Читать книгу Amorphis - Markus Laakso - Страница 10

2. „WIR SIND TROTZDEM THE ANIMALS, NUR VIEL BESSER!“

Оглавление

JAN-MARKUS „SNOOPY“ RECHBERGER (geb. 13. 06. 1974) und Tomi Samuel „Koippari“ Koivusaari (geb. 11. 04. 1973) wuchsen als Nachbarn in Martinlaakso auf. Der umgangssprachlich „Martsari“ genannte Stadtteil von Vantaa wurde später als Heimat der Formel-1-Stars Mika Häkkinen und Mika Salo bekannt. Es war jedoch beileibe keine reiche Nachbarschaft, sondern eine asketische Hochhauslandschaft, die in den Jahren 1968-1975 neben den Einfamilienhäusern der Alteingesessenen hochgezogen worden war. Die Rechbergers wohnten im „grünen“ Block, die Koivusaaris im „roten“. Es handelte sich um die typischen Plattenbauten ihrer Zeit: ein Haus wie das andere, entworfen unter funktionellen Gesichtspunkten ohne Rücksicht auf Ästhetik.

„Martsari wurde im Prinzip ein paar Jahre vor mir geboren“, erzählt Koivusaari. „Unser Haus wurde im gleichen Jahr fertig, als wir einzogen. Ich verbrachte da die ersten 18 Jahre meines Lebens. Meine Eltern ließen sich scheiden, als ich drei war. Ein Jahr später oder so brach mein Vater den Kontakt ab, sodass ich ihn eigentlich gar nicht kannte. Er ist 2005 gestorben. Ich habe seit meinem vierten Lebensjahr einen Stiefvater, das war für mich immer mein Papa. Mama arbeitete in einer Boutique und in einem Lebensmittelgeschäft. Wir waren nicht reich, aber meine Kindheit war völlig in Ordnung. Ich hatte nie das Gefühl, dass mir irgendetwas fehlte.“


Koivusaari im Hof seines Elternhauses in Vantaa-Martinlaakso.

Auch Tomi wuchs als Einzelkind auf, doch in dem großen Häuserblock war es ein Leichtes, Freunde zu finden. Wie viele seiner Altersgenossen schwärmte er für Serien wie Kampfstern Galactica und Knight Rider und las Mad-Hefte sowie das finnische Satiremagazin Pahkasika. Ob elektrische Eisenbahn, Schlittenfahren oder das ungeschickte Zeichnen von Comics: Wenn Tomi sich für etwas begeisterte, war – und ist – sein Einsatz total. Er war kein besonders wildes Kind, aber auch kein Drückeberger. Wenn im Hof etwas los war, war er immer dabei.

„Bei der Schneeballschlacht mit dem Nachbarblock kamen gelegentlich Steinschleudern zum Einsatz. Die Jungs von nebenan nahmen Gefangene und folterten sie. Da ging es heftig zur Sache. Wenn die Großen sich einen geschnappt hatten, schleppten sie ihn in den Keller und verdroschen ihn mit ’ner Rute. Wenn die Mütter zum Essen riefen, gingen trotzdem alle friedlich nach Hause. Hinterher ging die Schlacht dann weiter.“

Koivusaari erinnert sich gerne an das wilde Treiben, auch wenn es nicht ohne Blessuren abging. So mancher Stein traf sein Ziel, wenn auch mehr aus Versehen. Auch Koivusaari erwischte einmal mit seiner Steinschleuder die Stirn seines Gegners. Vor Schreck flitschte er gleich noch einen zweiten Stein hinterher. Und patsch! Wieder voll auf die Stirn.

„Der Kerl fing an zu schreien und ich ergriff die Flucht“, erinnert sich Koivusaari. „Er warf mit Steinen nach mir und traf mich an der Schläfe. Es blutete so stark, dass ich zum Arzt musste. Ich drohte natürlich, dass er mir Arzt und Reinigung bezahlen müsste!“


Koivusaari in der vierten Klasse

Als Koivusaari aus dem Krankenhaus zurückkam, suchte er den Kampfesgegner. Der Junge war über das Geschehene so erschüttert, dass er sich versteckt hatte, und niemand wusste, wo er war. Als die Lage sich nach vier oder fünf Stunden entspannt hatte, kam er aus seinem Versteck hinter dem Haus hervor und das Spiel ging weiter, als ob nichts geschehen wäre. „Ich glaub’, ich hab’ später mal ein Auto von dem gekauft“, überlegt Koivusaari. „Ich hatte ihn zwar jahrelang nicht mehr gesehen, aber der Typ hatte zumindest denselben Namen und sah auch in etwa so aus.“ Koivusaaris erste Liebe war Fußball. Er fing mit sieben Jahren an und es gab nichts, was ihm annähernd so viel Spaß machte. Er kickte fast täglich beim Club Vantaan Jalkapalloseura und träumte davon, Profi zu werden. Gedämpft wurde die Begeisterung schließlich durch die in der Jugendmannschaft üblichen Gepflogenheiten: Spieler, deren Eltern die Mannschaft nicht aktiv unterstützten, mussten regelmäßig die Ersatzbank warmhalten. Auch aus einem anderen Grund verschwand das Training bald aus dem Kalender. „Meine Fußballkarriere endete damit, dass das Lokalblatt über unsere Band THE ANIMALS berichtete und mein Trainer die Story las. Darin fand sich das Zitat: ‚Wir haben sonst keine Hobbys mehr.‘ Der Trainer rief bei uns zuhause an und fragte: ‚Solltest du vielleicht mit dem Fußball aufhören? Ich hab’ gehört, du hast jetzt andere Interessen.‘ Dabei spielte sicher eine Rolle, dass das Team ohnehin gerade ausgedünnt wurde. Trotzdem war es ziemlich dramatisch für mich. Was sollte ich schon sagen? ‚Naja, wär vielleicht besser.‘ Da war ich zwölf“, seufzt Koippari.

Jan Rechberger wurde in Vantaa-Ylästö geboren, lebte aber vom ersten bis zum neunzehnten Lebensjahr in Martinlaakso. Auch er hörte mit dem Fußballspielen auf, als der Metal die Oberhand gewann. Als mittleres Kind einer Musikerfamilie wuchs er in einer musikalischen Umgebung auf. Sein Vater, der 1970 von Österreich nach Finnland gezogene Herman Rechberger, ist Komponist und Multi-Instrumentalist, seine Mutter Soile Rechberger Musikpädagogin und Klavierlehrerin. Jan, seine jüngere Schwester Nina und seine ältere Schwester Jaana wurden zum Musikmachen ermuntert, aber nicht gezwungen.

„Als ich anfing, Rock und Heavy zu hören, wollte ich auch selber spielen. Meine erste Rockscheibe war das Debütalbum von KISS. Ich hatte Geburtstag und mein Dad schlug vor, dass ich mir im Plattenladen von Myyrmäki eine LP aussuchen sollte. Als wir den Laden betraten, fiel mein Blick sofort auf das KISS-Album. Ich sagte, die will ich. Papa fragte, ob ich mich nicht wenigstens zuerst umgucken wolle. Nein, ich wollte genau die. Die Masken und das Image fand ich toll. Zuhause legte ich die Platte sofort auf. Schon beim ersten Fill von Strutter war ich hin und weg. Danach kaufte Papa mir öfters spontan Platten, von denen er glaubte, sie könnten mir gefallen, zum Beispiel IRON MAIDENs Live After Death (1985) und WHITESNAKES 1987 (1987). Als er merkte, dass ich Gitarre lernen wollte, war er sofort dafür, kaufte mir eine Gitarre und zeigte mir ein paar Griffe.“

Die einzige Stereoanlage der Rechbergers stand im Wohnzimmer, wo Herman komponierte und Soile Klavierstunden gab. Der Vater ließ den Sohn und dessen Freunde Platten hören, während er daneben an seinem großen Schreibtisch saß und auf Notenblättern mit dem Stift neue Musik schuf. Die Konzentrationsgabe des vielfach national und international prämierten Musikers war phänomenal.


Snoopy als Kind

„Mein Vater machte sich als Modernist einen Namen und komponierte äußerst experimentelle Musik. Er baute selber Instrumente und konstruierte in Auftragsarbeit mechanische und elektronische Musikinstallationen im In- und Ausland. Später spielte er unter anderem in Folkgruppen mit und schrieb Kammermusik, romantische Klassik, Opern und alles, was dazwischen lag. Bei uns lief auch Ethno aus aller Welt. Wir gingen regelmäßig ins Konzert und meine Eltern gaben oft selber welche. Zuhause lief eigentlich ständig Musik. Irgendwer spielte immer irgendwas. Als Kind war ich auch oft im Studio, denn mein Dad arbeitete bei der Rundfunkgesellschaft im Experimentierstudio für elektronische Musik.“ Snoopy war von ruhigem Naturell, aber experimentierfreudig. Wie Koivusaari war auch er für jeden Unfug zu haben.

„Mein erster Kumpel war der Jussi, der im selben Hochhaus wohnte. Zusammen haben wir allen möglichen Scheiß gebaut, zum Beispiel mit dem Hammer die Flurwände demoliert, von wegen ‚hey guck mal, das geht ja kaputt!‘ Da gingen dann zwei Ferientage drauf, als wir ganz klein mit Hut die Löcher zuspachteln und übermalen durften.“

Rechberger ging in die finnisch-russische Schule in Helsinki-Kannelmäki, wohin er von Martinlaakso aus mit dem Bus fahren musste. Ihm gefiel es dort, auch wenn keine Freunde aus der Nachbarschaft da waren. Die Klassen waren klein, die Atmosphäre locker und der Unterricht exzellent.

„Unsere Familie und unser ganzer Bekanntenkreis waren ausgesprochen links und multikulturell. Wir hatten Freunde aus praktisch jedem Erdteil. Ich denke, dass das der Hauptgrund dafür war, dass meine Eltern mich und meine Schwestern auf eine Spezialschule schickten und es war eine gute Entscheidung. Später hab’ ich bedauert, dass ich nicht bis zum Schluss dageblieben bin. Dort ging’s wesentlich entspannter und toleranter zu als hinterher in Martsari, wo gegenseitiges Verkloppen und Fertigmachen an der Tagesordnung waren“, berichtet Snoopy.

Rechberger gründete seine erste Band schon im Grundschulalter. Sie hieß XEROX. Mit dabei waren zwei Freunde, die ebenfalls auf die Ohrwürmer und die dramatische Optik von KISS abfuhren. Den Namen fanden sie auf einem Kopiergerät. Die Qualität der Instrumente spielte keine Rolle, Feeling und Action dafür umso mehr. Das Equipment von XEROX bestand aus einem Bass, einer Landola-Westerngitarre und ein paar Blechtonnen, die als Schlagzeug dienten. Proberaum war der Katastrophenschutzraum des grünen Blocks im Nachbarhaus der Rechbergers.

„Keine Ahnung, wofür die Tonnen gedacht waren, vielleicht als Wasserbehälter, aber der Bunker war voll von den Dingern. Wir haben sie als Trommeln verwendet, weil wir nichts anderes hatten. Noch nicht mal richtige Drumsticks. Einer schrammelte auf der Landola herum, ein anderer prügelte auf die Fässerbatterie ein. Aber wir waren mit vollem Ernst bei der Sache. Einmal gaben wir ein Konzert für unsere Eltern und Nachbarn. Wir hatten keinen Bassverstärker, also schlossen wir den Bass an einen Kassettenrekorder an, damit es wenigstens so aussah, als hätten wir einen. Mama deutete hinterher an, dass vom Bass nichts zu hören war“, grinst Snoopy.

Mit XEROX war es jedoch vorbei, sobald Rechberger Koivusaari kennenlernte. Der elfjährige Koippari hatte damals schon eine eigene Band. Am Schlagzeug saß Tomi Rautiainen, der im selben Block wohnte. Für den Bass war ein neunjähriger Steppke namens Janne Rättö zuständig, der kaum länger war als sein geliehenes Instrument. Bei den Proben verwendete Rättö noch nicht einmal einen Verstärker, sondern zupfte die Saiten nur der Form halber. Der Sänger war ein Klassenkamerad von Koippari. Die Gruppe hatte sogar ein VHS-Musikvideo aufgenommen, was sich bald im ganzen Block herumsprach. Der Clip endete damit, dass Koivusaari, inspiriert von MÖTLEY CRÜE, eine alte Akustikgitarre zerdepperte.

Im September 1985 besuchte die Truppe – bis auf den Drummer, der mit seinen Eltern im Urlaub war – eine Kinderdisko im Mehrzweckraum des Nachbarblocks. Koivusaari wusste, dass der dort wohnende Rechberger Schlagzeug spielte und eine Band hatte. Persönlich kannten sich die beiden jedoch nicht. Bereits die erste Begegnung trug Früchte: „Als ich Koippari zum ersten Mal bei uns in der Disko traf, stellte sich raus, dass er Gitarre spielte. Wir waren sofort dran, hey, lass uns ’nen Song schreiben! Bei ihm im Keller gab es einen richtigen Proberaum, wo ein paar ältere Jungs ihre Ausrüstung aufgestellt hatten. Ein Schlagzeug und Gitarrenverstärker – der pure Luxus! Wir ließen das Mikrofon von einem Lüftungsrohr baumeln und nahmen das Stück direkt auf Kassette auf. Koippari spielte Gitarre, ich Drums“, berichtet Rechberger.

Als die schmalzige Ballade im Kasten war, nahmen die beiden das Tape frohen Mutes mit hinüber in den Partykeller und steckten es in die Anlage. Das eigene Stück in der Disko zu hören, war Balsam für das Selbstbewusstsein. Auch beim Publikum kam die Nummer gut an. Obwohl die Nachwuchsrocker vor Stolz fast platzten, verlangte die Aktion Stillschweigen: Der Schlagzeuger von Koivusaaris Band sollte nichts von dessen musikalischen Abwegen erfahren. Das Stück hieß Sleeping Boys.

„Als ich mit dem Musikmachen anfing, war Rambo angesagt und für mich gab’s nur Metal. An irgendwelche Nebeneffekte dachte ich noch gar nicht. Ich erinnere mich lebhaft daran, wie unser frisch aufgenommener Song da in der Disko lief und die Mädels anfingen, Blues zu tanzen. Viele sagen, dass sie mit der Musik angefangen hätten, um Frauen zu beeindrucken. Das lag uns zwar fern, aber in dem Moment wurde mir der Zusammenhang klar“, grinst Koippari. Nach diesem denkwürdigen Tag war das Duo jahrelang unzertrennlich. Da Koivusaaris Band bereits einen Schlagzeuger hatte, wurde Rechberger als Sänger engagiert. Die Band nannte sich THE ANIMALS.

„Die Musik von THE ANIMALS ist schwer einzuordnen“, so Koivusaari. „Wir schrieben von Anfang an eigene Songs, die Heavy Metal darstellen sollten. Ich hörte ACCEPT und W.A.S.P., Snoopy BON JOVI und EUROPE. Unsere Mucke war irgendwo dazwischen. Eine Band von kleinen Jungs, die sich wie wilde Rocker fühlten, mit Texten à la ‚I miss you‘. Ziemlich grauenhafter Müll. Keiner konnte richtig spielen, alle hatten es sich selbst beigebracht.“

Die Motivation war jedoch gewaltig. Die Truppe probte fleißig im Bombenkeller von Koipparis Block. Die Nachbarn beschwerten sich regelmäßig über den Krach, aber die Band hatte einen einflussreichen Verbündeten: Ein älteres Mitglied des Hausverwaltungsbeirats stellte sein altes Schlagzeug zur freien Verfügung. Als THE ANIMALS besser wurden und mehr Stücke beieinander hatten, fingen sie an, in den umliegenden Kellern Konzerte zu geben. Der Eintritt kostete meist 50 Penni (knapp 10 Cent) und hinterher gab es Bonbons für die Band. „Zu den Kellergigs kamen sogar ein paar ältere Kids, die uns unterstützten. Das gab uns Selbstvertrauen. Wir legten damals einfach los, ohne Hemmungen oder Selbstkritik. Ein bisschen nervös waren wir zwar, aber es war ziemlich geil“, schildert Koippari. Als es mit der Musik ernster wurde, änderte sich der Freundeskreis allmählich: die Mitmusiker blieben, der Rest verschwand aus dem Blickfeld. Koivusaari und Rechberger probten voller Eifer täglich nach der Schule. Jeweils einer von beiden kam mit seinem Gitarrencombo zum anderen, und es ging voller Kreativität ans Songschreiben. Oft schauten sich die beiden zur Inspiration Konzertvideos diverser Metalbands an.

„Klar waren wir damals schon davon überzeugt, dass das unsere Mission ist. Erst kürzlich traf ich übrigens eine alte Schulkameradin von mir. Sie hatte noch ihr altes Freundealbum, in das ich in der fünften Klasse geschrieben hab, dass ich später Rockmusiker werde. Ich wollte nie Feuerwehrmann oder Polizist werden. Entweder Fußballer oder Musiker“, konstatiert Koippari. Die Band lernte allmählich neue Tricks, zum Beispiel wie man einen Verzerrer simuliert: Die älteren Jungs rieten dazu, ein Stück Plastikrohr auf den 10W-Kombiverstärker zu stellen, sodass es beim Spielen vibrierte.

„Wir waren begeistert: ‚Boa, das klingt ja richtig echt!‘“, erinnert sich Koippari. „So war das damals. Lustige Zeit.“ Als nach diversen Kellergigs das Repertoire und das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten groß genug waren, fasste die Band die umliegenden Schulen ins Auge. Um ihren Kalender zu füllen, marschierten die Musiker persönlich zu den jeweiligen Musiklehrerinnen oder -lehrern und fragten, ob sie auftreten dürften. Meist war die Antwort positiv. THE ANIMALS spielten in diversen Schulen rund um Martinlaakso, Myyrmäki, Vaskivuori und Kivimäki. Das Publikum war verhältnismäßig groß, denn die Auftritte fanden tagsüber statt und waren für die Schulklassen Pflichtprogramm. „Im Lehrerzimmer kriegten wir immer grünes Licht und die Kids hatten sicher auch nichts dagegen, an ’nem Dienstagmorgen was anderes geboten zu kriegen als Unterricht. Wir hatten uns von VAN HALEN die Luftsprünge abgeguckt. Bei den Älteren und den Lehrern mag das gewisses Amüsement ausgelöst haben. Unsere Gigs weckten zwar keine Hysterie, aber einige fanden’s bestimmt ganz gut“, erinnert sich Snoopy. „Natürlich gab’s auch immer welche, die es absolut scheiße fanden oder einfach nur buhten, um cool zu wirken.“

Rock und Metal galten von jeher als Teufelszeug: dekadent, hedonistisch und zu Drogen, Verderben sowie Unzucht verleitend. Das Gefühl von Gefahr und Rebellion war ein wesentliches Element. Auch bei den Gigs von THE ANIMALS, obwohl die Bandmitglieder ihre eigene Botschaft noch nicht so ganz verstanden. Ihnen kam es nur auf das Feeling an. „Wir spielten als Zugabe On mulla unelma von SIELUN VELJET. Die Lehrer drehten die Lautstärke runter und sagten, dass es Zeit wäre, aufzuhören“, erzählt Koivusaari und fügt lächelnd hinzu: „In dem Song ist die Rede davon, sich mit der finnischen Flagge den Arsch abzuwischen und unseren Wappenlöwen mit LSD zu füttern.“


Koippari an der Gitarre und Snoopy am Mikrofon -

THE ANIMALS live in der Mårtendal-Schule, 1986.

Die Bühnenshow erregte die Aufmerksamkeit des anderen Geschlechts: THE ANIMALS „I like you“-Briefe von Mädchen, die ihre Gefühle für die Musiker bekundeten und auf Gegeninteresse hofften. Für eine Kinderband erhielten THE ANIMALS überraschend viel Aufmerksamkeit. Die wohl größte Ehre war ein Artikel in der Lokalzeitung Etelä-Vantaa. Verfasserin des am 12. 3. 1986 erschienenen Interviews war Anna Pérez, die große Schwester eines Kumpels von Rechberger.

„Danach fühlten wir uns auf den Straßen von Martinlaakso wie Stars“, lacht Koippari. Die Einleitung des Artikels schildert den Eifer, das Selbstvertrauen und die hohe Arbeitsmoral der 10- bis 13-jährigen Nachwuchsmusiker: „Viele bekannte Teeniebands haben ähnlich angefangen wie THE ANIMALS aus Martinlaakso. Manche schaffen es mit Glück an die Spitze, andere mit Talent, aber bei dieser Band merkt man, dass sie außerdem an harte Arbeit glaubt.“ Zum Zeitpunkt des Interviews hatte die Band sieben Liveauftritte hinter sich. Einige Bandmitglieder gaben zu, auf der Bühne Make-up zu verwenden, und alle wünschten sich zum Geburtstag oder zu Weihnachten eigene Instrumente, um nicht mehr von den größeren Jungs leihen zu müssen. Als Einflüsse nannten sie die SCORPIONS, W.A.S.P., KISS und AC/DC, als größte Live-Hits Koivusaaris Ballade I Gonna Love You, S.I.X. und das gute alte Sleeping Boys. Schon in diesem sympathischen Artikel wurde Koivusaari Koippari genannt und Rechberger Snoopy.


THE ANIMALS in der Lokalzeitung.

„Der Spitzname Snoopy stammt in etwa aus der Zeit. Er entwickelte sich daraus, dass jemand meinen Nachnamen zu Ressu abkürzte – das ist der finnische Name von Snoopy aus den Peanuts“, erklärt Rechberger. Eines Tages kam ein älterer Nachbarsjunge an, der THE ANIMALS lobte, aber hinzufügte, dass es schon eine Band dieses Namens gäbe. Die anderen ANIMALS aus England und hätten wohl schon ziemlich viele Platten verkauft. „Die älteren Typen aus unserem Hof waren schwer in Ordnung. Die haben uns nie runtergemacht, sondern immer unterstützt“, berichtet Snoopy. „Als wir hörten, dass es die ANIMALS schon gab, war uns das wurscht: ‚Wir sind trotzdem THE ANIMALS, nur viel besser!‘ Wir hatten noch nie von denen gehört und keine Ahnung, dass das ’ne Klassikerband von alten Knackern war.“

Letzten Endes beschloss die Gruppe jedoch, ihren Namen in ACCELERATE zu ändern. Gleichzeitig wurde der Musikstil härter, seien und Sänger Snoopy griff zusätzlich zur Gitarre. Der Name war an ACCEPT angelehnt, eines der wichtigsten Vorbilder der Band. ACCELERATE kamen jedoch nicht weit, weil Snoopy und Koippari sich verkrachten. Der Streit hatte auch musikalische Gründe: die Geschmäcker hatten sich in unterschiedliche Richtungen entwickelt.

„Ein Klassenkamerad spielte uns METALLICAs Ride The Lightning (1984) vor“, erinnert sich Koivusaari. „Ich fuhr drauf ab, Snoopy nicht. Ich fing an, härteren Metal zu spielen, als ich METALLICA, ANTHRAX und so weiter entdeckte. Damals kam’s nicht in Frage, in mehreren Bands gleichzeitig zu spielen, also stieg ich bei ACCELERATE aus und fing an, zu zweit mit meinem Klassenkameraden Juha Rytkönen zu spielen.“

„Natürlich war das ’ne Riesentragödie und Krise“, gibt Rechberger zu. Koivusaari und Schlagzeuger Rytkönen probten einige Male und versuchten, weitere Mitglieder zu finden. Das Projekt schlief jedoch schnell ein. In der Zwischenzeit hatten ACCELERATE Koivusaari durch den späteren ABHORRENCE-Gitarristen Kalle Mattsson ersetzt, einen Klassenkameraden von Snoopy, aber es dauerte nicht lange, bis Koippari und Snoopy sich wieder vertrugen und eine neue Band gründeten.

„Wir stritten zwischendurch wie ein altes Ehepaar und gingen auf Abstand zueinander. Danach stellten wir wieder eine Band auf die Beine. Wir haben ja nichts anderes gemacht als Musik: hören, spielen, uns gegenseitig Platten überspielen“, sagt Koivusaari.

Die neue Band wurde ENVIOUS getauft. Drummer war weiterhin Tomi Rautiainen, Koippari und Snoopy spielten Gitarre und letzterer sang. Auch Snoopy hatte inzwischen härteren Metal für sich entdeckt.

„Als Kind hörte ich Rockabilly wie MATCHBOX, CRAZY CARAVAN und Elvis, aber mit Heavy fing alles an. Koippari liebte W.A.S.P. über alles und ich KISS. Danach gaben wir uns alle Metalbands, die wir auftreiben konnten: ACCEPT, DIO, AC/DC, WHITESNAKE, DEEP PURPLE … you name it. Wenn jemand zuhause eine Satellitenschüssel hatte, gingen wir mit der Videokassette in der Hand hin und nahmen Metalvideos von Sky Channel auf. Von da aus wurde es immer härter“, erinnert sich Snoopy.

Auch für ihn stellte Ride The Lightning von METALLICA den Wendepunkt dar. Seiner eigenen Erinnerung nach gefiel Rechberger das Album jedoch auf Anhieb.

„Ich stand damals auf SCORPIONS und sowas. Sampsa „Hepa“ Henni, der mit mir auf die russische Schule ging, fuhr auf METALLICA ab. Als er das erste Mal Ride The Lightning auflegte, dachte ich: ‚Das ist ja wohl nicht wahr! Wo zum Teufel kommt so ’ne Musik her?!‘ Koippari fing als erster an, Speed und Thrash zu hören – ANTHRAX, METALLICA, MEGADETH und SLAYER – und bald fanden wir es beide verdammt geil und wollten selber schnelleren Kram spielen. So fing’s dann an.“

Die neue Band ging von Anfang an in Richtung Speedmetal. ENVIOUS spielten zwei Gigs in Schulen und feilten soweit an den Stücken, dass beschlossen wurde, ein Demo in einem richtigen Studio aufzunehmen. Die Jungs packten ihr Equipment und marschierten zu Tonal Productions in Lauttasaari. Das Studio war klein und technisch bescheiden, aber der asketische Rahmen war dem Eifer nicht abträglich. Innerhalb eines Tages sollten alle sechs Songs der Band auf das 16-Spur-Gerät von Fostex gebannt werden.

„Wir hatten nur einen Tag gebucht, also mussten wir alle Stücke innerhalb von ein paar Stunden einspielen und mixen. Es war supercool, zum ersten Mal in einem richtigen Studio zu sein. Wir hatten null Ahnung von nix, und der Studiobesitzer war auch nicht viel schlauer. Die Songs nahmen wir live auf. Dabei merkten wir, wie übel sich unsere Fehler anhörten. Trotzdem klang das Demo zigmal besser als die Kassetten, die wir im Proberaum aufgenommen hatten. Natürlich waren wir Feuer und Flamme. Die Songs hatten furchtbar kitschige Namen, zum Beispiel TTM (Trust To Mosh). Ich betone, dass ich zu dem Zeitpunkt vielleicht 14 war und Snoopy 13!“ Das Demo wurde nie offiziell veröffentlicht. Kopien gingen ausschließlich an Freunde sowie an mögliche Auftrittsorte. Das Demotape brachte ENVIOUS schon sehr bald einen Gig ein, und zwar im Jugendzentrum Kauniainen bei der Speed Metal Party am 18. 3. 1989. Hauptact der Veranstaltung waren PRESTIGE aus Tampere, deren Karriere im Aufwind war. Der gemeinsame Gig mit PRESTIGE war eine so große Sache, dass die Band beschloss, sich einen besseren Namen zuzulegen: VIOLENT SOLUTION, frei nach einem Stück von SACRED REICH, deren Album Ignorance (1987) auch die Optik des neuen Logos inspirierte. Die Band probte fleißig für ihren ersten Auftritt. Die Erwartungen waren hoch und die Spannung nahezu greifbar, als plötzlich das ganze Kartenhaus krachend in sich zusammenstürzte.


Amorphis

Подняться наверх