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Kapitel 3 Harmonie und Balance – bestimmend für die vegetative Gesundheit

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Das Herz ist die eigentliche Lebensmitte. Wir bezeichnen damit das leibliche Organ, an dessen Tätigkeit das leibliche Leben gebunden ist. Aber es ist ebenso geläufig, darunter das Innere der Seele zu verstehen, offenbar weil das Herz am stärksten an dem beteiligt ist, was im Inneren der Seele vorgeht, weil der Zusammenhang von Leib und Seele nirgends deutlicher zu spüren ist.

Edith Stein: Endliches und ewiges Sein, 1935

Im vorangegangenen Kapitel wurde nach einem Schlüssel zur „Sprache des Herzens“ gesucht. Wir haben gesehen, dass der Zeitabstand von Herzschlag zu Herzschlag (genauer: von R-Zacken zu R-Zacken) im Normalfall immer etwas ungleichmäßig ist, wobei die Unterschiede im Millisekundenbereich liegen. Wie fein diese Unterschiede aber auch sein mögen, so bieten sie mit entsprechender technischer Unterstützung doch die Möglichkeit, relativ einfach zu erkennen, ob sich eine Testperson in einer eher negativen oder eher positiven Gefühlslage befindet. Und: Je „schwingender“ sich dabei der Rhythmus der Herzfrequenz-Variabilität darstellt, desto besser ist dies für die Gesundheit (oder auch Gesundung!) des Menschen.

Bereits hier zeichnet sich also das Potenzial ab, das in der Möglichkeit liegt, die Herzfrequenz-Variabilität exakt erfassen und auswerten zu können. Die Medizin bekommt damit nicht nur neue Instrumente der Diagnostik in die Hand, sondern kann daraus auch Therapiemöglichkeiten ableiten, insbesondere für alle Krankheitsbilder, die ursächlich mit dem vegetativen Nervensystem zusammenhängen – wie Bluthochdruck oder Burn-out. Und es spricht heute bereits sehr viel dafür, dass das aus der Analyse der Herzfrequenz-Variabilität sich ergebende Diagnose- und Therapiepotenzial noch weit über diesen Anwendungsbereich hinausgeht – was im weiteren Verlauf des Buches noch gezeigt werden soll.

Der wichtigste Ansatzpunkt ist dabei die Erkenntnis, dass der Mensch (wie jedes Lebewesen) ein durch und durch rhythmisches System darstellt. Wobei sich die verschiedenen Rhythmen – je nach Gefühlslage und Gesundheitszustand –, als mehr oder weniger harmonisch oder chaotisch, starr oder auch gleichmäßig schwingend zeigen können.

Grundlage für diese neue Sicht auf das menschliche Herz und darüber hinaus auf den ganzen Menschen als rhythmisches Wesen ist die sogenannte Chronobiologie. Dieses noch vergleichsweise junge Forschungsgebiet befasst sich „mit der zeitlichen Organisation in Physiologie und Verhalten von Organismen. In dieser Organisation spielen Rhythmen, häufig von endogenen (inneren) biologischen Zeitgebern (Uhrsystemen) verursacht, eine große Rolle.“8

Allerdings muss bedacht werden, dass diese Forschung sich noch in einem sehr frühen Stadium ihrer Entwicklung befindet – vergleichbar vielleicht dem Stand der anatomischen Wissenschaft zu Zeiten Leonardo da Vincis. Es sind auf diesem Gebiet also noch sehr viele neue und weiterreichende Erkenntnisse zu erwarten. Und manches, was man heute bereits zu wissen glaubt, wird sich noch als falsch herausstellen.

In Deutschland begann die chronobiologische Forschung mit Prof. Dr. Gunther Hildebrandt, der später Direktor des Instituts für Arbeitsphysiologie und Rehabilitationsforschung der Universität Marburg wurde, und als einer der Väter der Chronobiologie weltweit gilt.

Hildebrandt hatte sich bereits in den 1950er-Jahren, er war damals noch als junger Mediziner in einer Kurklinik tätig, von seinen Patienten die Erlaubnis geben lassen, nachts in ihre Zimmer kommen zu dürfen, um bei ihnen im Schlaf stündlich die Puls- und auch Atemfrequenzen zu messen. Selbstverständlich war er noch weit von den heutigen Möglichkeiten der Messtechnik und der computergestützten Auswertung großer Datenmengen entfernt. Dennoch konnte er bereits mit solch einfachen Mitteln feststellen, dass Puls- und Atemfrequenz in einem ganz bestimmten rhythmischen Verhältnis (im Schlaf etwa 4:1) zueinanderstehen.

Damit hatte Gunter Hildebrandt etwas entdeckt, was in der Folge für die gesamte Chronobiologie bestimmend sein sollte. Denn dass sämtliche Vorgänge im menschlichen Körper rhythmisch durchorganisiert sind, diese Erkenntnis war schon damals nicht neu:

– Einatmen und Ausatmen

– Schlafen und Wachen

– Nahrungsaufnahme, Verdauung und Ausscheidung

– Regelblutung und Eisprung

All das sind Rhythmen, die lange bekannt sind. Wirklich neu hingegen war die Erkenntnis Hildebrandts, dass wohl die meisten oder sogar alle diese Rhythmen (zumindest bei einem gesunden Menschen) in einem bestimmten Verhältnis zueinanderstehen, gleichsam miteinander gekoppelt sind. Hildebrandt war also der erste Wissenschaftler, der die diesen Rhythmen innewohnende Ordnung entdeckt und beschrieben hat.9

Zum Verständnis dieser Ordnung hilft es, sich klarzumachen, dass die verschiedenen Rhythmen drei körperlichen Bereichen zugeordnet werden können:

– Der Kopf ist der Sitz der Hauptsinne sowie des zentralen Nervensystems,

– im Brustkorb befinden sich die (rhythmisch besonders intensiv spürbaren) Organe Herz und Lunge,

– im „unteren Menschen“ mit Bauch und Beinen ist die Bewegungs- und Stoffwechselorganisation beheimatet.

© fotolia-corellio / [M] Fricke

Dabei ist es so, dass die Nerven nach dem Alles-oder-Nichts-Prinzip funktionieren. Ein Nerv kennt also – wie ein Computer auch – nur zwei „Zustände“, zwischen denen er im Millisekundenabstand wechseln kann: aktiv oder inaktiv, ein oder aus.

Die Rhythmen der Atmung oder auch des Herzschlags verlaufen demgegenüber in Wellenform – an- und abschwellend im Sekunden- oder Minutenbereich.

Und die Rhythmen schließlich, die die Stoffwechselprozesse oder den Monatszyklus der Frau bestimmen, spielen sich in Tages-, Wochen- oder Monatszeiträumen ab – und sind darüber hinaus auch noch sehr komplex aufgebaut mit vielgestaltigen Wechselwirkungen.

Auch Krankheitsverläufe sind in der Regel rhythmisch gegliedert. So ist seit Langem bekannt, dass im Fall einer Lungenentzündung die Körpertemperatur morgens unter Umständen ganz normal sein kann, während sie jeden Abend auf hohe Temperaturen ansteigt. Dieses Wissen erlaubt es dem Arzt nun umgekehrt, aus einem typischen Rhythmus der Temperaturkurve die Diagnose Lungenentzündung abzuleiten oder zu bestätigen. Ein besonders deutlicher Fall ist auch der charakteristisch-rhythmische Verlauf einer Malariaerkrankung, bei der sich die Fieberschübe alle zwei oder drei Tage wiederholen.

Aus welcher Perspektive wir den Menschen also auch betrachten, er stellt sich dar als ein höchst komplexes, rhythmisches „System“. Dieses Gesamtsystem darf man sich alles in allem durchaus vorstellen wie ein sehr großes, kompliziertes Mobile, bei dem sich zahlreiche Elemente in einem labilen Gleichgewicht befinden. Wird auch nur eines dieser Elemente bewegt, so hat dies Auswirkungen auf den Zustand aller anderen Elemente, die ebenfalls in mehr oder weniger kräftige Schwingungen versetzt werden. Diese Schwingungen werden dann kontinuierlich schwächer, bis sich erneut ein Gleichgewicht eingestellt hat. In dieser zugleich geordneten und schwingenden Weise sind – beim gesunden Menschen – alle Rhythmen im Körper untereinander verbunden und beeinflussen sich gegenseitig.

Das Bild vom Mobile macht auch deutlich, dass es bei organischen Rhythmen nicht etwa um einen maschinenartig starren, exakten Takt geht, sondern um ein flexibles Ein- und Ausschwingen – stets mit dem Ziel, Steuerungsprozesse harmonisch ablaufen zu lassen und ein umfassendes Gleichgewicht zu erreichen.

Und das gilt selbstverständlich auch für die Herzfrequenz-Variabilität. In Kapitel 2 wurde bereits kurz erwähnt, dass ein exakt getakteter Puls (ein Puls also, der überhaupt keine Herzfrequenz-Variabilität aufweist), alles andere als ideal wäre. Das wussten sogar schon chinesische Ärzte vor mehr als 2000 Jahren, als sie sinngemäß die folgende medizinische Regel formulierten:

Ist der Puls so regelmäßig wie der Specht im Wald klopft, oder wie die Regentropfen, die vom Dachrand fallen, dann stirbt der Patient innerhalb von drei Tagen.

In unserer modernen Medizin hingegen geriet man in dieser Frage zunächst auf einen Irrweg. Vorherrschend war die Vorstellung, dass das menschliche Herz tunlichst so regelmäßig und exakt arbeiten sollte wie etwa ein Motor. Die in den 1970er-Jahren – mit der Entwicklung einer entsprechend genauen Messtechnik – mögliche Entdeckung der Herzfrequenz-Variabilität löste deshalb unter Internisten zunächst eher Beunruhigung aus. Insbesondere bei jungen Menschen, die entwicklungsbedingt eine ausgeprägtere Herzfrequenz-Variabilität aufweisen, wurde diese Unregelmäßigkeit sogar als eine ärztlich zu behandelnde Störung angesehen – man verschrieb den Betroffenen Betablocker um ihren „Puls zu stabilisieren“ …

Dahinter stand die Idee der sogenannten Homöostase, die angehenden Ärzten übrigens bis heute im Studium nahegebracht wird. Diese Vorstellung geht davon aus, dass der menschliche Körper eine Art System sei, das nach dem „Hochfahren“ irgendeines Faktors (zum Beispiel des Blutdrucks) diesen einfach und direkt wieder auf den ursprünglichen Stand herunterregelt.

Diese – in unserer technisch orientierten Zeit ja naheliegende – Idee eines sich gleichsam mechanisch regulierenden Systems erscheint heute im Licht der Chronobiologie jedoch als überholt. Die sich allmählich durchsetzende neue Grundidee ist, dass der menschliche Körper eben nicht versucht, irgendeinen starren Idealzustand beizubehalten und diesen nach jeder Störung umgehend wieder herbeizuregulieren. Der Körper ist vielmehr in hohem Maße „schwingungsfähig“ – und er muss es auch sein.

Noch weit wichtiger aber ist die – im Bild des Mobiles anschaulich gemachte – Erkenntnis, dass alle Lebensprozesse und Lebensrhythmen voneinander abhängen und sich gegenseitig beeinflussen. Bezogen auf das Thema Puls, heißt das beispielsweise: Eine Anstrengung oder eine aufregende Situation führt selbstverständlich zu einem plötzlich und kräftig erhöhten Puls und einem damit ebenfalls steigenden Blutdruck. Der Körper reagiert darauf aber nun nicht damit, allein den Faktor „Blutdruck“ wieder zurückzuregeln. Die Chronobiologie weist vielmehr nach, dass sich der Blutdruck nach einer Belastung zunächst in die Gegenrichtung reguliert und dann wieder zurückschwingt. Was sich, mit abnehmender Intensität, mehrfach wiederholt, bis der „Normalzustand“ wieder erreicht ist.

Und das gilt auch nicht nur für einen Faktor (etwa den Puls), sondern für das komplette, vielgestaltige Mobile aller Lebensprozesse und -rhythmen. Wird irgendwo in diesem System auch nur ein einziger Faktor aus dem Gleichgewicht gebracht, kommt das Ganze in Unruhe und muss sich wieder neu „einschwingen“ oder einpendeln.

Heute sind bereits sehr viele dieser Rhythmen in verschiedensten Studien untersucht und gemessen worden. Diese Messergebnisse zeigen eine große Bandbreite. Schaut man sich aber die jeweils am häufigsten vorkommenden Frequenzen an, dann zeigt sich doch etwas Verblüffendes: Alle gemessenen Rhythmen haben eine starke Tendenz, sich in einem bestimmten Verhältnis zueinander einzupegeln – und zwar in einem ganzzahligen Verhältnis.

Ein Beispiel dafür wurde schon erwähnt: In der entspannten Tiefschlafphase (etwa zwischen Mitternacht und drei Uhr morgens) kommen bei einem gesunden Menschen ziemlich genau vier Pulsschläge auf einen Atemzug (siehe dazu auch Kapitel 4). An diesem Phänomen wird auch deutlich, dass das rhythmische System des Menschen einerseits sehr flexibel auf von außen kommende Anforderungen reagiert (zum Beispiel bei starker Leistungsanforderung durch erhöhten Puls und schnellere Atmung), andererseits aber bei vollkommener Ruhe in ein überindividuelles Gleichgewicht zurückfindet. Eine solche Tendenz zu einer Art natürlichem Gleichgewicht ist inzwischen vielfach bestätigt.

So stehen rhythmische Funktionen wie Lidschlag, Schlucken, Saugen oder Magenperistaltik ebenso wie das fortlaufende Steigen und Fallen des Blutdrucks in einer nachgewiesenen Abhängigkeit vom Herz- und Atemrhythmus. Das gilt aber nicht nur für unwillkürlich ablaufende Körperfunktionen: Auch rhythmische Tätigkeiten wie Gehen, Radfahren und Joggen sind mit dem Herz-/Atemrhythmus gekoppelt – die Synchronisation oder Kopplung von Rhythmen funktioniert also auch bei bewusst durchgeführten Tätigkeiten.

Inzwischen bestätigen zahlreiche empirische Untersuchungen somit das, was schon zu Beginn dieses Kapitels gesagt wurde: Der Mensch ist – wie jeder andere Organismus auch – ein durch und durch rhythmisches Wesen.

Und ein entscheidender Impulsgeber ist dabei das Herz. Wie das funktioniert, lässt sich an einer höchst spannenden Entdeckung aus dem 17. Jahrhundert sehr gut illustrieren:

Christian Huygens (1629 – 1695), ein holländischer Mathematiker und Physiker mit großem Interesse an Mechanik, hat unter anderem die erste Pendeluhr konstruiert, zum Patent angemeldet und im Laufe seines Lebens auch eine stattliche Sammlung solcher Uhren zusammengetragen. Eines Tages dann stellte er zu seiner Überraschung fest, dass sich die Pendel aller in einem Raum befindlichen Uhren synchron bewegten, also immer gleichzeitig in die gleiche Richtung ausschlugen. Das erschien Huygens sehr unwahrscheinlich und er brachte diesen synchronen Rhythmus durcheinander, indem er alle Uhren kurz anhielt und zu verschiedenen Zeitpunkten wieder in Gang setzte. So oft er dies aber aber auch tat, es dauerte nie sehr lange, bis alle Uhren ihre Rhythmen wieder einander angeglichen hatten.

Damit hatte Huygens – auch wenn er es selbst noch nicht erklären konnte – ein in der Natur überall zu beobachtendes Phänomen entdeckt: die Frequenzkopplung. Und heute wissen wir, dass es immer der stärkste Impulsgeber (also zum Beispiel das größte Pendel) in einem rhythmischen System ist, auf den hin sich alle anderen Rhythmen synchronisieren.

Im menschlichen Körper nun sind Herz und Lunge die kräftigsten Impulsgeber, die deshalb auch in der Lage sind, andere rhythmische Systeme zu beeinflussen, sie in ihren Rhythmus „hineinzuziehen“. Da der Mensch keine Maschine ist, funktioniert diese Synchronisation – anders als bei einer Sammlung von Pendeluhren – allerdings nicht automatisch und auch nicht in jedem Fall. Umfangreiche Untersuchungen mit vielen Versuchspersonen haben aber gezeigt, dass das Herz seine synchronisierende, harmonisierende Funktion immer dann zur Wirkung bringen kann, wenn auch die Gefühlslage des Menschen ausgeglichen und harmonisch ist.

Es kann also heute mit Fug und Recht behauptet werden, dass das Herz als zentraler „Dirigent“ der rhythmischen Ordnung im Menschen wirkt. Und da praktisch alle körperlichen Vorgänge im Menschen rhythmisch durchgegliedert sind, hat das Herz, zusammen mit der Atmung, die zentrale integrierende und koordinierende Funktion im menschlichen Organismus. Und gleichzeitig ist das Herz – wie in den folgenden Kapiteln noch zu zeigen sein wird – das zentrale Organ für die gefühlsmäßige Auseinandersetzung des Menschen mit seiner Umwelt.

Rein körperlich-funktional werden die Rhythmen der menschlichen Lebensprozesse allerdings vom vegetativen Nervensystem – dem Vegetativum – gesteuert. Und das Vegetativum nutzt dafür wiederum zwei „Gegenspieler“: den Sympathikus und den Parasympathikus. Generell kann man sagen, dass der Sympathikus die Aufgabe hat, den menschlichen Körper leistungsbereit, abwehrbereit, kampfbereit, fluchtbereit zu machen („fight or flight“). Der Parasympathikus will demgegenüber eher für Ruhe, Entspannung und Regeneration sorgen.

Das Vegetativum wirkt dabei auf sämtliche Organe ein und nutzt die Gegenspieler Sympathikus/Parasympathikus gleichsam als Hebel, um den Körper in einen situationsangepassten Zustand zu versetzen. Sicht- und spürbar wird das zum Beispiel in angstbesetzten Schrecksituationen: Der Mensch wird blass, kalter Schweiß bricht aus, auch die Hände werden kalt – je nach Konstitution. Genau umgekehrt verhält es sich bei einer freudigen Erregung. Das Vegetativum wirkt im Körper also sofort und überall – und es moduliert somit auch die Herzschlagabfolge (und damit die Herzfrequenz-Variabilität).

Etwas zugespitzt könnte man sagen, dass der Sympathikus dafür sorgen will, dass das Herz in einem möglichst exakt-gleichmäßigen Takt schlägt (und so seine „Truppen“ kampfbereit aufmarschieren lässt). Gelänge dem Sympathikus dies, wäre der Puls also nahezu regelmäßig. Die Kurve der Herzfrequenz-Variabilität sähe im Extremfall dann etwa so aus:


Diese Kurve zeigt zwar keinen vollkommen gleichmäßigen Puls (das kann es bei einem lebendigen Organismus nicht geben), aber doch einen Puls mit einer sehr geringen Herzfrequenz-Variabilität (was medizinisch gesehen ein deutliches Alarmzeichen ist).

Tritt nun jedoch die ausgleichende, abmildernde Wirkung des Parasympathikus hinzu, dann resultiert daraus eine ausgeprägt rhythmisch-harmonische Herzfrequenz-Variabilität:


Wie schon im ersten Kapitel gezeigt, lässt eine solche gleichmäßig „schwingende“ Herzfrequenz-Variabilität auf einen ausgeglichenen Gemütszustand schließen.

In der Praxis kommt es aber relativ häufig auch dazu, dass die Herzfrequenz-Variabilität überhaupt keinem erkennbaren Rhythmus folgt:


Die medizinisch-therapeutischen Schlussfolgerungen, die aus diesen unterschiedlichen Bildern der Herzfrequenz-Variabilität zu ziehen sind, werden uns später noch beschäftigen. Hier wollen wir zunächst dem schon angedeuteten Phänomen nachgehen, dass die starken Impulsgeber Herz und Lunge einen klar erkennbaren Einfluss auch auf andere Rhythmen des Organismus haben. So lässt sich beispielsweise eine solche Angleichung von Rhythmen sogar zwischen der Herzfrequenz-Variabilität und den Gehirnwellen feststellen:


Das obere Diagramm links zeigt das bereits bekannte Bild einer harmonischen Herzfrequenz-Variabilität. Diese Schwingungen entstehen, wie im Detail ab Seite 21 dargestellt, wenn die winzigen zeitlichen Abweichungen von einem Herzschlag zum nächsten (= Herzfrequenz-Variabilität) nicht ungeordnet, sondern harmonisch rhythmisiert erfolgen. Das kleinere Diagramm rechts daneben zeigt, welche Zeitabweichungen dabei am häufigsten gemessen wurden. In diesem Fall liegt der Schwerpunkt eindeutig bei 0,1 Hertz. Genauer gesagt: Die Abweichungen bei den Zeiträumen zwischen den einzelnen Herzschlägen lagen am häufigsten um und bei 0,1 Sekunden. Der insgesamt gemessene Bereich der zeitlichen Abweichungen bewegt sich dabei zwischen null und etwa einer halben Sekunde.

Wenn nun parallel zur Herzfrequenz-Variabilität auch der Verlauf der Gehirnwellen aufgezeichnet wird, dann zeigt sich an der Grafik auf Seite 40, rechts unten, insoweit eine Übereinstimmung zwischen dem Rhythmus der Herzfrequenz-Variabilität und dem der Gehirnwellen, als auch bei den Gehirnwellen die Frequenz 0,1 Hertz am häufigsten vorkommt – Herz und Gehirn haben sich in ihrem Rhythmus also weitgehend synchronisiert.

Und diese Koppelung von Rhythmen hat nun einen hochinteressanten Effekt: Es ist nämlich nicht nur so, dass das Herz andere körperliche Rhythmen beeinflusst, sondern umgekehrt hinterlassen diese anderen (sonst nicht so einfach zu messenden) Rhythmen des Vegetativums gleichsam „Zeichen“ in den Rhythmen der Herzfrequenz-Variabilität. Und diese können mithilfe von Zeitreihenanalysen aus den Werten der Herzfrequenz-Variabilität herausgelesen werden.

Das klingt ziemlich kompliziert – und das ist es auch. Im Bild kann man sich das etwa so vorstellen, wie man aus einiger Entfernung eine bewegte Meeresoberfläche wahrnimmt: Da gibt es die langen, starken Grundseen (vergleichbar vielleicht dem dominierenden Herz-/Atemrhythmus). Innerhalb dieser Grundseen sind nun weitere Wellen unterschiedlicher Länge und Höhe zu erkennen, die die Grundseen wiederum in einen bestimmten Rhythmus unterteilen. Und schließlich gibt es das sogenannte Kabbelwasser, das die gesamte Wasseroberfläche noch einmal rhythmisch kleinteilig gliedert.

© Fricke-Jensen

Und ähnlich diesem Blick auf eine bewegte Meeresoberfläche, zeigt sich in den Messdaten der Herzfrequenz-Variabilität tatsächlich die gesamte komplexe Rhythmik des vegetativen Nervensystems. Konkret: Aus den Messdaten der Herzfrequenz-Variabilität lassen sich recht präzise Rückschlüsse auf den Gesamtzustand des Vegetativums ziehen.

Dass das und wie das möglich ist, zeigt ein einfaches Beispiel: Wenn wir es bei einer normalen Herzfrequenz-Variabilität zum Beispiel mit einem Viervierteltakt zu tun hätten (jeder vierte Taktschlag wäre also etwas „betonter“, ein wenig anders als die anderen), dann könnte es sein, dass gleichzeitig auch noch jeder siebte Taktschlag eine Betonung bekommt (kürzer oder länger ist als der Durchschnitt). Fällt von Zeit zu Zeit nun so ein siebter Taktschlag mit einem vierten Taktschlag zusammen, ergäbe sich ein sehr spezieller, komplexer Rhythmus.



Die erste Reihe zeigt einen 4/4-Takt, bei dem jeder vierte Schlag betont ist. Diesem Takt wird nun ein zweiter Takt überlagert, bei dem jeder siebte Schlag besonders stark betont wird.


Zählt man nun den Wert (die Stärke) der betonten Schläge zusammen, ergibt sich ein bereits recht komplexer Rhythmus unterschiedlich stark betonter Schläge. Man kann aber erkennen, dass sich die beiden Ausgangsrhythmen aus diesem Rhythmus wieder herausrechnen ließen.

Diese Abbildungen zeigen natürlich nur ein sehr einfaches und schematisches Beispiel für einen in der Herzfrequenz-Variabilität sichtbar werdenden zusammengesetzten Rhythmus. Bei einer echten Auswertung ginge es um ein sehr viel feineres Zusammenspiel, ein sehr viel komplizierteres Geflecht unterschiedlicher Rhythmen, die sich dann nur noch mithilfe entsprechender Software durch Anwendung spezieller mathematischer Verfahren (Zeitreihenanalyse, Fourieranalyse) aus der Herzfrequenz-Variabilität herausrechnen lassen.

Der Aufwand lohnt sich aber, denn die Ergebnisse erlauben Rückschlüsse auf den Gesundheitszustand des ganzen Menschen. Und der ist umso günstiger zu beurteilen, je deutlicher sich in den Zahlenreihen der Herzfrequenz-Variabilität ein harmonischer, schwingender Rhythmus erkennen lässt, der sich möglichst im Einklang mit anderen körperlichen Rhythmen befindet.

Außerdem wissen wir ja bereits – die bisherigen Forschungsergebnisse sind da eindeutig –, dass eine rhythmisch schwingende Herzfrequenz-Variabilität auf einen positiv gestimmten emotionalen Zustand schließen lässt. Die große Bedeutung dieser Erkenntnis liegt nun darin, dass hier der Ansatzpunkt für neue und zum Teil verblüffend wirksame Therapieformen liegt. Denn wenn es gelingt, etwa durch bestimmte Übungen, sich bewusst in einen positiven Gemütszustand (Wertschätzung, Liebe, Gelassenheit usw.) hineinzuversetzen, so wirkt dies direkt harmonisierend und damit auch gesundend auf das Vegetativum. Das folgende Schaubild zeigt solche Effekte:


Dieses Schaubild zeigt, wie sich die Rhythmen von Atmung, Herzfrequenz-Variabilität und Pulswellenlaufzeit10 von ungeordnet (links) hin zu harmonisch-schwingend (rechts) entwickeln können, wenn das Vegetativum durch eine entspannende Übung11 ins Gleichgewicht gebracht wird.

Wobei sich die Wirkung einer solchen Übung auf das vegetative Nervensystem an den durch sie ausgelösten Veränderungen der Herzfrequenz-Variabilität exakt und in Echtzeit ablesen lässt – eine Rückmeldung, die für den Erfolg einer Therapie natürlich entscheidend ist. Was diese Rückmeldung möglich macht, ist die bereits erwähnte Zeitreihenanalyse, die es mit Computerunterstützung erlaubt, große Datenmengen schnell auf die in ihnen verborgenen Gesetzmäßigkeiten (sprich: Rhythmen) zu untersuchen.

Praktisch sieht das dann so aus, dass der Patient einen Messclip am Ohr trägt, der die Pulsdaten direkt in einen PC überträgt. Dort wird die Herzfrequenz-Variabilität erfasst, ausgewertet und in eine Grafik umgesetzt12:


Im oberen Teil dieser Bildschirmdarstellung wird die Messung der Herzfrequenz-Variabilität gezeigt. Mit inzwischen geübtem Blick lässt sich unschwer erkennen, dass die Herzfrequenz-Variabilität hier eher ungeordnet, unharmonisch verläuft.

Neu ist der untere Teil des Schaubilds, der – mit einer Zeitreihenanalyse aus der Herzfrequenz-Variabilität herausgerechnet – den Gesamtzustand des Vegetativums anzeigt. Konkret geht es um die Frage, ob aktuell (zum Beispiel unter Stress) der Sympathikus bestimmend ist oder der Parasympathikus (wie im Tiefschlaf). Dies zeigen die Säulen im unteren Teil der Schaubilder auf dieser und der nächsten Seite. Sie sind also so etwas wie eine Momentanalyse des Vegetativums. Dafür wird laufend die Herzfrequenz-Variabilität der jeweils letzten zehn Sekunden analysiert und dabei unter anderem errechnet, ob sich die in der Herzfrequenz-Variabilität erkennbar werdenden Rhythmen in einem definierten Idealbereich bewegen oder ob sie mehr oder weniger weit davon abweichen.

Dabei gilt: Befinden sich die Säulen im unteren Bildschirmbereich ganz links, dann hat der Sympathikus die Überhand. Je mehr die Säulen sich nach rechts hin verlagern, desto stärker hat der Parasympathikus an Einfluss gewonnen. Ideal wäre es demzufolge, wenn sich die Säulen – wie im folgenden Schaubild auf Seite 47 – vor allem im mittleren Bereich (also bei einer Herzfrequenz-Variabilität um 0,1 Hertz herum) zeigen.

Diese Möglichkeit, mithilfe einer computergestützten Zeitreihenanalyse eine laufende Rückmeldung über den aktuellen Gesamtzustand des Vegetativums auf dem Bildschirm sichtbar zu machen, erlaubt es nun, die Herzfrequenz-Variabilität nicht nur diagnostisch zu nutzen, sondern auch als therapeutisches Werkzeug einzusetzen – wovon in späteren Kapiteln berichtet werden wird. Im folgenden Gastbeitrag von Prof. Dr. Moser aus Graz werden die chronobiologischen und chronomedizinischen Grundlagen ausführlich dargestellt. Es handelt sich hier um die Resultate jahrzehntelanger Forschung auf höchstem wissenschaftlichem Niveau.


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