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18. April 1995, Dienstag, 7.30 Uhr Essen Frohnhausen

Lüppi saß mit Uschi an ihrem Küchentisch. Beide tranken Kaffee, für frühstücken war es beiden noch zu früh. Während er die gleiche Kleidung wie am Vortag trug, hatte sie ein Kleid im Leoparden Look an. Dazu hatte sie rote flache Schuhe angezogen.

„Kannst du mich gleich zur Werkstatt fahren. Ich wollte meinen Wagen zur Jahresinspektion bringen?“, fragte sie ihn.

„Ja, klar doch. Wohin bringst du ihn denn?“

„Na, wie immer zum Majewski.“

„War ich da schon mal?“, fragte er sie.

„Nö, du hast ja nie Zeit, wenn ich dich mal brauche. Ich muss dann immer Manni fragen.“

„Heute habe ich Zeit.“

„Schön, dann trink deinen Kaffee aus und wir hauen ab“, sagte sie zu ihm und stand schon mal auf.

„Okay“, sagte er mehr zu sich. „Da hat es wohl jemand eilig.“

Zehn Minuten später saßen beide in ihren Autos und Lüppi fuhr hinter dem Renault 5 von Uschi her. Nach zwanzig Minuten bog sie in die Straße ‚Neue Industriestraße‘ ein und hielt auf dem Gelände der Hausnummer 25.

„Ja, Mensch, hier war ich doch schon Mal“, sagte er zu sich.

Er schaute sich um, sah auf das Schild am Gebäude und stieg aus. Während er am Auto stand fragte Uschi ihn: „Was ist, was schaust du so?“

„Hier war ich letztes Jahr“, antwortete er ihr.

„Bringst du auch deinen Wagen hier hin?“

„Nee, das war ein Fall“, sagte er ziemlich nachdenklich.

„Und?“, fragte sie.

„Das war eine junge Frau, die hier erschlagen wurde.“

Dann sah er zur ihr herüber.

„Jetzt habe ich es. Die hieß Moni Rogel und gehörte zu dem Rennteam hier. Steht auch da oben dran“, sagte er und zeigte auf das Schild ‚Motorsport Team Kirchheim und Werkstatt‘. „Das ist übrigens nicht Majewski“, sagte er.

„Ja, weiß ich, das war der Vorbesitzer. Die Mechaniker und der Meister sind aber die gleichen“, antwortete sie ihm und betrat den Betrieb. Er folgte ihr. Dort erfuhr sie, dass der Meister Achim Voigt nicht mehr da war, dafür aber ein sehr kompetenter Neuer, namens Werner Rotmann. Nachdem sie ihren R5, Baujahr 1978, abgegeben hatte fuhr Lüppi sie nach Hause zurück. Nachmittags könnte sie ihren Wagen abholen. Lüppi sagte zu, er würde sie wieder hinfahren. Unterwegs erzählte er ihr von dem Fall Moni Rogel.

Dienstag, 9.15 Uhr Polizeipräsidium Essen

Lüppi war gerade in seinem Büro angekommen, welches er sich mit seinem Kollegen Gerhard Schwarz, auch Gördi genannt, teilte. Gördi arbeitete nun mehr als fünf Jahre mit ihm zusammen und war somit der Kollege, der es am längsten mit ihm ausgehalten hatte. Beide verstanden sich sehr gut, sagte Lüppi immer, wenn er gefragt wurde. Anders die Aussage von Gördi, der immer sagte, ‚Es geht‘ oder ‚Ist okay‘. Am allerliebsten hatte Lüppi mit seiner früheren Kollegin Heike Buhrmann zusammen gearbeitet. Diese war allerdings vor sieben Jahren nach Frankfurt am Main umgezogen, wegen eines Mannes. Die Schreibtische der beiden standen jeweils mit dem Rücken zur Wand, so dass sie sich sehen konnten. Zwischen den Schreibtischen waren vier Meter frei, dort wollten beide eigentlich immer einen Tisch mit vier Stühlen haben. Den hatten sie aber nie bekommen. Gördi saß bereits an seinem Schreibtisch, was nicht anders zu erwarten gewesen war. Er nahm alles sehr genau, was ihm bei den anderen Kollegen auch die Namen ‚Erbsenzähler‘ und ‚Korinthenkacker‘ eingebracht hatte. Diese Arbeitseinstellung hatte Vorteile, die Lüppi zu nutzen wusste. Allerdings auch einige Nachteile, was die Ermittlungen nach Feierabend betraf. Gerhard hatte eine junge Frau und eine Tochter, ein Reihenhaus mit Garten und spielte Fußball in einem fünftklassigen Club. Lüppi interessierte sich auch für Fußball, insbesondere für den Essener Verein Rot-Weiß-Essen. Nicht das er dort regelmäßig hinging, es genügte ihm, wenn er erfuhr, wie die Mannschaft gespielt hatte. Es war immer gut, wenn man sagen konnte, dass man sich dafür interessierte, so seine Erfahrung. Es gab auch einen Altersunterschied bei den beiden. Gördi war 36 Jahre und Lüppi 53 Jahre alt. Lüppi nahm vieles nicht so genau und auch nicht so ernst. Seine Standardantwort war „In Ordnung“ oder ab und zu „Geht schon.“ So verwunderte es nicht, dass er nicht sofort zum Chef ging, der ihn sofort sehen wollte, wenn Lüppi ins Büro käme. Stattdessen setzte er sich an seinen Schreibtisch und trank erst einmal eine zweite Tasse Kaffee, die Gördi für beide gekocht hatte. Es waren fünf Minuten vergangen als der Chef von beiden, Kriminalrat und Leiter der Kriminalinspektion 1, ins Büro gestürmt kam und entrüstet feststellte, dass Kommissar Lüppi am Schreibtisch saß.

„Lüppi, ich wollte dich sehen“, rief Eckerhard Schuster.

„Ja, das kannste ja jetzt“, antwortete Lüppi.

„Du solltest zu mir kommen.“

„Ja, wäre ich ja auch gleich“, war die Antwort.

„Komm bitte mit in mein Büro“, sagte Eckerhard Schuster.

Lüppi stand auf und folgte seinem Chef. Dort angekommen, wollte dieser wissen.

„Erzähl mir mal, was du letzten Donnerstagabend zu dem Abgeordneten des Landtages gesagt hast.“

„Tja, was war das denn?“, stellte er sich laut die Frage selbst. „Warte mal, es fällt mir gleich wieder ein.“

„Hast du zu ihm ‚Sie blödes Arschloch‘ gesagt und hast ihn einfach dumm stehenlassen?“, wollte Eckerhard Schuster wissen.

„Stimmt, jetzt wo du es sagst, fällt es mir wieder ein.“

„Ja, spinnst du denn? Der Polizeipräsident hat mich Ostersonntag angerufen.“

„Och, hat der etwa deine Nummer?“

„Ja, hat er.“

„Die hätte ich dem nicht gegeben. Das war nicht gut von dir“, sagte Lüppi.

„Lüppi, willst du mich verscheißern?“

„Nö, habe ich nicht vor. Aber jetzt mal im Ernst. Dieses Arschloch von Abgeordneten hat sich in die Ermittlungen eingemischt, sie behindert und alles getan, um seinen Bruder gut aussehen zu lassen.“

„Das hätten viele andere auch getan.“

„Gehört sich aber nicht und als Abgeordneter des Landtages schon gar nicht. Zudem hat er mir gedroht, ich solle endlich seinen Bruder in Frieden lassen sonst würde ich bald Streife fahren.“

„Der Bruder ist aber überführt und hat gestanden?“

„Ja, hat er.“

„Freiwillig oder hast du etwa…?“, fragte Eckerhard Schuster.

Lüppi antwortete nicht, dafür kam sein Kollege Gerhard Schwarz ins Büro.

„Entschuldigung, Herr Kriminalrat. Lüppi, wir müssen los. Oben im Schellenberger Wald ist ein Toter gefunden worden.“

„Jo, ich komme Gördi“, sagte Lüppi und verließ schnurstracks das Büro seines Chefs. Der rief noch hinter ihm her: „Lüppi, wir sind noch nicht fertig.“

– Doch, sind wir. – dachte Lüppi.

Dienstag, 10.35 Uhr Essen Schellenberger Wald

Lüppi war mit dem Mercedes die Heisinger Straße hochgefahren. Gegenüber der Uhlenstraße war er auf einen unbefestigten Weg nach links abgebogen. Nach einigen hundert Metern kamen die beiden mit dem Auto nicht mehr weiter. Nach Anweisung eines Streifenkollegen gingen Gördi und Lüppi die letzten Meter zu Fuß. Der Tote lag im Dickicht und war am Morgen von einem älteren Herrn gefunden worden oder besser gesagt, von dessen Hund. Der Tote hatte eine zerrissen Hose, da die Promenadenmischung versucht hatte ihren Fund aus dem Dickicht zu ziehen.

„Guten Morgen, Kollegen.“ sagte Gördi.

Lüppi sagte nichts. Ein Streifenpolizist erzählte den beiden was sie bis zu diesem Zeitpunkt wussten, also nur wie der Tote gefunden worden war.

„Wer ist das?“, fragte Lüppi.

„Keine Ahnung. Hat keine Papiere bei sich“, kam die Antwort.

„Sehe ich das richtig, der hat Arbeitskleidung an?“, fragte Gördi.

„Jo, siehste richtig. Hat er“, sagte Lüppi.

„Schon wieder ein Handwerker weniger“, meinte der Steifenpolizist.

„Wieso schon wieder?“, fragte Lüppi nach.

„Vor drei Monaten war doch schon mal einer in der Innenstadt.“

„Wann kommt die Rechtsmedizin?“, fragte Gördi.

„Müsste gleich da sein.“

Nur wenige Minuten später kam die Rechtsmedizinerin Dr. med. Stefanie Schneider am Tatort an. Sie fing sogleich an den Toten grob zu untersuchen. Nach wenigen Minuten stellte sie fest: „Der Tote muss zu uns in die Uniklinik. Er ist viel zu stark verschmutzt, um hier schon etwas sagen zu können.“

Das Institut für Rechtsmedizin befand sich auf dem Gelände des Universitätsklinikum Essen und war auch für die Stadt Bochum zuständig.

„Stefanie, kannst du ungefähr sagen, woran er gestorben sein könnte?“, fragte Lüppi.

„Die einzige Verletzung, die ich hier sehen kann, ist auf seinem Kopf. Das sieht sehr schlimm aus.“

„Okay, er hat also etwas auf den Kopf bekommen. Mmh, vielleicht ist er erschlagen worden oder es ist ihm irgendetwas auf den Kopf gefallen“, sagte Lüppi mehr zu sich selbst als zu den anderen Anwesenden. Er schaute auf den Toten.

„Was machst du hier? Warum an diesem Ort? Warum liegst du nicht irgendwo anders?“, fragte Lüppi den Verstorbenen. Um drei Augenblicke später zu sagen: „Okay, du antwortest nicht. Auf den Kopf gefallen ist dir auf jeden Fall nix.“

„Warum nicht?“, fragte Gördi.

„Warum ist er dann hier im Wald? Wäre ihm etwas auf den Kopf gefallen, wäre er im Krankenhaus gelandet und nicht hier. Das ist es also nicht. Dieser Handwerker ist entsorgt worden“, sagte Lüppi.

„Vielleicht war die Rechnung zu hoch, die er ausgestellt hat oder er hat schlecht gearbeitet“, meinte der Streifenpolizist.

Lüppi sah den Kollegen an, schüttelte den Kopf und überlegte weiter.

„Ist der Beruf der Hintergrund?“ fragte er sich. „Ob dein Beruf der Grund für deinen Tod ist, müssen wir erst noch herausfinden. Was hast du denn so in deiner Freizeit gemacht?“, fragte Lüppi den Verstorbenen.

Wenig später gingen Gördi und Lüppi zum Auto zurück.

„Wie ist der eigentlich hierhin gekommen?“

Kollege Gördi wusste es auch nicht, daher antwortete er auch nicht darauf. Im Auto angekommen nahm er seinen karierten Block und einen Bleistift. Da Lüppi nicht wusste, wann er das nächste Mal etwas vergessen würde, schrieb er alle seine Fragen nacheinander auf. Das tat er immer so. Gerade war er damit fertig, da kamen aus derselben Richtung, wo er hergefahren war, zwei Reporter des Weges gelaufen. Gördi und Lüppi kannten die beiden. Um keine Fragen gestellt zu bekommen, fuhr Lüppi los, an den beiden vorbei.

Dienstag, 11.55 Uhr Polizeipräsidium Essen

Das bei einem Mord eine Mordkommission eingerichtet wurde, stand außer Frage. Für alle war auch klar, dass der Leiter der Mordkommission Kriminalhauptkommissar Lüpke sein würde, wie fast immer. Als beide wieder in ihrem Büro angekommen waren ließ sich Lüppi als MK-Leiter die jüngsten Vermisstenmeldungen geben. Nachdem beide diese erhalten hatten, wurden sie ‚brüderlich‘ aufgeteilt. Sie sahen die beiden Stapel durch. Zehn Minuten waren vergangen als Lüppi sagte: „Ich glaube, ich habe ihn.“

„Wer ist es?“, fragte Gördi.

„Erik Metzer. Seine Frau hat ihn letzte Woche Freitag als vermisst gemeldet.“

„Wo kommt der her?“

„Aus Essen Haarzopf. Die Straße heißt ‚Auf´m Keller‘ Nummer 5.“

„Kenne ich nicht“, sagte Gördi.

„Ist ja auch nicht deine Ecke“, antwortete Lüppi.

„Du kennst die Straße?“

„Nö, wusste nicht, dass es die gibt. Klingt aber lustig.“

Beide entschlossen sich das Unbeliebteste zu tun, was ihr Beruf bereit hielt. Sie fuhren zu Frau Metzer. Beide waren im Gang auf dem Weg nach draußen und gingen an der offenstehenden Tür von ihrem Chef vorbei, der so gleich rief: „Lüppi, komm mal rein!“

Ohne stehen zu bleiben, rief er zurück: „Geht nicht, müssen zu Frau Metzer.“

„Wer ist Frau Metzer?“, rief Eckerhard Schuster.

Keine Antwort, beide waren schon weg. Bevor sie zu ihr fuhren, führte ihr Weg sie zum Universitätsklinikum Essen. In der Rechtsmedizin angekommen suchten sie die Rechtsmedizinerin, Dr. med. Stefanie Schneider, auf.

„Was wollt ihr denn schon hier?“, fragte sie.

„Wir wollen diese Vermisstenmeldung mit dem Toten vergleichen“, antwortete Gördi.

Wenig später stellten alle drei fest, der Tote war Erik Metzer. Beide verabschiedeten sich von Stefanie und fuhren nach Haarzopf.

Dienstag, 11.55 Uhr Essen Haarzopf

Der Mercedes von Lüppi bog von der Straße ‚Auf´m Gartenstück‘ nach links in die Straße ‚Auf´m Keller‘ ein. Nach fünfzig Metern hielten sie an und sahen sich um.

„Nummer 5 müsste da vorne sein“, sagte Gördi.

Nachdem der Wagen abgestellt war, gingen beide einen Weg entlang, der nur für Fußgänger zu sein schien. Das hinterste Haus der vier hintereinander liegenden war Nummer 5. Es war ein Neunfamilienhaus, wie man anhand der Klingeln sehen konnte. Gördi drückte auf die Klingel Metzer. Es tat sich nichts. Er drückte erneut. Auch zwei weitere Male, dasselbe Ergebnis. Es ging die Haustür auf und eine ältere Dame schaute heraus.

„Zu wem möchten Sie“, fragte sie.

„Zu Frau Metzer“, gab Gördi an.

„Sie sind bestimmt von der Polizei? Wie geht es dem Erik denn?“

„Wissen Sie, wo wir sie finden?“

„Das heißt nichts Gutes, wenn Sie ein Geheimnis darum machen.“

„Wissen Sie, wo sie ist?“

„Dort drüben im Supermarkt an der Kasse“, sagte die Dame und zeigte mit dem Finger in Richtung Garagenhof.

Beide drehten sich um als wenn man von dort aus den Supermarkt sehen könnte. Konnte man aber nicht.

„Ja, sehen können Sie ihn nicht. Der ist aber direkt hinter den Garagen.“

„Wie kommen wir dorthin?“

„Einmal außen rum“, antworte sie und machte mit dem Zeigefinger einen entsprechenden Linksbogen in der Luft.

Gördi bedankte sich und die Dame bat die beiden, ihr die schlechte Nachricht schonend beizubringen. Auf Nachfragen von Lüppi, woher sie wüsste, was sie sagen würden, meinte sie: „Das ist doch klar, das ist am Sonntagabend beim Tatort auch immer so.“

Nach wenigen Minuten waren beide am Supermarkt angekommen. Wie vorher gesagt befand sich Frau Metzer an einer der Kassen. Gördi sprach sie an und bat darum, mit ihr alleine sprechen zu können. Der Marktleiter stellte spontan sein Büro zur Verfügung. Lüppi übernahm die Aufgabe, die Nachricht zu überbringen. Gerhard Schwarz war jedes Mal überrascht, wie Gefühlvoll sein Kollege solche Dinge hinbekam, so auch bei dem Fall. Beide blieben noch eine Viertelstunde bei Frau Metzer, bis der Marktleiter und die ältere Dame aus dem Wohnhaus sie nach Hause brachten. Gördi sagte noch zu Frau Metzer, dass sie ihren Mann am nächsten Tag identifizieren müsste und beide würden sie abholen. Von dem Marktleiter erfuhren sie noch den Arbeitgeber, bei dem Erik Metzer beschäftigt gewesen war.

Dienstag, 14.30 Uhr Essen Kray

Es war halb drei geworden als die beiden bei der Firma ‚Sanitär und Heizung Birnbaum‘ ankamen. Der Chef, Wilfried Birnbaum, befand sich in seinem Büro als die beiden Kripobeamte ihn aufsuchten. Die Begrüßung fiel sehr knapp aus, einen längeren Blick zu den beiden und weitere Höflichkeitsfloskeln wurden von Herrn Birnbaum anscheinend als überflüssig empfunden. So machte der Chef der Firma auch keinen Hehl daraus, dass die beiden zu einem ungünstigen Zeitpunkt kamen. Gördi war wie immer die Freundlichkeit in Person.

„Entschuldigen Sie bitte unsere Störung“, sagte Gördi und hielt seinen Polizeiausweis hoch.

Herr Birnbaum reagierte gar nicht. Auch ein weiterer Versuch brachte nicht die erhoffte Aufmerksamkeit. Nach einer Minute des Wartens unternahm Gördi den nächsten Versuch.

„Wir sind von der Polizei und müssten Sie sprechen.“

„Was ist denn?“, fragte Wilfried Birnbaum, weiter ohne hoch zu sehen.

„Wir müssten Sie bitte einmal wegen Herrn Metzer sprechen.“

„Was hat der Penner denn jetzt wieder angestellt?“, fragte der Chef und sah dabei noch immer nicht auf.

Lüppi machte eine Handbewegung zu seinem Kollegen, er solle nichts mehr sagen. Stattdessen schaute der Chef nach einigen Augenblicken hoch und rief ärgerlich: „Ja, was denn jetzt? Kommt da noch mal wat. Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit, Mann.“

„Ich bin Kriminalhauptkommissar Martin Lüpke und fordere Sie hiermit auf Ihren Ton zu mäßigen.“

„Wat wollen Sie denn von mir? Ist ein neuer Sheriff in der Stadt?“

Lüppi reagierte nicht weiter darauf, dies brachte Herrn Birnbaum erst so richtig in Rage. Die nächsten Minuten beschwerte er sich lautstark über alles, was er dem Staat, der Stadtverwaltung und allen anderen Menschen so anlastete. Lüppi ging die Hutschnur hoch und schrie Herrn Birnbaum an: „Halten Sie endlich Ihre verdammte Schnauze und hören Sie zu, was wir Ihnen zu sagen haben. Und noch ein falscher Ton und Sie verbringen die Zeit bis morgen Abend im Polizeigewahrsam. Ist das jetzt bei Ihnen angekommen?“

Wilfried Birnbaum schaute Lüppi an und sagte nichts mehr.

„Na, geht doch. Schön, dass Sie sich nun auf uns konzentrieren können. Gerhard, bitte noch einmal“, sagte Lüppi.

„Ich bin Kriminalkommissar Gerhard Schwarz. Wir sind von der Kriminalinspektion 1. Wir haben Ihren Mitarbeiter, Herrn Metzer, tot im Schellenberger Wald aufgefunden“, sagte er in einem sehr ruhigen Ton.

„Entschuldigung! Bitte was? Sie haben Jens tot aufgefunden?“, fragte Herr Birnbaum nach.

„Jens? Nein, nicht Jens, sondern Erik Metzer.“

„Erik ist tot?“

„Ja, ist er. Wieso fragen Sie nach einem Jens Metzer?“

„Weil beide Metzer hier arbeiten. Erik ist mein bester Mitarbeiter. Und Sie sind sich ganz sicher, dass nicht eine Verwechslung vorliegt?“

„Sind die beiden unterschiedlichsten Alters?“

„Ja, so unterschiedlich alt, wie man als Zwilling halt sein kann.“

„Zwillinge?“, fragte Gördi.

Lüppi ärgerte sich darüber maßlos, dass ihnen ein möglicher Fehler unterlaufen war.

„Ganz ehrlich, wir sind bis jetzt davon ausgegangen, dass es sich bei dem Toten um Erik Metzer handelt, da seine Frau ihn am Freitag als vermisst gemeldet hat“, sagte Lüppi.

„Dann wissen Sie gar nicht, dass es Zwillinge sind? Wieso hat sie ihn vermisst gemeldet?“, fragte Herr Birnbaum.

„Nein, bis jetzt nicht und das andere wissen wir nicht“, bestätigte Lüppi.

„Und wer ist jetzt wirklich tot?“

„Das ist jetzt eine gute Frage. Ich möchte Sie bitten uns zur Rechtsmedizin zu begleiten und uns zu sagen, wer von den beiden dort liegt.“

„Hoffentlich nicht Erik.“

„Ist Jens so schlimm?“, fragte Gördi nach.

„Schlimm? Das ist der letzte Penner, ein Nichtsnutz, einer den man nicht alleine irgendwo hin schicken kann. Der ständig nur Ärger macht, der ist so faul, der stinkt bis nach Duisburg.“

„Warum beschäftigen Sie ihn dann?“, fragte Lüppi.

„Weil ich seinen Eltern das versprochen habe. Einer meiner größten Fehler.“

„Darf ich einmal Ihr Telefon benutzen?“, erkundigte sich Lüppi.

„Ja, bitte. Da steht es.“

Lüppi nahm seinen Block, blätterte auf die erste Seite, nahm den Hörer vom Apparat herunter und wählte die Rufnummer von Stefanie.

„Rechtsmedizin, Sie sprechen mit Frau Dr. Schneider.“

„Hallo, Stefanie. Ich bin es, es gibt zwei Metzer. Erik und Jens Metzer, das sind Zwillinge. Wir kommen jetzt mit deren Chef zu dir und lassen den Toten identifizieren.“

„Ach, du Schrecken. Na, dann kommt mal.“

Dann war das Gespräch beendet.

„Ich habe da eine Frage, Herr Birnbaum. Vermissen Sie die beiden denn nicht?“, fragte Lüppi.

Herr Birnbaum sah Lüppi an und antwortete: „Nein, eigentlich nicht. Erik müsste auf der neuen Baustelle sein. Den muss ich nicht kontrollieren und Jens hat sich letzte Woche Mittwoch schon wieder krankgemeldet.“

„Dann kommen Sie bitte mit zur Rechtsmedizin.“

Das tat Herr Birnbaum dann auch. Beide stellten fest, allmählich wurde er immer umgänglicher. Zwanzig Minuten später waren alle drei in der Rechtsmedizin angekommen. Wilfried Birnbaum identifizierte den Toten als Erik Metzer, da war er sich sehr sicher.

„Herr Birnbaum, was macht Sie jetzt so sicher, dass es sich bei dem Toten um Erik Metzer handelt“, fragte Lüppi nach.

„Ganz einfach, Jens hat sich letzte Woche, bei einem Kunden, in die linke Hand geschnitten. Das war so ein langer Schnitt, dass er damit ins Krankenhaus musste. Diesen Schnitt habe ich letzten Mittwoch noch gesehen“, sagte Herr Birnbaum.

„Und der Tote hat diesen Schnitt nicht“, bestätigte Gördi.

„Genau.“

„Dann ist er identifiziert.“

Die drei verabschiedeten sich von Frau Dr. Schneider und Lüppi sagte: „Gördi, gehe bitte mit Herrn Birnbaum schon mal vor, ich komme sofort.“

Als die beiden weg waren, sagte Stefanie zu Lüppi: „Ich weiß, was du mir sagen willst.“

„Okay und was?“

„Du kommst morgen trotzdem mit Frau Metzer hierher, richtig?“

„Richtig, bei Zwillingen möchte ich sicher sein.“

„Sehe ich auch so.“

Nach zwanzig Minuten setzten die beiden Herrn Birnbaum vor seiner Firma wieder ab und Lüppi ergänzte noch: „Bitte wundern Sie sich nicht, wir werden Sie noch einige Male aufsuchen müssen.“

„Ist in Ordnung, tun Sie das.“

Dienstag, 17.05 Uhr Polizeipräsidium Essen

Beide waren wieder im Büro eingetroffen und Gördi sah auf die Uhr.

„Ja?“, fragte Lüppi in seine Richtung.

„Genau das“, kam als Antwort.

„Schönen Feierabend.“

Kurze Zeit später war Gördi weg. Lüppi erkundigte sich nach der Anschrift von Jens Metzer.

„So, so, in Essen Schonnebeck wohnst du also“, sagte Lüppi und sah dabei auf den Zettel, auf dem er die Adresse notiert hatte, als wenn er ihn dort sehen konnte. Er überlegte.

„Ich könnte zu einer meiner beiden fahren und auch so früh Feierabend machen wie Gördi“, sagte er sich.

Dann stand er auf und verließ das Büro. Auf Höhe des Büros von Eckerhard Schuster blieb er stehen. „Quatsch“, sagte er, drehte sich um und ging zurück. Nahm den Zettel und fuhr zu der Adresse nach Schonnebeck. Nach vierzig Minuten durch den Berufsverkehr war er dort. Jens Metzer wohnte in einem Mehrfamilienhaus. Er schellte, aber es machte niemand auf. Er schellte noch einmal. Nichts. Ein drittes Mal. Das untere Fenster der rechten Wohnung wurde geöffnet.

„Wohin wollen Sie?“, fragte ein älterer Mann.

„Zu Jens Metzer.“

„Der könnte auf dem Fußballplatz da drüben sein“, sagte er und zeigte in die entsprechende Himmelsrichtung.

„Prima.“

„Finden Sie den Platz?“

„Jo, geht schon.“

Lüppi ging zu seinem Auto zurück und fuhr los. Der ältere Mann blieb am Fenster bis Lüppi weg war. Am nahegelegenen Fußballplatz angekommen sah er, dass einige Leute dem Training zusahen. Er stellte sich dazu.

Dienstag, 17.45 Uhr Essen Frohnhausen

Marie klopfte bei Lüppi an die Wohnungstür, mit dem Wissen, dass er sowieso nicht da sein würde. Wartete einen Augenblick und schloss die Korridortür auf. Als erstes stellte sie ihm die Einkäufe, die sie für ihn mitgebracht hatte in den Kühlschrank und in seinen Vorratsschrank. Bis zu diesem Tag hatte sie nur auf seine Bitte hin für ihn Einkäufe erledigt. Es war also das erste Mal, dass sie für ihn Einkaufen gewesen war, ohne dass er es wusste. Sie sah sich um und spülte ihm den Abwasch weg. Nachdem das Geschirr und Besteck wieder im Schrank war ging sie ins Badezimmer. Dort sah sie zu der Maschine und stellte fest, dass diese noch an war. Sie fragte sich, wann er die wohl angestellt hatte, schaltete die Maschine aus und öffnete das Bullauge. Der Duft, der ihr entgegen kam, ließ sie die Tür sofort wieder schließen und sie schaltete die Waschmaschine wieder an. Zwei Stunden später kam sie in Lüppi´s Wohnung zurück und holte die Wäsche aus der Maschine, die sie bei sich zum trocknen auf den Balkon hing.

Dienstag, 18.50 Uhr Essen Schonnebeck

Das Fußballtraining war vorbei und der Trainer und die Spieler waren auf dem Weg in die Umkleidekabine, da sprach Lüppi den Trainer an.

„Guten Tag, entschuldigen Sie bitte. Ist Jens Metzer hier?“

„Wer will das wissen?“

„Ich möchte das wissen. Ich bin Kriminalhauptkommissar Martin Lüpke und suche ihn.“

„Ist nicht da, aber schon seit Anfang letzter Woche nicht“, sagte der Trainer und wandte sich wieder ab.

„Noch eine kurze Frage.“

Der Trainer blieb stehen und drehte sich zu Lüppi um: „Ja?“

„Können Sie mir einen Tipp geben, wo ich ihn suchen kann?“

„In den umliegenden Kneipen oder mal wieder im Krankenhaus nach einer Schlägerei. Er kann auch sturzbesoffen Zuhause in der Wohnung liegen.“

„Das hört sich nicht gut an.“

„Das ist es auch nicht. Und wenn Sie den Arsch sehen, sagen Sie ihm bitte, er braucht sich hier nicht mehr blicken lassen.“

„War das schon immer so oder ist das erst seit kurzem?“

„Das ist schon seit Jahren so. Ich habe mich nur immer von dem Arsch breitschlagen lassen, aber damit ist jetzt Schluss.“

Er wandte sich erneut ab und folgte den Spielern in die Kabine.

„Okay, willst du noch einmal zu dem älteren Herrn zurück? Frag ihn doch mal, ob er weiß, wer einen Schlüssel von der Wohnung hat“, sagte Lüppi zu sich selbst und sah dabei zum Fußballplatz.

„Haben Sie etwas gesagt?“, fragte einer der älteren Zuschauer.

„Nein, ich spreche nur mit mir selbst.“

„Na, das fängt aber früh bei Ihnen an. So alt sind Sie doch noch gar nicht.“

Lüppi sah den Mann an, hob die Hand zum Gruß und ging zum Auto zurück. Wenige Minuten später war er wieder an dem Haus. Er schellte unten rechts. Der Türdrücker wurde betätigt und Lüppi ging hinein.

„Entschuldigen Sie bitte, dass ich noch mal störe. Ich bin Kriminalhauptkommissar Martin Lüpke und am Sportplatz war Jens Metzer nicht. Wissen Sie, wer einen Schlüssel von seiner Wohnung hat?“

„Was wollen Sie denn von ihm?“

„Es ist etwas mit seinem Bruder und daher möchten wir ihn dringend sprechen. Sein Trainer meinte, der könnte besoffen in seiner Wohnung sein.“

„Da ist er nicht, das hätte ich gehört.“

„Wissen Sie, wer einen Schlüssel von seiner Wohnung hat?“, fragte Lüppi noch einmal.

„Mann, Sie sind aber hartnäckig. Das haben Sie mich doch gerade schon gefragt.“

„Ja, und?“

„Warten Sie, ich suche den Schlüssel.“

Es dauerte zehn Minuten, dann kam der ältere Mann mit diesem an. Wortlos ging er nach oben in den ersten Stock. Lüppi folgte ihm einfach mal. Er schloss die Tür auf, sah Lüppi an und fragte: „Sie haben doch bestimmt auch so einen Ausweis wie beim Tatort, oder?“

Lüppi zog seinen Dienstausweis aus der Hose und hielt ihm den vor die Nase.

„In Ordnung, aber nix durcheinander bringen“, sagte der ältere Mann und öffnete die Tür ganz.

Das, was die beiden dort zu sehen bekamen, verschlug selbst Lüppi den Atem.

„Ich glaube, hier kann man nichts durcheinander bringen. Sehen Sie das auch so?“, fragte Lüppi.

Der ältere Mann sah ihn an, schüttelt den Kopf und antwortete: „Ziehen Sie einfach zu, wenn Sie fertig sind.“

Er betrat die Wohnung. Sah links in das Badzimmer. Im Waschbecken war getrocknetes Blut. Sehr viel sogar. Auch auf der völlig verdreckten Badematte war Blut zu erkennen. Selbst in der Badewanne gegenüber waren einige Spritzer. Er sah in die offene Toilette, kein Blut aber sehr dreckig.

„Meine Scheiße, was für ein Dreckskerl ist das denn?“, fragte er sich und sah dabei in den Spiegel vom Spiegelschrank, der über dem Waschbecken hing. Nein, er versuchte in den Spiegel zu sehen. Konnte aber nur seine Umrisse erkennen. Er verließ das Bad und ging gegenüber in die Küche.

„Meine Güte, was ist das denn? Dagegen ist meine Küche ja ein Traum.“

Auf dem Herd stand eine Pfanne, in der angebrannte Fritten festgebacken waren. Er sah im Kühlschrank nach. Bier, Bier, Bier und eine alte unabgedeckte angegessene und angeschimmelte Pizza. Der Spülberg türmte sich auf der Spüle.

„Du hast auch noch Spülkram Zuhause stehen, Lüppi“, sagte er zu sich selbst.

Nach der Küche ging er ins Wohnzimmer. Der Eingang war vor Kopf, gegenüber der Wohnungstür. Langsam schob er seinen Kopf vor, sah nach links und stutzte. Auf dem Couchtisch lagen aufgeschlagene Ordner, fünf Stück über- und nebeneinander. Die Couch war mal hellbeige gewesen, vor langer Zeit. Es lagen sehr viele Anziehsachen drauf. Auch hier Blut. Der Fernseher hatte oben links einen Sprung in der Glasscheibe. Einige Türen vom Wohnzimmerschrank standen auf. Irgendjemand hatte etwas gesucht, das war zu sehen. Lüppi drehte sich um und ging in das Schlafzimmer, welches neben der Küche lag. Die Tür dafür war im Wohnzimmer. Ein Doppelbett links, rechts der Schrank. Auch hier waren Türen offen. Nicht viel drin.

„Liegt ja auch einiges auf der Couch“, beurteilte er.

Nachdem er das Oberbett zurück geschlagen hatte, bereute er, dies getan zu haben.

„Das ist dann wohl ein Bremsstreifen“, sagte er und sah sich weiter um.

Im Wohnzimmer stand ein Telefon. Er nahm den Hörer ab. Tod, kein Freizeichen. Er verließ die Wohnung, die Tür lehnte er nur an. Bei dem älteren Herrn schellte er und fragte, ob er mal telefonieren könnte. Das durfte er. Die Kollegen von der Spurensicherung würden eine halbe Stunde brauchen, wurde ihm am Telefon von Horst Vollmer mitgeteilt. Es wurde eine Stunde, in der Zeit saß er zusammen mit dem älteren Herrn in dessen Küche. Er hörte sich Geschichten aus vergangenen Jahren an. Das kannte er schon von seinen zahllosen Kneipenbesuchen. Auf dem Rückweg von Schonnebeck hatte er seinem Kollegen noch schnell einen Zettel auf den Schreibtisch gelegt.

Dienstag, 22.40 Uhr Essen Frohnhausen

Lüppi schloss seine Wohnungstür auf und betrat die Wohnung. Er war kaputt und fertig für diesen Tag. Hunger hatte er auch. Der Spülkram fiel ihm wieder ein. Den wollte er auf jeden Fall noch beseitigen, denn schließlich sollte es nicht so aussehen wie bei diesem Jens. Erstaunt blieb er vor seiner leeren Spüle stehen.

„Wo ist der Spülkram hin?“

Er sah in den Hängeschränken nach und stellte fest, das Geschirr war wieder sauber an seinem Platz.

„Torti, du liebe Frau, hast du meinen Kram weggespült?“, fragte er als wenn sie es nebenan hören könnte.

Er kam auf die Idee mal im Kühlschrank nachzusehen. Dieser war mit leckeren Dingen gefüllt. Sechs Joghurts, frischen Gouda, Margarine, Wurst und vor allen Dingen war auch seine Lieblingswurst dabei, Mortadella mit Ei. Er schaute glücklich in seinen Vorratsschrank. Auch dieser sah besser aus als am Sonntagmorgen. Eingepacktes geschnittenes Brot lag dort.

„Mein Gott, Torti, was würde ich eigentlich ohne dich tun? Nichts mehr essen heute Abend, du Idiot“, war seine Antwort auf seine eigene Frage.

Er nahm drei Scheiben Brot, Margarine und Mortadella mit Ei und schmierte sich noch drei Schnitten bevor er zu Bett ging.

Kommissar Lüppi - Band 1

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