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Kapitel 4- Die Jagd
ОглавлениеAls Katharina am nächsten Morgen erwachte, war die Euphorie der letzten Nacht komplett verflogen. Obwohl es noch zu früh zum Aufstehen war, erkannte sie schon an den ersten Sonnenstrahlen, die in ihr Zimmer schienen, dass es erneut ein perfekter Sommertag werden würde.
Stöhnend drehte sie sich vom Fenster weg. Sie hatte Kopfschmerzen, welche das Chaos, das gerade in ihrem Kopf herrschte, nicht einfacher machten.
Wie es wohl den anderen Ballgästen heute Morgen gehen würde, von denen die meisten dem Alkohol ja auch allesamt sehr großzügig zugesprochen hatten.
Ob Karl auch Kopfschmerzen hatte?
Beim Gedanken an ihn begann sofort wieder dieses merkwürdige Kribbeln in ihrem Magen und gleichzeitig verspürte sie urplötzlich Angst. Die Gefühle, die sich jetzt schon für Karl empfand sowie diese Vertrautheit bereits nach den wenigen Stunden, die sie bisher miteinander verbracht hatten, passten so gar nicht zu ihr und erfüllten sie mit einer eigenartigen Beklemmung. Sie erkannte sich selbst nicht wieder und insbesondere ihr völlig ungewöhnliches Benehmen während des Feuerwerks gab ihr zu denken. Jetzt galt es aufzupassen, dass sie sich weder zu sehr an Karl gewöhnte geschweige denn am Ende noch gar in ihn verliebte. Und vor allem durfte sie NIE aus den Augen verlieren, dass er bei all seinen positiven Eigenschaften in spätestens zwei Wochen wieder aus ihrem Leben verschwunden sein würde.
Die Zeit war zu kurz, um sie vor Personen wie der Gräfin Reuß zu schützen, aber dafür mehr als ausreichend um ihren Ruf am Hof, der vielleicht nicht der aufregendste, aber doch immerhin weder von Affären noch von sonstigen Lastern befleckt war, grundlegend zu ruinieren. Welche Auswirkungen dies auf noch zu suchende, zukünftige Ehemänner haben konnte, war gar nicht abzuschätzen. An die Enttäuschung ihres Vaters in einem solchen Fall durfte sie gleich gar nicht denken. Dann kam Katharina ein weiterer, nicht minder unangenehmer Gedanke.
Noch weitaus gefährlicher als die Gefährdung ihres Rufes war für sie wahrscheinlich der Umstand, dass sich Karl als König von Schweden ja nichtsdestotrotz weiterhin im Krieg gegen Ihr Vaterland befand. Trotz aller neu entdeckten verwandtschaftlichen Gefühle zwischen beiden Königen musste sie höllisch aufpassen, nicht durch ihr gutes Verhältnis mit dem Schweden unvermittelt zwischen die Fronten zu geraten. Denn was heute richtig war und die volle Zustimmung des Königs fand, konnte morgen schon grundlegend falsch sein. August war launisch und auch ihre neuen Bekanntschaften mit der Cosel und der Baronin von Eckert würden ihr letztendlich nicht helfen, sollte er es sich doch einfallen lassen, Karl die Gastfreundschaft zu entziehen. Insbesondere wenn sie sich mit dem Schwedenkönig weiterhin so gut verstand wie am gestrigen Abend dürfte es im Zweifelsfall nicht lange dauern und sie würde durch ihre unvermeidliche Nähe zu ihm selbst zu einer verdächten Person, egal wie wenig Zutun sie selbst daran hatte.
In ihrer Phantasie ging sie die Strafen durch, die sich August für sie ausdenken konnte und hatte
kurzzeitig das Gefühl, von Panik überrollt zu werden. Vor allem das ungewohnte Gefühl, die Situation nicht mehr unter Kontrolle zu haben, irritierte sie zutiefst. Wenn nur diese Kopfschmerzen nicht wären, sie konnte kaum klar denken. Katharina zwang sich, tief durchzuatmen und sich zu beruhigen.
Nein, sie würde die Festtage unbeschadet überstehen!
Sie musste nur ihren kühlen Kopf bewahren, der sie bereits die vergangenen Monate wohlbehalten das Hofleben überstehen hatte lassen und durfte nie die möglichen Konsequenzen aus den Augen verlieren. Das war eine tröstliche Vorstellung - sie würde nett, aber distanziert sein und damit allen am Hof zeigen, dass sie sich auch in dieser speziellen Situation absolut neutral verhielt.
Und sie würde sich definitiv nicht in Karl verlieben!!!
Katharina atmete erneut tief durch. Sie war mittlerweile so geübt darin, ihre Emotionen zu kontrollieren, warum sollte sie das nicht auch jetzt schaffen?
Zudem hatte Karl ihr gestern ja bei seinem nächtlichen Besuch recht deutlich klar gemacht, dass er sich hier nur zu seinem Vergnügen befand und sie hatte sein Wort, dass er ihr nicht zu nahe treten würde. Vielleicht maß sie dem Ganzen ja von vornherein viel zu viel Bedeutung bei und machte sich völlig grundlos Gedanken.
Unzufrieden wälzte Katharina sich auf die andere Seite des Bettes und lauschte dem fröhlichen Gezwitscher der Vögel. Sie hatte seine Worte in ihrem Champagner-Rausch hingenommen, ohne darüber nachzudenken. Nun verunsicherte es sie, dass sie sich auf einmal darüber ärgerte, anstatt erleichtert zu sein.
Schließlich erhob sie sich leicht wankend aus dem Bett und setzte sich an ihren Frisiertisch. Ein blasses Gesicht mit tiefen Augenringen schaute ihr im Spiegel entgegen. Leni und ihre zwei neuen Kammerzofen würden ganze Arbeit leisten müssen, damit sie einigermaßen vorzeigbar zur Jagd erscheinen konnte, dachte sie resigniert.
Bei der Vorstellung ging es Katharina gleich noch etwas schlechter als ohnehin schon und sie beschloss, sich doch lieber noch einmal zurück ins Bett zu legen. Hoffentlich hatte Leni, die gute Seele, ein Hausmittel für ungeübte Trinker wie sie parat.
Und was Karl betraf...er wollte hier Abenteuer erleben??
Nun gut, das sollte er, aber nicht mit ihr. Auch wenn sie sein Versprechen hatte, würde sie ihm am besten so gut es denn ging von nun an aus dem Weg gehen und nur so viel Zeit wie nötig mit ihm verbringen. Der Gedanke beruhigte Katharina so, dass sie tatsächlich noch einmal einschlief und von Leni geweckt werden musste, als diese zum ankleiden und frisieren kam.
Katharinas Vorsätze wurden gleich auf die Probe gestellt, als sie in einem neuen, dem Anlass angemessenen waldgrünen Reitkleid inklusive feschen kleinem Hütchen, welches sie allesamt hervorragend kleidete, aus dem Schloss trat. Das Wetter war wie von ihr vorhergesehen prächtig – die Sonne schien von einem azurblauen Himmel, den kein Wölkchen trübte und die Luft war angenehm mild. Ideal für die Jagd - Augusts Fest schien unter einem guten Stern zu stehen.
Dank Leni und einem kompliziert zusammengerührten Geheimrezept, welches sie ihr partout nicht verraten wollte, waren mittlerweile auch ihre Kopfschmerzen so gut wie verschwunden.
Zumindest diesbezüglich sollte Katharina den Tag gut überstehen, das war schon einmal beruhigend. Allerdings hatte dadurch auch die Prozedur ihrer Frisur, welche ihr erneut die zwei neuen Zofen gezaubert hatten, noch länger als ohnehin gedauert und so war Katharina wieder eine der letzten, auf die noch ungeduldig gewartet wurde.
Ihr Blick fiel sofort auf Karl, der sich, bereits fertig zum Aufbruch auf seinem Pferd sitzend, gemeinsam mit August und der Gräfin Cosel in der ersten Reihe der Gesellschaft befand. Seine Augen leuchteten auf, als er sie bemerkte und wieder spürte sie dieses angenehme Kribbeln in ihrem Magen. Nein, befahl sie sich erneut, sie würde ihm von nun ab reserviert gegenüber treten, egal welche Gefühle sein Anblick auch in ihr auslösen begann!
So nickte sie ihm nur knapp zu, bevor sie sich von einem Pagen auf ihren Rappen helfen ließ. Dann ritt sie betont langsam zu der Gruppe, grüßte die Männer freundlich und nur die Gräfin Cosel herzlich. Karl schaute sie etwas irritiert an, sagte aber nichts.
Mittlerweile war die Gesellschaft komplett und August gab das Zeichen zum Aufbruch.
Während des Rittes hielt sich Katharina ihrem Vorhaben gemäß zurück und versuchte, Karl soweit es ging aus dem Weg zu gehen. Sie blieb immer nur so lange wie erforderlich bei der Gruppe um die Könige und ließ sich ansonsten immer wieder zurückfallen. Im Stillen dankte sie der Baronin von Eckert, die sich nach einer Weile an ihre Seite gesellte und angeregt mit ihr plauderte.
Die ersten zwei Stunden vergingen auf die Art schnell, es war aber dennoch anstrengender als gedacht. Katharina musste die Gruppe um August immer im Blick behalten, um zum einen rechtzeitig reagieren zu können, sollte ihre Gesellschaft doch wieder einmal gefordert werden und zum anderen, um die sich selbst verordnete Distanz zu halten.
Es gelang ihr einigermaßen gut, dennoch bemerkte sie mit Unbehagen, dass trotz aller Vorsätze ihr Blick auch immer wieder bewundernd an Karl hängen blieb. Sie beobachtete, wie er geistreich mit August scherzte, bewunderte aus der Entfernung seinen athletischen Körper und ertappte sich vor allem immer wieder dabei, wie sie fasziniert sein schön geschnittenes Gesicht mit den vor Vergnügen blitzenden Augen betrachtete. Wie wunderbar wäre es, wenn die Verhältnisse nicht so kompliziert und sie an seiner Seiten reiten und den Tag ebenso wie er einfach nur genießen könnte. Im nächsten Moment verwünschte sich Katharina selbst für ihre Schwäche. Was hatte dieser Mann nur an sich, dass sie, die sonst so willensstark war, nicht einmal auf die Distanz stark bleiben konnte? Sie musste ihm konsequent aus dem Weg gehen, das bestätigte sich erneut und schien die einzige Möglichkeit zu sein, sich seiner seltsamen Wirkung auf sie zu entziehen.
Zudem wurde immer offensichtlicher, dass sie sich am Morgen nicht grundlos voller Sorge im Bett gewälzt hatte. Zunächst war es ihr während des Geplauder mit der Baronin von Eckert noch gar nicht aufgefallen, aber mittlerweile war es offensichtlich - egal wohin sie schaute, bemerkte sie immer neue Augenpaare, die voller Neugier auf sie gerichtet waren. Die Hofgesellschaft betrachtete sie mit völlig neuem Interesse und selbst Personen, die sie noch am Vortag nicht einmal beachtet hätten, musterten sie nun voller Interesse und noch intensiver als am gestrigen Ball. Immerhin, ein Großteil schaute interessiert und grüßte freundlich, sobald Katharinas Blick den ihren begegnete. Natürlich wurde auch ganz offensichtlich über sie gesprochen und es war Katharina zunächst sehr unangenehm, sich so im Mittelpunkt des Interesses zu wissen. Genau das hatte sie kommen sehen und befürchtet, ab jetzt konnte schon ein Blick von ihr oder ein merkwürdiger Gesichtsausdruck ausreichen, um ein Thema bei Hof werden. Doch zum Glück kam Katharina gar nicht dazu, sich in diese Gedanken hineinzusteigern, denn offenbar war sie nun nicht nur ein interessantes Gesprächsthema sondern auch selbst auf einmal als Gesprächspartnerin gefragt. Immer wieder wurde ihre Gesellschaft von verschiedenen Damen und Herren gesucht und das war nicht nur kurzweiliger als gedacht, sondern lenkte Katharina auch wunderbar von Karl und ihren Sorgen ab. Von August wurde sie zwar bereits mit strafenden Blicken bedacht, ihm war also bereits aufgefallen, wie nachlässig sie schon den ganzen Vormittag über ihrer Aufgabe als Begleiterin des Schwedenkönigs nachkam, Karl selbst hatte sich allerdings bis dahin noch nichts anmerken lassen. Er konzentrierte sich voll auf die Jagd, amüsierte sich dabei nach wie vor prächtig und schenkte Katharina, abgesehen von ein paar kurzen Bemerkungen, bisher wenig Beachtung.
Katharina musste zugeben, dass sie sich zumindest ein wenig mehr Bemühungen von ihm erhofft hatte und sein Desinteresse sie mehr enttäuschte als ihr lieb war. Aber immerhin sollte nun jeder am Hof bemerkt haben, dass sie in ihrer Rolle als Begleiterin nur eine Aufgabe erfüllte und ihr Benehmen am Vorabend nur dem Alkohol geschuldet war. So gesehen lief der Tag bis jetzt eigentlich Bestens, beruhigte sie sich selbst.
Die Jagdgesellschaft erreichte gegen Mittag eine Lichtung, auf der das erste Picknick vorbereitet worden war, welches der Bequemlichkeit wegen im Sattel eingenommen werden sollte.
Katharina hoffte, dass sich August und Karl durch ihre bisherigen Jagderfolge nach wie vor in guter Stimmung befanden und die Sprache möglichst nicht auf ihre kaum vorhandene Präsenz während der bisherigen Jagd kam. Ursprünglich wollte sie ihre Kopfschmerzen als Grund für ihr zurückhaltendes Verhalten vorschieben, aber erschien ihr nun wenig glaubhaft, dafür hatte sie sich die letzten Stunden doch zu gut unterhalten. Während sich Katharina noch über mögliche Ausreden den Kopf zerbrach, winkte August sie auch schon von weitem mit grimmigem Gesichtsausdruck heran. Nun wurde es also ernst. Doch zu Katharinas Glück wurde just in dem Moment, als den Jagdteilnehmern von den vorbereiteten Tischen Champagner sowie kleine Häppchen gereicht und Karl sein Pferd in ihre Nähe dirigierte, von den Treibern ein kapitaler Hirsch aufgescheucht.
Sofort ließ die Gesellschaft alles stehen und liegen und jagte dem Tier hinterher.
Katharina blieb als Einzige davon ungerührt und dankte dem Schicksal, dass der Hirsch genau zur richtigen Zeit aufgetaucht war.
Normalerweise nahm sie liebend gern jede Gelegenheit zum Ausreiten wahr und die Jagd gehörte dabei zu einem ihrer größten Vergnügen, doch heute interessierte sie der Hirsch überhaupt nicht. Sie probierte einige der Speisen, trank dann in aller Ruhe ihr Glas Champagner aus und trabte dann gemächlich von der Lichtung, um den anderen in angemessener Entfernung zu folgen.
Sie fühlte sich sicher.
Karl war mit Sicherheit mit August in vorderster Reihe und so konnte sie endlich zumindest für eine Weile den herrlichen Tag genießen, ohne ständig neue Konversation halten zu müssen, um ihn so gut wie möglich auf Abstand zu halten.
„Also wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich annehmen, du gehst mir aus dem Weg...“
Katharina schrak zusammen, als wie aus dem Nichts eine ihr nur zu bekannte Stimme ertönte.
Nur Augenblicke später tauchte Karl an ihrer Seite auf und grinste sie herausfordernd an.
„Wieso bist du nicht hinter dem Hirsch her?“ stotterte sie, unaufhaltsam errötend.
Ihr Herz schlug auf einmal so stark, dass sie befürchtete, es wäre selbst für Karl zu hören.
„Nun, das wird doch heute hoffentlich noch nicht der Letzte gewesen sein. Ich habe bemerkt, dass du zurückgeblieben bist und da wollte ich doch lieber nach dem Rechten sehen.“
Katharina spürte, wie sich vor plötzlicher Anspannung ihr Körper zu verkrampfen begann. Da hatte sie sich so viel Mühe gegeben, Karl aus dem Weg zu gehen und nun war genau das eingetreten, was sie hatte vermeiden wollte – mit ihm allein zu sein, noch dazu mitten im Wald.
Sie musste schleunigst zurück zur Gruppe, doch diese auf die Schnelle wiederzufinden, war praktisch unmöglich. Verdammt, ihr ganzer schöner Plan verkehrte sich gerade völlig ins Gegenteil und während Katharina noch fieberhaft überlegte, wie sie sich am besten aus dieser unangenehmen Situation entziehen könnte, fragte Karl unvermittelt mit ernster Stimme.
„Was ist los mit dir? Die Katharina von gestern hatte ich etwas anders in Erinnerung und ich frage mich ganze Zeit, ob ich etwas Falsches gesagt oder getan habe, dass du mich heute so offensichtlich meidest...?“
Mit nun vor Verlegenheit glühendem Kopf, der zu allem Unglück tatsächlich auch wieder zu schmerzen begann, fiel es Katharina noch schwerer als ohnehin, klar zu denken. Überfordert entschloss sie sich schließlich zu der bereits vorbereiteten Notlüge, den Blick starr gerade ausgerichtet.
„Nein, es liegt überhaupt nicht an dir! Nur fühle ich mich leider heute nicht sonderlich wohl, da ich letzte Nacht nicht gut schlafen konnte und habe mich deshalb auch bei der Jagd vorsichtshalber etwas zurück gehalten, Blut möchte ich heute lieber nicht sehen. Unglücklicherweise habe ich nun nach dem Picknick den Anschluss an die Gruppe verloren und war schon ganz verzweifelt auf der Suche nach euch…“
Sie spürte, wie Karl sie prüfend ansah und betete innerlich, dass er sie noch nicht allzu lange beobachtet und in dem Fall mit Sicherheit angesehen hatte, dass sie alles andere als verzweifelt darüber war, nicht mehr mit der restlichen Gesellschaft reiten zu müssen. Und noch mehr hoffte sie, dass er ihr nur keine weiteren Fragen mehr stellen und sie damit noch stärker als ohnehin schon in Bedrängnis brachte. Besorgt registrierte Katharina den belustigten Unterton in seiner Stimme, als er schließlich antwortete.
„Das tut mir wirklich leid zu hören...ich hoffe, dein Zustand hat nichts mit mir und meinem nächtlichen Kurzbesuch zu tun...“
Bei dem Gedanken daran wurde ihre Gesichtsfarbe noch eine Spur dunkler als ohnehin schon und sie sah aus den Augenwinkeln, wie er es ebenfalls bemerkte und grinste. Es ärgerte Katharina, dass sie sich von ihm immer wieder so leicht aus der Fassung bringen ließ und sie versuchte kühl weiterzusprechen, seinen Blick noch immer konsequent vermeidend.
„Ich würde das Unwohlsein eher auf den Champagner schieben. Aber zugegeben, der gestrige Tag war mit Sicherheit einer der ereignisreichsten in meinem Leben und dass du daran keinen geringen Anteil hast, dürfte auf der Hand liegen. Dass sich das alles nicht so positiv auf meinen Schlaf ausgewirkt, sollte also nicht verwunderlich sein.“
„Die Schuld dafür übernehme ich hiermit voll und ganz...sag mir, wie ich das wieder gutmachen kann und ich erfülle dir jeden Wunsch...“
Über den betrübten Tonfall, den er bei seinen Worten aufsetzte, musste Katharina wider Willen lachen. Zu ihrem eigenen Erstaunen fühlte sie sich danach sofort befreiter, als hätte das Lachen eine in ihr selbst errichtete Mauer jäh zum Einsturz gebracht. Nun wagte sie es auch endlich wieder, Karl anzuschauen und war überrascht, dass seine Augen gar nicht wie erwartet spöttisch, sondern freundlich und warm auf ihr ruhten.
„So gefällst du mir schon viel besser, auch wenn ich noch nicht ganz überzeugt bin, dass du mir gerade die Wahrheit erzählt hast. Aber wir sollten jetzt tatsächlich erst einmal zusehen, dass wir die anderen wieder finden, sonst wird man am Ende noch die völlig falschen Schlüsse aus unserer Abwesenheit ziehen...“
Er lächelte, als sich ihr Gesicht nach seinen Worten wieder mit einer kräftigen Röte überzog, doch plauderte dann beiläufig weiter, als würde er es nicht bemerken. Dass er sie nicht noch weiter in Verlegenheit bringen wollte, bemerkte Katharina mit Dankbarkeit.
„Aber einmal abgesehen davon, dass es dir heute nicht so gut geht, dürfte die Jagd für dich doch ein wesentlich angenehmerer Programmpunkt im bei dir offensichtlich so wenig geschätzten Festivalprogramm als der gestrige Ball sein...hab ich Recht?“
„Nicht unbedingt! Früher mochte ich Bälle und Empfänge fast im gleichen Maße, wie ich Jagdgesellschaften liebte wobei ich dir schon Recht geben muss, an einer Jagd hab ich immer mit einem noch größeren Vergnügen teilgenommen. Doch hier am Hof hält sich meine Freude eigentlich bei allen Veranstaltungen in sehr überschaubaren Grenzen...“
Katharina klang bitterer, als von ihr beabsichtigt.
„Aber warum das? Bis jetzt erschien mir der Tag nahezu perfekt organisiert und durchaus angenehm.“
„Ja, du bist ja auch ein Besucher und nicht wie ich ein Mitglied der Hofgesellschaft. Du kannst selbstverständlich tun und lassen was du willst, noch dazu als Cousin und Ehrengastes von August. Für mich dagegen ist es hier am Hof so gut wie unmöglich, mich überhaupt einigermaßen frei zu bewegen. Hier befinde ich mich eigentlich ständig unter Beobachtung, irgendjemand passt immer auf, ob ich mich auch ja regelkonform verhalte, sei es nun beim Ball oder selbst bei einer Jagd...“
„Und Regeln ordnest du dich nur ungern unter?“
Verwirrt blickte Katharina Karl an. Sie konnte seinem Ton nicht entnehmen, ob seine Worte eher missbilligend gemeint oder nur eine reine Feststellung waren und auch der Gesichtsausdruck, mit dem er sie nun musterte, war unergründlich. Schließlich antwortete sie vorsichtig.
„Das würde ich nicht pauschal bestätigen wollen. Regeln haben auch für Menschen wie mich, die einfach etwas mehr Freiheit gewöhnt sind, durchaus ihre Berechtigungen, jedoch nur dann, wenn sie auch einen Sinn ergeben. Doch bei dem wenigstens, was hier am Hof vom Protokoll vorgeschrieben wird oder den Etiketten entspricht, sehe ich für mich viel Sinn. Allein dieser Damensattel....“
Zu ihrem Erschrecken spürte Katharina, wie ihr unvermittelt die Tränen in die Augen stiegen und schnell wendete sie sich ab, sich innerlich für ihre Schwäche verfluchend. Heute war definitiv nicht ihr bester Tag, doch zum Glück schien Karl nichts bemerkt zu haben, denn er fragte überrascht.
„Aber was ist denn da das Problem? Du reitest doch ganz hervorragend, das ist mir schon bereits damals bei uns im Lager aufgefallen und auch heute bist du definitiv eine der Besten unter den Damen. Schon deshalb hab ich übrigens vermutet, dass du die Jagd eindeutig dem Ball bevorzugst, wobei ich damit nicht sagen möchte, dass du eine schlechte Tänzerin bist – das bist du nämlich keineswegs…“
Erneut musste Katharina wider Willen lächeln.
„Zugegeben, ich bin sicher nicht die Schlechteste, weder beim Reiten noch beim Tanzen, aber wenn du nur einmal das Reiten im Damensattel probiert hättest, dann würdest du mir mit Sicherheit Recht geben, dass es dennoch kein Vergleich ist zu dem Vergnügen, wie es euch Männern erlaubt ist....“
„Du kannst auch im Männersattel reiten?“
„Natürlich!! Früher am Hof meines Vaters bin ich praktisch nur so geritten...“ sagte sie nicht ohne Stolz...„aber hier am Hof ist natürlich auch das unschicklich. Gar nicht auszudenken, was das für einen Skandal geben würde, wenn man mich so reiten sehen würde...“
Sie spürte, wie sie beim Gedanken an zu Hause sowie den vielen gemeinsamen Ausritten mit ihrem Bruder erneut die Augen verräterisch zu brennen begannen und blickte starr geradeaus.
Es fehlte noch, dass Karl ihren erneuten Anflug von Sentimentalität, den sie sich selbst nicht erklären konnte, mitbekam. Sie zeigte sonst nie öffentlich ihre Gefühle, da musste sie nun wirklich nicht ausgerechnet vor ihm damit beginnen. Doch offensichtlich hatte Karl mit seiner Art und vor allem seinem Interesse an ihrer Person noch viel mehr Mauern in ihr zum Einsturz gebracht. Die Tränen liefen Katharina nun über die Wange, ohne dass sie in der Lage war, sie zu stoppen.
Zwar bemühte sie sich, ihr Gesicht vor Karl zu verbergen und blickte nun angestrengt nach unten, doch sollte er es zuvor tatsächlich nicht bemerkt oder überspielt haben, so war er nun offensichtlich nicht mehr gewillt, ihre Tränen weiterhin zu übersehen.
„Warum bist du so traurig, Katharina? Vermisst du deine Familie so sehr oder ist es dein jetziges Leben am Hof, dass dich so unglücklich macht?“
Sie zögerte, doch hörte sich dann zum eigenen Erstaunen antworten.
„Beides! Ich vermisse meinen Vater und meinen Bruder sowie mein ganzes bisheriges Leben unglaublich! Ich bin gemeinsam mit meinem Bruder mit sehr vielen Freiheiten und unter sehr wenig Zwängen aufgewachsen. Dazu muss ich wohl erklären, dass ich meine Mutter kaum gekannt habe, sie ist verstorben, als ich noch sehr klein war. Mein Vater war mit der Erziehung von uns beiden, und wahrscheinlich noch um einiges mehr mit mir als Mädchen, überfordert und so hat er uns in vielen Dingen einfach gewähren lassen, ohne natürlich unsere Bildung in den wesentlichen Dingen zu vernachlässigen. Doch es war ihm völlig egal, ob ich mit meinem Bruder den ganzen Tag durch die Gegend geritten oder auf Bäumen geklettert bin, solange ich meine Unterrichtsstunden bei unserem Lehrer wahrgenommen und dabei Fortschritte gemacht habe, wofür ich ihm unglaublich dankbar bin. Doch um so schwerer fällt mir nun das Leben hier…am Hof fühle ich mich wie in einem goldenen Käfig, ich kann mich nicht frei bewegen, ja ich darf nicht einmal ich selbst sein, wenn ich in Dresden wenigstens einigermaßen bestehen will. Es ist so ganz anders, als ich es gewohnt bin und all das, was mir bisher Freude bereitet hat, ist hier verpönt. Ich habe selbst nicht erwartet, dass ich mich so unglaublich schlecht daran gewöhne und vor allem so schrecklich unglücklich bin…“
Ihn plötzlich erschrocken anschauend und sich eine Hand vor den Mund schlagend, unterbrach Katharina ihren Satz.
„Oh Gott, was rede ich denn hier für einen Unsinn? Wie erbärmlich muss das in deinen Ohren klingen, wenn ich hier herum jammere, nur weil ich Schwierigkeiten habe, mich an einem der prachtvollsten Höfe in Europa einzugewöhnen. Ich kann dir nicht verdenken, wenn ich in deinen Augen einen sehr undankbaren Eindruck hinterlasse!“
„Ich fürchte, ich muss dir rechtgeben, du redest wirklich Unsinn! Aber nicht indem du mir von deiner wunderbar klingenden Kindheit und deinen Schwierigkeiten hier am Hof erzählst, sondern wenn du tatsächlich der Meinung bist, ich könnte deine Probleme nicht nachvollziehen!
Schau mich doch bitte einmal an….“
Widerstrebend folgte Katharina seiner Aufforderung und zu ihrer Erleichterung waren weder Spott noch Verachtung in seinem Blick zu sehen. Im Gegenteil, Karl musterte sie voller Zuneigung.
„Ich weiß nicht, wie viel dir von meiner Vita bekannt ist, doch auch ich habe meine Eltern früh verloren und bin unter der Obhut anderer Menschen und ähnlich wie du mit vielen Freiheiten aufgewachsen. Du kannst mir glauben, wenn jemand versteht, wie wenig wohl du dich jetzt in diesem Korsett aus starren Regeln fühlst, dann bin ich das und mit Sicherheit würde ich ebenso darunter leiden wie du. Nur habe ich im Gegensatz zu dir das Glück, dass mir schon in jungen Jahren als Thronfolger und nun als König gleich gar niemand mehr Vorschriften zu machen wagt, anderenfalls wäre ich wohl auch mit Sicherheit heute nicht hier und würde an deiner Seite als Ehrengast des sächsischen Kurfürsten auf einer Jagd durch diesen Wald reiten. Wobei es zugegebenermaßen auch in Schweden ein Protokoll gibt, an das selbst ich mich halten muss, doch dieses ist bei weitem nicht so reglementiert wie es hier am sächsischen Hof der Fall ist.“
Katharina schaute ihn gerührt an.
„Dass du deine Eltern so früh verloren hast, habe ich tatsächlich nicht gewusst und das tut mir aufrichtig leid. Und ich bin dir so dankbar für dein Verständnis! So langsam habe ich ja schon an mir gezweifelt, ob nicht am Ende ich selbst das Problem bin und etwas mit mir nicht stimmt. Denn alle außer mir scheinen sich am Hof ja unglaublich wohl zu fühlen und ich bin sicher, ich würde niemanden finden, der auch nur ansatzweise nachvollziehen kann, wie schrecklich dass hier alles für mich ist. Du bist die erste Person, der ich bisher überhaupt davon erzählt habe und ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie du mich dazu gebracht hast, normalerweise habe ich meine Gefühle ganz gut im Griff. Ich muss zugeben, dass verwirrt mich gerade etwas.“
Sie holte tief Luft.
„Aber da wir jetzt schon so offen reden, werde ich jetzt einfach weitersprechen und dir auch gestehen, dass du vorhin Recht hattest! Ich habe tatsächlich nicht die Wahrheit gesagt, denn ich bin dir seit heute Morgen aus dem Weg gegangen und das hatte weder mit Kopfschmerzen zu tun, noch habe ich die Jagdgesellschaft aus den Augen verloren. Normalerweise würde ich darüber kein Wort mehr verlieren, doch da wir auch in den nächsten Tagen aller Voraussicht nach viel Zeit miteinander verbringen werden, denke ich nun doch, es ist wichtig, dass du die Motive für mein Handeln kennst und hoffentlich auch verstehst.“
Nervös geworden blickte sie für einen Moment hilfesuchend in den Wald, bevor sie tapfer weitersprach.
„Wie ich bereits erwähnt habe, bin ich hier am Hof praktisch eine Außenseiterin. Mittlerweile denke ich jedoch, liegt es zu einem nicht geringen Teil auch an mir selbst, weil ich einfach nicht dazugehören wollte! Ich habe es so gehasst, dass mein glückliches Leben zu Hause endete, nur weil es schon immer so war, dass Frauen in meinem Alter an den Hof gehören, um hier früher oder später einen Ehemann zu finden. Ich wollte nicht hierher und habe überall die Bestätigungen dafür gesucht, dass in Dresden nur Oberflächlichkeit und Unmoral zu finden sind, so dass es für jemanden wie mich völlig unmöglich ist, sich hier wohl zu fühlen. Dies ist ja auch durchaus der Fall, doch gestern Abend habe ich festgestellt, dass ich damit auch einigen Menschen wie Anna von Cosel oder der Baronin von Eckert Unrecht getan habe.“
Katharina hielt kurz inne und warf ihm einen scheuen Blick zu.
„Kurzum, so wohlgefühlt wie gestern habe ich mich schon lange nicht mehr... auch dank dir...aber das macht mir auch alles Angst, sehr viel Angst, weil ich mich auf einmal auf völlig unbekanntes Terrain wage und schreckliche Furcht habe, dabei einen Fehler zu begehen, der mir in Zukunft teuer zu stehen kommen könnte...“
Mit stockender Stimme fuhr sie fort.
„Seit meiner Ankunft hier am Hof habe ich mir angewöhnt, sowohl meine Gefühle als auch mein Verhalten weitestgehend unter Kontrolle zu halten. Doch seit gestern stürmt so viel auf mich ein, dass ich kaum noch klar denken kann und das ist beängstigend. Ich weiß einfach nicht, wie ich mich verhalten soll, was der Hof und vor allem August von mir in dieser Rolle als deine Begleiterin erwarten und ob ich dann nach dem Festival seine Launen zu spüren bekomme, wenn etwas nicht so verläuft, wie er es sich denkt. Und dann dazu noch du...ich habe mit Männern wie dir wenig, um nicht zu sagen gar keine Erfahrung...und um ehrlich zu sein, überfordert mich das im Moment alles...ich glaube, ich habe gehofft, wenn ich mich heute einfach wieder so wie vor deiner Ankunft am Hof verhalte und so in meine alte Rolle zurückfinde, dann weiß ich auch wieder, wo ich hingehöre....“
Katharina atmete wieder tief ein, bevor sie ihn vorsichtig von der Seite anschaute.
„So, jetzt kennst du den wahren Grund für mein heutiges merkwürdiges Benehmen!“
Karl hatte Katharina die ganze Zeit, während beide langsam nebeneinander her ritten und sie sprach, nicht aus den Augen gelassen.
"`Komm mal her..."' sagte er nun sanft, fast zärtlich.
Er brachte sein Pferd neben ihr zum Stehen und nahm sie spontan in die Arme.
Katharina war so überrascht, dass sie sich nicht rühren konnte. Wie schon damals im Lager roch sie wieder den angenehm männlichen Duft seiner Haut, der sie so an Freiheit und Abenteuer erinnerte, dass ihr ganz schwindelig wurde. Sie fühlte sich in seinen Armen unglaublich geborgen und spürte, wie ihr Körper schwach wurde und sich noch enger an ihn schmiegen wollte, doch ihr Verstand meldete sich nach wenigen Sekunden.
Als Karl bemerkte, wie sich ihre Muskeln in Abwehr zu verspannen begannen, ließ er sie los und sah sie prüfend an. Beim Anblick ihres verstörten Gesichtes musste er leise lachen.
"`Ach süße Katharina! Um ehrlich zu sein, habe ich mir so etwas heute schon gedacht und dich deshalb auch während der Jagd in Ruhe gelassen. Ich muss schon sagen, ich habe ja durchaus einige Erfahrungen mit Frauen, aber jemanden wie dir bin ich noch nicht begegnet...so langsam aber sicher verwirrst auch du mich."'
"`Ich verwirre dich? Das verstehe ich nicht..."'
"`Dann erkläre mir, wie man eine Person verstehen soll, die absolut furchtlos mitten im Krieg allein in ein Lager voller feindlicher Soldaten reitet, nur um eine völlig unbedeutende Botschaft zu überbringen und dann dort sogar noch verwegen genug ist, einen kleinen Lagerspaziergang mit einem der Offiziere da zu unternehmen. Und dann gerät die gleiche Person in völlige Panik, nur weil ihr Leben ein wenig aus der gewohnten Bahn zu laufen droht und macht sich vor allem Sorgen über Dinge, die in keiner Relation zu der Gefahr stehen, in die sie sich damals freiwillig begeben hat."'
"`Furchtlos? Du hast keine Ahnung wie kurz ich damals vor einer Ohnmacht stand..."' murmelte Katharina.
"`Aber du hast dir nichts anmerken lassen. Und, was noch viel wichtiger ist, du bist trotz deiner Angst dageblieben. Doch jetzt, wo du in deiner vertrauten Umgebung bist und dir an sich nichts wirklich Schlimmes passieren kann, willst du einen Rückzieher machen. Wie passt das zusammen, ich kann das wirklich nicht verstehen..."'
Sein Blick war noch immer liebevoll, als er sie aufmerksam musterte.
Katharina wusste für einen Moment nicht, was sie antworten sollte. Unsicher biss sie auf ihre Unterlippe, bevor sie schließlich leise erwiderte.
"'Aber das eine hat doch mit dem anderen überhaupt nichts zu tun. Das eine war eine zugegebenermaßen dumme Mutprobe, bei der ich nicht nachgedacht habe. Doch das jetzt..."'
sie zögerte “...das hier kann mein ganzes Leben verändern und ich habe einfach Angst, dabei falsche Entscheidungen zu treffen...“
„Aber nach allem, was du mir gerade erzählt hast, bist du am Dresdner Hof doch bis jetzt auch alles andere als glücklich, wieviel schlimmer kann es für dich dann noch werden? Warum machst du es dir denn nur selbst so schwer? Ich hatte gestern nämlich keineswegs den Eindruck, dass du hier am Hof nicht auch bestehen kannst, wenn du dich einmal anders als sonst verhältst. Ganz im Gegenteil, du scheinst eher auf dem besten Weg, eine der Damen zu werden, mit deren Bekanntschaft sich jeder Herr gern schmücken möchte…“
Er machte eine kurze Pause, um seine Worte wirken zu lassen.
„…meiner Meinung nach hast du im Moment weitaus weniger zu verlieren, als du unter dem Strich gewinnen kannst. Warum also nicht weiter mutig sein und den Weg, den du gestern so bravourös eingeschlagen hast, einfach weitergehen anstatt schon nach der ersten Biegung stehen zu bleiben und sich dabei noch Sorgen hingeben, die zumindest im Augenblick noch nicht einmal begründet sind.“
Katharina hatte während seiner Worte unwillig ihr Gesicht verzogen, doch als sie ihm nun wieder in die Augen sah, zeichnete sich darin schon wieder ein Lächeln ab.
„Es ist wirklich unglaublich, wie du es nur in wenigen Sätzen schaffst, alle meine Argumente unsinnig erscheinen zu lassen! Lernt man so etwas zur Vorbereitung als König, um auch in Krisenzeiten seinen Landsleute jederzeit die Ängste nehmen und sie in gute Stimmung versetzen zu können?“
Karl lachte so laut auf, dass Othello erschrocken zu tänzeln begann und Katharina für einen Moment Mühe hatte, ihn wieder zu beruhigen.
„Nein, da muss ich dich enttäuschen, das lernt man leider nicht! Eine halbwegs gute Menschenkenntnis habe ich mir ganz allein anerwerben müssen. Aber ich denke, du wirst mir Recht geben, so falsch liege ich nicht mit meiner Einschätzung, dass ich gestern auf dem Ball viel mehr von der wahren Katharina zu Gesicht bekommen habe als heute Vormittag während der Jagd…“
Gespielt resigniert seufzte Katharina auf.
„Leugnen scheint mir wenig Sinn zu machen. Ja, du hast natürlich Recht und ich wünschte, du hättest mich schon vor einem halben Jahr kennengelernt, denn damals war ich zweifellos eine völlig andere als wie du mich gerade jetzt erlebst. Am Hof meines Vaters waren Gefühle wie Angst und Zweifel noch Fremdworte für mich. Doch das Leben in Dresden hat mich nachhaltig gelehrt, dass es sich empfiehlt, jede Entscheidung lieber zweimal mehr als nur einmal zu überdenken. Auch wenn selbst ich zugeben muss, dass der Ritt in dein Lager wohl eher das Gegenteil beweist...“
Verschmitzt lächelte sie ihn an, woraufhin Karl sie mit einem Blick musterte, der die Schmetterlinge in Katharinas Bauch wieder erwachen ließ.
„Nun gut, da wir jetzt nun schon einmal dabei sind, uns die wahren Gründe über unser Verhalten zu erzählen, möchte auch ich dir etwas beichten, was dich vielleicht noch mehr erschrecken wird, als all das, was dir bereits jetzt schon Sorgen bereitet. Aber das Risiko gehe ich ein, auch in der Hoffnung, dass die mutige Katharina die Überhand über die Ängstliche gewinnen wird. Denn das, was ich dir sagen möchte, beschäftigt auch mich schon länger und ich bin deswegen zugegebenermaßen auch ziemlich durcheinander. Doch vielleicht bringt es uns ja beide weiter, wenn auch ich nun endlich mit offenen Karten spiele.“
Er suchte nach den richtigen Worten.
„Ich habe dir gestern Nacht ebenfalls nicht ganz die Wahrheit gesagt!“
„Wovon redest du?“
Nun war es Karl, der zu Katharinas Verwunderung mit einem Mal seine bisherige Selbstsicherheit verloren zu haben schien und nervös an seinem Zaumzeug nestelte, bevor er weiter sprach.
„Es stimmt nicht, dass ich nur wegen Langeweile und neuer Abenteuer nach Moritzburg gekommen bin...“
Erneut schien er seine weiteren Worte sorgfältig abzuwägen.
„Die Wahrheit ist, dass du mir seit unserer ersten Begegnung einfach nicht mehr aus dem Kopf gegangen bist. Ich muss gestehen, ich bin noch nie einer Frau begegnet, die mich mit ihrem Mut, ihrer Bildung und überhaupt ihrer ganzen Persönlichkeit so beeindruckt hat, wie du es an dem Tag getan hast. Und noch nie hatte ich für eine Frau solche Empfindungen wie jetzt für dich und ich weiß selbst nicht, ob beziehungsweise was das zu bedeuten hat. Aber es beschäftigt mich schon, seitdem du das Lager verlassen hast. Deshalb bin ich hier...um herauszufinden, ob ich einfach nur nach den monatelangen Entbehrungen während des Feldzuges empfänglicher für die weiblichen Reize einer Dame der Hofgesellschaft war oder ob...“
Er verstummte und sah sie unsicher an. „...oder ob es mehr ist!“
Als sie nicht reagierte, fügte er etwas forscher und wieder verschmitzt lächelnd hinzu.
„Und natürlich wollte ich dich auch wegen dieser Botschaft und vor dieser Gräfin Reuß warnen. Das waren übrigens meine ersten Argumente vor mir selbst, warum ich dich unbedingt wiedersehen wollte. So richtig klar bin ich mir über die wahren Motive meines Besuches hier um ehrlich zu sein selbst erst gestern geworden, als du in dieser Reihe voller unglaublich attraktiver Frauen vor mir standest, die ich normalerweise alle nicht verschmähen würde und dann hatte ich doch nur Augen für dich...“ Er räusperte sich verlegen.
„Wobei ich gestehe, der Abenteuer-Aspekt kommt hierbei ja dennoch nicht zu kurz...also bis jetzt bin ich noch nicht enttäuscht worden...“
Nun grinste er wieder in seiner frechen Art.
Katharina war während seiner Worte blass geworden. Ihre Hände begannen zu zittern und sie starrte ihn für Sekunden entsetzt an, bevor sie in der Lage war, ihm mehr stotternd als sprechend zu antworten.
„Oh mein Gott, Karl...aber das geht doch nicht...du kannst mir doch nicht so einfach solche Dinge offenbaren! Ich weiß gerade überhaupt nicht, was ich dazu sagen soll!“
Um sie zu beruhigen ergriff Karl ihre Hand, die sie ihm nur widerstrebend gewährte.
Es war Katharina anzusehen, wie gern sie im Augenblick der ganzen Situation entfliehen würde, anstatt sich diesem ihr sichtlich unangenehmen Gespräch zu stellen. Verzweifelt blickte sie sich um, als könnte sie im Wald eine Antwort auf Karls Geständnis finden.
„Und warum bitte soll ich das nicht können? “
Karls Ton war sanft und brachte Katharina dazu, ihn wieder anzusehen. Sie schüttelte den Kopf, noch immer fassungslos.
„Warum? Liegt das nicht auf der Hand? Zum Beispiel an all den Gründen, die ich dir gerade erst vor wenigen Minuten aufgezählt habe und durch die mein Leben auch ohne dein Geständnis schwierig genug ist. Nein Karl, es ist nicht immer nur so einfach, wie du mir vor wenigen Minuten beinahe weißgemacht hättest. Man kann nicht immer nur tapfer seinen Weg geradeaus gehen, ohne nach rechts und links zu schauen. Hin und wieder muss man auch die Einsicht haben, dass es Realitäten gibt, an denen man nicht vorbeikommt. Das mag eine Erkenntnis sein, die für dich als König nicht zutrifft, aber ich muss die Tatsache akzeptieren, dass ich nicht immer so leben kann, wie ich es mir gern wünschen würde. Schau uns beide doch nur an - allein der Fakt, dass du der schwedische König bist und ich eine Baroness von eher niederem Stammbaum aus einem Land, mit dem du dich im Krieg befindest, macht die Sache doch von vornherein so gut wie unmöglich. Und nur um es noch einmal zu erwähnen, ich hege zudem nach wie vor nicht den Wunsch, meinen Ruf nun auch noch mit einer Affäre zu ruinieren...“
Sie entzog ihm ihre Hand und rieb sich die linke Schläfe. Aller Vernunft zum Trotz war das Kribbeln in ihrem Bauch seit seiner Offenbarung noch stärker geworden.
Verzweifelt blickte sie ihn wieder an.
„Nur einmal angenommen, wir würden tiefere Gefühle für einander entdecken und uns tatsächlich darauf einlassen, wohin sollte das denn führen? So etwas kann doch gar kein gutes Ende nehmen, das kann man doch schon in jedem Roman nachlesen.....und jetzt, wo ich weiß, dass du dich doch nur wegen mir dieser Gefahr hier aussetzt, wie könnte ich mir jemals verzeihen, wenn dir etwas zustößt. Findest du das alles nicht auch selbst unglaublich egoistisch von dir?“
Über Karls Gesicht, der ihr bis dahin wortlos und ohne Regung zugehört hatte, zog sich ein Lachen.
„Was ist daran so lustig?“
„Auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole – aber du bist wirklich das außergewöhnlichste Mädchen, das ich kenne! Da lege ich dir hier mein Herz zu Füßen, wie ich es wohl bisher noch nie in meinem Leben getan habe, jede andere Frau wäre mit Sicherheit dahin geschmolzen und was machst du? Du hältst mir Egoismus vor, nur weil ich keine Gefahr scheue, um dich wiederzusehen...“
Er sah sie belustigt an, während sich Katharinas gerade noch kreidebleiche Gesichtsfarbe schlagartig erneut in ein glühendes Rot verwandelte.
Wieder verlegen werdend wich sie seinem Blick aus, als Karl in ernsterem Ton weiter sprach.
"`Katharina, ich verstehe und respektiere alle deine Einwände und entschuldige mich hiermit dafür, dass ich dich zunächst mit meinem Auftauchen in Moritzburg und nun auch noch mit meinem Bekenntnis in eine unangenehme Situation gebracht habe. Wie ich dir gestern schon sagte, dein Leben komplizierter zu machen, als es ohnehin schon ist, ist wahrlich das Letzte was ich möchte.
Und ja, ich gebe auch zu, es war egoistisch von mir, dich mit meinen Gefühlen zu konfrontieren. Aber das ich es getan habe, geschah nicht nur aus reinem Selbstzweck, dass musst du mir glauben. Denke nicht, dass mir nicht aufgefallen bist, wie verwirrend meine Nähe auch für dich ist und dass du ebenso wie ich derzeit nicht weißt, was du denken und fühlen sollst. Oder meinst du, ich hätte gestern Nacht nicht bemerkt, dass dir meine Worte, ich wäre nur zum Vergnügen nach Moritzburg gekommen, gar nicht gefallen haben? Du brauchst es nicht zu leugnen, dein Gesicht sprach Bände. Ich denke, ich gehe nicht falsch in der Annahme, dass es dir seit deinem Besuch im Lager nicht viel anders geht als mir und mit meinem Geständnis wollte ich dir zumindest in dieser Frage Klarheit verschaffen. Nun weißt du immerhin, woran du bei mir bist."'
Er griff erneut ihre Hände und hielt sie fest in den seinen.
"`Pass auf, ich mache dir einen Vorschlag. Ich habe dir gestern versprochen, dass ich nichts tun werde, was du nicht auch möchtest und daran werde ich mich halten! So schwer es mir auch fallen wird...."'
Er grinste kurz, wurde aber sofort wieder ernster.
"`Es kann dir also gar nichts passieren. Doch werden wir während des Festivals dank meines lieben Cousins weiterhin jede Menge Zeit miteinander verbringen müssen, da wirst du nicht herum kommen, egal welche Konsequenzen du aus unserem Gespräch ziehst. Von daher lass uns doch einfach sehen, wie sich die nächsten Tage entwickeln. Wer weiß, wenn wir uns erst näher kennen lernen, ist der Reiz des Ganzen ja vielleicht schon wieder verflogen und die ganze Aufregung war umsonst..."'
Er lachte kurz über ihren empörten Blick, den sie ihm nach seinen letzten Worten zuwarf und drückte ihre Hände noch ein wenig fester.
"`Ich möchte nur, dass du weißt, das es sich keineswegs um die Konstellation "`der mit allen Wassern gewaschene Wolf verführt das unschuldige Reh"' handelt...du kannst mir wirklich glauben, ich bin genauso verunsichert wie du und begebe mich gefühlsmäßig derzeit auf ein Gebiet, welches ich ebenfalls nicht kenne und nicht weiß, wohin es mich führen wird. Außerdem, warum soll eine Geschichte nicht auch einmal gut ausgehen, nur weil es bei "`Romeo und Julia"' kein glückliches Ende gab? Ich kenne genügend Bücher, die mit einem besseren Ende für die Protagonisten aufwarten können! Von daher lass uns doch einfach gemeinsam unseren ganz eigenen Roman leben, mit einer Geschichte, welche wir selbst bestimmen und nicht irgendein Schriftsteller, selbst wenn es unser beiderseits so hochgeschätzter Shakespeare wäre! Also was sagst du zu meinem Vorschlag? Wollen wir beide mutig sein, uns normal verhalten, nicht aus dem Weg gehen, sondern einfach schauen, was die Zukunft für uns bereithält?"'
Katharina wusste erneut nicht, was sie darauf antworten sollte. Wie er es mit seiner forschen Art schaffte, einmal mehr sämtliche ihrer Bedenken förmlich in Luft aufzulösen, überforderte sie.
Allerdings musste sie zugeben, sein Angebot klang unter den derzeitige Umständen durchaus vernünftig und er hatte ja Recht, sie hatte ohnehin keine Chance, ihm aus dem Weg zu gehen, um ihre Gefühle auf diese Art eventuell noch im Keime ersticken zu können.
Dennoch ging ihr das alles viel zu schnell und während sie sich stärker denn je zu dem schwedischen König hingezogen fühlte, mahnte nach wie vor ihr Verstand, das Ganze zu lassen, bevor es zu spät war.
Sich wieder nervös auf die Unterlippe beißend, rang sie mit sich um eine Entscheidung.
Karl, der ihren inneren Kampf beobachtete, musste bei ihrem Anblick lachen.
"`Nun schau mich doch nicht so an. Es ist doch nicht meine Schuld, dass du das bezauberndste, wildeste und gleichzeitig beschützenswerteste Mädchen bist, das ich bisher kennen gelernt habe. Darüber sollte ich mich vielleicht wirklich einmal bei deinem Vater beschweren..."' Er lächelte sie so liebevoll an, dass sich das Gefühlschaos in ihr nur noch verstärkte.