Читать книгу Grundkurs Existenzsicherungsrecht für die Soziale Arbeit - Markus Fischer - Страница 10
Оглавление3Leistungsberechtigung und Leistungen (SGB II)
3.1 Erwerbsfähige Leistungsberechtigte und ihre Bedarfsgemeinschaftsangehörigen
Ziel der Neuordnung der Fürsorgeleistungen im Jahr 2005 (Kap. 1) war es, die Leistungen an erwerbsfähige Leistungsberechtigte (eLb) und deren Familienangehörige in einem Leistungsgesetz – dem SGB II – zusammenzufassen. Erwerbsfähige Leistungsberechtigte haben bei Vorliegen der Voraussetzungen einen Anspruch auf ALG II (§ 19 Abs. 1 S. 1 SGB II). Die Leistung umfasst den Regelbedarf, Mehrbedarfe, den Bedarf für Unterkunft und Heizung sowie für Bildung und Teilhabe (§ 19 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 1 SGB II). Einzelheiten hierzu finden Sie in den Kap. 4, 5 und 7.2.
3.1.1 Erwerbsfähige Leistungsberechtigte
Wer zu den eLb gehört, hängt von Umständen ab, die der Übersicht 16 zu entnehmen sind.
Übersicht 16
Erwerbsfähige Leistungsberechtigte (eLb) sind Personen, die (§ 7 Abs. 1 S. 1 SGB II)
1. das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben,
2. erwerbsfähig sind,
3. hilfebedürftig sind und
4. ih ren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben.
Erwerbsfähigkeit
Die Leistungsvoraussetzung der Erwerbsfähigkeit ist in § 8 Abs. 1 SGB II gesetzlich definiert. Diese Definition durch Verneinung („Erwerbsfähig ist, wer nicht …“) lässt sich besser verständlich positiv formulieren: „Erwerbsfähig ist, wer innerhalb absehbarer Zeit gesundheitlich in der Lage ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.“ (Edtbauer / Kievel 2014, 42) Die Erwerbsfähigkeit wird durch die Agentur für Arbeit festgestellt. Gegen diese Entscheidung kann nur ein anderer Leistungsträger, der aufgrund dieser Entscheidung leistungspflichtig würde (z.B. der Rentenversicherungsträger), Widerspruch einlegen. In diesem Fall ist vor der Entscheidung über den Widerspruch eine gutachtliche Stellungnahme des zuständigen Rentenversicherungsträgers einzuholen (§ 44 a Abs. 1 SGB II).
Als „absehbare Zeit“ in diesem Sinne ist ein Zeitraum von bis zu sechs Monaten anzusehen (BA-FW zu § 8 Rn. 8.2). Wichtig ist, dass nur gesundheitliche Einschränkungen (Krankheit, Behinderung) Einfluss auf die Erwerbsfähigkeit haben können. Kindererziehung, Schul- oder Berufsausbildung, Wohnungslosigkeit, Analphabetismus, Sprachprobleme oder andere „soziale Einschränkungen“ sind ohne Relevanz für die Beurteilung der Erwerbsfähigkeit. Der allgemeine Arbeitsmarkt umfasst alle denkbaren Erwerbstätigkeiten außerhalb von Sonderarbeitsmärkten wie dem der Beschäftigung in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung (LPK SGB II / Armborst, 2021, SGB II Rn. 13).
Nach § 8 Abs. 2 SGB II können ausländische Staatsangehörige nur erwerbstätig i.S.d. Abs. 1 sein, wenn ihnen die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit erlaubt ist oder erlaubt werden könnte. Staatsangehörigen der Mitgliedsstaaten der EU ist die Aufnahme einer Beschäftigung generell erlaubt. Staatsangehörigen anderer Staaten („Drittstaatsangehörige“) ist die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nur erlaubt, wenn sich die Arbeitserlaubnis aus deren Aufenthaltserlaubnis ergibt.
Hilfebedürftigkeit
Entsprechend dem Charakter der SGB II-Leistungen als Fürsorgeleistungen werden Leistungen nur im Falle von Hilfebedürftigkeit erbracht (§ 9 Abs. 1 SGB II), d. h. in der Höhe, in der der festgestellte Bedarf nicht durch vorhandene Eigenmitteln gedeckt werden kann (vgl. § 19 Abs. 3 S. 1 SGB II). Hier kommt der grundsätzliche Nachrang von SGB II-Fürsorgeleistungen gegenüber jeglicher privater oder staatlich organisierter sonstiger Hilfe (§ 5 Abs.1 S. 1 SGB II) zum Ausdruck. Mehr dazu in Kap. 8.
Gewöhnlicher Aufenthalt
Die letzte Voraussetzung ist der gewöhnliche Aufenthalt (gA) im Bundesgebiet. Seinen gA hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt (§ 30 Abs. 3 S. 2 SGB I). Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass am angemeldeten Wohnsitz auch der gewöhnliche Aufenthalt begründet wird. Die Frage des gewöhnlichen Aufenthaltes stellt sich damit allenfalls für Personen, die nicht schon über die Bestimmung des Wohnsitzes erfasst sind, also typischerweise Wohnungslose und Auslandsdeutsche (BA-FW zu § 7 Rn. 7.2).
3.1.2 Personen, die mit einer erwerbsfähigen Person in Bedarfsgemeinschaft leben
Leistungen erhalten auch Personen, die mit eLb in einer Bedarfsgemeinschaft (BG) leben (§ 7 Abs. 2 S. 1 SGB II) (Übersicht 17). Mit dieser Regelung ist grundsätzlich auch (noch) nicht erwerbsfähigen Personen der Zugang Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II eröffnet. Das Gesetz stellt keine weiteren Leistungsvoraussetzungen auf, sodass das Fehlen eines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland dem Anspruch auf Sozialgeld eines nichterwerbsfähigen Leistungsberechtigten, der mit einem eLb in einer Bedarfsgemeinschaft lebt, nicht entgegensteht (BSG NDV-RD 2015, 62 [Leits.]).
Nichterwerbsfähige Leistungsberechtigte erhalten Sozialgeld (§ 19 Abs. 1 S. 2 SGB II), wobei die Inhalte dieser Leistung denjenigen des ALG II gleichen.
Übersicht 17
Zur Bedarfsgemeinschaft gehören
1. die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
2. die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils,
3. als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten
a) nicht dauernd getrennt lebende Ehegatten,
b) nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder Lebenspartner,
c) eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
4. die dem Haushalt angehörenden unverheirateten unter 25-jährigen Kinder der in den Nummern 1 bis 3 Genannten, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können (§ 7 Abs. 3 SGB II).
Erwerbsfähige Leistungsberechtigte
Für die Bildung einer BG reicht ein eLb aus (auch wenn § 7 Abs. 3 Nr. 1 SGB II – insofern missverständlich – von „den eLb“ spricht). Darüber hinaus gehören alle Personen, die mit einem „Hauptleistungsberechtigten“ (BSG NZS 2009, 634 Rn. 24) in einer der in § 7 Abs. 3 Nrn. 2–4 SGB II umschriebenen Beziehung (Partner, Eltern, Kinder) stehen, zu einer BG. Damit können auch mehrere eLb zu einer BG gehören.
Eltern
Die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, bilden mit ihrem Kind eine BG (§ 7 Abs. 3 Nr.2 SGB II). Dies gilt auch dann, wenn sie selbst erwerbsfähig sind (BSG NZFam 2014, 1060 [Leits. 1]).
Partnerinnen und Partner
Partner sein können nicht dauernd getrennt lebende Ehegatten oder nicht dauernd getrennt lebende (eingetragene gleichgeschlechtliche) Lebenspartner nach LPartG. Eine nur vorübergehende räumliche Trennung (BSG NJOZ 2014, 675, 676 [Untersuchungshaft]) oder – umgekehrt – ein einvernehmliches Lebensmodell, das eine häusliche Gemeinschaft überhaupt nicht vorsieht (BSG NJW 2013, 957, 960), schließen eine BG damit nicht aus.
Schwieriger ist es, das Vorliegen einer „Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft“ i.S.d. § 7 Abs. 3 Nr. 3 c SGB II festzustellen. Das BSG hat hierfür Kriterien aufgestellt (BSG NJW 2013, 957, 958), die in der Übersicht 18 zusammengefasst sind.
Übersicht 18
Eine Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft i.S.d. § 7 Abs. 3 Nr. 3 c SGB II liegt vor, wenn
1. Partner (= eine Beziehung, die keine vergleichbare Lebensgemeinschaft daneben zulässt)
2. in einem gemeinsamen Haushalt (= „Wirtschaften aus einem Topf“) so zusammen leben, dass
3. von einem gemeinsamen Willen ausgegangen werden kann, füreinander Verantwortung zu tragen und füreinander einzustehen
4. Die letzte Voraussetzung wird bei Vorliegen einer der in § 7 Abs. 3 a SGB II aufgezählten Kriterien vermutet.
Kinder
In die Bedarfsgemeinschaft gehören auch die dem Haushalt angehörenden unverheirateten leiblichen und Adoptivkinder der in § 7 Abs. 3 Nr. 1–3 SGB II genannten Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, und ihren Unterhalt nicht aus eigenem Einkommen und Vermögen sichern können. Ob letzteres der Fall ist muss durch eine auf das Kindereinkommen und -vermögen bezogene Prüfung festgestellt werden. Wenn Kinder getrennt lebender Eltern sich abwechselnd und mit einer gewissen Regelmäßigkeit für jeweils länger als einen Tag im Haushalt des anderen Elternteils aufhalten, sieht das BSG eine zeitweise (temporäre) BG als gegeben an (BSG NZS 2007, 383, 387). Dies gilt auch, wenn die Kinder ihren Wohnsitz oder gA im Ausland haben (z.B. bei den Großeltern) und nur die Ferien bei ihren Eltern im Bundesgebiet verbringen (BSG NDV-RD 2015, 62 ff.).
3.1.3 Leistungsrechtliche Konsequenzen der Zugehörigkeit zu einer Bedarfsgemeinschaft
Die Rechtsfigur der Bedarfsgemeinschaft lässt „ bei Vorliegen bestimmter typisierter (familiär geprägter) Lebensumstände auf (typisierte) Haushaltseinsparungen und Unterstützungsleistungen innerhalb der Gemeinschaft [schließen], die die Gewährung staatlicher Hilfe nicht oder nur noch in eingeschränktem Umfang gerechtfertigt erscheinen“ lässt (BSG U v. 14.3.2012 – B 14 AS 17 / 11 R – juris-Dokument 23). Die leistungsrechtlichen Konsequenzen einer BG können Sie der Übersicht 19 entnehmen.
Übersicht 19
Leistungsrechtliche Konsequenzen der Zugehörigkeit zu einer BG
1. Die Höhe des Regelbedarfs hängt von der Zugehörigkeit zu und Stellung in einer BG ab (Kap. 4).
2. Das Einkommen und Vermögen von Partnern wird wechselseitig bei der Bedarfsdeckung berücksichtigt (Kap. 9).
3. Das Einkommen und Vermögen von Eltern / Elternteilen und deren Partnern wird bei bedarfsgemeinschaftsangehörigen Kindern bedarfsdeckend berücksichtigt (Kap. 9).
3.2 Leistungsausschlüsse nach dem SGB II
Der Gesetzgeber hat aus den unterschiedlichsten Motiven Personengruppen von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen, selbst wenn diese die Leistungsvoraussetzungen nach dem SGB II (Kap. 3.1) erfüllen.
3.2.1 Ausländische Staatsangehörige
§ 7 Abs. 1 S. 2 SGB II dient der Steuerung der durch Zuwanderung hervorgerufenen Inanspruchnahme von Sozialleistungen. Nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr.1 SGB II sind alle Ausländerinnen und Ausländer für die ersten 3 Monate ihres Aufenthaltes im Bundesgebiet generell von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Nicht davon betroffen sind
• Staatsangehörige der Europäischen Union („Unionsbürger“), die als Arbeitnehmer oder Selbständige im Bundesgebiet bereits freizügigkeitsberechtigt sind (§ 2 Abs. 3 FreizügG / EU);
• Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kap. 2 Abschn. 5 AufenthG im Bundesgebiet aufhalten (§ 7 Abs. 2 S. 3 SGB II).
Im Anschluss an die ersten 3 Monate des Aufenthalts sind weiterhin alle Ausländer von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt (§ 7 Abs. 1 S. 2 Nr.2 SGB II). Da nur Unionsbürger zur Arbeitsuche in das Bundesgebiet einreisen dürfen, betrifft dieser Ausschlusstatbestand in der Praxis nur diese. Leistungsberechtigte nach § 1 AsylbLG (hierzu Kap. 13) sind ebenfalls von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen (§ 7 Abs. 1 S. 2 Nr.3 SGB II).
3.2.2 Auszubildende
Auszubildende in einer dem Grunde nach förderungsfähigen Ausbildung nach dem BAföG sind von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen (§ 7 Abs. 5 SGB II). Dabei genügt für den Leistungsausschluss die Förderungsfähigkeit dem Grunde nach, Leistungen müssen nicht tatsächlich bezogen werden. Der Ausschluss greift auch dann ein, wenn die nach dem BAföG dem Grunde nach förderungsfähige Ausbildung lediglich aus individuellen Versagensgründen (Überschreitung der Altersgrenze, Zweitausbildung) nicht gefördert wird (BSG FEVS 61, 104, [Leits. 1]). Der Leistungsausschluss gilt jedoch nur für ausbildungsbedingte Bedarfe. Zu anderen Bedarfen vgl. Kap. 7.
3.2.3 Sonstige Ausschlusstatbestände
§ 7 SGB II enthält in seinen Abs. 4 und 4a weitere folgende Ausschlusstatbestände.
Vollstationäre Unterbringung
Bei vollstationär untergebrachten Hilfebedürftigen wird deren Erwerbsunfähigkeit rechtlich fingiert, da in Einrichtungen die „Gesamtverantwortung für die tägliche Lebensführung“ so weit an die Einrichtung abgegeben wurde, dass der Hilfebedürftige nicht mehr drei Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein kann (BSGE 116, 112 [Leits.]). Der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung (Strafhaft, Untersuchungshaft, Unterbringung psychisch Kranker und Suchtkranker nach den Unterbringungsgesetzen der Länder) ist einem Einrichtungsaufenthalt rechtlich gleichgestellt (§ 7 Abs. 4 S. 1 1. Alt, S. 2 SGB II). Bei Einrichtungsunterbringung gibt es allerdings gesetzliche (Rück-)Ausnahmen für den Fall eines Krankenhausaufenthaltes unter 6 Monaten sowie bei einer tatsächlichen Erwerbstätigkeit unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts von mind. 15h / Woche trotz vollstationärer Einrichtungsunterbringung (§ 7 Abs. 4 S. 3 SGB II).
Rentenbezug
Der Leistungsausschluss gilt für die Bezieher einer (vorgezogenen) Altersrente oder vergleichbarer Leistungen (§ 7 Abs. 4 S. 1 2.–4. Alt. SGB II), da dieser Personenkreis endgültig aus dem Erwerbsleben ausgeschieden ist und nicht mehr in Arbeit eingegliedert werden kann.
Ortsabwesenheit
ELb erhalten keine Leistungen, wenn sie sich ohne Zustimmung des zuständigen Trägers außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs aufhalten und deshalb nicht für die Eingliederung in Arbeit zur Verfügung stehen (§ 7 Abs. 4 a S. 1 SGB II). Aus wichtigem Grund ist diese Zustimmung allerdings zu erteilen (§ 7 Abs. 4 a S. 2–5 SGB II).
Leistungsberechtigte haben deshalb sicherzustellen, dass sie persönlich an jedem Werktag an ihrem Wohnsitz durch Briefpost erreichbar sind und die Arbeitsagentur aufsuchen, mit einem möglichen Arbeitgeber in Verbindung treten und bei Bedarf persönlich mit diesem zusammentreffen oder eine vorgeschlagene Arbeit annehmen können (§ 77 Abs. 1 SGB II i.V.m. der Erreichbarkeits-Anordnung – EAO – vom 16.11.2001).
3.3 Übersicht über die Leistungen nach dem SGB II
Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Kap. 1) sichert jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind. (BVerfG NJW 2010, 505 [Leits. 1]) Die Höhe der Leistungen zur Deckung des Existenzminimums bewertete das BVerG in einer „Gesamtschau“ als „nicht evident unzureichend“ (BVerfG NJW 2010, 505, 506; 2014, 3425, 3426). Das frühere Einkommen eines Hilfebedürftigen spielt keine Rolle für die Bedarfsbestimmung (BT-Drs. 15/ 1516, 44; BVerfG NJW 2011, 1058). Das SGB II unterteilt den existenznotwendigen Bedarf in Einzelbedarfe, die mit unterschiedlichen Leistungen gedeckt werden (Übersicht 20).
Übersicht 20
Abschnitt 2 des SGB II (Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts) unterscheidet in den Unterabschnitten 2–4
1. Arbeitslosengeld II (ALG II)
1.1 Leistungen zur Deckung des Regelbedarfs
1.2 Leistungen für Mehrbedarfe
1.3 Leistungen für die Bedarfe Unterkunft und Heizung
2. Abweichende Leistungserbringung und weitere Leistungen
2.1 Abweichende Erbringung von Leistungen
2.2 Leistungen bei medizinischer Rehabilitation und bei Anspruch auf Verletztengeld
2.3 Zuschuss zu Versicherungsbeiträgen
2.4 Leistungen für Auszubildende
3. Leistungen für Bildung und Teilhabe
Einzelheiten zu den Leistungen nach dem SGB II finden Sie in den Kapiteln 4–7.
Literatur
Berlit, U. (2018): Existenzsicherung für Ausländer/innen – zwischen sozialer Integration und Exklusion. In: ArchSozArb 40–50
Oberdiek, A. (2019): Die Umsetzung der temporären Bedarfsgemeinschaft im SGB II. In: info also 56–61
3.4 Der praktische Fall: Die „bröckelnde“ Kleinfamilie
Frau S. (28 Jahre, erwerbsfähig) ist die Mutter des 3-jährigen M. und bewohnt mit diesem und dessen Vater P. (34 Jahre, erwerbsfähig) eine gemeinsame Wohnung in X-Stadt in Hessen. Verheiratet sind S. und P. nicht. Frau S. verfügt über ein Einkommen aus einem 450 Euro-Minijob, Herr P. verdient als Kfz-Mechaniker so viel, dass er die meisten Haushaltsausgaben bestreitet. Seit 3 Monaten beteiligt Herr P. sich allerdings nur noch sporadisch an den Haushaltsausgaben und hält sich nicht mehr zuverlässig an Absprachen zur Betreuung des gemeinsamen Kindes. Eine Abstimmung des Tagesablaufs findet nicht mehr statt und die Einnahme gemeinsamer Mahlzeiten oder gemeinsame Freizeitaktivitäten sind höchst selten geworden. Herr P. verbringt manchmal unangekündigt mehrere Tage außerhalb des Haushalts, ohne dass er je mit Frau S. darüber gesprochen hätte, wo er sich aufhält. Da von P. nur noch die Miete und Nebenkostenvorauszahlung per Dauerauftrag zuverlässig übernommen wird, gerät Frau S. wegen ihres geringen Einkommens in finanzielle Schwierigkeiten und beantragt für M. und sich Leistungen nach dem SGB II. Beim Jobcenter wird ihr gesagt, dass bei der Anspruchsprüfung auch das Einkommen des P. zu berücksichtigen sei, da sie und P. in einer Bedarfsgemeinschaft lebten. Indizien hierfür seien die Dauer des Zusammenlebens und das Zusammenleben mit einem gemeinsamen Kind.
Darf das Jobcenter bei einer Anspruchsprüfung von einer Bedarfsgemeinschaft zwischen S., M. und P. ausgehen?