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Barbara Heilmann schlüpfte durch die Tannen, die ihren Garten auf der Nordseite begrenzten. Der Garten besaß keinen eigenen Zugang, war nur vom Haus aus zu betreten, doch zuweilen zwängte sie sich aus Faulheit oder weil sie Lust hatte, einen anderen Weg zu nehmen, durch die Tannenzweige. Gerade eben war jedoch Gäßler der Grund. Sie hatte seine Leuchte am Durchgang des Dorfzaunes gesehen, war vom Weg abgeschwenkt und hintenherum durch den Garten heimgekehrt. Sie mochte es nicht, jemandem zu begegnen, wenn sie im Morgengrauen nach Hause kam. Erst recht nicht Gäßler.

Sie war die halbe Nacht im Wald gewesen. Sie fror, der Umhang war klamm. Durch die Hintertür betrat sie die Küche, warf die Leinenbeutel mit der nächtlichen Ausbeute auf den Tisch und entzündete ein Talglicht. Nachdem sie Feuer entfacht und einen Topf mit Wasser auf den Herd gestellt hatte, leerte sie die Beutel. Ein Häuflein Bibernellenwurzeln. Sie blies sich einen kastanienbraunen Haarstrang aus dem Gesicht und fuhr prüfend mit dem Daumen über die wurmschmalen Dinger. Das waren zu wenige und sie waren zu klein. Zudem waren sie von Wurzelfäule befallen.

»Na! Du machst ein Gesicht als hättest du Spinnen gefressen!« Die knarzige Stimme ihrer Mutter durchbrach die morgendliche Stille. Sie stand in der Tür der Schlafkammer, im Nachtgewand, barfuß und mit zerwühltem Haar.

»Erschrick mich nicht so!«, murrte Barbara.

Katharina Großhans räusperte sich die Morgentrockenheit aus dem Hals und schlurfte zum Küchentisch heran. »Du lieber Gott, das sieht aber net gut aus!«, stellte sie nach einem Blick auf die Bibernellenwurzeln fest. Barbara erwiderte nichts und griff nach dem Messer, um die Ausbeute der Nacht zu bearbeiten.

Das Feuer begann zu prasseln und vertrieb die feuchte Kälte aus der Küche. Ihre Mutter neigte sich über die Holzbank an der Wand hinter dem Küchentisch, gab Schreihals einen Schubs und ließ sich auf die Bank plumpsen, dass diese knackte. Wohlig setzte sie sich auf dem von der Katze vorgewärmten Platz zurecht. Auf ihrem Gesicht lag ein Grinsen. Sie zog die Backen hoch und das weiße Haar, das rechts von ihrer Oberlippe waagrecht in die Luft stach wie ein einzelnes Spinnenbein, bewegte sich auf und ab. Schreihals warf ihr einen empörten Blick zu, schüttelte den Kopf und leckte dann zweimal mit festem Kopfnicken den Hals hinunter. Sie drehte der Alten den Rücken zu, dann rollte sie sich neben ihr zusammen, ein rotweiß-schmutzgraues Fellknäuel.

»Na«, machte Katharina und hob den Blick.

Barbara schmunzelte. Das Gerangel um diesen Platz war ein altes Spiel zwischen ihrer Mutter und Schreihals. War ihre Mutter in Laune, ihren Platz zu behaupten, verlor die Katze. War sie süßlich gestimmt oder stolz auf eine erfolgreiche Mäusejagd Schreihals’, war sie gewillt, auf die zweite Bank unter dem Fenster auszuweichen.

Barbara wies mit dem Messer auf die dunklen Verfärbungen an den Wurzeln. »Wurzelfäule. Muss ich alles wegschneiden! Der Mond ist so gut wie voll, ich hatte mehr erhofft.«

»Wo warsch?«

»Hardtwald. Richtung Haustücker, Unterfeld.«

Katharina gähnte, zog die Schultern hoch und schüttelte sich wie zuvor Schreihals.

»Machst jetzt Aufguss statt Tinktur?«

»Was bleibt mir übrig? Für die Tinktur hätte ich mehr gebraucht.«

Im Alkohol hätten sich die heilsamen Kräfte der Wurzel besser gelöst. Auch sorgte der für gute Haltbarkeit. Jetzt musste sie einen Aufguss ansetzen. Und jenen, die Husten hatten und Brustreißen, morgen noch einmal einen Kaltwasserauszug bringen. Was hieß, sich deren Gejammer ein zweites Mal anhören und sich ermutigende Worte abpressen. Sie hasste es. Dass sie nämlich einerseits für Heilung sorgte – soweit es in der Kräuter Macht stand –, andererseits jedoch nicht wirklich Teilnahme am Schicksal der Menschen aufbringen konnte. Nicht mehr.

»Dem Senfkorn und der Fitterling bringe ich einen Aufguss«, zählte sie ihrer Mutter vor, die sie noch immer erwartungsvoll ansah. »Der Offenloch aber hustet Schleim, dem werd ich noch Thymian beigeben. Vielleicht finde ich kommende Nacht weiter östlich einigermaßen trockene Wiesen mit Bibernelle. Aber bei dem Dauerregen …«

»Regnet’s?«, fragte Katharina, drehte den Kopf und sah zum hinteren Fenster hinaus. Im grauen Morgenlicht konnte man am Gewirr der fast noch kahlen Äste den Ansatz hellgrüner Blättchen erkennen, wie ein von Riesen gefertigtes Netz, in dem kleine grüne Federn hingen.

»Gerade nicht, aber’s müht sich mit dem Tag werden,« erwiderte Barbara.

»Sieht aus als hätte jemand einen Aufguss aus Galläpfeln verschüttet,« deutete Katharina den trüben Himmel.

»Scheint sich auch dieses Jahr einregnen zu wollen. Viele sind krank. Gliederreißen, Melancholie. Kein Kraut sprießt. Wenigstens ist die Birkenrinde brauchbar.« Barbara wies mit dem Messer auf die Rinden, die sie in den Weidekorb neben der Hintertür geworfen hatte. Ein zweiter Korb daneben verwahrte allerlei Leinensäckchen. Einen Teil der Rinden behielt sie für Heiltränke. Ein durchfahrender Händler kaufte ihr den Rest ab und veräußerte diesen an Gerber in Schwetzingen und Heidelberg. Barbara kratzte an einer Wurzel herum und warf sie anschließend auf den Haufen zu den bereits gesäuberten.

Ihre Mutter beobachtete ihr Hantieren mit Messer und Wurzeln und sagte: »Was gesprossen war, hat der Frost erfrieren lassen. Hätt’s wenigstens geschneit. Dann hätten die Pflänzchen überleben können.«

Barbara merkte, der Blick ihrer Mutter folgte jeder abgeschabten Wurzel. Sie beobachtet mich wie Schreihals einen Käfer beobachtet, der hin und her krabbelt, dachte sie. Und wenn ihr auch noch links ein so langes Barthaar wächst wie auf der rechten Seite, so sieht sie auch bald so aus wie Schreihals. Die aschgrauen Stellen in ihrem weiß werdenden Haar sind wie die aschgrauen Flecken im rot-weißen Fell der Katz. Und obwohl sie es nicht mochte, derart beäugt zu werden, belustigte sie diese Vorstellung und sie musste schmunzeln. »Geh dich anziehen, Mutter!«, sagte sie und spürte selbst die Wärme, die in ihrem Ton mitschwang. »Die Geiß meckert schon und die Hühner rufen nach dir.«

»Die Hühner! Es regnet ihnen ins Stroh, das mögen sie net. Drängen sich in der Ecke zusammen, legen weniger Eier und verlangen ein wasserdichtes Dach. Matthias muss endlich kommen!«

Matthias, ihr ein Jahr älterer Bruder, hatte versprochen, noch vor Georgi das Loch im Dach des Schuppens auszubessern. Aber bis jetzt war er noch nicht da gewesen. Barbara nahm ihn in Schutz: »Er muss seine eigenen Dinge in Ordnung bringen, bevor die Fron losgeht. Er wird schon kommen.«

Matthias hatte ins Nachbardorf Reilingen geheiratet und besaß dort einen kleinen Hof. Wenn seine Arbeit es erlaubte, halfen sowohl er als auch seine Frau Gundel und die Kinder Hedwig und Michel ihnen im Haus, Garten und auf der Hube. Wurde die Arbeit im Frühjahr und Herbst jedoch gar zu viel, beschäftigten sie zuweilen auch einen Tagelöhner. Der packte gegen Kost und Lager mit an, wohnte dann in der Stube im ersten Stock, die über die Außentreppe im Garten zu erreichen war.

»Na«, machte Katharina, was bei ihr alles heißen konnte.

Dieses Na mochte bedeuten: »Mal sehen, ob das vor dem Sommer noch was wird mit dem Dach.«

Nach kurzem Schweigen fragte sie: »Leute gesehen auf dem Heimweg?«

»Warum?«, wollte Barbara wissen.

»Na.«

»Ich war im Wald, Mutter. In der Nacht. Da laufen nicht gerade viele Leute herum.«

»Man wär bereit, die Obrigkeit um Untersuchung anzugehen, was die vielen Unwetter anlangt. Hat mir die Schwechheimerin vor zwei Tagen erzählt, als ich wegen ihrem offenen Bein bei ihr war.«

Barbara sah ihre Mutter verwundert an. Katharina schob die Unterlippe vor.

»Deshalb hätte mir wer begegnen sollen?«, fragte sie.

»Na!«, machte Katharina. Es klang unzufrieden, da Barbara sich so begriffstutzig zeigte. »Die Schwachköpfe wollen ernst machen und untersuchen, wer’s Wetter verhext.«

Barbara fragte sich, worauf ihre Mutter hinaus wollte. Katharina wusste so gut wie sie, dass es in ihrer Heimat als erwiesen galt, dass Unwettermachen durch Menschenhand nicht möglich war. Katharina sagte. »Die Schwechheimerin hatte eine Flugschrift. Da war eine abgebildet, wie sie Wetterzauber auf der Flur macht. In einem Kessel, aus dem Brodem aufsteigt.«

Barbara sah nicht auf. Irgendwelche Flugschriften waren ihr so gleichgültig wie das Geschwätz der Schwechheimerin. Was hatte sie mit dem zu schaffen? Sie ließ die Leute in Ruhe und wollte von ihnen in Ruhe gelassen werden. Sie erwarteten von ihr ein Kraut bei ihren Gebrechen, und das bekamen sie. Damit genug.

Dass es seit Jahren so verregnet und eisig war, die Kälte sich bis weit ins Frühjahr hinein hielt, das Getreide auf den Fluren vom Hagel zerschlagen wurde, das ging nicht mit rechten Dingen zu, sagten die Leute. Sie sagten, eine Hexensekte sei für das Widernatürliche in der Welt verantwortlich. Der Teufel rotte sich mit seinen Helferinnen zusammen, um den Menschen zu schaden, sie von Gott und dem rechten Weg abzubringen. Welch unsinnige Vorstellung, jemand könne Wetter machen! Gott sei Dank glaubte man das hier in der Kurpfalz nicht. Außer natürlich die Schwechheimerin und einige andere Weiber.

»Geschwätz!«, entgegnete sie deshalb. »Wollen sich doch nur um die Abgaben drücken! Es verbietet’s Gesetz einen solchen Glauben. Es besagt, der Teufel hat nicht die Macht, Wetter zu machen. Erst recht kein Mensch.« Mit raschen Bewegungen schnitt sie eine Wurzel nach der anderen in kleine Stücke.

»Was die Leute glauben und was das Gesetz ihnen befiehlt zu glauben, Tochter, sind ebenso zweierlei Wesen wie Regen und Sonnenschein. Vergiss net, dass sie auch über dich tratschen.«

»Pah«, machte Barbara und erhob sich. Die letzte Wurzel landete klein geschnitten im Topf. »Luftgeplärr!«

»Die Elli sagt, im Wirtshaus reden sie«, ließ ihre Mutter sich nicht beirren.

»Elli ist eine dumme Schnattergans.«

»Sie sagt, die hohen Herren steigen dort ab, da würde sie so einiges hören.«

»Auch die hohen Herren scheißen wie alle!« Aus einem braunen Steingutkrug goss Barbara kaltes Wasser über die Wurzeln und schob den Topf an den Rand des Eichentisches. Sie stemmte die Arme in die Seiten und sah die Mutter herausfordernd an. »Gott ist für uns, drum kannst du, Teufel, uns schaden nicht ein Haar. So sagt der Katechismus.«

»Weil du dich so viel um den Katechismus kümmerst!«

»Niemand kann Unwetter machen!«

Katharina stützte die Hände auf den Tisch und zog sich in die Höhe. »Manchmal wünschte ich, ich könnt’s.« Sie beugte sich zur Katze hinunter und ergänzte: »Hier und da zwei Handvoll Mäuse auf die Flur der aufgeblasenen Wichtigtuer plumpsen lassen, was meinst du, Schreihals? Fette Mäuse?« Sie verzog das Gesicht zu einem schiefen Grinsen, das Barthaar zuckte. Schreihals erhob sich ebenfalls, machte einen Buckel und blinzelte Katharina an. Katharina schlurfte Richtung Schlafkammer.

»Ich gebe jetzt die Hirse rein«, sagte Barbara, griff nach der Holzkelle und schöpfte Hirse aus dem Sack, der in einer gezimmerten Kiste neben dem Herd stand. Zwei andere lagerten dort ebenfalls, in welchen sie Hafer und Spelz aufbewahrten. Sie überlegte, ob Mutter wohl recht hatte mit dem, was sie zuvor gesagt hatte. Dass man die Amtsleute um Untersuchung angehen wolle. Sie gab das Getreide in das kochende Wasser. Nein, Schultheiß Würth würde das zu verhüten wissen, da war sie sicher. Er hielt nichts von dem dummen Aberglauben. Er war ein rechtschaffener, gebildeter Herr. Barbara nahm einen Scheit Holz vom Stapel, der zwischen Herd und hinterem Eingang aufgeschichtet war. Das Ofentürchen quietschte sanft, als sie es öffnete und schloss. Gewissenhaft prüfte sie den eisernen Haken, ob er sich auch richtig einhängte.

Ein lautes Poltern an der Haustür ließ sie zusammenzucken. Katharina, die eben in die Kammer verschwinden wollte, machte einen Schritt auf die Tür zu, als diese auch schon aufgestoßen wurde und eine junge Magd derart ungebärdig hereinstürmte, dass das Stroh auf dem Boden einen halben Klafter weit in den Raum hinein wirbelte.

»Schnell!«, schrie die junge Frau mit weit aufgerissenen Augen. Sie legte ihre Hand auf den Busen wie jemand, der sein Herz beruhigen möchte, und wies mit dem anderen Arm zur Tür hinaus.

»Morgen, Elli«, grüßte Barbara mit Nachdruck.

»Kommt schnell, Heilmännin«, rief Elli atemlos. Ihre Backen, auch sonst recht gut durchblutet, waren vom Laufen sehr gerötet, Gestank nach Schweiß und Kochdünsten wehte mit der Magd in die Küche, ihre lange weiße Schürze hatte Flecken. Schreihals suchte mit zitternden Schnurrhaaren das Weite.

»AchGottachGott, die haben einen gefunden, droben, bei der Straße nach Reilingen, halb tot ist der«, rief Elli und hielt den Arm noch immer ausgestreckt.

»Wer?«

»Weiß nicht. War auf dem Weg zu Herwarts, als der Schockelheinz gerannt kommt und sagt, ich soll Euch holen.«

Elli, Tochter des Zollerwirts, war Magd beim Hofbereiter Herwart. Sie hatte wohl gerade ihren Dienst antreten wollen, als der Ortsbüttel sie traf und zu ihr, Barbara, schickte.

»Dann weißt du auch nicht, was ihm fehlt?«

»AchGottachGott, wie denn? Ich hab doch bloß den Schockelheinz gesehen, und der war ganz außer sich!«

»Ist gut. Ich mache mich auf den Weg. Geh zu deiner Arbeit!«

Elli nickte. Dann schlug die Tür mit lautem Krachen hinter ihr zu.

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