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Erzherzog Rudolfs Kinderzeit und Jugend

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Am 21. August 1858 wurde kräftig Salut geschossen. Endlich war der Thronfolger geboren. In Schloss Laxenburg bei Wien fand das Ereignis statt. Und ein Ereignis war es wohl. Elisabeth, die junge Mutter, hatte viel zu erdulden. Sie lag, so berichten die Gazetten der Zeit, wie der „Pester Lloyd“ oder österreichische Zeitungen, wie „Die neue freie Presse“, fast 20 Stunden in den Wehen. Diese Geburt war nach den beiden vorangegangenen die schwerste. Angeblich soll sie sogar grässliche Visionen gehabt haben. Sie sah im Wachtraum viele Tote, viele Menschen auf die geschossen wurde und ein Meer von roten Fahnen, so wurde berichtet.

Sie brauchte ungewöhnlich lange, um sich von dieser Geburt zu erholen. Als Rudolf so an die drei Jahre zählte, kränkelte die junge Kaiserin. Man befürchtete schon das Schlimmste, dachte an TBC und schickte Elisabeth samt Hofstaat auf eine längere Reise. Madeira war das Ziel. Hier blieb sie ungefähr ein halbes Jahr, kehrte kurz nach Wien zurück um dann immer wieder in Europa herumzureisen.

Vor einem Jahr war Sophie, die älteste Tochter des Kaiserpaares an einer Infektionskrankheit überraschend gestorben. In der kaiserlichen Kindskammer gab es nur ein kleines, sehr robustes und gesundes Mädchen namens Gisela (geboren 12. Juli 1856 ebenfalls in Laxenburg, gestorben 27. Juli 1932 in München) das fröhlich spielte auf noch unsicheren Beinen die Welt erkundete und gerade ihre ersten Sprachversuche unternahm. Umsorgt und umhegt von viel Personal und der allmächtigen und allgegenwärtigen Großmutter, Erzherzogin Sophie, der Kaisermutter.Kaiser Franz Joseph, der stolze Vater ließ trotz der Geburt des langersehnten Thronfolgers öffentlich verlauten, dass jedwede kostspielige Festlichkeit zu unterbleiben habe, es werde nur auf die Armen und Notleidenden Rücksicht genommen.

Ja, die Zeiten waren damals mehr als schlecht. Die Revolution 1848/49 hatte das große Land an seine Grenzen gebracht. Das Militär erforderte nach wie vor gewaltige Summen. Man brauchte es aber um eventuelle Aufstände in den Provinzen, wo es immer noch gärte und brodelte, niederzuhalten. Der unglückselige Italien-Feldzug, der dem Kaiser die fruchtbare Lombardei kostete, und zudem Massen an Opfern forderte, brachte die Monarchie damals schon an den Rand der Auflösung. Viele Bürger waren unzufrieden mit dem Kaiserhaus, der 28jährige Kaiser hatte es nicht leicht.Also war die Geburt von Rudolf keinesfalls ein Anlass nun ein prunkvolles höfisches Fest auszurichten. Womöglich wären dann wiederum Unruhen ausgebrochen.

Also wurde kurzentschlossen ein sogenanntes „Fest der Humanität“ ausgerufen. Das große Spenden ging los. Großbürgertum und Adel spendeten Wöchnerinnen, die Hilfe benötigten, sowie Findelkindern, Sieche und arme Offizierswitwen wurden ebenfalls bedacht. Bäcker spendierten Brot für die Armen. Das Militär bekam hie und da Extrarationen Fleisch und Wein.

Kaiser Franz Joseph legte den Grundstein für das Rudolfsspital, das heute noch im 3. Bezirk existiert.Selbstverständlich wurde an den alten Bräuchen festgehalten, die man seit Ewigkeiten nach einer Kronprinzengeburt veranstaltete: 20 Kanonen schossen 101 Böllerschüsse ab, Alle öffentlichen Gebäude der Monarchie, besonders in den großen Städten wurden festlich beflaggt und abends beleuchtet. Festgottesdienste aller in der Monarchie beheimatete Religionen, Katholiken, Lutheraner, Orthodoxe, Moslems, Juden feierten die Geburt des kleinen Rudolf. Es wurde komponiert, gedichtet, was das Zeug hielt. Immerhin bekamen die Schöpfer dieser Werke, wenn sie sie bei Hofe einreichten, ein Dankschreiben seiner Majestät, und ein paar Gulden.Was eher etwas übertrieben war, war wohl die Verleihung des Goldenen Vlieses an den sabbernden, Prinzen, noch in der Wiege und zugleich wurde Rudolf Oberst-Inhaber eines Infanterieregiments. Seine Laufbahn als Militär war damit vorgezeichnet, sehen es die Historiker heute.

Und erst die Titel, die der kleine Prinz ab seiner Geburt führte: „Rudolf Franz Carl Joseph, des Kaiserthums Österreich Kronprinz und Thronfolger, königlicher Prinz von Ungarn und Böhmen, der Lombardei und Venedigs, von Dalmatien, Croatien, Slawonien, Galizien, Lodomerien und Illyrien. Erzherzog von Österreich. Ritter des Goldenen Vlieses und Inhaber des Infanterie-Regiments Nr. 19.“

Die Armee, des Kaisers wichtigstes Instrument, bekam einen kaiserlichen Armeebefehl, der gleich nach der Geburt erlassen wurde. „Ich will, dass der durch Gottes Gnade Mir geschenkte Sohn von seinem Eintritt in diese Welt an Meiner braven Armee angehöre, und ernenne ihn hiernach zum Oberst Inhaber Meines 19ten Linien- Infanterie-Regiments, welches von nun an den Namen „Kronprinz“ zu führen hat. Laxenburg am 22. August 1858. Franz Joseph m.p.

Nicht überliefert ist allerdings, dass man dem Säugling sogleich eine Uniform schneidern ließ! Diese Hinwendung zum Militärischen war absolut unüblich bei den Habsburgern. Sie entsprach keineswegs habsburgischen Traditionen und keiner der Vorgänger Kaiser Franz Josephs hatte sie geübt.

Auch die Aja – erste Kinderfrau – des hochwohlgeborenen Buben wurde unter militärischen Aspekten ausgesucht. Die damals 45jährige kinderlose Karoline Freifrau von Welden, die Witwe des Feldzeugmeisters Ludwig von Welden, der sich besonders bei der Niederwerfung des ungarischen Aufstandes 1848 einen Namen gemacht hatte, wurde mit dieser mehr als heiklen Aufgabe betraut.

Warum gerade die Wahl auf sie gefallen war, war selbst bei den in Vieles eingeweihten Hofbeamten ein Rätsel. Offenbar wollte der Kaiser mit ihrer Wahl damit ihren verstorbenen Gatten auszeichnen. Sie selber hatte keine Ahnung von Kindern, keine pädagogische Vorbildung und war angeblich auch noch von schwächlicher Konstitution. Doch die Welden machte das Beste aus dieser Berufung. Zuerst ging sie nach München und lernte bei einer Frau von Zurheim, alles, was es zu lernen gab. Dann erst kam sie an den Hof, wo sie eine Chefin hatte: Erzherzogin Sophie. Kaiserin Elisabeth hatte den Kampf um die Kinder schon lange aufgegeben. Damals konnte sie ihn keinesfalls gewinnen. Sie kam öfter in die Räume der Kinder, spielte mit ihnen ein wenig und weg war sie.

Es war ja allgemein bekannt, dass die starke Sophie schon beim ersten Kind (Sophie) und auch beim zweiten (Gisela) die Macht übernahm, den Hofstaat der Kinder bestimmte, ihre Bediensteten, von der Aja bis hin zum kleinsten Tafeldecker und Heizer. Kaiserin Sisi hatte nichts zu melden. Sie floh nach München, weinte sich bei ihren Eltern und Geschwistern aus, doch auch die konnten da nicht viel helfen. Für Sophie war Elisabeth selber noch ein Kind, bestenfalls ein eigenwilliger Teenie, der nichts als Reiten im Kopf hatte und mit richtiger Kindererziehung noch keinesfalls etwas anfangen konnte.Sie war zwar bereits 20, als sie Rudolf gebar, doch in den Augen der prinzipientreuen und starken Sophie war ihre Schwiegertochter, die zufällig Kaiserin war, ungeeignet mit starker, aber liebevoller Hand, den Kronprinzen zu erziehen. Noch immer verübelte die Kaisermutter der Schwiegertochter den Tod des erstgeborenen Kindes Sophie in Ungarn. Hatten Kaiser und Kaiserin doch entgegen ihrem Rat und ihren Bitten die Kleine mit auf diese anstrengende Ungarnreise mit vielen Empfängen und Besuchen, mitgeschleppt.

Also der Haussegen bei Kaisers war keineswegs auf Friede und Liebe eingestellt. Sondern auf Kampf und Intrige.

Baronin Welden erwies sich hingegen für den kaiserlichen Nachwuchs als wahrer Segen. Sie liebte die Kinder über alles, wurde von den Kindern geliebt und war neben Großmutter Sophie die Bezugsperson Nummer eins. Die Kinder kamen mit all ihren Sorgen zur Welden, wurden getröstet, geleitet, gelobt und getadelt, wie von einer richtigen Mutter. Sie spielte ihre kindlichen Spiele mit, wachte bei Krankheiten über sie, pflegte sie liebevollst, freute sich über jeden Fortschritt, den sie in ihrer Entwicklung machten.

Gisela und besonders Rudolf ließen nach der Trennung von der Welden, die mit ungefähr sechs Jahren stattfand, immer wieder mit Briefen ihrer Zuneigung zur Welden freien Lauf. Rudolf schrieb ihr Briefe bis zu seinem Tod.

Allerdings war gerade beim Adel und dann beim vermögenden Großbürgertum in dieser Zeit eine solche Trennung der Kinder von den Eltern absolut üblich. Die Kinder der besten Gesellschaft hatten Gouvernanten, Pflegerinnen, Krankenschwestern, Erzieherinnen, Sprachlehrer, Hauslehrer, eigene Bedienstete und sahen die Eltern bestenfalls bei feierlichen Anlässen, oder zu bestimmten Zeiten, wo sie gelackt und geschönt den Eltern und Gästen vorgeführt wurden. Hier die Ursache für die späteren psychischen Defizite Rudolfs zu suchen, wäre total verfehlt.

Der Krieg mit Italien 1859 war absolut desaströs zu nennen. Es kursierte zwar das Wort „Löwen von Eseln geführt“ , der Kaiser war selber am Schlachtfeld, doch zu spät. Die Lombardei war verloren, die Kriegsschulden stiegen ins Unermessliche, das Volk murrte, es hatte schließlich die Last zu tragen und zu Hause in der Hofburg und in Schönbrunn tobte der häusliche Krieg zwischen Erzherzogin Sophie und der jungen Kaiserin. Beide Damen, die ja vom Kaiser geliebt wurden, machten ihm das Leben zur Hölle. In dieser schweren Zeit kann es leicht sein, dass der bis dahin absolut treue Ehemann sich außerehelichen Freuden zuwandte, von denen Elisabeth, wie auch immer erfuhr. Tief enttäuscht, ja schwer geschockt, flüchtete sich die labile junge Frau in eine bis heute geheimnisvolle Krankheit, zuerst nach Madeira, um dann immer wieder von Wien zu verschwinden. Die beiden Kinder Gisela und Rudolf blieben beim Kaiser, bei der geliebten Großmutter und der getreuen und heiß geliebten Welden.

Trotzdem wurde schon in diesem Alter, Rudolf war zwischen zwei und drei Jahre alt, großer Wert auf die militärische Erziehung gelegt. Er empfing des öfteren feierlich eine Abordnung seines eigenen Regiments, selbstverständlich gekleidet in eine kleine Paradeuniform. Angeblich machte er dabei seine Sache so gut, dass Kaiser und Hof total gerührt waren. Trotzdem nannte in der Kaiser des öfteren „mein Krepierl“, was zwar liebevoll gemeint war, aber nicht gerade so liebevoll rüberkam.

Ja, so robust und gesund wie die kleine Erzherzogin Gisela war der Kronprinz beileibe nicht. Er war sensibel, angstvoll, nicht sehr mutig, dabei lebhaft und geistig als hoch intelligent zu bezeichnen.

Angeblich interessierte er sich für alles. Sobald er ganze Sätze sagen konnte, liebte er es, mit seinen Lehrern und Erziehern zu „diskutieren“.

Kaiserin Elisabeth sah ihren einzigen Sohn erst nach ungefähr einem Jahr wieder. Er wurde auf ihren Wunsch hin mit seiner Schwester nach Venedig gebracht, wo man sich auf einen Staatsbesuch vorbereitete. Erzherzogin Sophie blieb zu Hause. Doch sie hatte eine Spionin in Venedig, die ihr alles berichten musste, was vorgegangen war. Gräfin Esterhazy, hat ihr diese Dienste des öfteren geleistet.

War Rudolfs Kindheit glücklich? Diese Frage ist weder mit ja noch mit einem entschiedenen Nein zu beantworten. Er wurde zwischen der Großmutter, der Kaiserin und dem Kaiser hin und her geschubst, versuchte, es allen irgendwie Recht zu machen, zudem überforderte ihn Franz Joseph mit seinem militärischen Ehrgeiz maßlos. Damals war er nicht gesund, hatte viel schwerer unter den verschiedensten Kinderkrankheiten zu leiden als seine Schwester, war oft weinerlich, hoch empfindsam und schon schwer stressgeplagt.Bereits mit drei Jahren gab es Unterricht: Religion (sehr wichtig), Tschechisch, Ungarisch, Rechnen und Schreiben. Mit dreieinhalb setzte er eigenhändig seine Unterschrift auf die Urkunde zur Schlusssteinlegung des Rudolfsspitals. Dazu natürlich tägliche Exerzier – und Schießübungen, die den Kleinen malträtierten. Des öfteren stand er neben seinem Vater stundenlang regungslos und nahm Militärparaden ab. Besuche von Heereseinrichtungen wie Kasernen und Militäreinrichtungen gehörten ebenfalls zum Unterrichtsprogramm.

Seine Erzieher und Lehrer lobten seinen regen Geist, seine Wissbegierde, seine Lernbereitschaft, Rudolf wirkte aber damals schon altklug und frühreif.

Nach alter Habsburger Tradition und Sitte bekam der Kronprinz mit sechs einen eigenen Hofstaat und einen eigenen Obersthofmeister, der gleichzeitig der Haupterzieher war.

Dazu war es notwendig, dass man ihn von seiner um zwei Jahre älteren Schwester Gisela, die er innig liebte trennte, was mit einem Meer von Tränen einherging.

Leopold, Graf Gondrecourt, ein Generalmajor und Militär vom Scheitel bis zur kleinen Zehe wurde als Obersthofmeister und Haupterzieher des Kronprinzen engagiert. Vom dänischen Krieg kam er als „Sieger von Oversee“ nach Hause, was freilich unkommentiert blieb. Hatte doch dieser Waffengang, im Verein mit den deutschen Verbündeten viel Blut gekostet. Der kleine Kronprinz erhielt vom König von Preußen den Schwarzen Adlerorden umgehängt, was ihn unendlich freute, berichtete der stolze Vater. Zwei Jahre später war dann Preußen der Erzfeind, die Österreicher bezogen fürchterliche „Hiebe“ in Königgrätz.

Die Erziehungsmethoden von Gondrecourt waren militärisch und sonst nichts. Das hieß: Härte, Härte, Härte! Ganz schrecklich für das hochsensible Kind, das die Welt nicht mehr verstand. Rudolf musste stundenlang exerzieren, laufen, stehen, Gewehr ab, Gewehr auf, ganz so wie man Rekruten zu nicht denkenden, automatisch handelnden Soldaten erzog. Diese Erziehung muss man dem Kaiser anlasten, niemand anderem.

Mutig, stark, entschlussfreudig sollte er werden, der Kronprinz von Österreich. Er wurde das Gegenteil. Unentschlossen, intellektuell, feige, halbherzig und schlussendlich ein äußerst schwieriger Charakter.

Noch heute existieren viele Geschichten über die Abhärtung Rudolfs, die Gondrecourt betrieb. Einmal soll er den Buben allein im Lainzer Tiergarten stehen gelassen haben und über die Mauer geschrien haben, „Da kommen Wildschweine“. Rudolf brüllte vor Angst und machte sich in die Hose, schlug ans verschlossene Tor, bis ihn schließlich Gondrecourt befreite.

Nachts soll ihn der Erzieher aus dem Tiefschlaf gerissen haben und mit Pistolenschüssen geweckt haben.Doch diese immer wieder verbreitete Geschichte kann einfach nicht stimmen (Anmerkung d. Verf.) Hätte Gondrecourt dies gewagt, im Zimmer des Kronprinzen herumzuballern, wäre er wohl sofort außer Dienst gestellt worden. Das war doch zuviel der Abhärtung. Zudem hätte Rudolf einen schweren Hörschaden davongetragen. Doch Kaltwasserkuren gab es, sie sollten das Kind, das viel krank war, abhärten.

Der Kronprinz wurde in dieser Zeit, immer ernster, stiller, in sich zurückgezogener, ganz blass und spitz, sodass man an eine ernsthafte Erkrankung glaubte. Da endlich, griff die Kaiserin entscheidend ein. Sie meinte mit dieser Erziehung mache man ihren Sohn zum Trottel. Ihr fiel seine starke Nervosität und seine Fahrigkeit auf. Endlich handelte sie. Sie beschwerte sich massiv beim Kaiser und setzte sich schließlich nach vielen Streitereien mit Sophie und dem Kaiser durch. Ihr damaliges schriftliches Ultimatum ist erhalten (heute Hof- und Staatsarchiv). „Ich wünsche, dass mir vorbehalten bleibe, unumschränkte Vollmacht in allem, was die Kinder betrifft, die Wahl ihrer Umgebung, den Ort ihres Aufenthaltes, die komplette Leitung ihrer Erziehung, mit einem Wort, alles bleibt mir ganz allein zu bestimmen, bis zum Moment der Volljährigkeit. Ferner wünsche ich. Dass, was immer meine persönlichen Angelegenheiten betrifft, wie unter anderem die Wahl meiner Umgebung, den Ort meines Aufenthaltes, alle Änderungen im Haus etc.etc. Mir allein zu bestimmen vorbehalten bleibt. Elisabeth, Ischl, 24. August 1865.“

Gondrecourt musste seinen Abschied nehmen, doch vorher wurde er noch zum kommandierenden General des 1. Armeekorps befördert. In der Schlacht bei Königgrätz wurde er gleich zu Beginn ganz fürchterlich geschlagen.

Die Kaiserin, jetzt am Höhepunkt ihrer Schönheit, hatte gesiegt. Der Kaiser konnte und wollte ihr keinen noch so ausgefallenen Wunsch abschlagen. Von der schüchternen Landprinzessin zur schönen, emanzipierten Märchenkaiserin, die Wandlung war vollkommen. Sie nutzte ihre Macht über den Kaiser bis zur Erschöpfung aus. Nur ein Herzenswunsch wurde ihr strikt verwehrt. Sie wollte unbedingt Inhaberin eines Husarenregiments werden. Kaiser Franz Joseph lehnte ab. So etwas machten die Russen oder die Engländer, die Habsburger - Nie!

Diese Wandlung war so auffallend, dass sie selbst von Jenen bemerkt wurde, die die schöne Kaiserin jeden Tag zu Gesicht bekamen. Das Volk war geradezu enthusiasmiert, wenn die Kaiserin geruhte, sich einmal zu zeigen. Der Hochadel und der Hof waren weniger begeistert. Die Kaiserin schätzte die Mehrheit der hochadeligen Damen gar nicht, machte sich über die Damen der höchsten Gesellschaft in schlechten, aber treffenden und sehr zynischen Gedichten im Heine-Stil lustig (Brigitte Hamann: „Elisabeth“). Sisi hatte auch einen charakterlichen Wandel hinter sich. Ihre Anordnungen wurden knapp, fast unhöflich, sie umgab sich fast nur mehr mit ungarischem Personal, änderte ihren Tagesablauf nach Lust und Laune, war zynisch, sarkastisch und wie es schien, sehr hochmütig geworden. Ungeniert rauchte sie in aller Öffentlichkeit und machte aus ihrem Herzen keine Mördergrube. Wer ihr nicht zu Gesicht stand, wurde abgelehnt. Sie ging nur mehr ihren eigenen Interessen nach. Reiten, Reisen, Dichten. Zu den Kindern kam sie hin und wieder, erschien mit Geschenken beladen als schöne, fast unwirkliche Fee, flüsterte Nettigkeiten, umgeben nur von ihren riesigen Hunden, die ihr überall folgten. Die Kaisermutter hatte nichts oder nur mehr wenig zu sagen, sie war damals eine alte Frau geworden, die nur mehr für ihre Söhne und ihre Enkel lebte.

Rudolf war in dieser Zeit bereits ein schwer geschädigtes Kind, das sehr wohl mitbekam, das in der Ehe der Eltern nichts mehr stimmte. Erbliche Belastungen – es gab viele Epilepsiefälle in der Familie auch geistige Beeinträchtigungen kamen dazu, belasteten ihn zusätzlich.

Es gelang nicht, aus ihm einen „Helden“ (Kaiserin Elisabeth) zu machen. Im Gegenteil, der Bub wies Anzeichen von Hospitalismus auf, das heißt, eine krankhaft gesteigerte Angst, oft Unehrlichkeit, Lügen, und eine oft hysterische, ja aufdringliche Liebe und Anhänglichkeit und Aufdringlichkeit zu Menschen, die er mit seiner geradezu lästigen Zuneigung verfolgte. ( Hamann: „Elisabeth“). Doch der neue Erzieher, Josef, Graf Latour von Thurmburg war zu dieser Zeit die richtige Wahl.

Kaiserin Elisabeth hielt unbeirrt an ihm fest, trotz vieler Hofintrigen und Einwände von allen Seiten, die Latour als ungeeignet zur Erziehung eines Kronprinzen hielten.

Latour war zur Zeit seiner Berufung zum Obersthofmeister 44 Jahre alt, Junggeselle, studierter Jurist, Beamter und natürlich auch Soldat. Er war seit 1860 als Flügeladjutant in der kaiserlichen Familie beschäftigt. Man kannte ihn also, vertraute ihm und Franz Joseph schickte ihn mehrmals mit persönlichen Nachrichten zu seiner Frau nach Madeira, als die Ehekrise am Kochen war. Er war zudem schon Gondrecourt zugeteilt, versah also schon Dienst beim Kronprinzen. Trotzdem wurde er erst offiziell 1870 , fünf Jahre nach seiner Ernennung, zum Erzieher und Oberhofmeister des 12jährigen Kronprinzen per Dekret ernannt.

Latour galt als liberal, damals ein schrecklicher Webfehler, besonders bei Erzherzogin Sophie und der alteingesessenen Hofkamarilla, insbesondere auch bei Erzherzog Albrecht, (1817 bis 1895) Doyen des Hauses, erzkonservativ, klerikal und ein direkter Nachkomme des Siegers von Aspern über Napoleon, Erzherzog Karl. Albrecht hatte am Hof viel zu reden, er war das lebende spanische Hofzeremoniell, samt österreichischem Militärschematismus. In späteren Jahren hatte Kronprinz Rudolf neben vielen anderen in ihm einen seiner größten Feinde.Inzwischen wurde wieder Krieg geführt. Diesmal mit dem einstigen Verbündeten Preußen. Die berühmte Schlacht bei Königgrätz war der traurige Höhepunkt dieses unseligen Waffengangs. Österreich wurde vernichtend geschlagen, Preußen stieg zur Weltmacht auf. Bismarck legte mit diesem Sieg den Grundstein zur deutschen Reichsgründung im Jahr 1871.Kaiserin Elisabeth besuchte in dieser schweren Zeit viele Lazarette und Spitäler, wurde dort zum guten Engel der Verwundeten und benahm sich zum ersten Mal so, wie sich eine gute Kaiserin und Landesmutter benehmen sollte. Sie schrieb ihren Kindern daheim viele Briefe und berichtete über die Vorkommnisse. Rudolf bewunderte sie über alles. Eine Audienz, die der damals achtjährige Rudolf abhielt, war Tagesgespräch. Graf Hans Wilczek, der als einfacher Soldat in den Krieg gezogen war, obwohl dem österreichischen Hochadel zugehörig, meldete bei dieser Unterredung dem Kronprinzen viel Unangenehmes. So machte er aus seiner Entrüstung über die überaus schlechte und veraltete Ausrüstung des österreichischen Heeres kein Geheimnis. Der kleine Prinz hörte aufmerksam zu und stellte viele kluge Fragen. Es ist wahrscheinlich, dass Wilczek extra von der Kaiserin und Latour als Gesprächspartner für den Kronprinzen herangezogen wurde. Daraus entwickelte sich eine Freundschaft des 20 Jahre älteren Grafen zum jungen Kronprinzen, die bis ans Lebensende von Rudolf halten sollte. In Wilczek hatte Kronprinz Rudolf einen der wenigen Freunde aus Hochadelskreisen, aber auch einen einsichtsvollen Lehrer mit viel Lebenserfahrung.

Königgrätz beschäftigte Rudolf noch lange, er hatte unendliches Mitleid mit seinem geschlagenen Vater, bewunderte die Mutter, hielt so gut es ging Abstand zu Erzherzog Albrecht, der ebenfalls seine Mitschuld am fürchterlichen Ausgang dieses Krieges hatte und bewältigte sein inzwischen immer größer werdendes Lernpensum.Der Kronprinz wurde natürlich privat unterrichtet. Der Lehrplan entsprach dem der Volksschule und des Gymnasiums mit vielen zusätzlichen Fremdsprachen wie Latein, Französisch, Ungarisch, Tschechisch und Polnisch. Dazu kam noch die militärische Ausbildung und – eine Eigenheit der Habsburger – jeder Erzherzog musste ein Handwerk lernen, welches Rudolf lernte, ist leider nicht überliefert. Man vermutet das Buchdruckerhandwerk. Körperliche Ertüchtigung stand ebenso auf dem Programm, wie gesellschaftliche Fähigkeiten, wie Konversation, Tanzen und das leidige spanische Hofzeremoniell.

Latour, selbst als Liberaler ausgewiesen, wählte als Lehrer in den einzelnen Fächern für den Kronprinzen Schulreformer, Liberale, aber auf jeden Fall, ausgesprochene und ausgewiesene „Kapazunder aus.

Professor Zhismann unterrichtete Geschichte und hatte an dem hochintelligenten und eifrigen Kronprinzen seine helle Freude. Ein Benediktiner Hyazynth Ronay unterrichte Rudolf in ungarischer Geschichte. Das setzte Gyula Andrassy nach dem Ausgleich mit Ungarn durch. Später kam dann noch Anton Gindely dazu, der böhmische Geschichte unterrichtete.

Prominente Professoren wurden für die naturwissenschaftlichen Fächer herangezogen. Hier sind Matthias Wretschko und Josef Krist zu nennen. Sie legten den Grundstein zur ausgesprochenen Vorliebe des Kronprinzen für die naturwissenschaftlichen Fächer. Einzig Mathematik und Physik wurden von Rudolf nur schwer erfasst.Obwohl er sich später für alle technischen Neuerungen überaus lebhaft interessierte.Ab 1872 wurde Rudolf von Univ.Prof. Ferdinand Hochstetter in Geologie unterrichtet. Der Jurist Adolf Exner, Lehrer für Staatsrecht unterrichtete Rudolf in diesem Fach. Der berühmteste unter den vielen Lehrern des Kronprinzen war wohl der Nationalökonom Carl Menger, er wird bis heute immer zum Hauptverantwortlichen für die demokratische, atheistische, liberale und republikanische Weltanschauung des Kronprinzen gemacht. Was natürlich nicht stimmte. Fast alle Lehrer Rudolfs unterrichteten an Hochschulen und ersetzten so dem Kronprinzen das Studium an einer Universität. Fast alle waren Liberale, galten als Reformer und Erneuerer. Nicht nur Menger.Die Schlüsse, die Rudolf aus diesem für ihn höchst interessanten umfangreichen Lehrstoff zog, kamen aus ihm selber und sollten seinem kaiserlichen Vater furchtbar auf die Nerven gehen, er sprach am liebsten übers Militär und die Jagd, für die Politik hielt er sich seine Minister. Franz Joseph war aber sehr bald klar, dass sein einziger Sohn intellektuell „mehr drauf hatte“ als er. Es ist bezeichnend, dass sich der Kaiser sein Leben lang mit Ratgebern und engen Mitarbeitern umgeben hat, die ihm geistig maximal ebenbürtig, aber niemals überlegen waren.

Anfänglich ging gerade sein Großonkel, Erzherzog Albrecht auf die Argumente Rudolfs in langen Gesprächen und Briefen ein, später zog sich Rudolf die tiefe Feindschaft dieses wichtigen Mitgliedes des Erzhauses zu. Albrecht wetterte vor allem gegen Rudolfs Umgang mit Freimaurern, Antiklerikalen, liberalen jüdischen Journalisten und warnte ihn vor den Folgen seiner „Wissenschaftshörigkeit“.

Dazu kam dann ab 1886 die auffallende Veränderung im Wesen des Kronprinzen, seine Weibergeschichten, die Erzherzog Albrecht natürlich im wesentlichen bekannt waren, seine schlechte Ehe, seine Freundschaft mit liberalen Journalisten, seine Art sich unters Volk zu mischen, seine vielen Aufsätze in Tageszeitungen, die er zwar unter Pseudonym veröffentlichte, doch Erzherzog Albrecht wusste Bescheid. Und ein paar mehr als unüberlegte Streiche, ja Bübereien, wie etwa die Affäre Pernerstorfer, die den gestrengen Erzherzog in Wallung brachten.Eduard Pernerstorfer war sozialistischer Abgeordneter im Reichstag und hatte damals in einer Rede die dreisten Streiche einiger Erzherzöge öffentlich gemacht. Im Verein mit den Erzherzögen Franz Ferdinand, der bei einem Leichenbegängnis mit seinem Pferd über den Sarg sprang, auch Erzherzog Otto, dessen Nacktauftritt im Sacher (er war als „Flitzer“, nur mit einem Säbel bekleidet, im Hotel Sacher unterwegs) sorgte vor allem Kronprinz Rudolf dafür, dass der vorlaute Abgeordnete von „Unbekannten“ schwerstens verprügelt wurde. In einem Brief an seine Gattin Stephanie dazu: „es ist mir gelungen, die zwei Gefreiten, jetzt so anzubringen, der eine ist an der russischen Grenze, der andere macht Dienst in Ungarn“. Er gab also unverblümt zu, dass Pernerstorfer auch in seinem Auftrag verdroschen wurde, was kein sehr gutes Licht auf seinen Charakter wirft.

Erzherzog Albrecht urteilte besonders streng über das Leben des Kronprinzen, er verabscheute seinen Alkoholkonsum, hielt in für feige, was er ja wirklich war und gefährlicher noch, für einen Atheisten.

Adel und Hochadel waren eindeutig keine Freunde des Kronprinzen. Seine Ansichten waren dieser Oberschicht mit ihren Privilegien und Sonderrechten einfach zu liberal, zu bürgerlich, ja – wie abscheulich – zu republikanisch!Hier hatte er sich auch durch seine vielen, eher abfälligen Reden und Aufsätze nur Feinde gemacht. Er prangerte den Hochadel als geistig platt, ohne nennenswerte Interessen außer den Besitz, die Jagd, höfische Unterhaltungen, Besitzstandswahrung- und Vermehrung, Privilegien, die standesgemäße Ehepartnerwahl, die Wahl des richtigen Urlaubsortes an. Zudem störte ihn der konservative Klerikalismus der meisten Hochadeligen, die krasse Halbbildung, die Herumtratschereien und Zuträgereien.Auch in Militärkreisen konnte sich der Kronprinz keine Freunde schaffen. Er hatte zu Recht sehr viel am Heer und der Monarchie etwas auszusetzen, am meisten jedoch an der schlechten Führung des Militärs. Damit zog er sich die lebenslange Feindschaft der maßgeblichen Herren des Generalstabes zu.

Mit seinem Cousin Johann von Toscana ( nachmals Johann Orth) war er sich über viele Missstände im Heer einig, beide kämpften jedoch auf verlorenem Posten. Nur war Johann der bessere Militär, kannte sich besser aus, saß immer am Puls des Geschehens, und versorgte den Kronprinzen mit vielen brisanten Informationen. Doch das Verhältnis zwischen beiden Habsburgern hätte durchaus zu einer wirklichen Freundschaft führen können, waren doch beide liberal, weltoffen, volksnah, keine Antisemiten, intellektuell und hatten gegen den Hof und das Hofleben so ihre Einwände. Doch wurde ihrer beider Verhältnis sehr oft durch Konkurrenzdenken und Eifersüchteleien getrübt.

Johann von Toscana konnte es nicht überwinden, dass eben Erzherzog Rudolf der Kronprinz und damit der zukünftige Kaiser war, während er nur an zweiter Stelle kam.

Trotzdem sah man beide Erzherzöge des öfteren in den verschiedenen stadtbekannten Etablissements zusammen. Sie gingen auf die Jagd, Rudolf lud Johann oft zum Gedankenaustausch in die Hofburg, auch um gemeinsam gegen Erzherzog Albrecht, der besonders die jungen Erzherzöge und ihr Benehmen in der Öffentlichkeit kritisierte, vorzugehen. Wobei die beiden „Rebellen“ sehr oft den kürzeren zogen.Vom Hochadel war nur Graf Wilczek Rudolfs Freund und Förderer. Natürlich hatte er Jagdfreunde wie Prinz Philipp von Coburg (seinen Schwager) er hatte Luise, die ältere Schwester seiner Frau Stephanie geheiratet. Dann Graf Josef Hoyos, ursprünglich aus altem spanischen Adelsgeschlecht stammend, waren die Hoyos seit Jahrhunderten in österreichischen Diensten. Beide waren bei der letzten Jagd in Mayerling Rudolfs Gäste.

Mit Prinz „Bertie“, Edward, Prince of Wales, den englischen Kronprinzen verband Rudolf eine Amüsier- und Jagdfreundschaft, wenngleich man offenbar immer wieder auf Politik zu sprechen kam. Doch Jagden, Einladungen zu fröhlichen, eher intimen Festen, auch mit Damen, Ausflüge ins Etablissement der berühmten Wiener Kupplerin Wolff, auch zu Schrammelabenden ins Jagdschloss Ort an der Donau, standen auf dem Besuchsprogramm des englischen Thronprinzen. Umgekehrt wurde Erzherzog Rudolf immer wieder nach England zu Queen Victoria nach Osborne geladen. Die Queen war entzückt von dem charmanten jungen Herren, mit hervorragenden Manieren. Auch mit Kaiser Friedrich von Preußen war der Kronprinz in Vielem einer Meinung, (er starb an Kehlkopfkrebs, ihm folgte sein Sohn Wilhelm II nach nur drei Monaten Regierungszeit seinesVaters) sehr gut. Seinen lärmenden Sohn Wilhelm, genannt Willi fand er im Umgang ganz schrecklich. Er hasste dessen zackiges militärisches Auftreten, seine von Kraftausdrücken gespickten Reden, sein theatralisches Wesen, seinen eher rüpelhaften Umgang mit Frauen, also Freunde waren die Beiden durchaus nicht. Auch Willi beurteilte den österreichischen Kronprinzen als zu weich, zu lasch, zu liberal, zu wenig militärisch, verurteilte seinen Umgang mit vielen liberalen jüdischen Journalisten, aber man demonstrierte nach außen Freundschaft.Für Rudolf brach eine Welt zusammen als nach dem Tod Friedrichs Willi 1888 zum deutschen Kaiser als Wilhelm II ausgerufen wurde. Er selber stand weiter entfernt vom Thron als je. Sein Verhältnis zum kaiserlichen Vater war getrübt, ja schlechter als je zuvor, gesundheitlich hatte er da schon sehr abgebaut. Er litt an einer venerischen Erkrankung, die damals als unheilbar galt. Seine Ehe mit Stephanie war praktisch gescheitert. Für ihn hatte das Leben wenig Perspektiven zu bieten, während sein um ein Jahr jüngerer„Zwangsverbündeter“ Wilhelm nun Kaiser war. Er immer noch Kronprinz ohne Macht und Einfluss. Er durfte Ausstellungen eröffnen, Militärparaden abnehmen, ab und an Reden halten, wenn sie unpolitisch waren, auf Empfängen und Bällen erscheinen, zur Jagd gehen, Reisen machen, die er vorher aber von Kaiser Franz Joseph absegnen lassen musste, das war es.

Die ungewöhnlichste, „unstandes gemäße“ aber aufrichtigste Freundschaft verband Kronprinz Rudolf mit einem Bürgerlichen. Chefredakteur und Herausgeber Moritz Szeps, einem völlig assimilierten patriotischen Österreicher, jüdischen Glaubens. Szeps war zum Zeitpunkt ihrer ersten Begegnung schon Herausgeber und Chefredakteur des „Neuen Wiener Tagblatts“. 1881 wurde die Bekanntschaft durch Prof. Carl Menger vermittelt, da sich der Kronprinz beklagte, dass er praktisch von allen Informationen, was im Land wirklich geschehe, abgeschnitten sei. „Jeder einfache Zeitungsleser und Arbeiter weiß mehr als ich“, war seine stehende Redewendung. Er hatte sich ja offen als Freund der liberalen Verfassungspartei geoutet, was wiederum Regierungschef Graf Eduard Taaffe auf den Plan rief. Er schnitt dem Kronprinzen alle Informationsmöglichkeiten ab.Die erste Begegnung kam sehr geheimnisvoll in der Hofburg zustande. Nehammer, der erste und vertrauteste Kammerdiener Erzherzog Rudolfs, führte den Herrn Chefredakteur über dunkle Gänge, verborgene Treppen und Räume in das Kronprinzenappartement. Das erste Gespräch dauerte immerhin eineinhalb Stunden, war aber vorerst harmlos und eher allgemein gehalten. Rudolf hatte ein Buch über seine Orientreise geschrieben, welches er in einer Zeitung teilweisegedruckt sehen wollte. Zudem erkundigte er sich nach vielen der Redakteure, die im Tagblatt arbeiteten, die er dem Namen nach kannte. Auch über Politik wurde geredet. Man kam unweigerlich auf Ministerpräsident Taaffe und seine verhängnisvolle Nationalitätenpolitik zusprechen, wobei ihn Szeps zu beruhigen versuchte. Schon damals war Graf Eduard Taffe im Feindeskreis des Kronprinzen zu finden. Von ihm gingen wahrscheinlich auch die umfangreichen Überwachungsmaßnahmen des Kronprinzen aus. Ob sie vom Kaiser gebilligt wurden, ist heute nicht mehr klar belegbar. Viele Dokumente und Unterlagen sind ja nicht mehr auffindbar.

Szeps, 1834 in Galizien geboren, war ein liberaler, umfassend gebildeter Mann aus wohlhabender, sehr guter jüdischer Familie. Er studierte zuerst Medizin, bevor er zu seiner eigentlichen Berufung, dem Journalismus fand. Schon mit 24 Jahren wurde er Chefredakteur der „Morgenpost“. Dann übernahm Szeps das „Neue Wiener Tagblatt“, nachdem Menger damit scheiterte, als verantwortlicher Herausgeber und Chefredakteur. Er führte das Blatt zu einer Auflage von 40.000 Stück, sie überflügelte damit die „Neue Freie Presse“. Sein Konzept war recht einfach: Er schrieb nicht nur für das Großbürgertum sondern auch für den „einfachen Mann“. Bezeichnend ist sein unermüdlicher Einsatz für die Volksbildung.Zwischen 1867 und 1879 war liberal sein modern. Das war auch die beste Zeit des „Neuen Wiener Tagblatts“. Zwischen 40.000 und 60.000 Gulden Gewinn im Jahr, schrieben andere Blätter Szeps neidvoll zu. Szeps war auch ein wenig Lebemann. Er gab sein Geld mit vollen Händen für sich, seine Familie und seine Zeitung wieder aus. Er bewohnte ein Palais in der Wiener Liechtensteinstraße (9.Bezirk), das bald zum Mittelpunkt des gesellschaftlichen, künstlerischen und wissenschaftlichen Lebens der Stadt wurde. Seine Tochter Berta Zuckerkandl- Szeps beschreibt in ihren Erinnerungen („Ich erlebte 50 Jahre Weltgeschichte“) diese Jahre sehr anschaulich. Oft wurde Theater gespielt, das Palais hatte sogar einen kleinen Theatersaal. Die Schauspieler waren sehr oft Berühmtheiten aus den Wiener Theatern. Mit Alexander Girardi heckte die kleine Szeps so manchen Streich aus, was ihr dann Zimmerarrest eintrug. Mama Szeps war strenger als der humorvolle Vater, der bald herausfand, dass auch seine Tochter das Zeug zu einer hervorragenden Journalistin hatte.

Bei Moritz Szeps fand der Kronprinz, das was er suchte und brauchte. Er bekam Informationen über sein Land, und konnte sich selber als anonymer politischer Tagesschriftsteller betätigen, über Themen, die ihm wichtig erschienen und sonst in der österreichischen Zeitungslandschaft von damals wenig oder gar nicht abgehandelt wurden. Damals festigte sich bei Rudolf die Auffassung, dass die Presse bei wichtigen Vorhaben stets informiert und beigezogen werden sollte, ganz im Gegensatz zur Auffassung seines Vaters und des Regierungschefs.Rudolfs unzählige politische Leitartikel, die alle anonym erschienen, wurden oft zum Skandal, obwohl Szeps sie alle entschärfte, er kannte sich ja mit der allgegenwärtigen Zensur bestens aus und wusste genau, was gerade noch durchging und was man einfach nicht schreiben durfte. Darum ist es heute sehr schwer, die Artikel Rudolfs zu erkennen, denn man geht nicht fehl in der Annahme, dass die meisten eine Gemeinschaftsproduktion von Szeps und Rudolf waren. Rudolfs Stil war knapp, unverblümt, ohne Schnörkel. Szeps drückte sich etwas gewundener aus, verwendete viele Zitate, seine Schreibe war manchmal blumig und gewunden, eben um die Zensur zu täuschen.Die Zusammenkünfte des Chefredakteurs und des Kronprinzen hatten immer etwas geheimnisvolles, konspiratives an sich. Szeps: „Ich kann mich nicht erinnern, jemals normal zum Kronprinzen gelangt zu sein, immer gings auf verborgenen Wegen in seine Räume“.

Später warfen der Hochadel und die klerikalen, deutschnationalen Kreise Szeps massiv vor, dass er am Untergang des Kronprinzen die Hauptschuld trage. „Sein jüdischer Einfluss, auf den ursprünglich bestens veranlagten arischen Menschen sei mehr als verhängnisvoll gewesen“.

Heute kann man sagen, dass Szeps die PR für den Kronprinzen besorgte, ihn mit Informationen aller Art versorgte. Er schickte ihm nicht nur Berichte seiner Korrespondenten, sondern auch konfiszierte Bücher und Schriften, die der Kronprinz sonst nie zu Gesicht bekommen hätte. Der Informationsaustausch der Beiden war jedoch nicht ganz unbedenklich. Rudolf ließ sich des öfteren dazu hinreißen, wirklich streng geheime Begebenheiten zu erzählen, die für die Ohren eines Vollblutjournalisten sicher nicht bestimmt waren. Besonders wenn er dafür im Austausch dafür Berichte über Frankreich und dessen republikanische Führer bekam. So erzählte er Szeps über einen Ausflug mit König Milan von Serbien, der ihm seine Situation unter dem Einfluss des vielen Burgunderweines, den ihm Rudolf zu trinken gab, ganz offen schilderte. „ Meine Situation ist ausweglos, ich kann mich entweder den Russen mit ihrem Panslawismus an den Hals werfen, was mein Volk sehr begrüßen wird oder ein guter Österreicher bleiben, gegen den Willen meines Volkes, allerdings brauche ich dazu verstärkte österreichische Truppen an meinen Grenzen“. Szeps schrieb in abgeschwächter Form über dieses Gespräch. Der Skandal war perfekt.Dazu muss man wissen, dass König Milan total von Kaiser Franz Joseph abhängig war, er bekam sogar eine Apanage vom Kaiserhaus und hielt sich mehr in Wien auf, als in Belgrad. Dafür hatte er mir Österreich-Ungarn ein Geheimabkommen geschlossen, dass er keine fremden Mächte in Serbien dulden werde, besonders keine Russen, dass er es nicht zulassen würde, dass in Serbien die k.u.k. Monarchie herabgewürdigt werde usw. Seine Gegner behaupteten, praktisch habe er Serbien dadurch an Österreich verkauft und verraten.

Rudolf benutzte natürlich Szeps und sein Tagblatt dazu, sich an Taaffe und Erzherzog Albrecht zu rächen, was des öfteren gelang, aber zu verstärkter Überwachung, bis hin zur Briefzensur Rudolfs führte.

Der geschäftliche Untergang von Moritz Szeps begann damit, dass das Tagblatt konfisziert wurde. Er wehrte sich, indem er für einen Tag, in ganz Wien Verkaufsstellen anmietete und dort sein Blatt vertrieb. Dann verlor er einen Ehrenbeleidungsprozess gegen Ritter Georg von Schönerer, dem Chef der Deutschnationalen im Parlament und musste für 14 Tage ins Gefängnis. Das Tagblatt verlor immer mehr an Abonnenten und Lesern. Er musste aufgeben. Vom Liebling der Wiener war er zum verhassten jüdischen Journalisten geworden. Mit einigen Redakteuren , so auch Bernhard Frischauer, gründete er ein eigenes Blatt das „Wiener Tagblatt“, das aber nicht lief. Er verlor finanziell alles, was er sich aufgebaut hatte. Zwar hatte er einen Geldgeber, Baron Hirsch, der bedeutende Mittel in seine neue Zeitung steckte, doch es war zu wenig. Auch Baron Leitenberger, ein wütender Gegner der Antisemiten, beteiligte sich, doch auch ihm wurde „das Fass ohne Boden“ zu viel. Baron Hirsch, ein jüdischer Finanzier und Großindustrieller wurde Szeps wahrscheinlich vonKronprinz Rudolf vermittelt, der ja für seine eigenen Unternehmungen, sei es sozialer, karitativer oder privater Art, Geld brauchte, er selber hatte ja kein eigenes Vermögen.

Szeps war es auch, der die Bekanntschaft Kronprinz Rudolfs mit Georges Clemencau vermittelte. Immerhin gab es da Familienbande. Seine jüngere Tochter Sophie heiratete den Bruder des„Tigers“.

Clemencau soll auch einmal anlässlich eines Wien-Besuches zu Rudolf in die Hofburg geschleust worden sein. Wie immer, sehr spät abends, alles sehr geheimnisvoll. Rudolf bewunderte Frankreich grenzenlos und soll sich einmal dahingehend geäußert haben, dass er, sollte es mit dem Kaisertum Österreich- Ungarn bergab gehen, er am liebsten nach Frankreich auswandern würde und sich der dortigen Regierung zur Verfügung stellen würde. Starker Tobak für einen Kronprinzen.

Durch diese ganzen Aktivitäten, die selbst in die ausländischen Botschaften drangen, wurde besonders Deutschland aufgeschreckt, Bismarck wetterte, ließ unzählige Artikel im „Berliner „Börsen Courier“ gegen den österreichischen Kronprinzen verbreiten und der deutsche Botschafter in Wien, Prinz Reuss verfasste Dossier um Dossier über den Kronprinzen, angefangen von seinen politischen Äußerungen, bis zum zu den privatesten Dingen, was beweist, dass man in der deutschen Botschaft sich sehr wohl der Konfidentenberichte über Rudolf, die alle bei Baron Krauß, dem Polizeiminister und Graf Taaffe landeten, bediente. Bismarck sah den Pakt Deutschland Österreich-Ungarn durch Rudolf gefährdet.Nur Kaiser Franz Joseph blieb ruhig, obwohl er gerade den deutschen Botschafter sehr oft empfing. „Der Rudolf plauscht schon wieder.....“ , hieß es lapidar.

Moritz Szeps war, wie er und seine Tochter Berta nach der Mayerling Tragödie versicherten, in der Nacht bevor Rudolf nach Mayerling aufbrach, also am 27. 1. 1889 noch bei Rudolf. Der Kronprinz hatte ihn holen lassen, um mit ihm die bevorstehende ungarische Wehrgesetznovelle zu besprechen.

„Der Kronprinz war dabei sehr nervös, fahrig, aber sonst wie immer, klar in seinen Ansagen, liebenswürdig, höflich und charmant. „Rudolfs Helfer bei den Geheimaktivitäten waren vor allem Leibkammerdiener Karl Nehammer,dem Rudolf total vertraute und der Fiaker Bratfisch oder „Nockerl“ wie sein Spitzname hieß.„Nockerl“ deshalb, weil er klein und gedrungen war, wie ein Nockerl eben.

Bratfisch war einer der nach Schloss Orth an der Donau eingeladene Sänger und Kunstpfeifer, die mit den damals sehr berühmten Schrammeln (Musikerquartett) auftraten. Im ganz privaten Rahmen, sogar die Kronprinzessin und einige ausgesuchte Freunde waren mit von der Partie, wurde gesungen, gespielt, gepfiffen, getafelt und eher wenig Alkohol getrunken. Die adelige Zuhörerschaft war totalbegeistert. Kronprinz Rudolf so heftig, dass er Bratfisch sogar angeblich das Du- Wort antrug. Bratfisch sollte nach einer berühmten Melodie von Josef Schrammel einen selbstverfassten Text Rudolfs zum Besten geben. Nur er streikte. „Dös is a Schrift, meiner Seel, de kann ma' net' lesen..“, der Kronprinz war über soviel Unverblümtheit entzückt. Man kann durchaus sagen, dass der Siegeszug der Schrammeln auch durch Kronprinz Rudolfs Vorliebe für diese Art von Musik zustande kam.


Die Mayerling-Katastrophe: So war es - war es so?

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