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Der Stoff, aus dem Geschichten sind

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Woraus speist sich eine Geschichte? Woher kommen die Figuren, der Stoff für die Geschichte? Was ist die Quelle der Inspiration?

Zum einen schöpft man natürlich aus dem eigenen Leben - und das nicht nur als beginnender Schriftsteller (nicht selten nämlich ist das erste Buch eine Aufarbeitung der eigenen Biografie oder zumindest gespickt mit autobiografischen Details). Das geht vom groben Handlungsrahmen über das Personal der Geschichte bis zu den Details (Dialog, Sprüche, Redensarten, Angewohnheiten etc.). Hierbei gilt: Nicht alles, was man erlebt und was einen selbst bewegt und beschäftigt hat, ist zugleich als Stoff für einen Roman geeignet oder lässt sich deshalb besonders gut und leicht als Romanstoff umsetzen. Die Frage ist vielmehr: Schafft man es, das, worüber man schreiben will, so aufzubereiten und zu erzählen, dass der Nächste es auch lesen will?

Kurzum: Man kann aus unglaublichen Geschichten ein unglaublich ödes Buch schreiben. Und man kann aus scheinbar wenig einen überaus originellen, interessanten, lesenswerten Text machen. Es gibt genügend Bücher, in denen sich äußerlich wenig ereignet und deren Reiz woanders liegt als in der Handlung und in dramatischen, „unerhörten Begebenheiten“. Sie überzeugen und fesseln mit anderen Mitteln – durch Sprache, Dialoge, Beobachtungen oder Gedanken. Der Schriftsteller Wilhelm Genazino dient hierfür als gutes Beispiel: Große Stoffe oder Schicksale bietet er in seinen Büchern nicht, dafür aber eine Fülle von skurrilen Gedanken und Beobachtungen. Beispiel: „Außer der Motorradfahrerin sehe ich im Augenblick einen Sanitäter in einer weißroten Plastikjacke und einen Wachmann. Er trägt eine gutgepflegte Phantasie-Uniform und steht neben dem Eingang einer Bank. Er schaut die Vorübergehenden an wie Leute, von denen eine Gefahr ausgeht. Es stört ihn offenbar nicht, dass man sich über ihn keine Gedanken macht. Der Sanitäter und der Wachmann sehen aus wie Menschen, die inzwischen ganz billig geworden sind. Wenn jemand käme und wollte zum Beispiel den Sanitäter kaufen, dann müsste er, glaube ich, höchstens fünf Mark bezahlen.“ (Wilhelm Genazino, Ein Regenschirm für diesen Tag)

Autobiografisches Schreiben indes birgt mancherlei Gefahr: Vergessen Sie nicht, eine gewisse kritische Distanz hinsichtlich „Ihrer Angelegenheiten“ zu pflegen. Nicht alles, was für Sie wichtig ist, muss auch für den Leser bedeutend sein. Versuchen Sie also, auch sich selbst als eine „Figur“ in Ihrer Geschichte zu sehen, versuchen Sie, sich selbst von außen zu betrachten. Denn so, wie Sie sich sehen und beurteilen – und man neigt ja hinsichtlich der eigenen Person zu mehr Nachsicht -, so beschreiben Sie auch die Figur Ihrer Geschichte. Versuchen Sie unbedingt, jegliche Larmoyanz, Selbstgerechtigkeit und einseitige Nabelschau zu vermeiden. Vergessen Sie nie, dass Sie Ihre Leser überzeugen müssen mit dem, was Sie schreiben (und nicht sich selbst, Ihre Eltern oder Ihre Freunde)!

Auch wenn Sie selbst nicht immer wissen, weshalb etwas geschehen oder nicht geschehen ist, Ihr Leser möchte es gern erfahren. Beispiel: Sie beschreiben, wie jemand eines Tages von seinen Arbeitskollegen gemieden wird; man geht ihm aus dem Weg, niemand spricht mit ihm ein offenes Wort, und er kann sich keinen Reim darauf machen. Auch wenn Ihnen dies genau so widerfahren ist - dem Leser müssen Sie mehr bieten, er nämlich will einen Grund für das Verhalten der Kollegen erfahren; der muss zwar nicht gleich geliefert werden (Stichwort: Spannung!), aber irgendwann möchte der Leser schon wissen, was sich hinter all dem verbirgt. Was liefert ferner Stoff für Geschichten? Natürlich bieten nicht nur das eigene Leben und die eigene Erfahrung Stoff für eine Geschichte. Der Blick über den eigenen Tellerrand lohnt sich immer. Das Schicksal nahestehender Menschen (Eltern, Verwandte, Freunde etc.) liefert häufig interessante Geschichten. Aber Vorsicht: Auch hier ist Distanz zum Geschehen vonnöten, und auch eine gewisse Verfremdung, sonst kann es Probleme geben (mit den Eltern, Verwandten, Freunden), bis hin zum gerichtlichen Nachspiel. Mitunter nämlich fühlen sich die Beschriebenen in ein schlechtes Licht gerückt und sind alles andere als geschmeichelt, sich plötzlich als literarische Figur wiederzuentdecken.

Von nichts kommt nichts. Auch die Fantasie braucht ihre Anknüpfungspunkte. Aber ohne den Einsatz der Fantasie macht Schreiben natürlich keinen Spaß. Wenn Sie autobiografisches Schreiben bevorzugen – gut. Wenn Sie eher ein Freund des Blicks über den eigenen Zaun sind – prima. Aber vergessen Sie nie die Fantasie: Schmücken Sie aus, verfremden Sie, spinnen Sie den aufgenommenen Faden weiter, betreten Sie neue und unbekannte Pfade!

Haben Sie Interesse an dem eigenen Leben, an Zusammenhängen, Gründe und Abgründe, an dem Leben Ihrer Mitmenschen und an fremden Schicksalen? Haben Sie ein Ohr für skurrile und originelle Begebenheiten, gehen Sie ins Kino oder ins Theater, lesen Sie gern und aufmerksam? Haben Sie Lust an Sprache und an der Erweiterung Ihres Wortschatzes und Horizonts? Dann haben Sie eine gute Ausgangsbedingung für eine interessante Geschichte! Mit Neugier, Unvoreingenommenheit und geschärften Sinnen entdeckt sich die Welt, die voller Geschichten steckt, viel leichter.

Das Leben ist bunt, schauen Sie genau hin! Und horchen Sie aufmerksam in sich hinein, es steckt so viel in Ihnen und Ihrer Fantasie - Sie brauchen sich bloß zu bedienen!

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