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Kapitel 2- Der Besucher

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Eine Woche später.

Sachsens Kurfürst Friedrich August I, seit 1703 polnischer König August II, allgemein jedoch aufgrund seiner bemerkenswerten Körperstärke nur als "`August der Starke"' bekannt, war gereizt.

Am Abend sollte das von ihm vor drei Jahren ins Leben gerufene große Sommerspektakel stattfinden, er hatte es trotz der Bedenken seiner Minister auch in diesem Jahr, in dem das Land im Krieg gegen die Schweden um die polnische Krone stand, durchgesetzt.

Es war ihm wichtig, der Welt und vor allem sich selbst zu beweisen, dass er trotz militärischer Niederlagen durchaus in der Lage war, noch immer ein solches Fest, welches weit über Sachsens Grenzen bekannt und berühmt war, durchzuführen.

Nun hielt ihm der eigens dafür eingesetzte Zeremonienmeister Graf von Wachwitz einen letzten Rapport und noch war bei weitem nicht alles so perfekt, wie es August erwartet hatte.

Er hatte einige Änderungen im Programmablauf angeordnet, noch mehr Geld dafür veranschlagt – trotz der Proteste seines Schatzmeisters. Es war ihm egal – er war der Kurfürst von Sachsen und, ein an Europas Höfen natürlich weitaus beeindruckender Umstand, zugleich König von Polen und SEIN Fest wollte er sich von niemand nehmen lassen.

Gerade ging er die weiteren Tage noch einmal mit von Wachwitz bis ins kleinste Detail durch, als an die Tür des kleinen Salons, in welchem er sich auf Moritzburg am liebsten aufhielt, geklopft wurde.

Ein Höfling kündigte die Ankunft des Fürsten von Fürstenberg an.

„Was gibt es denn?“

August drehte sich ungehalten über die Störung zu seinen Statthalter um, als dieser kurz danach selbst den Salon betrat und sich atemlos verbeugte.

Von Fürstenberg wirkte aufgelöst.

„Verzeiht mein König...“ er zögerte und suchte sichtbar nach den richtigen Worten, bevor er weitersprach.

„Wie mir gemeldet wurde, befinden sich seit wenigen Minuten zwei Schwedische Offiziere auf dem Schlossgelände. Es wird vermutet, dass es sich bei einem von beiden um Karl XII handelt...“

Er verstummte eingeschüchtert unter Augusts Blick.

„Seid Ihr neuerdings schon Vormittags betrunken???“ herrschte der ihn nun an.

„Was ist das denn wieder für eine Torheit, habt ihr alle schon eine solche Angst vor den Schweden, dass ihr sie am helllichten Tag mitten unter uns im Schloss vermutet?“

„Durchaus nicht, mein König. Aber seht doch selbst...“ unsicher zeigte von Fürstenberg zum Fenster. Wütend schritt August durch das Zimmer auf das Fenster zu, von welchem man in einen der Innenhöfe des Schlosses sehen konnte. Er blickte nach draußen und erstarrte.

Nach einer endlos scheinenden Stille sagte er schließlich, ohne den Blick von den Männern abzuwenden.

„Ihr könntet Recht haben, Fürstenberg. Zwei Schweden – was wollen die hier? Sind die lebensmüde? Was meint Ihr, sollen wir jetzt tun...?“

Der Statthalter zögerte. Als er die Meldung von den Wachen erhalten hatte, waren ihm sofort verschiedene Möglichkeiten durch den Kopf gegangen. Eine davon war besonders verlockend.

„Lasst sie festnehmen, Majestät! Der Schwede will Euch vorführen! Zeigt ihm, wie schnell Hochmut und Arroganz vor den Fall kommen können! Und außerdem...“ seine Stimme wurde sanfter „...stellt Euch vor, wie Ihr den Verlauf des Krieges nun verändern könntet! Lasst ihn festnehmen und erst wieder frei, wenn ein Waffenstillstand geschlossen wurde...ansonsten...“

Er sprach seinen Gedanken nicht zu Ende, doch August verstand natürlich, was sein Statthalter ihm sagen wollte. Dieser fuhr fort nach kurzem Schweigen mit eindringlicher Stimme fort:

„Das ist ein Fingerzeig Gottes Majestät, so eine Gelegenheit bekommt Ihr nicht mit Sicherheit wieder…!“

August schaute noch immer unbewegt aus dem Fenster.

Die gleichen Gedanken wie von Fürstenberg waren natürlich auch ihm durch den Kopf gegangen. Der Feind lieferte sich ihm geradezu selbst aus. Sollte Fürstenberg Recht haben und sich das Blatt im Verlauf dieses unseligen Krieges wirklich zu seinen Gunsten wenden, das langersehnte Glück endlich und auf so unverhoffte Weise zu ihm zurückkommen? Es war verlockend...

Aber etwas daran missfiel ihm. Es war gar zu leicht und widersprach allem, wofür er stand. Er wurde nicht umsonst „August der Starke“ genannt – ein Name, auf den er sehr stolz war, bezog er sich doch nicht nur auf seine enorme körperliche Stärke, sondern auch auf seine Persönlichkeit.

Nein, er würde den Schweden zeigen, dass sie es mit einem Herrscher mit Größe zu tun hatten, der es alles andere als nötig hatte, sich seiner Feinde auf diese Art zu entledigen.

„Nichts da“ murmelte er mehr zu sich als zu Fürstenberg, um dann lauter zu befehlen.

„Ich empfange die Schweden. Vielleicht ist es Euch ja nicht bewusst, doch Karl XII ist nicht nur mein Kriegsgegner, sondern auch gleichzeitig mein Cousin 2. Grades mütterlicherseits.“

Er drehte sich zu seinem Statthalter um.

„Wer weiß, was er im Schilde führt. Das gilt es herauszubekommen, ohne ihn gleich festzunehmen. Außerdem soll mir keiner nachsagen können, dass ich meinen Feinden nicht Auge in Auge gegenüber zu treten wage.“

Als von Fürstenberg etwas erwidern wollte, brachte er ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen.

„Ich empfange die Schweden im Großen Saal! Mehr gibt es dazu nicht zu sagen!“

Eine Viertelstunde später schritt der schwedische König auf ihn zu.

August, selbst erst Mitte 30, war überrascht über das jugendliche Aussehen seines Cousins. Er wusste, dass der Schwede 25 Jahre alt war, doch wirkte er sogar noch jünger. Während August durch eine bemerkenswerte Körpergröße und noch mehr durch seine bereits jetzt legendäre Kraft bestach, war der junge Schwede mittelgroß und schlank, ohne übermäßig kräftig zu erscheinen.

Allerdings schien er gut durchtrainiert und in seinen blauen Augen blitzten Wagemut und Lebensfreude.

Die beiden sich im Krieg gegeneinander befindlichen Könige begrüßten sich freundlich und begannen nach dem Austausch der üblichen Begrüßungsfloskeln mit einem ungezwungenen Gespräch. Schließlich hielt es August nicht mehr aus und sprach die ihn beschäftigende Frage unvermittelt aus.

„Was, mein lieber Cousin, führt Euch eigentlich so unverhofft zu mir?“

Der Schwede lachte.

„Nun, ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, es wäre nur das Interesse an einem entfernten Verwandten“

Auch August musste lachen. Zu Überraschung beider verstanden sie sich auf Anhieb prächtig.

Karl fuhr fort.

„Ich muss gestehen, das Krieg führen auf Dauer ermüdend sowie schrecklich eintönig sein kann. Da kam mir zu Ohren, dass in Kürze hier in Moritzburg eines der beeindruckendsten Feste von Europa stattfinden soll...“

Er machte eine Pause und sah seinen Cousin verschwörerisch an.

„Ich habe schon so lange kein richtiges Fest mehr gefeiert und je mehr ich darüber hörte, desto mehr wuchs in mir der Wunsch, dabei sein zu können. Da ich aus gegebenen Anlass nicht mit einer offiziellen Einladung rechnen konnte, hab ich mich einfach selbst auf den Weg gemacht...“

August brach in schallendes Gelächter aus.

„Ich muss schon sagen, mein lieber Cousin, ich bin ja schon verrückt, in Kriegszeiten überhaupt das Festival durchzuführen. Doch ich muss gestehen, Ihr übertrumpft mich noch. Wir müssen wahrlich verwandt sein, da gibt es keinen Zweifel.“

Und zu einem Höfling gewandt „Bringt uns Wein und zwar den Besten. Dieser Teufelskerl hier muss gefeiert werden.“

Er drehte sich zurück zum schwedischen König

„...und was dich angeht, mein lieber Cousin – Ihr seid natürlich für die Dauer der Festlichkeiten mein Gast und ich sichere Euch hiermit zu, dass Euch in dieser Zeit von meinen Leuten kein Haar gekrümmt wird! Keiner soll später sagen, dass der Kurfürst von Sachsen und König von Polen kein guter Gastgeber wäre!“

Nach diesen Worten reichte er dem Schwedenkönig einen der beiden Pokale, die von einem der Höflinge in den Raum gebracht wurden und prostete ihm zu.

Der Schwede stieß mit ihm an.

„Ich hätte von Dir nichts anderes erwartet, lieber Cousin. Ein Jammer, dass wir uns nicht schon zu früherer Gelegenheit getroffen haben. Ich bin mir sicher, wir hätten bereits bei ähnlichen Anlässen viel Spaß miteinander haben können und vielleicht wären dann auch die Würfel auf dem politischen Parkett anders gefallen, als sie es jetzt sind. Aber ich denke, darüber sprechen wir ein anderes Mal. Jetzt dagegen sollten wir unser erstes Kennenlernen gebührend feiern, ohne uns die Stimmung von den lästigen Pflichten verderben zu lassen! Ich danke Euch für Eure spontane Gastfreundschaft und erhebe mein Glas auf ein Fest, welches, da bin ich mir bereits jetzt sicher, seinem Namen alle Ehre machen wird!“

Beide stießen erneut mit ihren Pokalen an. August wollte nun ausführlich von seinem Gast wissen, welche positiven Dinge genau er von seinem Hof sowie seinem Festival gehört hatte und Karl berichtete von all den Anekdoten und Legenden, von denen er wusste, dass sein Cousin sich freuen würde, sie zu hören. Er beendete seine Worte mit dem Satz:

„Und besonders beeindruckend sollen die Frauen am sächsischen Hof sein. Ich bin nun allerdings nicht sicher, ob es sich hier um eine Legende handelt, aber mir wurde berichtet, dass man sich insbesondere für das nun stattfindende Festival aus einer Reihe von jungen Damen eine als Begleitung für das Fest auswählen darf?“

Erneut lachte August laut auf und schlug sich vor Begeisterung auf die Schenkel.

„Mir scheint, Ihr seid mir noch viel ähnlicher als vermutet......das Euch dieses Gerücht interessiert, glaube ich Euch gern“

Er kicherte vor sich hin.

„Doch ich muss Euch enttäuschen, denn wenn an meinem Hof auch vieles möglich ist, dass entspricht jedoch nicht der Wahrheit.“ Er legte seinem Gast jovial die Hand auf die Schulter.

„Aber nun macht nicht so ein enttäuschtes Gesicht! Für Euch als ausländischen Gast und damit mit unseren Bräuchen am Hof nicht so vertraut, mache ich natürlich gern eine Ausnahme....ich werde Euch die jungen unvermählten Damen am Hof vorstellen und ja, diejenige, die Euch am besten gefällt, soll Euch während des Festivals als Begleiterin zur Seite stehen...“

Er zwinkerte Karl zu und hob spielerisch drohend den Zeigefinger „Aber das mir nachher ja keine Klagen wegen ungehörigen Benehmens kommen, die Damen hier an meinem Hofe sind verwöhnt...“

Karl grinste.

„Auch wenn wir im Norden zugegebenermaßen ein etwas bescheideneres Leben führen als Ihr hier in Sachsen, so sind wir doch über die gängige Etikette auf dem Laufenden. Ich verspreche Euch, Ihr werdet keine Beschwerden hören.“

„Nun, dann wollen wir doch keine Zeit verlieren, ich muss gestehen, jetzt bin ich doch sehr gespannt, was Ihr zu unseren sächsischen Mädchen sagen werdet und vor allem, ob Ihr mir auch in der Beziehung ähnlich seid – ich bin wirklich neugierig auf Euren Geschmack! Also auf zur Tat!!!“

August winkte den bereitstehenden Höfling herbei.

„Alle unverheirateten Damen des Hofes sollen in spätestens 30 Minuten im Jagdzimmer versammelt sein...“

Beim Namen des Zimmers zwinkerte er Karl erneut zu.

„Und wenn ich sage, alle, dann meine ich das auch – also alle ausnahmslos – unser Gast soll aus unserer ganzen Vielfalt wählen dürfen“ fügte er mit leicht drohendem Unterton hinzu.

Der Höfling nickte folgsam und entfernte sich.

Katharina war gerade auf dem Weg zum Stall, als sie von dem Befehl des Königs erfuhr.

Ein Gefühl der Angst krampfte ihren Magen zusammen. Sie hatte den König seit Tagen nicht mehr gesehen und konnte sich nicht vorstellen, was er nun von ihr wollte. Hoffentlich hatte er nicht doch noch von ihrem Ausflug zu dem Lager der Schweden erfahren.

Obwohl seitdem bereits fast eine Woche vergangen war, hatte sie ihren unbesonnenen Ausflug und insbesondere „ihren“ Kommandanten nicht vergessen können. Mehr als einmal am Tag dachte sie darüber nach, ein weiteres Mal wenigstens in die Nähe des Lagers zu reiten, um ihn vielleicht noch einmal zu Gesicht zu bekommen. Doch sie hatte den Gedanken immer wieder sofort verworfen, zu groß war ihre Angst, dass sie ihn tatsächlich treffen könnte. Allein die Vorstellung trieb ihr jedes Mal die Röte ins Gesicht. Nicht auszudenken, welchen Eindruck er bei einem weiteren Treffen von ihr haben könnte. Am Ende glaubte er gar noch, sie lief ihm hinterher.

Zudem bestand immer die Gefahr, dass eine der anderen Frauen davon etwas mitbekam und daraufhin doch noch ihr unabgesprochenes gemeinsames Geheimnis ausplaudern würde.

Das war allerdings eine eher geringe Sorge, denn ganz offensichtlich legte seit diesem Nachmittag auch keine der Damen großen Wert auf eine Begegnung mit ihr. Selbst die Gräfin Reuß schien nicht an einer weiteren Konfrontation gelegen zu sein, sondern ihr ganz im Gegenteil eher aus dem Weg zu gehen. Von all den an dem Tag anwesenden Damen hatte sie nur die Baronin von Eckert zwei Tage später zur Seite genommen und besorgt gefragt, ob mit ihr alles in Ordnung wäre und sie das Lager der Schweden unversehrt verlassen durfte.

Katharina hatte ausweichend geantwortet. Aus den Fragen der Baronin hatte sie herausgehört, dass die Gruppe der Frauen schon die Panik ergriffen hatte, als die Soldaten sie umringten und der Kommandeur auf der Bildfläche erschien. Erst da war den meisten von ihnen offensichtlich bewusst geworden, in welch gefährliche Situation sie Katharina gebracht hatten und noch viel mehr, wie leicht sie selbst ebenfalls in Bedrängnis geraten konnten, sollten die Soldaten auf sie aufmerksam werden. Kopflos waren schließlich alle davon geritten, Katharina ihrem Schicksal überlassend. So unschön das Verhalten der Damen auch war, letztendlich war Katharina rückblickend sogar froh darüber. Es war gut, dass niemand mitbekommen hatte, wie weit sie sich in das Lager des Feindes begeben und noch viel mehr, wie gut sie sich vor allem mit dem Kommandanten verstanden hatte.

Nun beruhigte es Katharina etwas, dass der König offensichtlich auch andere Frauen zu sich bestellt hatte. Im Schloss war mit einem Mal ein emsiges Treiben entbrannt. Kleider und Perücken wurden hin- und hergetragen und einzelne Damen, alle größtenteils in Katharinas Alter, liefen schon in Richtung Jagdzimmer. Wahrscheinlich sollten all diejenigen, die zum ersten Mal am Festival teilnehmen, noch einmal einen Verhaltenskodex bekommen, damit die nächsten Tage auch ja nichts schief ging, dachte sie verächtlich. Als ob es nichts Wichtigeres als dieses schreckliche Fest gäbe.

Wie ihr vor den nächsten Tagen graute – am liebsten würde sie sich unpässlich melden, um so das Ganze zu umgehen. Für den Moment beschloss Katharina, statt sich auf direktem Weg zum Jagdzimmer zu begeben, lieber noch einmal in den Stall zu eilen und nach Othello zu sehen. Vielleicht ging die ganze Angelegenheit beim König doch schneller vorüber als befürchtet und dann konnte sie den geplanten Ausritt nachholen. Der Rappe stand bereits gesattelt in seiner Box und Katharina bedauerte einmal mehr, dass sie nicht einfach ein paar Minuten eher ihr Zimmer verlassen hatte. Dann wäre sie bereits unterwegs gewesen und niemand hätte ihr einen Vorwurf machen können. Sie unterhielt sich noch eine Weile mit einem der Stallburschen, die den Rappen betreuten und mit denen sie sich gut verstand. Die Jungen, die nicht älter als 16 Jahre alt waren, erinnerten sie in ihrer unbekümmerten Art immer auf eine wehmütige Art an ihre Jugend am Hof ihres Vaters.

Als sie es beim besten Willen nicht länger heraus zögern konnte, machte sie sich schweren Herzens auf dem Weg zurück ins Schloss. Ein Mädchen, welches erst kürzlich am Hof lebte, überholte sie auf halben Weg. Katharina bemerkte erstaunt, wie herausgeputzt diese war. Sie selbst trug ein eher schlichtes Reitkleid und war normal frisiert, wogegen das Mädchen schon auf eine Weise gekleidet und frisiert war, als würde der am Abend stattfindende Eröffnungsball bereits jetzt beginnen.

Katharina schüttelte ungläubig den Kopf. Schlimm genug, dass dieses Festival während des Verlaufs des Krieges überhaupt stattfand, doch das sich manche Leute bereits Stunden vorher derart aufführen mussten, war ihr unbegreiflich.

Zwei Höflinge öffneten ihr die Flügeltüre zum Jagdzimmer und Katharina blieb nach ein paar Schritten erstaunt stehen. Sie schien die letzte von den Damen zu sein, die zum König bestellt worden waren. Zu ihrer Überraschung hatten sich die anderen Mädchen bereits in einer Reihe aufgestellt. Alle waren zudem offensichtlich bemüht, einen denkbar guten Eindruck zu hinterlassen und ebenso wie das Mädchen, welches sie gerade begegnet war, in schönste Stoffe bekleidet und bereits um diese Tageszeit mit möglichst viel Schmuck behangen.

Hatte sie etwas verpasst? Im Geist ging sie erschrocken alle ihr auf die Schnelle einfallenden Optionen durch, doch es wollte ihr partout nichts einfallen, was das Ganze hier erklären würde.

Der König selbst stand vor den Frauen und neben ihm ein weiterer Mann, der aber von Augusts imposanter Gestalt weitgehend verdeckt wurde.

„Ah, die Baroness von Lichtenstein gibt uns auch noch die Ehre. Spät, aber reizend wie immer.

Da sollten wir nun alle beisammen haben...“

August hatte sie in der Tür stehend bemerkt und winkte sie in das Zimmer. Er schien ausgesprochen gut gelaunt und dirigierte sie sofort um, als sie sich an das Ende der Reihe stellen wollte.

„Nein, nicht ans Ende, nur nicht so bescheiden, Baroness. Kommt, stellt Euch hierher!“

August wies ihr einen Platz in der Mitte der Reihe zu.

Katharina tat wie ihr befohlen, den Blick vorschriftsmäßig ehrfürchtig gesenkt.

Erst als sie ihren Platz eingenommen hatte, hob sie wieder den Kopf und musterte den Gast, für den offensichtlich dieser Aufwand betrieben wurde und der ihr nun direkt gegenüber stand.

Der Schreck war so groß und kam so unvermittelt, dass ihre Beine fast nachzugeben drohten und sie sich kurz an dem Mädchen neben ihr festhalten musste, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Diese schaute sie empört an.

„Hoppla, Baroness - geht es Euch nicht gut? Erst zu spät kommen und jetzt Schwäche zeigen, na na na, was ist denn da los??“

Auch August war auch ihr kurzer Schwächeanfall nicht entgangen und er drohte ihr scherzend mit dem Zeigefinger.

„So schlimm sieht unser Gast doch auch wieder nicht aus, oder etwa doch?“

Er lachte sein dröhnendes Lachen.

Katharina lächelte gequält und schaute dann schnell wieder zurück auf den Boden. Sie war einer Ohnmacht nahe und überlegte krampfhaft, ob es nicht das Klügste wäre, einfach aus dem Raum zu rennen, solange sie sich noch auf den Beinen halten konnte. Nur die noch größere Angst vor den Konsequenzen, die sie dann zu fürchten hatte, hielten sie zurück.

Der Gast, der ihr direkt gegenüberstand und sie nun interessiert anschaute, war kein anderer als „ihr“ schwedischer Kommandant.

Was machte er hier, mitten am Hof des Gegners, auch noch in scheinbar bester Freundschaft mit dem feindlichen Herrscher verbunden? Und wieso mussten sich alle jungen Frauen des Hofes vor ihm versammeln? Ihr wurde schlecht vor Angst.

Die einzige Möglichkeit, die einen Sinn ergab, war dass er August von ihrem Besuch im Lager berichtet hatte und dieser nun herauszufinden versuchte, um wen es sich bei der Besucherin handelte.

Endlich begann August zu sprechen.

„Meine lieben Damen, Ihr werdet Euch sicher wundern, warum ich Euch alle hier versammelt habe.

Nun, mein Gast, ich bitte zu beachten, dass es sich dabei um keinen Geringeren als den schwedischen König höchst selbst handelt, hat nach eigener Aussage so viel Gutes von unserem Festival gehört, dass er dieses Jahr selbst daran teilnehmen möchte...wo er doch nun schon einmal in der Nähe weilt....“

August lachte am lautesten über seinen Scherz.

„Und da er sich mit unseren Sitten und Gebräuchen naturgemäß nicht so gut auskennt, habe ich ihm versprochen, dass ihm eine von Euch in dieser Zeit mit Rat und Tat und auch bei den Festakten als seine begleitende Dame zur Seite stehen wird. Dass es sich für die Auserwählte dabei um eine große Ehre handelt, versteht sich dabei von selbst.“

August machte eine kurze Pause, um seine Worte wirken zu lassen.

„Mein lieber Cousin hat jetzt allerdings die Qual der Wahl und ich muss gestehen, ich wüsste auf Anhieb nicht, wen von Euch ich ihm empfehlen sollte, so beeindruckend seht Ihr alle aus“

fügte er nicht ohne Stolz hinzu.

Die Mädchen begannen aufgeregt miteinander zu tuscheln und ihre Vorzüge möglichst gut zur Geltung zu bringen, während Katharina zunächst damit beschäftigt war, die neuen Informationen zu verarbeiten. Nach der ersten Erleichterung, dass der Kommandant offensichtlich nicht da war, um sie zu verraten, überfiel sie die nächste Panik.

Der schwedische König!

Statt mit einem kleinen Kommandanten hatte sie völlig unstandesgemäß mit dem schwedischen König selbst geplaudert, sich von ihm beinahe den Kopf verdrehen lassen und nun stand er keinen Meter von ihr entfernt, ohne auch nur im Entferntesten den Eindruck zu erwecken, dass er sie wiedererkannte.

Katharina hatte das Gefühl, sich in einem schrecklichen Albtraum zu befinden. Und zu allem Unglück war sie auch noch die mit Abstand am Schlechtesten gekleidete aller anwesenden Frauen. Sie wünschte, im Boden zu versinken.

Währenddessen hatte der Schwede begonnen, langsam die Reihe der Mädchen entlang zu schreiten und jede Einzelne genau in Augenschein zu nehmen.

Vor Katharina, die den Blick nun wieder angestrengt auf den Boden gerichtet hielt und inständig hoffte, er würde einfach an ihr vorbeigehen und ihre Bekanntschaft nicht doch noch mit einer unbedachten Geste oder Bemerkung verraten, insofern er sich überhaupt an sie erinnerte, blieb er stehen. Sanft fasste er unter ihr Kinn und hob es mit sanften Druck soweit an, dass sie ihn ansehen musste. Ihre Blicke trafen sich und Katharina spürte wieder das nun schon bekannte Kribbeln in der Magengegend. Er jedoch zeigte weder in seinem Mienenspiel noch in seinem Blick auch nur den Ansatz eine Regung, die auf ihre ungewöhnliches Vorgeschichte schließen ließ und ging nach dem Bruchteil von Sekunden, die ihr wie Minuten vorkamen, weiter die Reihe der Mädchen entlang.

Katharina war verwirrt und in dem gleichen Ausmaß, in dem sie zuvor Angst empfunden hatte, schwappte jetzt die Enttäuschung wie eine Woge über sie. Sollte er sie tatsächlich nicht erkannt haben, nachdem sie sich doch erst vor wenigen Tagen begegnet waren und er ihr sogar das Leben gerettet hatte? Oder wollte er sie nicht erkennen, weil sie von allen Anwesenden die Unattraktivste war? So sehr sie sich gerade noch vor wenigen Sekunden gewünscht hatte, dass er keine Reaktion zeigte, aus der geschlussfolgert werden konnte, dass er sie kannte, so sehr verletzte sie sein Verhalten nun. Sie spürte, wie ihr die Tränen in die Augen zu steigen drohten und begann sich auf einen Fleck auf dem Teppichboden zu konzentrieren, um ihre mühsam bewahrte Fassung nicht hier vor allen Anwesenden zu verlieren.

Der schwedische König schien unterdessen genug gesehen zu haben und kehrte zu seinem Platz neben August dem Starken, der sich die ganze Zeit nicht vom Fleck gerührt hatte, zurück. Er hatte bis jetzt noch kein Wort gesprochen, aber nun erklang die Katharina bereits so vertraute angenehme Stimme.

„Mein lieber Cousin, Ihr habt wahrlich nicht zuviel versprochen und ich muss gestehen, ich beneide Euch nun doch etwas um Euren Hofstaat.“

August lächelte geschmeichelt. Karl sprach nicht gleich weiter, sondern schaute noch einmal jede der ihn in der Reihe erwartungsvoll anblickenden Damen an. Nur Katharina senkte schnell wieder den Kopf, bevor sich ihre Blicke erneut treffen konnten.

„Ich habe selten so viele attraktive Frauen in einem Raum gesehen und eine Wahl fällt mir entsprechend schwer. Aber ich habe mich dennoch entschieden...“

Er hatte während seiner letzten Worte begonnen, noch einmal vor den Mädchen auf und ab zu gehen und blieb nun vor einer besonders auffällig gekleideten und mit reichlich Diamanten geschmückten dunkelhaarigen Schönheit stehen.

„...für sie!!!“

Um Katharina herum begann das Gemurmel erneut, diesmal enttäuscht. Ihr selbst ging es nicht anders, doch letztendlich verwunderte sie es nicht, dass sich der Schwede für eine attraktivere und besser gekleidete Dame als sie entschieden hatte, wer konnte es ihm verdenken. Gegen diese Attribute konnte ein Gespräch über Bücher oder Pferde nicht mithalten, diese Erkenntnis hatte sie ja hier am Hof schon länger gewinnen müssen. Noch immer vermied sie es den Blick zu heben, um niemanden im Raum ihre Enttäuschung zu zeigen.

August dagegen rief fröhlich aus:

„Euer Geschmack überrascht mich nun doch ein klein wenig, verehrter Cousin! Doch ich muss zugeben, Ihr habt ein Auge für besondere Schönheit und nicht nur für den schönen Schein. Ich hoffe nur, Ihr wisst, worauf Ihr Euch mit unserer Wildkatze einlasst. Sagt mir nachher nicht, ich hätte Euch nicht gewarnt! Doch wie mir scheint, ist Eure Auserwählte selbst noch nicht so überzeugt von Eurer Entscheidung...“

Wieder lachte er dröhnend, die ganze Sache machte ihm einen Heidenspaß.

Nun doch neugierig geworden schaute Katharina endlich auf und zuckte überrascht zusammen.

Karl stand nun direkt vor ihr und hielt ihr seine Hand hin.

„Baroness von Lichtenstein, wenn ich Euren Namen richtig verstanden habe, erweist Ihr mir die Ehre?“

Er lächelte sie aufmunternd an, während sie ihn noch immer verblüfft anstarrte und dann unsicher die Hand reichte. Katharina war nun vollkommen durcheinander. Also hatte er sie doch erkannt und ein Teil in ihr jubelte, dass er sich trotz all der attraktiven Mädchen um sie herum für sie entschieden hatte. Aber auf der anderen Seite meldete sich fast gleichzeitig ihr Verstand.

Was wollte der schwedische König in Kriegszeiten wirklich am sächsischen Hof und welche Rolle spielte sie in diesem Rätsel?

Stunden später stand sie in einem ihrer besten Kleider und wunderschön frisiert vor den Gemächern, welche der schwedische König während seines Aufenthaltes bewohnen würde.

Katharina war so nervös wie noch nie in ihrem Leben, als sie die Hand hob, um an die Tür zu klopfen.

Sie war froh gewesen, dass August mit ihr ein Einsehen gehabt und sie nur teilweise der Schlossbesichtigung beiwohnen musste, die der stolze Hausherr gleich nach der erfolgreichen „Damenwahl“ mit seinem Gast hatte durchführen wollen. Während der ganzen Zeit war sie so verlegen gewesen, dass sie Karl kaum anschauen konnte, was dem sächsischen Kurfürsten jede Menge Gelegenheit zu Witzeleien gab, während der Schwede sehr zurückhaltend blieb und sie nur gelegentlich freundlich anlächelte.

Zu ihrer Erleichterung war ihm auch hier zu keinem Zeitpunkt anzumerken, dass es nicht seine erste Begegnung mit Katharina war, sondern er im Gegenteil schon mehr Worte mit ihr gewechselt hatte, als bis zu diesem Zeitpunkt ihr eigener König. Zurück in ihren Zimmern hatte sie zunächst völlig konfus überlegt, ob sie sich nicht einfach auf ihr Pferd setzen und so dem Ganzen entfliehen sollte. Einfach auf und davon, weg von diesem Hof und noch mehr weg von allen Männern. Sie bereute mehr denn je ihren Stolz, der sie in das Schwedenlager reiten lassen und so in diese ganze Situation gebracht hatte. Gleichzeitig spürte sie dennoch verwundert eine Art Vorfreude auf etwas, dass sie selbst nicht benennen konnte.

Als kurze Zeit später ihre Zofe Helene ganz aufgeregt und voller Stolz über die Neuigkeiten in ihr Ankleidezimmer gestürmt kam, hatte sie sich zusammengerissen und sich bemüht, sich nichts von ihrer Verwirrung anmerken zu lassen. Es belastete Katharina, dass sie selbst ihr nichts von ihrem riskanten Ausflug in das Lager der Schweden berichtet hatte, wo sie doch mit ihrer Leni normalerweise über alles reden konnte. Aber erst jetzt davon zu erzählen wagte sie nun nicht mehr, so wichtig es ihr auch gewesen wäre, die ganze verflixte Situation mit einer Vertrauten besprechen und deren Meinung erfahren zu können.

Die nächsten Stunden versuchte Katharina deshalb, sich beim Baden, der Kleideranprobe und anschließender Wahl des Kleides, welches sie am Abend tragen würde, sowie zuguterletzt mit ihr ewig vorkommenden Frisieren und Schminken vor dem erneuten unvermeidlichen Zusammentreffen mit dem schwedischen König abzulenken und zumindest zum Teil gelang ihr das sogar überraschend gut. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal eine solche Prozedur hatte über sich ergehen lassen und beobachtete staunend, mit welcher Akribie und Sorgfalt sich manche Damen offensichtlich regelmäßig auf gesellschaftliche Ereignisse vorzubereiten schienen. Da sie nun auch offiziell Sachsen vertrat, wurden ihr zusätzliche Kleider sowie zwei weitere Zofen geschickt, die speziell beim Frisieren behilflich sein sollten und ihr auch die nächsten Tage bis zum Ende des Festivals zur Verfügung standen.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Katharina immer geglaubt, sich verhältnismäßig viel Mühe mit ihrer Toilette zu geben und auch jederzeit über den neuesten Stand der jeweiligen Mode informiert zu sein, musste aber nun staunend einsehen, wie viel mehr sie auf diesem Gebiet allein an diesem Nachmittag dank der neuen Zofen dazulernte.

Und Katharina musste zugeben, auch das Ergebnis all der Bemühungen um sie herum gefiel ihr.

Sie hatten ein altrosafarbenes Kleid gewählt, welches ganz wunderbar mit dem Silberschmuck harmonierte, den Katharina als Erbstück von ihrer Mutter bekommen hatte. Ihre Haare waren zu Locken gedreht und auf eine Art am Kopf festgesteckt, wie weder sie noch Leni es bis dahin je praktiziert hatten. Sie konnte sich zwar nicht vorstellen, jetzt Tag für Tag einen solchen Aufwand zu betreiben, doch als sie sich das erste Mal im Spiegel sah, war sie selbst über ihr Aussehen begeistert. Allerdings verkrampfte sich ihr Magen sofort, wenn sie nur daran dachte, wie es nun weitergehen würde. Ihr war mit knappen Worten mitgeteilt wurden, dass sie den schwedischen König aus seinen Gemächern abzuholen hatte, um ihm den Ablauf des Abends sowie den der nächsten Tage des Festivals zu erläutern und dann als seine Begleitung den Abend an seiner Seite zu verbringen.

Ursprünglich hatte Katharinas Plan für den Festauftakt darin bestanden, sich nur kurz blicken zu lassen, um dann Unwohlsein vorzutäuschen und sich wieder so schnell wie möglich in ihr ruhiges Gemach zurückzuziehen. Das war natürlich nun alles nicht mehr möglich, aber das war bei weitem nicht das Schlimmste. Es war ihr völlig unklar, welches Verhalten von einer Begleiterin bei einem solchen Gast unter Umständen noch erwartet oder gar vorausgesetzt wurde und sie hatte auch nicht gewagt, danach zu fragen. Mittlerweile kribbelte es in ihrem Magen, wenn sie nur an den Schwedenkönig dachte. Sie hatte diese Art Gefühl bis dahin noch nie so intensiv erlebt und bei aller gleichzeitig vorhandener Angst war es auch sehr aufregend und schön und versetzte Katharina in eine Art nervöse Vorfreude auf das erneute Zusammentreffen.

Katharina sprach sich noch einmal Mut zu und klopfte dann an die Tür. Sie hatte erwartet, dass ein Page ihr die Tür öffnen würde, stattdessen ertönte ein fröhliches

„Nur hereinspaziert“.

Zaghaft drückte sie die Türklinke herunter und trat ein.

Noch an der Tür blieb sie zögernd stehend.

Der schwedische König stand, nur bekleidet mit einem weit geöffneten weißen Hemd, einer engen schwarzen Hose sowie seinen Stiefeln vor einem großen Spiegel und beendete gerade seine Rasur. Er sah außerordentlich attraktiv aus und Katharina spürte, wie ihr bei seinem Anblick das Blut in die Wangen schoss.

„Entschuldigt bitte, offensichtlich bin ich zu früh. Ich komme gern etwas später wieder...“

Sie wollte schnell wieder zur Tür hinausschlüpfen, als er rief:

„Nein, nein – bleibt bitte hier. Ich bin gleich fertig.“

Unsicher schloss sie die Tür hinter sich und sah zu, wie er mit seinem Rasiermesser über die letzten schaumigen Reste in seinem Gesicht strich. Ihre Blicke trafen sich im Spiegel und er grinste sie an.

„Na was sagt Ihr nun, so schnell sieht man sich also wieder, Katharina! Damit habt Ihr doch mit Sicherheit nicht gerechnet, oder...?“

Nachdem er die ganze Zeit nicht ein einziges Mal auch nur angedeutet hatte, dass sie beide schon miteinander bekannt waren, trafen seine Worte Katharina nun völlig unvorbereitet.

Nun völlig verwirrt schüttelte sie den Kopf.

„Nein, ganz im Gegenteil.“

„Jetzt kommt doch erst einmal herein und nehmt Platz. Bitte...“

Der Schwede wies mit seiner Hand auf einen schön geschwungenen Sessel, der einladend neben einer Ottomane und einem geschmackvollen Tisch im französischen Stil in der Mitte des hellen Raumes stand. Zögernd folgte Katharina seiner Aufforderung und schaute sich zunächst unsicher im Zimmer um, bevor sie sich schließlich auf dem Sessel niederließ. Offensichtlich hatte Karl XII. das mit Abstand beste Gemach erhalten, welches August auf Moritzburg bieten konnte. Es war sehr teuer und auch stilvoll eingerichtet und Katharina musste innerlich lachen bei dem Gedanken, welcher von Augusts sonstigen Ehrengästen es wohl hatte zähneknirschend für den schwedischen König räumen müssen.

Der wusch und trocknete sich mittlerweile sein Gesicht ab und steckte dann sein Hemd sorgfältig in die Hose. Dann drehte er sich zu ihr hin und zwinkerte ihr zu.

„Ich wette, ich habe Euch heute einen gehörigen Schrecken eingejagt, Katharina...Ihr habt doch hoffentlich nichts dagegen, dass ich Euch weiter bei Eurem Vornamen nenne, zumindest wenn wir allein sind. Das gilt natürlich auch andersherum für meinen Namen. In Schweden legt man auf Titel und Förmlichkeiten weniger Wert als ihr hier in Sachsen und außerdem kenne ich Euch nun einmal unter diesem Namen bereits viel länger...“

Katharina war noch viel zu angespannt, um auf seinen fröhlichen Ton eingehen zu können.

„Bitte nennt mich ganz so wie es Euch beliebt. Und dass ihr mir mit Eurem Auftauchen hier einen gehörigen Schreck eingejagt habt, davon könnt Ihr ausgehen!“

Er lachte.

„Das war wirklich nicht meine Absicht. Doch ich konnte der Versuchung einfach nicht widerstehen, mir dieses hochgelobte Fest einmal aus der Nähe anzusehen. Aber bitte entschuldigt, ich bin schon wieder ein schlechter Gastgeber… darf ich Euch ein Glas Rotwein anbieten? August hat mir eine Flasche dieses vorzüglichen Weines freundlicherweise überlassen und ich kann ihn Euch nur empfehlen. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal einen so guten Tropfen genießen durfte. Guten Geschmack kann man meinem Cousin, nach allem, was ich bisher hier am Hof sehen und genießen durfte, keinesfalls absprechen.“

„Nein, danke! Ich möchte jetzt keinen Alkohol.“

Bedauernd schüttelte Karl den Kopf und schenkte sich selbst noch ein wenig von dem Wein nach.

„Euch entgeht etwas, das kann ich Euch versichern.“

Mit einem tiefen Blick in die Augen prostete er ihr zu und nahm einen Schluck.

„Ich muss Euch übrigens ein Kompliment machen. Ihr seht heute noch bezaubernder aus, als ich Euch von Eurem Besuch in meinem Lager in Erinnerung hatte.“

Verlegen werdend schaute Katharina zur Seite. Es war ihm deutlich anzumerken, dass er schon mehr als nur ein halbes Glas getrunken hatte und sie fühlte sich nun in seiner Nähe überhaupt nicht mehr so wohl, wie es damals im Lager der Fall gewesen war, auch wenn er ihr dort ebenfalls Komplimente gemacht hatte. Ganz im Gegenteil, zum ersten Mal überhaupt wünschte sie sich jetzt fast lieber in den mit vielen Menschen gefüllten Ballsaal als hier weiter allein mit dem Schwedenkönig zu sein. Ihr fiel nun auch wieder ein, dass August während der Schlossbesichtigung auch den Weinkeller nicht auslassen wollte, ihre Anwesenheit war zu dem Zeitpunkt aber zum Glück bereits nicht mehr notwendig gewesen. Ganz offensichtlich hatte der stolze und zu jeder Gelegenheit trinkfreudige Gastgeber seinem Gast reichlich einschenken lassen.

Energisch erhob sie sich, bemüht, seinem sie noch immer taxierenden Blick auszuweichen.

„Ich denke es ist an der Zeit, dass wir uns so langsam in den Festsaal begeben…!“

„Warum die Eile? Der Ball beginnt doch gewiss noch nicht gleich und ich wollte gern noch ein wenig allein mit Euch plaudern, bevor wir uns dann wieder inmitten der vielen Leute befinden. Nehmt doch bitte noch einmal für einen Augenblick Platz, ich möchte Euch etwas fragen…“

Er wartete, bis sie zögernd erneut seinen Worten Folge geleistet und sich wieder gesetzt hatte, dann beugte er sich zu ihr vor, sein Blick unergründlich.

„Was mich gerade wirklich interessiert ist Eure Meinung zu meinem spontanen Moritzburg-Besuch! Ist es in Euren Augen ein Heldenstück oder eher eine unglaubliche Dummheit? Und was meint Ihr, könnte mich dazu veranlasst haben?“

Die Wendung des Gesprächs kam so überraschend, dass Katharina ihn für einen Moment nur verblüfft anstarrte, bevor sie schnell wieder ihre Augen senkte. Der kurze Augenblick, in dem sich ihre Augen trafen, hatte ausgereicht, um ihr Herz unvermittelt schneller schlagen zu lassen.

Der schwedische König machte Katharina auf eine Art nervös, die sie bis dahin an sich noch nicht erlebt hatte und das gefiel ihr ganz und gar nicht. Auch wenn sie nun den direkten Blickkontakt mit ihm vermied, spürte Katharina wie seine Augen noch immer forschend und sichtbar gespannt auf ihrem Gesicht ruhten und das machte sie immer unsicherer, während sie fieberhaft nach einer diplomatischen Antwort suchte.

Natürlich hatte sie sich die Frage nach dem Grund seines Aufenthaltes in den letzten Stunden ebenso wie wahrscheinlich auch der gesamte restliche Hofstaat immer wieder gestellt, ohne für sich eine vernünftige Antwort gefunden zu haben. Wollte er August provozieren oder gar das Festival für einen entscheidenden Angriff seiner Armee nutzen? Aber wozu war er dann selbst hergekommen und brachte sich völlig unnötig in Gefahr? Oder sollte er am Ende gar wegen ihr…?

Nein! Sein derzeitiges Verhalten ließ viel eher den Verdacht zu, dass er tatsächlich nur aus Lust am Vergnügen in Moritzburg weilte. Trotz des Krieges, den sie gegeneinander führten, schienen sich die beiden Cousins in dem Punkt ähnlicher als gedacht. Die Tragweite der Gefahr, in die er sich dabei auf so unglaubliche Weise gebracht hatte, war ihm dagegen entweder überhaupt nicht bewusst oder, was die Sache nicht besser machte, vollkommen egal.

Aber konnte sie ihm das ins Gesicht sagen? Unsicher erhob sie schließlich die Stimme.

„Um ehrlich zu sein, wundere ich mich schon, was Euch in Kriegszeiten ausgerechnet hier an den Hof Eures Feindes führt, Majestät. Ich frage mich vor allem, wie Ihr Euch nur freiwillig in eine solche Lage begeben könnt? Das ist doch völlig verrückt und um Eure Frage zu beantworten, hat ein derartiges Verhalten in meinen Augen überhaupt nichts mit einem Heldenstück zu tun, sondern ist, um Eure eigenen Worte zu zitieren, tatsächlich einfach nur eine unglaubliche Dummheit!“

Ihre Worte kamen heftiger als beabsichtigt und Karl schaute sie belustigt an.

„Das ist also tatsächlich Eure Meinung? Nun, ich muss zugeben, ich hatte von Euch mehr Verständnis erwartet. Man möchte doch meinen, von uns beiden seid noch immer Ihr die größere Expertin für Handlungen, die von anderen Menschen auch mit viel Verständnis als verrückt bezeichnet werden könnten, ganz abgesehen von dem Punkt „sich freiwillig in Gefahr begeben“…

Ich dagegen besuche doch nur meinen Cousin 2. Grades und habe von ihm die ausdrückliche Zusicherung, für die Tage des Festivals sein Gast zu sein. Wo ist da die Gefahr?“

„Wo da die Gefahr ist??“

Seine Sorglosigkeit verschlug ihr kurzzeitig die Sprache und sie schüttelte verständnislos den Kopf, bevor sie verärgert weitersprach.

"`Ihr habt offensichtlich keine Vorstellung von der Launenhaftigkeit Eueres Cousins 2. Grades! Heute seid Ihr für ihn vielleicht noch eine willkommene Abwechslung, aber schon morgen lässt er Euch womöglich gefangen nehmen. Man kann es drehen und wenden wie man will, aber das was Ihr hier tut ist schlicht und ergreifend Wahnsinn, immerhin seid Ihr nicht irgendwer, sondern habt auch eine Verantwortung für Eure Soldaten und Euer Land!!"'.

Auf Karls Gesicht hatte sich während ihrer Worte ein erfreutes Grinsen breitgemacht.

"`Aber, aber – hier scheint ja jemand ernsthaft um mich und meine Untertanen beunruhigt zu sein. Meine Männer sind Euch wohl während Eures Besuches mehr ans Herz gewachsen als gedacht?

Doch anstatt von Euch nur Vorwürfe über meine vermeintliche Leichtsinnigkeit zu hören, hatte ich eigentlich vielmehr gehofft, dass Ihr Euch nach unserer so netten Plauderei in meinem Lager freut, so unverhofft die Möglichkeit zu haben, diese mit mir fortsetzen zu können."'

Mit funkelnden Augen kam er auf sie zu und stützte sich mit beiden Händen so auf die Lehnen ihres Sessels, dass Katharina ihm nicht weiter ausweichen konnte.

„Also, wie sieht es aus, seid Ihr nicht doch ein klein wenig froh, mich wiederzusehen, Katharina?“

Sein Gesicht näherte sich dem ihren bis auf wenige Zentimeter und das Glitzern in seinen Augen, die Begeisterung und der Jagdtrieb, den sie darin sah, erinnerten Katharina unwillkürlich an ihre Katze, mit der sie zu Hause als Kind so gern gespielt hatte. Nur war nun sie die Maus, die in der Falle saß und mit der gegen ihren Willen gespielt wurde. Karls Lippen waren den ihren nun so nahe, dass sie seinen Rotwein-geschwängerten Atem riechen konnte und allein der Gedanke daran, dass er sie gleich küssen würde und sie ihm dabei völlig ausgeliefert war, lähmten Katharina zusätzlich zu der Furcht, die sie mittlerweile ergriffen hatte.

Schon seit frühester Kindheit empfand sie eine Abscheu gegen alkoholisierte Männer. Sie war noch sehr klein gewesen, als Besucher ihres Vaters nach einem nächtlichen Trinkgelage in ihrem elterlichen Schloss versucht hatten, sich an Mägden zu vergehen. Katharina konnte sich kaum mehr an Details erinnern, doch wie in kurzer Zeit aus angenehmen, gebildeten Besuchern grobschlächtige Wüstlinge wurden, war ihr unauslöschlich ins Gedächtnis gebrannt. Ebenso wie der in einem solchen Maß selten erlebten Zorn ihres Vaters, als er die Männer in Schimpf und Schande vom Hof jagte. Danach hatte er sorgfältig darauf geachtet, wen er sich in sein Haus einlud, Zechgelage waren verpönt und war zumindest in der Gegenwart von Katharina und ihres Bruders hielt sich auch ihr Vater mit dem Genuss von Alkohol sehr zurück. Den Umgang mit angetrunkenen Personen, aber auch prinzipiell mit alkoholischen Getränken war Katharina daraufhin kaum gewöhnt, als sie nach Dresden kam. Um so schockierter war sie vom Lebensstil am königlichen Hof. Es gab kaum eine Gesellschaft oder Soiree, bei der nicht der Alkohol in Strömen floss. Mittlerweile war sie bereits mehrfach unfreiwillig Zeugin von Trinkgelagen und teilweise ehrlosen Ausfällen einiger Herren gegenüber Damen geworden. Diese zum Teil sehr unangenehmen Erlebnisse hatten ihre Abneigung nur noch verstärkt und mittlerweile ging sie solchen Situationen ohnehin von vornherein aus dem Weg, da sie sich von gesellschaftlichen Vergnügungen am Hof ohnehin soweit wie möglich zurückgezogen hatte. Das schlechte Bild, welches sie von den meisten der männlichen Vertreter am Hof hatte, war inzwischen schon so verfestigt, dass Katharina von vornherein mit dem schlimmsten Benehmen rechnete. Doch dass sie nun ausgerechnet von dem Mann bedrängt wurde, zu dem sie vom ersten Moment ihrer Begegnung so viel Sympathie und vor allem ein für ihre Verhältnisse geradezu ungewöhnliches Vertrauen gespürt hatte, war unerträglicher als alles, was sie bisher am Hof erlebt hatte. Denn er besaß ja ein gutes Benehmen und Schicklichkeit, das hatte er ihr erst vor wenigen Tagen in seinem Lager bewiesen.

Der Augenblick, in dem sie wie versteinert vor ihm saß, dauerte jedoch nur einen Moment.

Dann spürte sie eine unglaubliche Empörung über sein Verhalten in sich hochsteigen.

Was bildete sich dieser Mensch ein?

Glaubte er, nur weil er als schwedischer König der Ehrengast dieses Fests war, könnte er mit ihr umspringen, wie es ihm beliebte und sie hier so mir nichts, dir nichts küssen? Als wäre sie ein Spielzeug, mit dem man umspringen konnte, wie einem gerade der Sinn stand?

Kurz bevor sein Mund den ihren berührte, stieß sie ihn mit all ihr zur Verfügung stehenden Kraft zur Seite, sprang auf und befreite sich so aus ihrer misslichen Situation. Am liebsten wäre sie aus dem Zimmer gestürmt, aber sie wusste, dass sie sich das nicht erlauben durfte.

Blass und bebend vor Wut ging Katharina deshalb nur zum geöffneten Fenster.

Sie atmete tief durch, um sich zu beruhigen, bevor sie zu sprechen begann.

„Ich weiß, welcher Ruf dem Dresdner Hof vorauseilt und kann mir nun lebhaft vorstellen, warum Ihr hergekommen seid und was Ihr Euch von Eurem Abenteuer hier versprecht. Aber ich muss Euch leider enttäuschen – dafür habt Ihr mit mir definitiv die falsche Wahl getroffen.“

Sie drehte sich mit kaltem Blick zu ihm hin.

„Aber ich bin überzeugt, wenn Ihr mit Eurem Cousin sprecht und ihm von Eurem Fehlgriff berichtet, wird er Euch gern Eure Wahl korrigieren lassen! Um ehrlich zu sein, ich wäre Euch sogar dankbar dafür, denn dieses ganze Fest an diesem schrecklichen Hof steht mir bis hier...“

sie deutete mit der Hand an ihren Hals.

„…ebenso wie die gesamte Männerwelt! Ich war nach meinem Aufenthalt in Eurem Lager der Meinung, Ihr wäret anders als die lüsternen, respektlosen Wichtigtuer, die die man hier Tag für Tag am Hof trifft, aber leider hab ich mich mehr als geirrt. Wie es aussieht passt Ihr im Gegenteil ganz hervorragend zu dieser Gesellschaft, offensichtlich bin ich es, die hier fehl am Platz ist.

Also tut Euch bitte keinen Zwang an, Ihr solltet Euren Fehler besser sofort beheben, es gibt gewiss genug Damen, die sich über die Wahl zur Begleitung eines Mannes Eures Schlages freuen!“

Wäre Katharina nicht so außer sich gewesen, hätte sie über den bestürzten Gesichtsausdruck, mit dem der Schwede sie nun anstarrte, wahrscheinlich sogar lachen müssen. Selbst nach einer Ohrfeige hätte er kaum entgeisterter schauen können. Ihre heftige, für ihn offensichtlich völlig unerwartete Reaktion schien ihn schlagartig ernüchtert zu haben und alles Großspurige und Überlegene war schlagartig aus seinem Antlitz verschwunden.

„Entschuldigt bitte!“ stammelte er schließlich erschrocken und wollte einen Schritt auf Katharina zugehen, doch da diese sofort vor ihm zurückwich, blieb er unsicher stehen.

„Ich gebe durchaus zu, dass der Ruf des Dresdner Hofes in Männerkreisen ein sehr interessanter ist...“ Der Anflug eines Grinsens umspielte seine Mundwinkel, doch er wurde sofort wieder ernst, als er ihren Gesichtsausdruck sah.

„…doch Ihr müsst mir glauben, ich habe niemals auch nur im Entferntesten daran gedacht, Euch damit in Verbindung zu bringen...“

Katharinas Mundwinkel zuckten verächtlich und er sprach schnell.

„Hört mir zu, Katharina. Ich habe heute tagsüber wahrscheinlich schon mehr Wein getrunken, als sonst in einer ganzen Woche und bin dadurch, sowie auch durch die Geschehnisse des bisherigen Tages nicht nur trunken vor Alkohol sondern auch noch immer berauscht von meinem Erfolg. Das soll keine Entschuldigung für mein Verhalten sein, aber wenigstens der Versuch einer Erklärung. Der unfassbare Verlauf dieses unglaublichen Tages und der Triumph, hier tatsächlich einfach ins Schloss des Feindes geritten und nun an seinem größten Fest teilnehmen zu dürfen, ist mir wohl etwas zu sehr zu Kopf gestiegen…“

Über sich selbst ungläubig den Kopf schüttelnd fuhr er fort.

„Doch so wie Ihr mich gerade erlebt habe, so bin ich nicht und ich kann Euch nicht genug versichern, wie sehr ich mein Auftreten von gerade eben bedauere. Aber es ist nicht nur mein Verhalten, das mir nun mit einem Mal selbst unbegreiflich ist, vielmehr habe ich durch meine Eitelkeit völlig aus den Augen verloren, warum ich Euch überhaupt zu Eurer Meinung nach meinem Aufenthalt gefragt habe!“

Er machte eine Pause und suchte nach Worten.

„Ich muss gestehen, seit ich Euch bei uns im Lager gesehen habe, seid Ihr mir nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Und das nicht nur, weil ich Euch zugegebenermaßen bezaubernd fand....“

Katharina, die sich während seiner Worte von ihm abgewendet und ohne eine Regung zu zeigen aus dem Fenster geschaut hatte, wendete ihm wieder den Kopf zu.

„Sondern...?“ fragte sie mit spöttischem Blick.

„Sondern weil ich die berechtigte Befürchtung habe, dass Ihr Euch selbst am Hof in Gefahr befindet und Euch warnen möchte!“

Katharina lachte bitter.

„Was Ihr nicht sagt! Wie kommt Ihr denn bitte schön darauf?“

„Ich habe Euch schon damals im Lager gefragt, aber tue es nun hier noch einmal - kanntet Ihr den Inhalt des Schreibens, welches Ihr mir überbracht habt?“

„Natürlich nicht! Das sagte ich doch damals bereits.“

Katharinas Ton war noch immer unfreundlich, doch ihr Blick bereits nicht mehr ganz so abweisend. Obwohl sie noch immer von seinem Verhalten empört war, hatten seine Worte ihre Wirkung auf sie nicht verfehlt. Allein, dass er sich so offensichtlich erschrocken bei ihr entschuldigte, beeindruckte sie doch mehr, als sie noch vor ihm zuzugeben bereit war. Zudem interessierte sie der Inhalt des Schreibens nach wie vor durchaus. Immer wieder hatte sie die vergangenen Tage darüber gegrübelt, was die Gräfin Reuß dem vermeintlichen Kommandanten nur geschrieben haben mochte. Diese direkt zu fragen verbot sich von selbst, so dass Katharina davon ausgehen musste, die Frage nie beantwortet zu bekommen. Dass der Schwedenkönig ihr nun des Rätsels Lösung so unverhofft anbot, war zugegebenermaßen eine ausgesprochen verlockende Option.

Mit dennoch betont desinteressierten Gesichtsausdruck drehte sie sich ihm weiter zu und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Also, was hat die Gräfin denn nun geschrieben?“

Ohne zu antworten ging Karl zu seinen Sachen, die achtlos auf der Ottomane verstreut lagen und holte aus einer Tasche die Pergamentrolle hervor.

Er reichte sie Katharina.

„Hier, lest bitte selbst.“

Katharina zögerte einen Moment, doch dann siegte ihre Neugier und sie ergriff die Rolle.

Dies ist eine Warnung!

Die Dame, die Ihnen diese Botschaft überbringt, ist eine Spionin des sächsischen Kurfürsten! Beweise dafür findet Ihr bei gründlicher Untersuchung in ihren Unterkleidern!

Ein Freund, der es gut mit Euch meint!

Katharina wurde blass und spürte, wie zum wiederholten Mal an diesem Tag ihre Beine schwach zu werden drohten, so dass sie sich für einen Moment am Fenstersims festhalten musste. Sie las das Scheiben ein zweites und drittes Mal, bevor sie wieder zu Karl aufblickte. Ihr zuvor misstrauischer Blick war verschwunden und sie schaute ihn mit ihren großen blauen Augen nun entsetzt und gleichzeitig überrascht an.

Schließlich reichte sie ihm die Hand und flüsterte fast mit dünner, unsicherer Stimme.

„Ich glaube, jetzt bin ich diejenige, die sich bei Euch entschuldigen muss! Dass mich die Gräfin nicht mag, das wusste ich durchaus. Aber das hier...“ sie wies auf die Pergamentrolle in ihrer Hand „...das ist einfach nur perfide!“

Sie biss sich auf die Lippen, dann lächelte sie Karl unsicher an.

„Um so mehr muss ich Euch danken! Ich glaube nicht, dass es hier am Dresdner Hof auch nur einen Mann gegeben hätte, der diesen Freibrief nicht genutzt hätte...“

Kraftlos ließ Katharina sich wieder in dem Sessel nieder, aus dem sie sich nur wenige Minuten zuvor noch voller Abscheu vor Karls Annäherung befreit hatte. Plötzlich war alles ganz anders und wie schnell sich gesamte Situation geändert hatte, überforderte Katharina so, dass sie für den Moment kaum klar denken konnte. Schon die Vorstellung, was ihr alles bei ihrer leichtsinnigen Mutprobe hätte widerfahren können, wäre sie an dem Tag nicht auf einen Kommandeur wie Karl getroffen, reichte aus, um ihr die Tränen in die Augen treten zu lassen.

Voller Bestürzung blickte sie wieder zu ihm auf.

„Ihr solltet wissen, dass Ihr an dem Tag mein Leben gleich zweimal gerettet habt. Wäre der Plan der Gräfin auch nur im Ansatz aufgegangen, ich weiß nicht, ob oder wie ich diese Schande überlebt hätte. Ich schäme mich so dafür, wie ich mich Euch gegenüber gerade verhalten habe und kann nur hoffen, dass Ihr meine harten Worte entschuldigen könnt...“

Karl stand noch immer mit betretenem Gesicht vor ihr, unschlüssig, wie er sie am besten beruhigen konnte.

„Liebe Katharina, da gibt es wirklich weder etwas zu entschuldigen noch sich bei mir zu bedanken. Das ein solches Schriftstück nur einen unredlichen Hintergrund haben konnte, lag auf der Hand und ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand etwas so derart Offensichtliches tatsächlich ausnutzen würde. Ich wünsche im Moment vor allem, dass ich Euch damit überzeugen konnte, dass mein Verhalten vor wenigen Minuten wirklich nur ein für Euch hoffentlich verzeihlicher Ausrutscher war, der bestimmt nicht wieder vorkommen wird...“

„Seid versichert, ich bin mehr als überzeugt und…

Sie wurde unterbrochen, als es in dem Augenblick zaghaft an der Tür klopfte.

Ein Page steckte vorsichtig den Kopf in das Zimmer.

„Seine Majestät und die Baroness sollten sich beeilen, alle warten schon im großen Festsaal...“

Katharina sah Karl überrascht an.

„Ist es denn schon so spät? Ich habe gar nicht bemerkt, dass die Zeit so schnell vergangen ist...“

Sie atmete tief durch und erhob sich wieder.

„Ich glaube, wenn schon ein Page geschickt wird, dann sollten wir uns wirklich beeilen...“

„Wartet bitte! Bevor wir gemeinsam dieses Abenteuer beginnen, möchte ich Euch noch eine Frage stellen...“

Katharina war bereits auf dem Weg zur Tür. Den Inhalt der Nachricht der Gräfin Reuß zu verarbeiten war schon schlimm genug, doch jetzt galt es, nicht noch mit dem Ehrengast zu spät zum Festauftakt zu kommen. Noch mehr Personen am Hof, die ihr nicht wohlgesonnen waren, konnte sie im Augenblick definitiv nicht gebrauchen.

„Kann das nicht bis später warten? Nichts verabscheut August mehr, als wenn man sich verspätet.“

Ohne auf ihren Einwand einzugehen, war Karl in der Mitte des Raumes stehen geblieben und schaut sie ernst an.

„Nein Katharina, diese Frage ist mir wirklich wichtig und ich muss sie Euch jetzt stellen, bevor der ganze Trubel beginnt. Und ich möchte, dass Ihr wisst, dass Ihr völlig frei darauf antworten sollt, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen. Bitte sagt mir ganz ehrlich, ist es Euch überhaupt Recht, die nächsten Tage an meiner Seite zu verbringen und damit zwangsweise eine völlig andere Rolle am Hof einnehmen zu müssen, als Ihr es bisher gewohnt gewesen seid? Ich ging in meiner Arroganz natürlich davon aus, aber vielleicht hattet Ihr ja auch ganz andere Pläne. Oder habt gar kein Interesse daran?“

Die Frage überraschte Katharina so, dass sie verblüfft anstarrte.

Konnte er Gedanken lesen? Oder war es so offensichtlich, dass sie sich tatsächlich ganz gehörig davor fürchtete, nun nicht mehr in der Anonymität der Masse untertauchen zu können, sondern neben ihm auf einmal im Mittelpunkt der Gesellschaft stehen zu müssen. Ganz zu schweigen davon, dass sie ja nach wie vor nicht wusste, was auch vom Hof von ihr als Begleiterin in den nächsten Tagen erwartet wurde. Nervös begann sie an einem ihrer Fingerringe zu spielen, bevor sie vorsichtig antwortete.

„Sagen wir so, ich bin wahrscheinlich eine der Wenigen, wenn nicht gar die einzige Person am Hof, die sich nicht wirklich auf dieses Fest gefreut hat...um ganz ehrlich zu sein, hätte ich es irgendwie vermeiden können, wäre ich mit Sicherheit gar nicht erst hier...“

Als sie sah, wie sein Gesicht einen enttäuschten Ausdruck annahm, sprach sie schnell weiter.

„Aber macht Euch keine Gedanken, ich wäre um eine Teilnahme so oder so nicht herum gekommen und dank Euch werde ich nun bestimmt den einen oder anderen Vorteil erleben dürfen, in dessen Genuss ich ansonsten nicht gekommen wäre...“

Sie lachte, um sowohl ihn als auch sich selbst zu beruhigen. Ihre Worte verfehlten die gewünschte Wirkung nicht und Karl schien erleichtert.

„Ich hoffe sehr, dass dieses Fest mit mir an Eurer Seite für Euch angenehmer als erwartet wird. Das Letzte was ich möchte, ist Euer Leben hier am Hof noch schwerer zu machen als es offensichtlich für Euch ohnehin schon ist. Und noch eines muss ich Euch doch noch sagen, bevor wir diesen Raum verlassen, dann können wir wirklich gehen…“

Er lächelte sie an.

„Ihr braucht Euch sowohl heute als auch die nächsten Tage keine Sorgen bezüglich Eurer Pflichten als meine Begleiterin machen! Dass Ihr nicht zu Unrecht von vielen Männern nicht die beste Meinung habt, dessen bin ich mir bewusst, doch seid versichert, von meiner Seite habt Ihr nichts zu befürchten. Ich mag Euch sehr, vom – na sagen wir fast ersten Moment an...“

Er grinste kurz bei dem Gedanken an ihr erstes Treffen und suchte dann nach den richtigen Worten, bevor er weiter sprach

„...und ich werde weder zulassen, dass Euch etwas passiert noch werde ich Euch noch einmal so wie belästigen, wie es vor wenigen Minuten geschehen ist...das verspreche ich hiermit!“

Katharina, die bereits wieder nervös zur Tür gestrebt war, blieb gerührt stehen und musste nun bei seinem feierlichen Ton ebenfalls lächeln.

„Vielen Dank! Ich weiß Eure Worte sehr zu schätzen, sie sind wirklich eine große Erleichterung für mich, insbesondere was meine Aufgaben an Eurer Seite betrifft. Und mit diesen Aussichten freue ich mich nun schon fast darauf, Euch die nächsten Tage als Begleiterin zur Seite stehen zu dürfen.“

Dann zwinkerte sie ihm zu.

„Doch meine mittlerweile wieder hohe Meinung von Euch wäre noch viel höher, wenn wir jetzt endlich losgehen könnten!“

Lachend reichte ihr Karl seinen Arm und geleitete sie auf den breiten Flur.

„Euer Wunsch ist mir Befehl.“

Während sie mit zügigem Schritt Richtung Festsaal liefen, plauderte er nun wieder fröhlich und unbeschwert weiter.

„Ich muss Euch aber dennoch warnen! Dass ich ein verrückter Kerl bin, wisst Ihr ja nun schon und so ganz abstellen werde ich das sicherlich nicht können, obwohl ich mich natürlich bemühen werde, mich vor Euch nur von meiner allerbesten Seite zu zeigen.“

„Danke für die Warnung, ich werde wiederum mein Bestes geben und versuchen, mich darauf einstellen. Auf alle Fälle erscheint Ihr mir heute recht mitteilsam. Und ich dachte immer, dies sei ein Privileg von uns Frauen.“

Karl strahlte sie an.

„Was soll ich sagen, Katharina, normalerweise bin ich, das wird Euch jeder meiner Leute bestätigen, kein großer Redner. Ich glaube fast, das muss an Euch liegen!“

Nun musste auch Katharina trotz ihrer Anspannung hell auflachen. Sie war verwundert, wie angenehm ihr seine Gesellschaft nun bereits wieder war und vor allem, wieviel Sicherheit er ihr gab. Das Zuspätkommen zu einem offiziellen Festbankett wäre sonst ein wahrer Albtraum für sie, doch als sie an seiner Seite plaudernd durch die Gänge schritt, vergaß sie fast den Grund der Eile, zu der sie ihn gerade noch angetrieben hatte.

Sommersturmzeit

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