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Barbara kniete neben Hartmann Baumann im feuchten Straßengraben und hob seine Augenlider an. Der junge Lehrer war nicht bei Bewusstsein, aber er lebte. Ein schwacher Hauch Bierdunst umgab ihn.

»Und, wie lange gebt Ihr ihm noch?«, hörte sie Margarete Herwart, die mit einigen anderen nahebei stand, höhnisch fragen.

Es hatte wohl rasch die Runde gemacht, dass ein Verletzter am Ortsrand gefunden worden war. Da ließen die Maulaffen nicht lange auf sich warten. Barbara ärgerte sich über die Herwartin, achtete indes nicht auf sie. Vorsichtig drehte sie den Kopf des Lehrers zur Seite, um die Wunde zu betrachten. In seinem Nacken klebte eingetrocknetes Blut. Unterhalb des linken Ohres zog sich ein fingerlanger Schnitt oder Riss waagrecht bis unter die hellbraunen Haare.

»Ihr braucht jemandem doch nur in die Augen zu sehen und wisst, wie lange er noch zu leben hat«, setzte Margarete nach. Es klang, als gäbe sie keinen Pfennig auf diese Gabe, fürchte sie insgeheim aber doch.

Barbara blickte über die Schulter zu ihr empor und sagte kühl: »Es nimmt mich wunder, dass Ihr so kaltschnäuzig daherredet. Kümmert es Euch gar nicht, ob der Freund Eures Sohnes sein Leben aushaucht?«

Die Fünfzigjährige zog die Mundwinkel nach unten. Auf ihren Wangen zeigten sich rote Flecken, sie fasste sich in einer nutzlosen Geste an das schwarze Barett, das eine rote Perlenschnur schmückte, der einzige Zierrat, den die Bürgerfrau sich zugestand, und fauchte: »Lasst meinen Sohn aus dem Spiel! Und hört auf, mich so anzusehen. Mir jagt Ihr damit keine Angst ein!«

»Ihr könnt mich mal!«, entgegnete Barbara und wandte sich wieder dem Verletzten zu. Ihr Herz klopfte, sie war wütend. Giftmaul!, dachte sie.

»Man sollte besser einen Arzt rufen«, bemerkte Margarete spitz.

Barbara erhob sich. Die Herwartin trat einen Schritt zurück, straffte die Schultern.

»Frau Herwart«, sagte Barbara, »was ich tue, tue ich nach bestem Wissen. Wenn Ihr den Arzt für den Lehrer bezahlen wollt, so lasst nach ihm schicken.« Sie bemühte sich, mit fester Stimme zu sprechen, doch sie wusste, ihr Ärger war nicht zu überhören.

»Frau Herwart, bis wir den Studierten aus Schwetzingen geholt hätten – wer weiß, was da mit Baumann wäre.«

Gemurmel und Kopfnicken zeigte an, dass man Bauer Reinhardt zustimmte. Margarete Herwart kniff die Lippen zusammen und erwiderte nichts. Wie wenig Friedgard von dir hat, dachte Barbara. Sie musste immer an den Sohn denken, wenn sie die Mutter sah. Sie wandte sich von Margarete ab und fragte Reinhardt: »Ist jemand unterwegs, eine Trage beizuschaffen? Wir müssen ihn in seine Wohnung bringen.«

»Was denkt Ihr, Heilmännin, er ist überfallen worden, nicht wahr?«, fragte Kaufmann Gundt.

Barbara fuhr sich mit dem Handrücken unter der Nase lang. Das war genau das, was sie vermutete. Eine solche Wunde zog man sich nicht bei einem Sturz zu. Aber wer sollte den harmlosen Lehrer derart verletzen? Und warum? Der junge Mann besaß doch nichts. Freilich, Diebsgesindel mordete auch schon wegen ein paar Kreuzern. Sie zuckte die Schultern. »Vielleicht kann er uns Aufschluss geben, wenn er wieder zu sich kommt.« Und zu einem Knaben, der mit offenem Maul dastand, sagte sie: »Lauf und schick den Bader zu Baumanns Wohnung.«

»Des war’n bestimmt die Hexen!«, wisperte der Junge.

»Dummes Zeug! Geh, lauf!«, erwiderte Barbara und drehte ihn an der Schulter in Richtung Ort.

»Nimmt mich nicht wunder, dass Ihr diese Möglichkeit außer Acht lasst«, giftete Margarete Herwart. »Gottesfürchtiges Volk meidet den Kirchgang nicht.«

Es reicht, und wenn du hundertmal die Frau eines Amtmannes bist, dachte Barbara. Sie wandte sich Margarete zu. Barbara zwang sich zu einem honigsüßen Lächeln. »Ihr seid entsetzt wie wir alle, Ihr zittert ja. Vielleicht solltet Ihr Euch dieser feuchten Kühle nicht länger aussetzen, wo Ihr doch zu einer empfindlichen Blase neigt.«

Margarete schluckte. »Habt ihr gesehen wie sie mich ansieht!«, keifte sie und drehte sich zu den Umstehenden. »Sie will mir den Teufel in den Leib hexen mit ihrem starren Blick!«

»Frau Herwart …«, mahnte einer aus dem Unterdorf, doch weiter kam er nicht, denn Margarete kreischte mit schriller Stimme: »Gottlose Personen gibt es nicht nur in Herrnsheim und anderswo! Auch bei uns wüten sie, doch niemand will das wahrhaben! Oh, wir werden alle Gottes Verdammnis anheimfallen, wenn wir das Pack nicht ausrotten!«

Betretenes Schweigen folgte. Barbara merkte, wie sprachloser Schrecken sich zu ihrer Wut gesellte.

Erleichtert rief jemand: »Der Zentgraf kommt!« Man ruckte die Köpfe.

Barbara bezwang ihre Erregung. Sie brauchte für das hier einen klaren Kopf. Sie sandte Margarete genau jenen Blick, vor dem diese sich fürchtete. Zufrieden sah sie, wie sie zurückwich.

Schon stapfte Johannes Zahn heran. Gewaltig, breitschultrig und mit wehendem dunkelbraunem Umhang. Hinter den grellfarbenen Straußenfedern auf seinem Barett hüpfte der kantige Hut des Ortsbüttels auf und nieder. Heinz Maurer, genannt Schockelheinz, war alles andere als schmächtig, dennoch verschwand seine Gestalt halb hinter dem Hünen.

»Was ist geschehen?«, fragte Zahn im Amtston und baute sich vor den Leuten auf wie ein Bär. Er warf einen raschen Blick auf den verletzten Baumann und sah dann Barbara an. Wiewohl um die fünfzig, strotzte er nur so vor wuchtiger Kraft. Sein Haar wallte ihm noch immer dunkelbraun über die Ohren, wo er sich rasierte, schimmerte es schattig von nachsprießendem Barthaar.

»Lebt er?«, fragte er sie.

Barbara nickte.

»Hat Gäßler ihn gefunden?«, wollte Zahn wissen und blickte umher.

»Gäßler?«, schnaubte der Kaufmann verächtlich. »Der würde doch nicht mal den Leibhaftigen bemerken, selbst wenn der sich ihm breitbeinig in den Weg stellte! Bauer Geiß hat ihn da liegen sehen.«

»Wo ist Geiß?« polterte Zahn.

»Treibt sein Vieh zur Sommerweide. Er klopfte beim Gundt« – Reinhardt zeigte auf den Kaufmann, dessen Haus das letzte am Ortsausgang nach Reilingen war, und der darin ein Ladengeschäft betrieb, in welchem er allerlei Besatzware wie Litzen, Borten, Bänder und Quasten feilbot – »der holte den Schockelheinz.«

Der Schockelheinz nickte eilfertig bei diesen Worten. »Und ich fand dann Euren Hengst, wie ich Euch schon sagte«, gab er sich emsig.

Zahn fuhr gebieterisch mit dem Arm durch die Luft. »Heilmännin!«

Barbara zuckte unter dem harschen Ton zusammen.

»Was ist ihm widerfahren?«

Zahn tat zwei Schritte auf sie zu, sofort stieg ihr sein saurer Leibgeruch in die Nase. Unauffällig, wie sie hoffte, trat sie etwas zur Seite.

»Er hat eine fingerlange Wunde im Nacken. Der Bader muss sie womöglich nähen. Das sehe ich erst, wenn der ihn auch rasiert hat.« Sie atmete flach, kämpfte mit dem Ekel.

»Unfall?«

Barbara zuckte die Schultern. »Vielleicht ist er gestürzt«, entgegnete sie.

Zahn musterte sie mit durchdringendem Blick. »Sagte er etwas?«

»Als ich kam, war er nicht bei Bewusstsein.«

Zahn trat näher, beugte das Knie und betrachtete den Verletzten aus der Nähe. Er tastete dessen Brustkorb ab, drehte den Lehrer vorsichtig hin und her. »Wo sind seine Sachen?«, fragte er, ohne aufzusehen.

»Welche Sachen, Zentgraf?«, fragte Gundt.

»Hatte er nichts bei sich?«

Pferdegetrappel wurde laut, alle sahen auf.

Schultheiß Würth sprengte herbei. Er griff dem Tier hart in die Zügel, so dass es den Kopf in die Höhe warf und schnaubend zum Stehen kam. Auch Agnes Zahn, die Tochter des Zentgrafen, war auf dem Weg zu dem Unglücklichen, der Schultheiß hatte sie überholt. Er sprang behände ab, streichelte seinem Gaul entschuldigend über die Nüstern und warf dem Nächststehenden die Zügel zu.

Schultheiß Nicklas Würth ging wohl auf die vierzig zu, ein spitzer, dürrer Mensch bis hinauf zum sorgfältig gestutzten, rötlich-goldenen Spitzbärtchen und der scharf gebogenen Raubvogelnase. Er hüllte seinen kleinen spitzen Leib gerne in gülden-rötliche Stoffe, die meisterhaft zu seinem kupfernen Haar passten. Sorgfältig zog er sein lohfarbenes Barett zurecht, das ihm beim scharfen Ritt verrutscht war. Es war wie stets mit drei grauen Reiherfedern geschmückt, die sich gut mit dem Kieselgrau seiner Augen vertrugen. Des Schultheißen Vorliebe für alles Sonnenrote gipfelte in dem goldenen Ring mit dem leuchtend orangenen Karneol, den er am kleinen Finger der linken Hand trug.

Er trat heran, und während man ihn ehrerbietig grüßte, machte Zahn keine Anstalten dazu. Er sah nicht einmal auf, sondern hielt das Gesicht des verletzten Lehrers in seiner Pranke als genüge dies bloße Berühren, um ihn wieder zu Bewusstsein zu bringen. Tatsächlich gab Baumann ein leises Stöhnen von sich.

Barbara hörte, wie der Zentgraf leise murmelte: »Wieso hier?«

Erst dann erhob er sich, um dem Schultheiß entgegenzutreten. Aber auch jetzt grüßte er diesen nicht, sondern sagte schroff: »Liegt wahrscheinlich noch nicht lange hier. Gäßler hätte ihn sonst bemerken müssen.«

Nicklas Würth wünschte Zahn einen guten Morgen. In beiläufigem Ton, der verdeutlichte, dass er die Gebote der Höflichkeit nicht missachtete. Barbara senkte den Kopf, damit niemand ihr Schmunzeln sah, das sie trotz der ernsten Lage nicht unterdrücken konnte. Ihr gefiel Würths tiefe, wohltönende Stimme, die so sehr im Gegensatz zu seiner körperlichen Erscheinung stand. Und wenn sie, wie eben, mit spöttischer Herablassung gegen Zahn gespickt war, gefiel sie ihr noch mehr. Der Schultheiß nickte ihr einen Gruß zu, Barbara erwiderte ihn mit ebenso raschem Nicken. Dann trat er zu dem Verletzten.

Zahn, neben Würth ein Bär, der auf einen kleinen spitzen Vogel herabschaut und sich anschickt, diesen mit einem Prankenhieb zur Seite zu fegen, blaffte: »Die blutige Wunde ist ein Fall für die Zent. Lasst mir den jungen Herwart holen, damit er die Sache protokolliert!«

Mit dem jungen Herwart war Friedgard gemeint, Margaretes Sohn und Gerichtsschreiber, dem Schultheiß zur Seite gestellt und verantwortlich für den Schriftverkehr mit der kurfürstlichen Kanzlei in Heidelberg. Barbara sah, dass Margaretes Züge sich bei der Erwähnung ihres Sohnes entspannten. Sie war sicher einmal schön gewesen, und diese sanfte Schönheit, die Pfirsichhaut, mit der die Ältere noch immer gesegnet war, hatte sie an Friedgard weitergegeben.

»Ich kann das tun«, rief Agnes Zahn aufgeregt dazwischen. Sie hatte die Ansammlung erreicht, war vom raschen Gehen außer Atem und hielt sich die rechte Seite. Bittender Eifer stand in ihrem Gesicht, ihre dünne, brüchig wirkende Gesichtshaut mit dem zarten Flaum feinster Härchen schimmerte rosa.

Zahn bedachte seine Tochter mit einem missbilligenden Blick und polterte: »Das ist nicht deine Sache! Maurer wird das übernehmen.«

Fügsam senkte Agnes den Kopf. Aber Barbara bemerkte die zusammengepressten Lippen.

Würth wandte sich an den Zentgrafen. »Selbstverständlich soll protokolliert werden. Doch wollt Ihr dies sicher nicht hier draußen tun. Es nieselt.« Er lächelte Zahn an, als habe er einen Dummkopf vor sich. »Wäre schade um das teure Papier.«

Zahn blaffte den Ortsbüttel an: »Der Gerichtsschreiber soll in Baumanns Wohnung kommen und jedes Wort festhalten, wenn er wieder zu sich kommt! Wir müssen eine Untersuchung anordnen!« Er scheuchte Maurer mit einem Armschlenker von dannen.

»Und Baumann braucht Hilfe!«, wagte Barbara einen Zwischenruf. Es missfiel ihr, dass man Zeit mit Geschwätz zubrachte, statt den Lehrer endlich in seine Wohnung zu schaffen, zumal der Regen heftiger wurde.

»Ihr habt recht, Heilmännin«, sagte Würth und nickte, »Schafft Baumann fort.«

Eine Trage wurde gebracht und neben Baumann abgesetzt. »Seid vorsichtig,« sagte Barbara zu Reinhardt und Gundt, »wir wissen nicht, ob er nicht auch etwas gebrochen hat.«

Sie bemerkte den Blick, mit dem Zentgraf Zahn den Verletzten bedachte. Angespannt. Vorwurfsvoll. Etwas quälte Zahn. Ihr fiel ein, was er zuvor gemurmelt hatte: ›Wieso hier?‹ Was hatte das zu bedeuten?

Die Ankunft von Reitern aus Reilingen zerstreute ihre Gedanken. Barbara blickte flüchtig zu ihnen hin. Königsleute. Vier Mann in dunklen Umhängen, auf ihren breitkrempigen Hüten leuchteten weiße Federn, zerdrückt vom Regen. Sie grüßten. Einer fragte, ob Hilfe benötigt wurde. Ein Großer mit dunklem Haar und Augen, schwarz wie die Nacht. Und mit dunklen Linien am unteren Lidrand als hätte er sich Kohle aufgestrichen.

Barbara kannte weder ihn noch die anderen. Wie die meisten im Ort hatte auch sie nichts mit den Königsleuten zu schaffen. Die Bauernkrieger um Schloss Wersau blieben gerne unter sich. Sie nickte nur flüchtig zum Gruß, dann fasste sie vorsichtig Baumanns Schulter, um Reinhardt und Gundt zur Hand zu gehen, die den Verletzten auf die Trage hievten. Der Große mit den schwarzen Augen war auf einmal neben ihr. Er fasste den Verletzten vorsichtig um die Körpermitte und zog ihn vollständig auf die Trage.

»Was ist ihm widerfahren?«, erkundigte er sich.

Da Reinhardt und Gundt Barbara anblickten, sah auch der Königsmann ihr ins Gesicht. Barbara gewahrte die feinen Fältchen seitlich seiner nachtschwarzen Augen, da er sie freundlich anlächelte. Er mochte etwa so alt sein wie sie selbst, Mitte der dreißig. Ein stattlicher Mann. Mit höflicher Anteilnahme erwartete er die Antwort.

»Das wird er uns hoffentlich sagen, wenn er wieder zu sich kommt«, entgegnete sie.

»Ihr seid heilkundig?«

»Heilmännin«, unterbrach Zahn, »es ist keine Karre hier, um Euch mitzunehmen, seht zu, dass Ihr mit den anderen Schritt haltet!« Der Königsmann erbot sich, sie auf seinem Pferd mitzunehmen. Sie lehnte ab, nickte als Gruß und eilte hinter den beiden Männern mit der Trage her.

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