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Eine Metamorphose mit Folgen

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Vor den Inseln der Äußeren Hebriden trieb ein nackter Körper mit dem Gesicht nach unten in der eisigen Meeresströmung; Bänke kühlen Nebels umwaberten den reglosen Leib, welcher bald hierhin bald dorthin getragen wurde.

Endlich lief er in einer flachen Brandungszone vor einem der unzähligen Eilande auf Grund und kam schließlich an dem schmalen Saum, der die Elemente Erde und Wasser voneinander trennt, zum Liegen. Die Strahlen der aufgehenden Sonne fraßen sich immer weiter durch den dichten Dunst und fügten der Szenerie allmählich das Feuerelement hinzu. So entfachten die Elementarkräfte der Natur die Initialzündung für den Austritt von Buddy Greaters Seele aus seiner nunmehr wertlosen Körperhülle; von diesem Moment an fiel seine irdische Physis der Bedeutungslosigkeit anheim; sie ging ein durch das Tor der Vergessenheit, war unwiederbringlich verloren; als hätte dieser Leib nie existiert; als wäre Buddy nie geboren worden: Geburt, Lebensspanne und Tod vereinten sich in einem imaginären Fixpunkt, der faktisch nicht begreifbar schien; wie jedoch bei einer Kernexplosion eine schier unendliche Gewalt aus einer im Verhältnis verschwindend geringen Masse hervorgeht, so brach aus der leblosen Hülle der ihr innewohnende Geist mit vehementer Stärke hervor und hatte solchermaßen gleichsam den Sieg über sie errungen. Aber kaum war die amorphe Seelengestalt, welche einem gewöhnlichen Auge verborgen bleiben musste, von ihrem körperlichen Gekröse abgenabelt, als urplötzlich ein gewaltiger Windstoß die See aufpeitschte. Die Böe trug das Fleisch zu den tosenden Wogen hinaus, welche es unverzüglich begierig verschlangen und nichts von ihm übrigließen. In allegorischer Deutlichkeit blickte Ngabu-Nganba auf den vollzogenen Exitus Buddy Greaters zurück, vereinte jedoch sogleich seine frisch gewonnenen Kräfte und fing an, sich in seiner neuen Wertigkeit in einer alten Umgebung neu zu begreifen...

... so schwebte ich über den Wassern und da war eine Teilung zwischen denselben. Zu meiner Linken und Rechten erhoben sich steile Wellenberge; diese überragten die Meeresoberfläche um gut einhundert Fuß. Inmitten der Wasserwände tat sich ein ebenso tiefes Wellental auf, das alsbald in eine sich vehement steigernde Rotation geriet. Die seitlichen Wasserwalzen verschmolzen ringförmig miteinander und der Kamm des so entstandenen Meeresstrudels bildete einen gigantischen Sogtrichter, so dass der Eindruck entstand, der Meeresgrund müsse wohl bald durch diesen freigelegt werden. Sekunden danach hatte sich der Trichter jedoch zu einer zylindrischen Röhre verengt, die mich mit ihrem schwarzen Auge aus der schäumenden Gischt heraus anstarrte, als fordere sie mich auf, in ihr geheimstes Inneres einzudringen. Mit unzähmbarer Gier begann sie, meinen Astralkörper zärtlich zu erfassen und führte mich behutsam in ihre Öffnung.

Ringsumher hatten sich Meere und Himmel zu einer schäumenden grauen Masse verdichtet. Alles um mich begann sich zu drehen und der wilde Schaum saugte mich in den Strudel hinein, so dass ich eins mit seiner Bewegung wurde. Als würde ich mithilfe eines Kolbens durch eine Injektionsnadel gepresst, gelangte ich durch die anfangs blauschwarze Tiefe schnell in die Zone ewiger Lichtlosigkeit.

Eben an diesem Ort aber begann meine eigentliche Mission; es war der Punkt ohne Wiederkehr und ich war bereit, mein Licht mit der Schwärze zu vereinen. Hier unten wurde ich mir erstmals seit meiner fantastischen Seelengeburt meines neuen Selbst bewusst. In der kontemplativen Ruhe der Tiefsee erspürte ich, dass ich mit allen nur erdenklichen Raffinessen ausgestattet war, meine neue Identität zielgenau zu navigieren. Die taube Stille verriet mir von meiner völligen Ungebundenheit an biologische Prozesse, infolge der ich keine organische Nahrung benötigte, weder altern noch sterben musste und somit absolut übergeordnet zum irdischen Leben existieren konnte. Auch brauchte ich nicht erst mühsam zu erlernen, meine Fähigkeiten weiterzuentwickeln, sondern trug das benötigte Wissen bereits in mir, mit welchem ich meinen Logos auch durch Zugriff auf externe Bewusstseinsebenen zu erweitern vermochte.

Mein Erscheinen auf der Weltbühne sollte die kümmerliche Beschränktheit irdischer Belange Lügen strafen; meiner Macht schienen keine Grenzen gesetzt; weder körperlich, geistig, räumlich, ideologisch noch zeitlich war meine Hybris noch aufzuhalten. Doch der irdische Zeitbegriff war es, der mich in meinen Selbstreflexionen innehalten ließ und mich dazu veranlasste, mich auf die Ansteuerung meines ersten Missionszieles hin zu orientieren. Mühelos glitt ich weiter und weiter hinab in das kryptische Dunkel. Tiefseekalmare kreuzten meinen Weg und verbreiteten ein magisches bläuliches Licht. Achtlos stoben einig von ihnen durch mich hindurch und so war ich in der Lage, einen Teil ihrer Lumineszenz einzufangen, die mich selbst für eine Weile zum Leuchten brachte.

Wenig später konnte ich unter mir in geringer Distanz den Meeresboden ausmachen. Wie bei allen Astralwesen, basierte meine gesamte Wahrnehmung auf der Absorption atomarer Beschaffenheit und subtiler Analyse der Objektaura, wodurch ich von optischen Täuschungen, akustischen Irritationen und sonstigen in die Irre führenden Empfindungen weitestgehend verschont bleiben sollte. Ebenfalls vermochte ich durch sämtliche Aggregatzustände der Elemente zu navigieren, um an meine zu erreichenden Ziele in Raum und Zeit zu gelangen.

Indes fand ich mich am Rande des transatlantischen Rückens neben den stygisch qualmenden Schloten einer Armada von schwarzen Rauchern wieder; ihre tumben Zinnen reckten sich wie Vorburgen der Apokalypse in ein zur Verlassenheit verdammtes Nichts; die toten Fragmente unzählbarer scheußlicher Lebensformen säumten deren bizarre Flanken. Ein einsamer Vampirfisch steuerte mit sinnentlehrtem Geglotze in die stetig aufquellenden Eruptionswolken hinein, worin er alsbald auf Nimmerwiedersehen verschwunden war. Unversehens verspürte ich das Bedürfnis, es ihm gleichzutun und folgte so ohne Aufschub meinem Drang in diese kloakale Erdregion vorzudringen.

Durch die Aufnahme atomarer Strukturen aus meiner Umgebung war ich binnen Augenblicken imstande genug Fremdmasse in mir anzusammeln, um für weitere Aufgaben gewappnet zu sein. Über eine der wabernden Emissionssäulen glitt ich in den engen Schaft aus dem sie hervorgequollen kam und tauchte über die Schlingen des brodelnden Planetengedärms zu den Eingeweiden der Erde selbst hinab. Die schwefelige Hitze entfachte mein inneres Feuer; wie das Projektil einer Schusswaffe raste ich durch das enge Loch; meine orgiastische Fahrt brachte mich in fortwährend heißere Tiefen des Erdmantels, bis ich in einem Fluss aus zäher Magma stak.

Auf der Stelle schöpfte ich neuen Brennstoff aus dem flüssigen Gestein und folgte dessen Fließrichtung ohne Aufschub auf den Erdmittelpunkt zu. Meine Atome und die meiner Umgebung durchdrangen sich gegenseitig, was mich in eine Art Reisestarre versetzte, den Nbungu-Zustand. In ungefähr eintausend Meilen Tiefe drang ich in den äußeren Erdkern ein, wo die extremen Druckverhältnisse erforderten, dass ich meinen Energieumsatz drosselte, um eine atomare Kettenreaktion zu unterbinden.

Auf der Oberfläche des inneren Erdkerns angelangt, bezog ich Position parallel zum Erdäquator und bewegte mich retrograd zur Erddrehung. Steigerte ich nun meine Geschwindigkeit, so konnte ich die Zeitbarriere rückwärts überwinden, was bedeutete, dass ich an jeden beliebigen Punkt der Erdgeschichte zurückgelangen konnte, aber nicht über den Zeitpunkt der Erdentstehung selbst hinaus. So weit ins Dunkel der Naturgeschichte strebte ich jedoch gar nicht zu gelangen. Mein Ziel in der Vergangenheit war dagegen eines der dunkelsten Kapitel der Menschheitsgeschichte daselbst.

Ich führte den oben genannten Hergang mit maximaler Geschwindigkeit aus und kalkulierte das Erreichen meiner Destination in einer Distanz von 666.000 Kernumrundungen, was einer Zeitspanne von 361 Erdenjahren entsprach. Nach der Ermittlung der Ortskoordinaten für meinen Wiederaustritt an die Erdoberfläche machte ich mich in einer tiefen Nbungu-Sequenz auf die Reise zu den Quellen des Unheils. Wehe der Erde, denn sie hatte nur noch eine kurze Frist. Der große Tag meines Zornes war nahe, jedoch wer könnte gegen ihn bestehen? ...

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