalls verliebt. Für Elton war das Erwachen seiner schwulen Sexualität längst überfällig: „Ich war etwa 23 Jahre alt. Und es war wie ein Vulkanausbruch. Alles drängte aus mir heraus, es war eine unglaubliche Erleichterung.“(52)

Von San Francisco aus reisten Elton und sein Tross nach New York, wo ein spezielles Showcase für die Manager von MCA/UNI Records geplant war. Leider war der Auftritt in Manhattan, verglichen mit den triumphalen Konzerten in Los Angeles und San Francisco, ein ziemliches Durcheinander. Die Show war Teil eines privaten Mittagessens für die Presse, das im Playboy Club im Stadtzentrum stattfand. Eric Van Lustbader schrieb in der Zeitschrift Record World: „Zwei weitere neue Acts standen auf dem Programm, aber da es ein normaler Werktag war, verabschiedeten sich viele der Journalisten schon, bevor sie auf die Bühne kamen. Der Sound war so schlecht, dass Elton anschließend völlig außer sich war und Tränen in den Augen hatte.“(53) Diese desaströse Pressevorführung war allerdings angesichts der großartigen Erlebnisse, die noch folgten, schnell vergessen.

In New York City übernachteten Elton und seine Truppe in einem Hotel auf der Eighth Avenue, das Loew’s Midtown hieß. Elton und Bernie wollten nach Harlem zum berühmten Apollo Theater in der 125th Street fahren, um den legendären Tempel amerikanischer Soulmusik zumindest einmal von außen gesehen zu haben. Sie mussten drei Taxifahrer anhalten, bis einer überhaupt bereit war, nach Harlem hineinzufahren. Dort standen die beiden ehrfürchtig vor dem Gebäude und kehrten dann in ihre etwas abgerissene Unterkunft in der Nähe des Times Square zurück. Sie hatten gehört, dass New York eine gefährliche Stadt war, und bekamen das prompt bestätigt, als am Abend eine Schießerei am Times Square ausbrach.

Die nächste Station dieser entscheidenden Tour war Philadelphia, wo Elton als Headliner in der Electric Factory spielte. Zwar bescherte ihm diese Tour tatsächlich den großen Durchbruch als Star, aber UNI Records musste dafür auch ziemlich tief in die Tasche greifen. Russ Regan erinnerte sich an zahlreiche Diskussionen mit dem Label über die Kosten. „Ich musste mich wegen vieler Dinge rechtfertigen“, sagte er, „und man sagte mir, dass ich nicht so viel hätte ausgeben sollen, dass ich viel zu viel Geld für den Künstler bereitstellte, und ehrlich gesagt, mir ging das ganz schön auf die Nerven. In Philadelphia bekam ich dann einen Anruf vom Controller der Firma. Er sagte mir, dass man im Unternehmen schon von ‚Regans Privatvergnügen‘ sprach, weil ich so viel aus dem Promotionetat für einen Künstler aufwendete, der nichts verkaufte. Und das stimmte ja auch, noch verkaufte er keine Millionen Singles oder Alben. Wenn ich je kurz vor einem Herzinfarkt gestanden habe, dann war das damals im Holiday Inn in Philadelphia – es gibt Zeugen dafür, wie ich den Typen am Telefon anbrüllte, er könne mich mal. Ich hatte das Gefühl, einen Superstar am Start zu haben, und ich hatte nicht die Absicht, meine Pläne mit ihm aufzugeben.“(54) Es war Glück für Elton, dass Russ Regan für das kämpfte, woran er glaubte – an Eltons Talent und an die große Karriere, die ihm bevorstand.

Als Elton wieder nach England zurückkehrte, musste er zunächst sein kommendes Album fertig stellen und den Soundtrack zu einem Film einspielen. Wie er damals sagte, war er sehr enthusiastisch, was die neue Platte betraf: „Sie ist so ganz anders als die letzte. Ich wollte weg von den Orchestersachen. Ein Titel besteht nur aus Gesang und Klavier, live eingespielt. Ein Song von Leslie Duncan ist dabei, den ich immer schon aufnehmen wollte, und dann noch einer von uns, der ‚Burn Down The Mission‘ heißt und für mich das Beste ist, was wir bisher gemacht haben. Es ist insgesamt alles etwas schlichter und geht mehr in Richtung Funk.“(55)

Die Tour in den USA hatte unter anderem auch den inneren Kreis der „Elton John Band“ eng zusammengeschweißt. Elton, Nigel Olsen und Dee Murry waren nicht mehr nur Bandkollegen, sie waren auch Freunde geworden. „Wir sind jetzt eine richtige Band“, sagte Elton damals, „und die Jungs haben mir unheimlich geholfen. Zwischen uns gibt es jetzt schon einen enormen Zusammenhalt, auch musikalisch, aber nächstes Jahr werden wir unglaublich sein. Amerika hat uns sehr viel Selbstbewusstsein gegeben, und ich muss ihnen überhaupt nicht mehr sagen, was sie tun sollen, weil wir alle wissen, was anliegt. Es gibt ein paar Songs mit komplizierten, gebrochenen Rhythmen, aber sie spielen sie einfach, ohne dass ich irgendwas erklären muss.“(56)

Nach den triumphalen Wochen in den USA kehrte Elton John selbstbewusst und erfolgreich nach England zurück. Seine Karriere hatte in Amerika einen enormen Schub bekommen. Er war von Danny Hutton herumgeführt worden, hatte Brian Wilson getroffen und ihm seine Songs vorgespielt, und sein Idol Leon Russell hatte seine Musik gelobt. Und davon abgesehen hatte er plötzlich auch einen Freund. Um all das gebührend zu feiern, zog er in eine neue, luxuriöse Wohnung – zusammen mit John Reid. Als er sein Heimatland verlassen hatte, hatte er unsicher in die Zukunft geblickt – nun kam er als anerkannter Star zurück.





Elton John

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