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Kapitel 1 Einleitung

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Zu den größten Merkwürdigkeiten, die auf die Neuankömmlinge in der Philosophie warten, gehört der Mangel an Einführungen in unser Fach. Nicht, dass es nicht einige Bücher mit den Worten Einführung in die Philosophie als Titel geben würde, darunter ausgezeichnete, für Einsteiger hervorragend geeignete Beispiele[1]!. Das Problem dabei ist allerdings, dass es sich bei genauerer Betrachtung um Einführungen in das Denken einzelner Philosophen handelt. Richard David Precht bemerkt in diesem Sinn, „dass es nur sehr wenige befriedigende Einführungen in die Philosophie gibt. […] Was sich als systematische Einführung ausgibt, präsentiert zumeist eine Abfolge von Denk­strö­mun­gen”[2]. Das scheint zunächst keinen wesentlichen Unterschied zu machen – Philosophie wird doch schließlich von Philosophen betrieben. Da müsste man eigentlich erwarten, dass sich aus den vielen Einzeldarstellungen von Philosophen irgendwann auch ein einheitliches Gesamtbild der Philosophie einstellt.

Unglücklicherweise ist aber genau das nicht der Fall. Auch noch so viele gelungene Darstellungen des Denkens einzelner Philosophen erbringen nicht notwendigerweise eine einheitliche Darstellung der Philosophie. Es ist sogar eher das Gegenteil der Fall: Je mehr Philosophen man bezüglich ihrer Argumente befragt, desto widersprüchlicher und unklarer wird das Gesamtbild. Es ist, als würden alle diese Denker zwar unter der Flagge der Philosophie segeln, aber auf unterschiedlichen Schiffen und vor allem mit völlig verschiedenen Kursen. Früher oder später stellt sich daher die Frage: Was ist eigentlich das Gemeinsame, Philosophische an diesen Einzelperspektiven? Gibt es so etwas überhaupt? Und warum ergibt sich aus dem Denken einzelner Philosophen kein einheitliches Gesamtbild der Philosophie?

Um mit der letzten Frage zu beginnen: Die Gründe dafür sind (sicher auch aufgrund der zweiteinhalbtausendjährigen Geschichte der Philosophie) vielfältig, den größten Anteil hat aber ohne Zweifel der folgende Aspekt. Bis auf sehr wenige Ausnahmen scheint es Philosophen bis heute schwer zu fallen, sich selbst den Spiegel vorzuhalten und über sich und ihr philosophisches Tun nachzudenken. Dass heißt natürlich nicht, dass in der Philosophie nicht nachgedacht würde – im Gegenteil. Ein Blick in irgendeinen Bibliothekskatalog, eine Verlagsbroschüre oder im Internet das Verzeichnis lieferbarer Bücher (VLB)[3]! zeigt, dass die Produktion philosophischer Gedanken und Werke auf Hochtouren läuft und dabei immer weitere Themenbereiche umfasst. Darunter finden sich neben traditionellen Beispielen wie der Erkenntnis, der Sprache und dem Handeln auch neuere Interessengebiete von Philosophen, zum Beispiel die Technik oder die Medien. Ein Thema wird man auf der Liste der Dinge, mit denen sich die Philosophen von der Antike bis zur Gegenwart auseinandergesetzt haben, aber nur relativ selten finden: die Philosophie selbst.

Während sich bei der Betrachtung und Darstellung des Denkens einzelner Philosophen also recht zügig ein einheitliches Gesamtbild hinsichtlich der Teile der Welt einstellt, mit denen sich die Philosophie beschäftigt (etwas wissenschaftlicher ausgedrückt: ihr Objektbereich), bleibt die Frage offen, was eigentlich das Besondere, Philosophische an der Behandlung dieser Themen ausmacht (also die Methode). Die Antwort auf diese Frage bleiben die allermeisten Philosophen durch die gesamte Geschichte hindurch schuldig. Das war vor ein paar hundert oder tausend Jahren nicht weiter problematisch, denn die Philosophie hatte bei der Beschäftigung mit ihren Themen keine Konkurrenz. Mit der Entstehung der verschiedenen Wissenschaften aber hat sich das grundlegend geändert. Das menschliche Handeln wird zum Beispiel auch in der Ökonomik zum Thema gemacht, mit dem Erkennen setzt sich die Hirnforschung auseinander. Linguisten gehen den Rätseln der Sprache auf den Grund, und in den Ingenieurwissenschaften wird der Zugriff auf die Technik immer präziser und effizienter. Die Philosophie hat bei der Behandlung dieser oder anderer Themen also kein Monopol mehr, was von ihren Vertretern bis heute weitgehend ignoriert wird – mit der Folge, dass in der öffentlichen Diskussion die Philosophie weitgehend ignoriert wird.

Die erste und wichtigste Aufgabe einer Einführung in die Philosophie, ist also, genau das zu sein: eine Darstellung dessen, was alle ihre Repräsentanten gemeinsam haben und was damit den Kern der Identität unseres Fachs ausmacht, also eine Antwort auf die Frage: ‚Was ist die Philosophie?’.

An dieser Stelle scheint sich aber ein gravierendes Problem aufzutun. Denn wenn, wie soeben erläutert, die Philosophen aller Zeitalter nicht in der Lage waren, schlüssig und vor allem einheitlich die Frage nach der Philosophie zu beantworten – woher soll eine solche Antwort denn dann kommen? Wo, wenn nicht in den Büchern der einzelnen Philosophen soll sich die Identität der Philosophie verbergen? – Man könnte sich nun die Meinung Immanuel Kants zu eigen machen, der bei seiner Auseinandersetzung mit Platon in der Kritik der reinen Vernunft einfach vorschlägt, „durch die Vergleichung der Gedanken, welche ein Verfasser über seinen Gegenstand äußert, ihn sogar besser zu verstehen, als er sich selbst verstand […]”[4]!. Anders gesagt und auf unser Thema bezogen: Die einzelnen Philosophen haben zwar alle über die Philosophie geschrieben – sie wussten es nur nicht. Und deshalb ist es legitim, ein einheitliches Gesamtbild der Philosophie auf ihre Werke quasi zu projizieren. Es ist offensichtlich, dass ein solches Vorgehen den betroffenen Denkern nicht gerade Respekt zollt, und Kant wurde wegen der gerade zitierten Haltung wohl nicht ganz zu Unrecht immer wieder der Vorwurf der Arroganz gegenüber Platon gemacht.

Hier wird deshalb ein anderes Vorgehen gewählt, welches die Literaturlage (also die Tatsache, dass die Philosophie in philosophischen Werken regelmäßig zu kurz kommt) nicht ignoriert, den behandelten Philosophen aber auch nicht eigenmächtig Worte in den Mund legt. Das, was im Rahmen dieser Einführung als Identität der Philosophie dargestellt wird, ist als Hypothese zu verstehen, also als ein Vorschlag, der sich bei der Darstellung der einzelnen Philosophen zu bewähren hat. Mit anderen Worten: Wenn in den folgenden Kapiteln das Denken von Sokrates bis Martin Heidegger im Einzelnen besprochen wird, dann geschieht dies also sozusagen unter der Als‐Ob‐Annahme, dass dem ein einheitliches Bild dessen zugrunde liegt, was Philosophie ist und worum es ihr geht. Dabei ist dieser Weg sicherlich der schwierigere und erfordert weitaus mehr gedankliche Arbeit, als dem Kollektiv der Philosophen schlichtweg ein bestimmtes, ihnen unbewusstes Bild von Philosophie zu unterstellen. Er ist aber auf der anderen Seite nicht nur intellektuell redlicher und wissenschaftlich angemessener – er legt sich vor allem bei jedem Schritt Rechenschaft über sich selbst ab, und genau das ist es ja, was oben an der Philosophie bemängelt worden war: dass sie zwar einen klaren Blick auf viele Dinge in der Welt hat, aber eben keinen Blick auf sich selbst, keinen Blick auf diesen ihren Blick selbst.

Nachdem nun ausführlich der Status dessen geschildert wurde, was innerhalb dieser Einführung unter Philosophie verstanden wird, ist es nun höchste Zeit, auch auf den Inhalt einzugehen. Was also hier hypothetisch mit Philosophie gemeint ist und sich daher im Folgenden bezüglich unterschiedlicher Einzelphilosophien zu bewähren hat, ist die Frage nach dem Weltbezug des Menschen. Die Philosophie, wie sie hier verstanden wird, beschäftigt sich folglich immer auf die eine oder andere Art und Weise mit der Begegnung des Menschen mit der Welt, den sich dabei ergebenden einzelnen Berührungspunkten und dem Umgang mit ihnen. Wie ausdifferenziert und speziell dieses Thema im Rahmen der Schilderung der Werke einzelner Philosophen also auch besprochen wird, stets stellt hier die Frage nach dem menschlichen Weltbezug den Hintergrund der Schilderung des Denkens dieser Philosophen dar. Der Gesichtspunkt des Verhältnisses von Mensch und Welt ist somit der Ariadnefaden, der uns dabei helfen soll, uns im Labyrinth der Philosophie zu orientieren, von dem sich allerdings erst noch zeigen muss, ob er diese Aufgabe auch erfüllt. Mit Goethe gesprochen: Der Weltbezug des Menschen ist ein „prägnanter Moment”[5] in der philosophischen Landschaft, der uns hoffentlich den nötigen Überblick verschafft. Goethes Ausdruck ist im Übrigen auch deshalb für den hier gewählten Ansatz geeignet, weil das Thema des menschlichen Weltbezugs nicht völlig von außen an die Philosophie herangetragen wird. Dieser Aspekt wird im Gegenteil bei einigen Denkern tatsächlich ausdrücklich zur Sprache gebracht – nur wird ihm dort eben nicht die Bedeutung für die Philosophie insgesamt beigemessen, die er im Rahmen dieser Einführung hat. So, wie ein Hügel immer schon Teil einer Landschaft ist, aber erst dann zum ‚prägnanten Moment’ wird, wenn man sich auf ihn stellt und sich umsieht.

Welche Teile dieser Landschaft, also welche Philosophen wir dabei genau betrachten werden und vor allem: wo die Reihe der Philosophen beginnt, die im Rahmen dieser Einführung besprochen werden, wird anhand der Namen der folgenden Kapitel klar. Dort wird dann, beginnend mit Sokrates, auch im Einzelnen erläutert, wie sich deren jeweiliges Philosophieren als Spezialfall der allgemeinen Frage der Philosophie nach dem menschlichen Weltbezug verstehen lässt.

Bisher ging es in diesem Kapitel vorwiegend um das vor allem für Neulinge in der Philosophie verwirrende Problem, dass es in Bezug auf ihr Fach kein einheitliches Verständnis und folglich auch kaum auf das Fach als Ganzes gerichtete Einführungen gibt. – Darüber hinaus besteht noch eine zweite Schwierigkeit, die allerdings nicht beim Einstieg in die Philosophie, sondern erst ein wenig später, also sozusagen ein Stück waldeinwärts, wartet. Der Münchner Philosophieprofessor Wolfgang Stegmüller hat dieses Problem, das nicht nur, aber besonders auf akademische Neuankömmlinge (also Studenten des Fachs in den ersten Semestern) lauert, schon im Jahr 1960 präzise auf den Punkt gebracht. Stegmüller hatte immer wieder beobachtet,

dass Philosophiestudenten sich frühzeitig jener philosophischen Richtung verschreiben, die sie zufälligerweise als erste kennen lernten oder die ihnen von einem ihrer Vertreter in besonders eindringlicher Weise vorgetragen wurde, ohne dass sie über andere philosophische Denkweisen hinreichend oder auch nur ungefähr informiert gewesen wären.[6]

Leider beschränkt Stegmüller seine zutreffende Bemerkung auf die Stundenten der Philosophie und vergisst zu erwähnten, dass der Glaube an den Absolutheitsanspruch von Wahrheiten in der Philosophie bei weitem nicht auf diese beschränkt ist. Er findet sich genauso bei deren Lehrern, also den Dozenten – mit dem kleinen, aber wichtigen Unterschied, dass Letztere keinen Anfängerstatus als Erklärung oder Entschuldigung vorzuweisen haben.

Was also in der Philosophie gerade am Anfang Not tut, ist – über die Vermittlung von Inhalten hinaus, wenn auch natürlich auf ihnen aufbauend – der stetige Hinweis auf die Perspektivität dieser Inhalte. Dabei scheint die Zuordnung von Inhalten und Perspektiven bzw. den dahinter stehenden Personen zunächst, gerade in einem Buch, kein besonderes Problem zu sein. Schließlich stehen die Inhalte jeweils in einem bestimmten Kapitel – und das ist wiederum einem bestimmten Philosophen gewidmet. Nur findet eben das Nachdenken über Philosophie (vom Reden ganz zu Schweigen) nicht im Medium des Papiers statt; und die zahlreichen Positionen und Personen gedanklich (und dann im Gespräch) immer korrekt zusammenzuhalten, ist schon eine wesentlich verzwicktere Aufgabe – vor allem, wenn von den Personen die meisten den Eindruck zu erwecken versuchen, die von ihnen präsentierten Inhalte seien nicht etwa nur ihrer subjektiven Sicht der Dinge entsprungen, sondern vielmehr die absolute, objektive Wahrheit, auf die letztlich jeder kommt, wenn er nur lange genug nachdenkt. Die Philosophie, also die Liebe zur Weisheit, auf diese Art mit dem Stein der Weisen zu verwechseln ist am Schärfsten von Friedrich Nietzsche kritisiert worden, daher wird sich das Kapitel, das ihm gewidmet ist, ausführlich mit dieser Frage beschäftigen. Wie Stegmüllers Hinweis deutlich zeigt, wird Nietzsches Forderung nach einer konsequenten Perspektivierung der Philosophie bis heute weitgehend ignoriert. An diesem generellen Missstand wird natürlich auch diese Einführung nicht viel ändern können, allerdings soll auf diesen Gesichtspunkt ein besonderes Augenmerk gelegt werden. (Das gilt in noch stärkerem Maß für das Computerspiel Philosophenkönig. Denn obwohl dessen Inhalt der Menge nach deutlich über dieses eBook hinausgeht, stellt dort die korrekte Zuordnung von philosophischen Positionen zu bestimmten Personen und umgekehrt – also genau die gerade erwähnte Perspektivierung – die einzige Möglichkeit dar, Punkte zu sammeln.)

Dabei muss aber auch eine Frage berücksichtigt werden, die Nietzsche selbst von seinem Publikum gestellt bekam: Wenn Philosophie keine absolute, objektive Wahrheit hervorbringt – was unterscheidet sie dann von völlig willkürlichem Gerede? Anders gefragt: Gibt es einen Unterschied zwischen ‚subjektiv’ und ‚ziellos’? Und worin besteht dieser? Solche Fragen scheinen auf den ersten Blick von ausschließlich geistesgeschichtlicher Natur zu sein, das aber wäre ein Fehlschluss. Nicht nur, dass die Entstehungsperiode der Philosophie in der griechischen Antike in den einschlägigen historischen Darstellungen immer wieder als „religiös stark erregte Zeit”[7] beschrieben wird, was auch als Charakterisierung zumindest von Teilen unserer Gegenwart nicht unangemessen erscheint. Darüber hinaus wird auch heute Zweifeln an der absoluten Wahrheit religiöser Wertesysteme der Vorwurf der Willkür sowie des Relativismus gemacht[8]!. – Die Frage, wie Philosophie perspektivisch und dennoch nicht willkürlich sein kann ist also letztlich identisch mit der Frage nach der Möglichkeit einer Welt, in der eine Vielzahl an grundlegenden Sichtweisen nebeneinander existieren können, die dennoch prägnant und eigenständig genug sind, um Menschen eine lebenslange Identifizierung mit ihnen zu erlauben. Das wird im Übrigen nicht das letzte Mal bleiben, dass sich die Philosophie hier als weitaus aktueller als ihr Ruf erweist.

Was nun die Darstellung der einzelnen philosophischen Ansätze im Rahmen dieser Einführung angeht, so soll, wie gesagt, der Aspekt des menschlichen Weltbezugs einen thematischen Leitfaden bilden und damit umzäunen, was sich sonst recht unverbunden unter der Überschrift Philosophie finden lässt. Anhand dieses Leitfadens lassen wir uns in den folgenden Kapiteln also auf das Werk jeweils eines Philosophen ein. Dabei zeigt allerdings die Erfahrung immer wieder, dass in den einführenden Darstellungen solcher Werke (natürlich von dem an sich sinnvollen Wunsch nach Überschaubarkeit geleitet) mittels Absatz- und Unterüberschriften eine Struktur erzeugt wird, die sich so im Original nicht finden lässt. Um das Beispiel von oben abzuwandeln: Die Hilfslinien auf einer Landkarte fügen einem Ausschnitt der Natur ein Gitternetz hinzu, das sich zur Orientierung eignet, das aber natürlich nicht als Teil der Landschaft verstanden werden darf. Und genau diese Gefahr besteht bei vielen Darstellungen von Philosophen, weil leicht der Eindruck entsteht, Strukturprinzipien wie die Einteilung in Abschnitte seien den entsprechenden Werken entnommen – während sie in Wahrheit auf die Landschaft dieser Werke projiziert werden, um sich in ihnen besser orientieren zu können. Daraus folgt aber auch, dass es unter Umständen noch ganz andere Wege durch diese Landschaft gegeben hätte – man kann nur eben nicht wählen, wovon man nichts weiß.

Aus diesem Grund soll hier dem Leser bzw. der Leserin zumindest soviel an Deutungshoheit überlassen werden, dass die einzelnen Kapitel zwar jeweils einen Argumentationsstrang vorlegen und versuchen, die entsprechende Philosophie einheitlich darzustellen. Darüber hinaus ist aber auf Strukturierungen bewusst verzichtet worden, um die Möglichkeit zu geben, sich auch formal einen eigenen Reim auf die Philosophen und ihre Werke zu machen. Die vorliegende Einführung versteht sich also insofern als Lese- und Arbeitsbuch, als man sich ihr am Besten mit Auge und (elektronischem) Stift widmet. Wer das tut, wird feststellen, wie sehr selbst die einfachsten Einteilungen und Notizen das Bild verändern, das man sich von einer Philosophie macht – oder, wie Nietzsche bereits vor fast 125 Jahren bemerkte: „Unser Schreibzeug arbeitet mit an unseren Gedanken”[9].

Philosophenkönig – eine Einführung

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