Читать книгу Kommissar Lüppi - Band 5 - Markus Schmitz - Страница 7

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‚Mit 25 Jahren hat man das ganze Leben noch vor sich. Es sei denn, man begegnet einem anderen, der besser nie geboren worden wäre.

Vielen Menschen wäre dann sehr viel Leid erspart geblieben, denn wer einem anderen nach dem Leben trachtet und das aus Benzinmangel und taktischen Gründen, hat es nicht verdient auf dieser Welt zu leben.‘

M. Lüpke

Dann nahm er die beiden Fallakten und gab sie Petra, die mit Conny zusammen beide Abschlusssätze durchlas. Als beide fertig waren, fragte Conny, ob sie die Akten in die Registratur bringen solle.

„Nein, lass sie bitte hier liegen. Da kommen gleich bestimmt noch welche und wollen das auch lesen“, antwortete Petra.

Conny war überrascht über diese Vorhersage. Wie recht sie damit hatte, zeigte sich eine Stunde später.

Donnerstag, 13.00 Uhr

Polizeipräsidium Essen

Lüppi hatte die Duisburger Firma ‚Italienischer Großhandel Lombardi‘ angerufen. Er sprach mit Alessio und teilte ihm mit, was sich ereignet hatte. Alessio rief seinen Bruder Antonio dazu und sagte ihm, was Lüppi ihm erzählt hatte.

„Dann sind die Mancini-Brüder schon wieder davongekommen“, stellte Antonio fest, was Lüppi mitbekam.

Nach weiteren Wortwechseln waren mehrere Schritte auf dem Gang zu hören. Kaum hatte Lüppi dies wahrgenommen, beendete er das Gespräch und es klopfte auch schon an der offenen Bürotür.

Mit vier Mann deutete sich hoher Besuch an. Es kamen Kriminaldirektor Lothar Bäumler, der Kriminalrat Eckerhard Schuster und zwei Herren, die gut bekannt waren, ins Büro. Das waren Petra´s Freund Mario mit seinem Chef, dem Oberstaatsanwalt Marcel Pohlmeier. Alle grüßten freundlich und Marcel schloss hinter sich die Tür. Nachdem sich die vier an den Besprechungstisch gesetzt hatten, nahmen auch Heike, Gördi und Lüppi dort Platz.

„Bevor wir anfangen über das zu reden, weswegen wir hier sind, kann ich mal die beiden Akten der Wachleute haben?“, fragte der Kriminaldirektor.

Petra stand auf und gab sie ihm. Er schaute sich beide an und meinte zu dem Abschlusssatz auf der Akte von Anton Beyfang.

„Hoppla. Das ist ja hart an der Grenze.“

Marcel bekam auch die Akte zu sehen und meinte nur.

„Passt schon!“

Eckerhard bat Petra, Conny und Chris sich mit an den Besprechungstisch zu setzen. Als alle saßen, berichtete Marcel.

„Übrigens, vorab noch etwas, unser Herr Mascali wird heute nach Frankfurt am Main verlegt. Die Oberstaatsanwältin, Frau Dr. Schiehmann, von der Generalstaatsanwaltschaft hat das angeordnet. Italien hat wohl auch einen Auslieferungsantrag gestellt. Das war es für uns.“

„Dann habe ich da vorab noch eine Frage“, fing Herr Bäumler an und sah dabei zu Lüppi. „Wie sieht es mit Frau Aschbacher und Herrn Franke aus? Sie möchten bestimmt, dass die beiden hier bei Ihnen bleiben, nicht wahr?“

Lüppi schaute zu Chris und danach zu dem Kriminaldirektor.

„Frau Aschbacher, ja. Den Herrn Franke können Sie versetzen“, sagte Lüppi und alle sahen ihn völlig perplex an. Vor allen Dingen Chris, der damit nicht gerechnet hatte.

„Aber, Papa“, reagierte Petra sichtlich erschrocken.

„Herr Bäumler, ich schlage vor, Sie versetzen ihn in die KK31, da kann er bestimmt ganz toll ermitteln“, ergänzte Lüppi noch, ohne eine Gesichtsregung.

Eckerhard stand der Mund auf und Marcel meinte.

„Das ist jetzt nicht dein Ernst?“

Nur Gördi verstand, was sein Freund in Wirklichkeit meinte und sagte daher.

„Da gebe ich dir Recht, Chris wird in der KK31 bestimmt ganz tolle Arbeit leisten können… für uns hier.“

Heike sah ihren Gerhard an und langsam dämmerte es auch ihr. Chris verstand, wie Lüppi das gemeint hatte und lächelte ihn an.

„Sie meinen, einen verdeckten Einsatz?“, fragte er nach.

„Ganz genau, aber das SIE lasst ihr zwei ab jetzt mal weg. Ich bin Lüppi.“

Beide freuten sich, dass DU angeboten bekommen zu haben, was sie ihm auch sagten.

„Okay, jetzt habe auch ich es verstanden“, gestand Marcel und Kriminaldirektor Bäumler meinte noch.

„Ja, das ist eine gute Idee… der Herr Franke ist hier auch gar nicht richtig, Sie passen viel besser in die Abteilung von Herrn Uellendahl, vorerst.“

Eckerhard war auch angekommen und lächelte wieder.

Herr Bäumler ergriff erneut das Wort.

„Wie Sie alle wissen, habe ich gesagt, wenn die Fälle der beiden ermordeten Wachmänner aufgeklärt sind, möchte ich, dass Sie, Lüppi, sich mit Ihren Leuten um die KK31 kümmern. Wie wir leider von dem LKA Direktor, Hans Hoinger, erfahren mussten, gibt es bei unserem Kollegen Herrn Uellendahl mehrere Anhaltspunkte für eine interne Ermittlung.“

Herr Bäumler schaute alle einmal an und sprach weiter.

„Das davon nichts nach draußen dringen darf, versteht sich von selbst. Außerhalb der hier Anwesenden möchte ich Sie alle bitten, mit niemandem darüber zu sprechen.“

Alle nickten zustimmend.

„Unsere ‚Sonderermittlerin‘ ist natürlich mit einbezogen“, fügte Eckerhard noch an.

„Na klar, die ‚Sonderermittlerin‘ darf natürlich eingeweiht werden“, bestätigte Herr Bäumler und grinste.

„Wer bitte ist denn jetzt diese ‚Sonderermittlerin‘, kann mir das bitte mal jemand sagen?“, fragte Conny.

„Die wirst du dann kennenlernen, wenn wir uns ab morgen wieder öfter in der KK11 Außenstelle aufhalten werden“, versprach Gördi.

„Haben wir wirklich eine Außenstelle?“, fragte Chris nach. „Ich hatte das bis jetzt für einen Scherz gehalten.“

„Das ist kein Scherz“, antwortete Herr Bäumler. „Diese Außenstelle der KK11 gibt es wirklich, genauso wie es die ‚Sonderermittlerin‘ gibt. Beides ist aber streng vertraulich.“

Chris und Conny konnten kaum glauben was sie hörten, da aber Herr Bäumler es sagte, musste es ja stimmen.

Das Telefon von Petra schellte. Sie stand auf und ging dran.

„Kriminalkommissarin Petra Wilkerling, guten Tag.“

Es war der wachhabende Kollege aus der Wache von unten, der mitteilte.

„Petra, da haben sich zwei Kollegen gemeldet, die zu einem männlichen Leichenfund gerufen worden sind. Es müsste einer oder zwei von euch dort hin. Die beiden meinen, es sieht nach einem Unfall aus.“

„In Ordnung, wo ist das denn?“, fragte Petra nach.

„Im Schürmanns-Weg 25, bitte bei Zeuner klingeln.“

„In Ordnung“, erwiderte Petra. „Ich sage Lüppi Bescheid, wir kommen.“

Alle sahen sie fragend an.

„Lüppi“, sagte Petra. „Wir haben eine männliche Leiche

‚Im Schürmanns-Weg 25‘.“

„Dann fahr mit Conny dahin“, erwiderte Lüppi.

Conny und Petra schauten sich an und verließen kurze Zeit später das Präsidium.

„Also, dann machen wir das so“, fasste Herr Bäumler zusammen. „Sie, Herr Franke, wechseln in geheimer Mission in das Kriminalkommissariat 31. Ermitteln dort verdeckt und berichten regelmäßig an Ihren eigentlichen Chef, Herrn Lüpke. In welchen Abständen und in welcher Form Sie dies tun, sprechen Sie bitte mit ihm ab“, mit diesen Worten sah er zu Lüppi und fragte ihn. „Ist das so in Ordnung für Sie?“

„Von meiner Seite, auf jeden Fall“, bestätigte er.

„Ja, prima. Was ist eigentlich mit den Morden an den vier Männern der Hamit-Familie?“, erkundigte sich Herr Bäumler als nächstes.

„Da sind wir daran“, antwortete Lüppi und sagte weiter. „Wir gehen aber davon aus, es waren nicht die Brüder Marco und Antonio Mancini. Der italienische Text ‚avere colpa‘ diente nur zur Ablenkung und sollte uns auf eine falsche Spur führen.“

„Aha, wie kommen Sie darauf?“

„Der italienische Text ‚avere colpa‘ heißt zu Deutsch

‚Haben Schuld‘. Auf Sizilien wird zwar auch Italienisch gesprochen, nur mit dem Unterschied, Sizilianer würden in dem Fall ‚aviri curpa‘ sagen und nicht ‚avere colpa‘.“

„Und das wissen Sie woher?“, fragte Herr Bäumler.

„Von Alessio Lombardi, dem Chef von ‚Italienischer Großhandel Lombardi‘ aus Duisburg. Viele Italiener wissen überhaupt nicht, dass es auf Sizilien einige andere Begriffe und Worte gibt, als auf dem Festland.“

„Sie glauben also, da wollte jemand den Mancini-Brüdern den vierfachen Mord in die Schuhe schieben?“, fragte er nach.

„Genauso sieht das für uns aus“, antwortete Lüppi und sah Herrn Bäumler an. „Allerdings fragen wir uns auch, wie der Mord an Agon Hamit damit zusammenpasst. Denn er hatte ein Wort in seine Stirn geritzt und das auf Deutsch.“

„Welches Wort war das?“

„Das Wort ‚Verurteilt‘.“

„Das ist wirklich merkwürdig. Die vier Morde mit italienischem Text und der einzelne Mord mit einem deutschen Wort!“, fasste Herr Bäumler zusammen und machte einen nachdenklichen Eindruck.

„Entweder war das Absicht oder es waren wirklich zwei verschiedene Täter“, überlegte Eckerhard laut, was nun eigentlich schon gesagt worden war.

„Das müssen wir herausfinden“, bestätigte Lüppi.

„Und da war noch etwas“, sagte Lüppi weiter und Heike reichte zwei Beutel zur Beweissicherung dem Kriminaldirektor. Der eine beinhaltete eine Patrone und der andere einen Zettel. Er nahm die Beutel in die Hand und las vor, was auf dem Zettel stand.

„Für die Polizei zum Andenken.“

Den anderen Beutel mit der Patrone sah er sich an.

„Die Patrone war in der Hosentasche von Agon Hamit mit diesem Zettel“, ergänzte Heike noch.

„Dann ist da noch der Mord an dem Anwalt Nevio Sorrentino“, erinnerte Lüppi.

„Da ist aber kein Wort oder ein Text gefunden worden?“

„Nein, ist nicht“, bestätigte Heike.

„Na, gut“, sagte Herr Bäumler und sah zu Chris.

„Herr Franke, dann kommen Sie bitte einmal mit mir. Wir gehen dann jetzt in mein Büro.“

„Herr Bäumler, gehen Sie doch schon mal vor. Ich gebe unserem Kollegen noch meine private Anschrift. Er kommt gleich nach“, sagte Lüppi.

Kriminaldirektor Lothar Bäumler nickte zustimmend und verließ zusammen mit Kriminalrat Eckerhard Schuster das Büro.

Donnerstag, 13.15 Uhr

Italien, Sizilien

Ort, Novara di Sicilia

Giacomo und der Besucher waren dabei sich von dem obersten Boss der Sizilianischen Organisation, Bernardo Carbone, und den Mancini-Brüdern zu verabschieden.

„Fliegen Sie noch heute nach Genua zurück?“, erkundigte sich Signore Carbone.

„Nein“, sagte der Besucher. „Ich bleibe noch bis Sonntag hier. Ich habe entfernte Verwandte hier auf Sizilien. Die leben nicht weit weg von dem Ort Taormina, die besuche ich jetzt. Außerdem ist es besser, wenn ich meine Hände in Unschuld waschen kann, wenn Signore Mascali durch einen Fehler auf freien Fuß gesetzt wird. Zudem ist es ja auch glaubwürdiger, wenn ich wegen der angeblichen Tante hier ein paar Tage bin.“

„Dann wünsche ich Ihnen noch einen schönen Aufenthalt auf Sizilien“, sagte Signore Carbone und stand auf, um dem Besucher die Hand zu geben.

Dieser nahm sie und fragte nach: „Und Sie sind sich sicher, das mit der Villa am Gardasee klappt?“

„Ist schon alles veranlasst. Die Villa wird in diesem Augenblick geräumt und steht ab Montag Ihnen zum Kauf zur Verfügung, wie vorhin besprochen“, antwortete Signore Carbone. „Und Ihr angebliches Erbe von Ihrer Ihnen nicht bekannten Tante ist auch schon in die Wege geleitet. Wenn Sie am Dienstag zurück in Genua sind, wird alles offiziell gemacht und Sie als Alleinerbe bekanntgegeben. Ich verspreche Ihnen, es wird niemand auf die Idee kommen, dass Sie nicht gerbt haben könnten. So etwas machen wir nicht zum ersten Mal. Den Kaufvertrag der Villa können Sie dann Mitte nächster Woche unterschreiben.“

Der Besucher machte ein zufriedenes Gesicht, schüttelte die die rechte Hand von Bernardo Carbone und sagte noch.

„Dann bedanke ich mich bei Ihnen, Signore Carbone und sage Ciao. Wenn ich Ihnen irgendwann noch einmal helfen kann, sagen Sie es“, versprach Richter Dr. Montanari, der bei der deutschen Generalstaatsanwaltschaft in Frankfurt am Main die Überstellung von Michele Alessandro Mascali nach Italien veranlasste hatte. Giacomo und Richter Dr. Montanari aus Genua verließen das Anwesen. Als Bernardo Carbone mit den Mancini-Brüdern wieder allein war, fragte er sie.

„Und was sagt ihr?“

„Scheint ja zu klappen, wenn er sich an die Absprachen hält“, antwortete Mario.

„Das wird er. Schaut mal unter den Tisch“, erwiderte Bernardo Carbone.

Antonio bückte sich und sah unter den Tisch.

„Ein Diktiergerät? Wann hast du das denn eingeschaltet?“, fragte er als er wieder hochkam.

Donnerstag, 14.00 Uhr Essen Bergerhausen

Conny und Petra kamen im ‚Schürmanns-Weg‘ an. Eine Art Hochhaus-Siedlung mit jeweils acht Stockwerken erstreckte sich vor ihnen. Das erste Haus, was von der Straße zu sehen war, war Haus Nr. 25. Das Auto parkten sie an der Straße und gingen zu Fuß in Richtung Nr. 25. Der Streifenwagen der Kollegen stand mitten auf dem Fußweg, der so breit war, dass Rettungswagen und Fahrzeuge der Feuerwehr auf den Weg passten. Die Haustür stand offen, mit einem Türkeil festgesetzt. Nach der Klingel-Anordnung war die Wohnung ‚Zeuner‘ im fünften Obergeschoss. Mit dem Aufzug ging es hoch. Auf der rechten Seite stand eine Wohnungstür auf. Conny klopfte an und sagte „Hallo“. Einer der Streifenkollegen kam in die Diele und winkte die beiden Frauen ins Wohnzimmer. Beide betraten es und sahen einen rechteckigen Raum mit Balkon.

„Hallo, Kollegen“, grüßte Petra.

Zwei Couchen mit Tisch und eine Essecke mit Eckbank und zwei Stühlen waren zu sehen. Auf dem Boden lag ein Mann mittleren Alters mit Kopf und Oberkörper auf dem Boden. Die Beine lagen auf einem umgekippten kleinen Fußbänkchen. Eine Art niedlichem Hocker, den man früher als Tritterhöhung benutzte. Seine Füße hingen in der Luft. Blut hatte sich auf dem Teppichboden verteilt.

„Der hat sich selbst erstochen“, sagte einer der beiden Kollegen.

Conny bückte sich und sah ihn sich näher an. Petra schaute auf den Esstisch. Frühstücksutensilien in Form von Brot, Margarine, Aufschnitt und Käse lagen auf dem Tisch. Ein Frühstücksbrettchen und ein Kaffeepott befanden sich auch dort.

„Fehlt eigentlich nur noch das Messer und der Kaffee“, überlegte Petra laut.

„Haben wir auch so gesehen“, bestätigte der eine Kollege, während der andere sagte. „Das Messer steckt in seiner Brust.“

„Stimmt“, bestätigte Conny. „Sieht nach einem Brotmesser aus.“

„Ein Brotmesser, was wollte er denn damit?“ fragte Petra nach.

„Ja, warum?“ fragte Conny zurück.

„Was bitte wollte Herr Zeuner mit einem Brotmesser? Das Brot, welches hier auf dem Tisch liegt, ist fertig aufgeschnitten aus dem Supermarkt. Da braucht man kein Brotmesser für.“

Conny kam aus der gebückten Haltung wieder hoch und schaute selbst auf den Tisch.

„Stimmt, du hast recht, Petra, für das Brot braucht niemand ein Brotmesser“, sagte sie.

„Haben wir so gar nicht gesehen“, sagte der eine Kollege.

„Ich schmiere mir auch öfters meine Schnitten mit einem Brotmesser“, bemerkte der andere.

„Dann hast du aber auch vorher das Brot damit geschnitten, Kollege, oder?“, fragte Petra nach.

„Mmh… stimmt, hast Recht.“

„Passt also schon nicht“, bemerkte Petra.

Conny ging in die Küche, die direkt an das Wohnzimmer anschloss. Sie zog zwei Schubladen auf und schaute hinein.

„Hier liegt normales Besteck drin“, sagte sie.

„Habt ihr die KTU verständigt?“, erkundigte sich Petra bei den beiden.

„Nein, da wir dachten, es wäre ein Unglück gewesen“, antwortete einer der Kollegen.

„Ich funke die Zentrale an“, sagte der andere und nahm sein Funkgerät aus der Gürtelhalterung.

Donnerstag, 14.25 Uhr

Polizeipräsidium Essen

Büro Lothar Bäumler

Der Kriminaldirektor hatte den Leiter der KK31, Herrn Uellendahl, zu sich gerufen. Dieser betrat das Büro und stutzte, als er jemanden vor dem Schreibtisch des Kriminaldirektors sitzen sah. Er grüßte knapp und blieb neben den beiden Stühlen stehen.

„Herr Uellendahl, bitte setzten Sie sich zu uns“, sagte im freundlichen Tonfall der Kriminaldirektor.

„Ich darf Ihnen Herrn Franke vorstellen. Herr Franke ist Kriminalkommissar und kommt aus Frankfurt am Main. Er hat dort im Rotlicht-Milieu verdeckt ermittelt.“

„Guten Tag Herr Uellendahl“, sagte Chris und hielt ihm seine Hand hin.

Herr Uellendahl schaute auf sie und ergriff die Hand. Nach einigen Augenblicken sagte er knapp. „Willkommen.“

„Herr Franke würde gerne weiter in dem Bereich Organisiertes Verbrechen oder Bandenkriminalität tätig sein. Daher habe ich an Ihre Abteilung gedacht. Der Kollege Stiegler hat ja nicht mehr lange bis zur Pensionierung, zwei Wochen um genau zu sein und daher würde sich Herr Franke anbieten. Was meinen Sie dazu?“

„Warum nicht in die KK21? Die sind doch für Organisierte Kriminalität zuständig“, antwortete Herr Uellendahl.

„Das ist richtig, nur ist da keine Planstelle frei und wird auch nicht“, sagte Herr Bäumler, dabei sah er ihn weiterhin an.

Herr Uellendahl schaute daraufhin das erste Mal in Chris Gesicht. Sein Mund formte sich dabei spitz zu und der Kopf nahm eine leicht schräge Haltung ein.

„Na, dann ist das so. Da fällt mir ein, Sie waren doch bis jetzt in der KK11. Was ist denn damit?“, fragte Herr Uellendahl nach.

„Dort ist nur eine Planstelle frei geworden.“

„Ach und der Lüpke wollte Sie nicht?“, fragte er in Richtung Chris.

„Doch, schon, aber ich wollte nicht. Immer nur so einfache Mordfälle ist auf Dauer nichts für mich“, antwortete Chris und lächelte Herrn Uellendahl an.

„Einfache Mordfälle? Wie meinen Sie das denn?“

„Der Kollege Lüpke hat ja bestimmt ganz viel Erfahrung, nur…“, weiter sprach Chris nicht.

„Nur… was?“

„Ach, nicht so wichtig.“

„Jetzt haben Sie den Satz angefangen, jetzt sprechen Sie ihn auch zu Ende“, reagierte Herr Bäumler daraufhin.

„Ja, man hört ja sehr viel über Kollege Lüpke, aber mein Eindruck ist, er sonnt sich nicht zu Recht in der Sonne und erntet Lorbeeren, die ihm nicht zustehen. Das gefällt mir nicht in der KK11.“

„Mit so klaren Worten hat das noch niemand gesagt“, entgegnete Herr Uellendahl.

„Und was meinen Sie jetzt, Herr Uellendahl?“, fragte Herr Bäumler ein zweites Mal.

„Na, dann kommen Sie zu uns in die beste Abteilung des ganzen Polizeipräsidiums. Ein Mann mit klaren Ansichten ist bei uns immer gern gesehen“, sagte Herr Uellendahl.

Chris und Herr Bäumler lächelten Herr Uellendahl an. Kurze Zeit später gingen beide. Als sie ein paar Minuten weg waren, rief der Kriminaldirektor in der KK11 an und teilte Lüppi mit.

„Alles gut gelaufen. Man merkt, Herr Franke macht das nicht zum ersten Mal. Er ist jetzt mit Herrn Uellendahl zur KK31.“

Donnerstag, 15.05 Uhr

Italien, Sizilien

Ort, Novara di Sicilia

Der Boss der Sizilianischen Organisation, Bernardo Carbone und die Mancini-Brüder saßen weiterhin zusammen.

„Was ihr mir noch nicht erzählt habt, was schlagt ihr vor, was wir mit den vier Bossen der Hamit Familien anstellen sollen“, sagte Bernardo Carbone.

„Wir haben da schon etwas veranlasst und eigentlich sollten sich auch schon längst unsere Verbindungsmänner gemeldet haben“, teilte Antonio Mancini mit und sah zu seinem Bruder, der daraufhin sein Mobiltelefon nahm und eine Telefonnummer in Deutschland wählte. Genauer gesagt, im Essener Polizeipräsidium. Es schellte am anderen Ende.

„Ja, bitte?“, fragte der Angerufene.

„Mancini hier. Warum melden Sie sich nicht, was ist mit den vier Hamit Bossen?“, fragte Marco und sprach natürlich deutsch mit dem Gesprächsteilnehmer, was Signore Carbone aber nicht verstand, da er nur Sizilianisch bzw. Italienisch sprach.

„Sie sollen doch nicht hier im Präsidium anrufen, das ist zu gefährlich.“

„Wenn Sie sich nicht melden, also, was ist jetzt?“, fragte Marco Mancini nach.

„Die sind erledigt“, antwortete der Polizeibeamte. „Die liegen schon in der Rechtsmedizin.“

„Wie genau sind die vier auf Reisen gegangen?“

„Drei erschossen und einer erdrosselt.“

„Warum erdrosselt?“

„Es fehlte eine Patrone. Ich dachte, es wären noch vier Patronen in der Beretta M9, die ich hatte. Naja, waren aber nur drei drin. Na, auch egal, da habe ich halt einen erdrosselt. Hauptsache tot.“

„Wieso nur drei? Wir haben Ihnen doch sechs Patronen mitgebracht. Sind Sie sich sicher, dass das nicht auffällt?“, wollte Marco wissen.

„Nein, bestimmt nicht, da kommen die von der KK11 nie drauf.“

„Ich will es hoffen, sonst kommen wir noch einmal zu Ihnen. Das wird dann ein Abschlussbesuch!“, sagte Marco und beendete das Gespräch.

„Und, erledigt?“, fragte Signore Carbone.

„Ja, sind abgereist. Viellicht müssen wir noch einmal ins Ruhrgebiet und da noch etwas aufräumen“, sagte Marco.

„Aufräumen und Ordnung halten ist immer gut. Was man nicht mehr braucht, sollte man entsorgen. Wird hinterher immer übersichtlicher und man muss sich auch keine Gedanken mehr um alte Dinge machen“, sagte Signore Carbone.

„Da geben wir dir recht“, antwortete Antonio Mancini.

Donnerstag, 15.15 Uhr

Essen Bergerhausen

Während Conny und Petra noch immer vor Ort waren, hatten sich die Streifenkollegen verabschiedet. Horst Vollmer, der Leiter der KTU, war mit Kollege Moris Veigel inzwischen ebenfalls eingetroffen. Es war eine Weile vergangen und Conny schaute in den Wandschrank, der sich in der Diele befand. Da ihr der Boden des Wandschrankes merkwürdig vorkam, schaute sie ihn sich näher an. Auch klopfte sie mit einem Finger darauf. Es klang hohl. Sie fragte sich, ob der Boden herausnehmbar wäre, sie fand aber keine Stelle an der sie ihn hätte hochheben können. Petra kam dazu und beide sahen sich den Boden im Schrank an. Aber auch zu zweit war nichts zu erkennen. Beide ließen es nach einer Weile sein, dem Schrank weiter auf den Grund zu gehen.

„Und?“, fragte Petra die beiden KTU-Kollegen, als sie wieder zu ihnen kamen.

„Auf dem Brotmesser sind nur Fingerabdrücke von Hartmut Zeuner. Es sind aber auch ein paar verwischt, so als wenn jemand mit Gummihandschuhen das Messer in der Hand gehabt hätte“, antwortete Moris und Horst bestätigte die Aussage seines jungen Kollegen.

Conny bat Horst sich den Boden des Wandschrankes anzusehen, aber auch er fand keine Anzeichen dafür, ob und wie sich der Boden herausnehmen lassen würde.

Donnerstag, 15.35 Uhr

Polizeipräsidium Essen

Kriminalinspektion 3 – KK31

Herr Uellendahl hatte den neuen Kollegen, Kriminalkommissar Christoph Franke, allen in der KK31 vorgestellt. Einen Schreibtisch bekam er auch zugewiesen. Dieser befand sich vor Kopf von zwei anderen. Die beiden Kollegen waren nicht ganz so begeistert, dass Chris dort nun zu sitzen kam, da sie in den letzten Jahren diesen Schreibtisch als ihren Ablagetisch benutzt hatten. Der Schreibtisch war nicht aus Zufall von Herr Uellendahl ausgewählt worden. Er hatte Chris gesagt, er solle die beiden Kollegen unterstützen. Den Tisch freizumachen war nicht ganz einfach, da die beiden an ihren Schreibtischen kaum zu sehen gewesen waren, so hoch türmten sich die Akten, die eigentlich schon alle ins Archiv hätten gebracht werden können. Chris bot sich den beiden an, beim herunterschaffen behilflich zu sein. Die beiden Kollegen waren Axel Fuchs und Oliver Cramer. Im Archiv angekommen wurden beide nur mit ihrem gemeinsamen Spitznamen Fuchs-Cramer angesprochen. Chris erster Eindruck war, die beiden schienen ganz okay zu sein. Wieder zurück an den drei Schreibtischen wollten die beiden einiges über ihn und den verdeckten Einsatz in Frankfurt am Main erfahren. Chris erzählte davon ausführlich. Als er fertig war, erkundigte er sich, an welchen Fällen die beiden arbeiten würden. Axel teilte ihm mit, den aktuellen Fall mit dem Hamit-Clan hätten sie soweit und könnten diesen am nächsten Tag abschließen. Alle weiteren Fälle wären nur verschiedene Raubdelikte.

Donnerstag, 16.00 Uhr

Polizeipräsidium Essen

Kriminalinspektion 1 – KK11

Petra und Conny kamen wieder im Büro der KK11 an. Lüppi saß mit den anderen beiden zusammen und alle drei gingen die noch offenen sieben Morde durch. Nach einer Weile erzählten Petra und Conny den dreien von dem toten Hartmut Zeuner und dem Brotmesser. Den Wandschrank erwähnten sie auch beiläufig. Während Conny versuchte den Vermieter von der Wohnung des Herrn Zeuner herauszufinden, beschäftigte sich Petra mit der Familie und dem Arbeitgeber des Toten. Außer der Tatsache, dass es sich bei dem Vermieter um eine Wohnungsbaufirma handelte hatten sie bis zum Feierabend noch nichts herausgefunden. Telefonisch hatten sie auch niemanden erreicht. Das Büro der Wohnungsbaufirma machte um 16 Uhr Feierabend.

Donnerstag, 17.33 Uhr

Essen Frohnhausen

Lüppi traf Zuhause ein. Torti war noch nicht da. Petra war mit Mario zusammen einkaufen gefahren. Wie gewohnt hatte er die Kaffeemaschine vorbereitet und betätigte gerade den Schalter als Torti die Wohnungstür aufschloss. Lüppi hörte noch die Stimme von Nina, die mit ihrem Schlüssel die Wohnung von Gördi und Heike aufschloss. Nina sagte noch zu Torti wie glücklich sie wäre bei den beiden zu sein. Auch das Basteln in der Schreinerei würde viel Spaß machen. Sie sagte anschließend noch etwas, was Lüppi aber nicht verstand. Wenig später betrat Torti die Wohnung. Beide gingen aufeinander zu und nahmen sich in den Arm, Küsschen gab es auch. Aus ihrem Einkaufsbeutel holte sie zwei Teilchen für Lüppi und sich. Sein Lieblings-Teilchen, eine Rosinenschnecke, hatte sie ihm mitgebracht. Für sich hatte sie ein Puddingteilchen ausgesucht. Wenig später saßen beide einträchtig zusammen und sie berichtete von ihrem Tag und wieviel Spaß Nina das Werkeln mit Holz machte. Bevor Lüppi seine Frau danach fragen konnte, was sie zuletzt gesagt hatte, was er nicht verstanden hatte, erzählte Torti davon.

„Nina hat mich vorhin, bevor sie zu den beiden in die Wohnung gegangen ist, in den Arm genommen und mir gesagt, auch wenn ich nicht so alt wäre, wie eine Oma, so wäre ich für sie, ihre Oma. Dann hat sie mich gedrückt und uns einen schönen Abend gewünscht. Als ich ihr dann gesagt habe, das würde ich den dreien auch wünschen, meinte sie zu mir, mal schauen, was Mama-Heike zum Abendessen macht.“

„Ist ja putzig“, reagierte Lüppi und meinte weiter. „Mal sehen, wann sie das Wort Heike weglässt und nur noch Mama sagt.“

„Apropos sagt. Sag du mir mal, was es bei euch Neues gibt. Was machen eure sieben Mordfälle?“

„Müssen noch weiter aufgeklärt werden. Dafür ist ein neuer Fall hinzugekommen. Wahrscheinlich auch ein Tötungsdelikt, sagen Petra und Conny“, berichte Lüppi.

„Oh… dann verschiebt sich euere Interne Ermittlung gegen Herrn Uellendahl?“, erkundigte sich Torti.

„Nein, tut sie nicht. Christoph ermittelt ab heute verdeckt in der KK31. Der Herr Bäumler hat heute folgendes gesagt“, fing Lüppi die Zusammenfassung des Gesprächs an.

Donnerstag, 21.00 Uhr

Italien, Sizilien

Ort, Novara di Sicilia

Bernardo Carbone und die Mancini-Brüder saßen noch immer zusammen. Dieses Mal aßen sie zu Abend und der Boss fasste dabei die Berichte zusammen: „Die Hamit-Bosse haben den Kunstfälscher, in eurem Auftrag erschossen, weil er mit der Polizia zusammengearbeitet hat und ihr habt sie dann von unseren Kontakten bei der Polizia abreisen lassen, nachdem sie sie zum Sprechen gebracht hatten, wo der Sohn Agon ist. Dieser Agon hatte das Gastgeschenk, die Beretta M1923, wieder schussfertig gemacht und ihr habt sie ihm umgehängt, damit die Polizia sie finden kann. Zum Schluss habt ihr zwei unseren schlechten Anwalt, den Sorrentino, mit einer der neuen Waffen, die von Heckler & Koch MK23, auf Reisen geschickt. Stimmt alles?“

„Alles richtig, Bernardo“, bestätigte Antonio.

„Wird das mit den Kontaktpersonen bei der Polizia weiterhin klappen?“, fragte Bernardo und Maria, die gute Seele des Hauses kam mit einem Funktelefon auf die Terrasse und hielt es Signore Carbone hin. „Giacomo“, sagte sie nur.

Er nahm das Telefon und sagte. „Sì.“

„Wir haben möglicherweise ein Problem mit einer der beiden Kontaktpersonen von der Polizia. Wenn unser Informant vor Ort das richtig mitbekommen hat, wird intern bei der Polizia ermittelt gegen einen oder beide“, sagte Giacomo.

„Das ist nicht gut. Ich schicke die beiden zurück“, sagte Bernardo und beendete das Gespräch. Danach wandte er sich an die Mancini-Brüder.

„Es scheint Probleme im Ruhrgebiet zu geben. Ihr müsst zurück.“

Kommissar Lüppi - Band 5

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