Читать книгу Westend 17 - Martin Arz - Страница 8
Оглавление05 »Echt, ich fasse es nicht«, fluchte Arslan. »Diese kleine Drecksschlampe!«
»Jetzt krieg dich wieder ein, Alter«, sagte Tayfun und holte die zweite eiskalte Flasche Augustiner aus dem Rucksack. Er öffnete die Biere mit dem Feuerzeug und hielt Arslan eine Flasche hin. »Trink mal nen Schluck und komm runter.«
Die beiden jungen Männer saßen auf dem Erdboden neben Arslans provisorischem Zelt und lehnten sich gegen die Backsteinmauer des Bahnwärterhäuschens. Die Sonne wärmte angenehm. Sie stießen an, und Arslan nahm einen sehr langen Schluck.
»Meine Klamotten und das andere Zeugs …«
»Was denn noch für Zeugs?«, fragte Tayfun neugierig.
»Na, Zeugs halt. Zeugs! Was man so dabei hat. Verfickte Scheiße.«
»Geld? Schlüssel?«
»Nein, habe ich bei mir.« Arslan klopfte auf seine linke vordere Jeanstasche. »Einmal ausgeraubt werden langt mir.«
»Damals hast du es auch bei dir am Körper gehabt, und trotzdem isses nun weg, Alter.«
»Ja, Mann. Ich könnte mich immer noch in den Arsch beißen!«
»Die Scheißkerle finden wir schon noch. Keine Sorge. Dann mach ich die platt, Alter.« Tayfun, das hatte Arslan von Anfang an gemerkt, war niemand, mit dem man es sich leichtfertig verscherzen sollte. Er strahlte eine gewisse Grundaggressivität aus. Es war ganz klar, dass Tayfun das Alphamännchen in der WG war und das Sagen hatte – sofern Cem nicht da war. So lautete die Hackordnung: Cem – was er sagte, war Gesetz. Dass über Cem nominell die geile Kröte stand, interessierte niemanden. Die geile Kröte hieß in Wahrheit Jürgen Eisele, doch dank seines plumpen Körpers und vor allem dank seiner glupschäugigen Krötenvisage nannten ihn alle nur die geile Kröte. Geil, weil er jede Gelegenheit nutzte, die Jungs zu betatschen. Dabei war Eisele verheiratet und hatte zwei Kinder.
Nach Cem kam Tayfun, der geschickt mit Cem zu taktieren wusste. Dann lange niemand, dann alle anderen und ganz am Schluss Mesut. Und genau Mesut hatte den Anlass gegeben, dass Arslan Tayfun bisher nur ein einziges Mal körperlich aggressiv erlebt hatte. Damals, als der fette Mesut sich völlig unsinnig über zwei nicht abgespülte Becher in der WG aufgeregt hatte und Arslan eine reinhauen wollte, wenn der nicht sofort die Küche in Ordnung bringen würde. Mesut war so dumm, wie er fett war, weshalb diskutieren nicht viel brachte. Er hatte schon früher ganz unten in der Hackordnung der WG gestanden, alle nannten ihn nur Schwabbel. Und dann war Arslan in die WG gekommen: feingliedrig, groß und schlaksig, wortkarg und scheu – und Mesut vor allem intellektuell haushoch überlegen. Mesut hatte Arslan vom ersten Tag an nicht leiden können und ihn auf dem Kieker gehabt. Hatte gehofft, er könnte endlich seine Außenseiterrolle loswerden und Arslan zum allgemeinen Fußabtreter machen. Das mit den schmutzigen Bechern in der Küche war Mesut als willkommener Anlass erschienen. Er hatte erst nur rumgebrüllt, als Test. Und dann hatte zunächst tatsächlich niemand Partei für Arslan ergriffen. Mesut hatte sich sicher gefühlt und noch einen draufgelegt: Schläge. Doch da war plötzlich Tayfun dazwischengegangen. Tayfun. Groß und durchtrainiert. Tayfun machte Kickboxen, und er hatte Schwabbel sehr deutlich gemacht, dass der Zusammenhalt in der WG das Wichtigste überhaupt und der zentrale Punkt für ihr aller Überleben sei. Arslan stand fortan unter Tayfuns persönlichem Schutz. Arslan wollte nun auch dringend Kickboxen lernen. Dass Tayfun mit allen Wassern gewaschen war, hatte Arslan schnell gemerkt, auch dass er sich nicht darum scherte, was andere von ihm hielten. Und Arslan war sich auch bewusst, dass man seinem WG-Kumpel nicht unbedingt alles glauben sollte und ihm nicht zu sehr vertrauen durfte. Doch Arslan war einsam, und er wollte endlich mal wieder jemandem vertrauen. Also vertraute er Tayfun. Zumindest vorübergehend. Manchmal war Tayfun echt schwierig zu nehmen, dennoch schien er ein zuverlässiger Freund zu sein.
»Tröste dich«, fuhr Tayfun fort. »Mich haben sie ja auch mal abgezogen, als ich neu in München war. Handy weg, Geld weg, alles weg, Alter. Wir müssten dich halt woanders unterbringen. Für die Illegalen mag die Bruchbude hier reichen. Aber für dich ist das kein Ort.« Er deutete auf das Backsteinhäuschen. »Da kümmere ich mich drum. Etwas mit Dusche und richtigem Klo und gutem Essen, versprochen, Alter.« Er lachte. Arslan knurrte und lachte dann auch.
»Ich geh aber nicht ins Pennerheim an der Pilgersheimer Straße! Da stinkts, und es hat nur Junkies, Alkies und Asseln!«, rief Arslan.
»Woher willst du denn das wissen?«
»Hat Janko erzählt. Fuck, ich will endlich wieder heim!« Arslan bemerkte, dass er die WG das erstmalig als sein Daheim bezeichnet hatte.
»Noch ein paar Tage Geduld, Mann. Hast du noch Geld?«, fragte Tayfun.
»Für die paar Tage reichts noch, sofern es wirklich nur ein paar Tage sind.«
»Wie viel?«
»Ich habs nicht auf den Cent gezählt, aber es reicht, glaubs mir.«
»Und Klamotten?«, fragte Tayfun.
»In der Wohnung sind ja noch Sachen von mir. Wäre klasse, wenn du mir die mitbringen könntest«, antwortete Arslan und zündete sich eine Zigarette an.
»Kein Thema. Ich kann dir auch was von mir leihen. Wir sind ja ungefähr gleich groß. Auch wenn ich viel geilere Muskeln habe.« Tayfun knetete die Unterlippe und trank dann seine Bierflasche leer. »Wir müssen irgendwie zu Geld kommen, verstehst du? Damit meine ich nicht ein paar hundert Euro oder so, sondern richtig Geld, Alter. Wie viel brauchst du noch mal?«
»Das weißt du ganz genau«, antwortete Arslan trotzig.
»Zwölftausend«, sagte Tayfun und blies langsam Rauch aus den Lungen. »Verdammt viel Geld. Und warum du genau diese Summe brauchst, willst du mir wirklich nicht erzählen?«
»Nein«, knurrte Arslan. »Ich brauchs. Fertig.«
»Pass auf. Ich wüsste da was … Etwas, das sich richtig lohnt!« Tayfun machte eine bedeutungsschwangere Pause und sah Arslan schief an.
»Vergiss es«, sagte Arslan. »Ich werde nie wieder dealen!«
Tayfun lachte.
»Und ich zieh keine Leute ab.«
Tayfun lachte wieder. »Wer sagt denn so was, Alter. Relax. Ich meine ja auch keinen Kleinkram! Ich meine zwanzig-, dreißigtausend Euro, vielleicht sogar fünfzigtausend … Dein Anteil von mindestens zwölftausend ist jedenfalls sicher …«
»Willst du eine Bank überfallen? Jemanden entführen? Ohne mich«, fiel ihm Arslan ins Wort. »Das alles hört sich schon jetzt so kriminell an, dass ich auf keinen Fall mitmache. Ich bin vielleicht verzweifelt, aber nicht so. Ich habe nicht teuer für meine Freiheit bezahlt, um sie mal eben so aufs Spiel zu setzen.«
»Stell dich nicht so an. Stell dir lieber vor, was du mit dem Geld alles machen könntest. Weggehen, egal wohin. Dir ein neues Leben aufbauen …«
»Hat ja schon einmal ganz toll geklappt«, warf Arslan sarkastisch ein.
»Hör dir erst mal an, was ich vorhabe, Alter. Keine Angst, es läuft alles ganz ohne Gewalt ab. Niemand kommt zu Schaden. Wir tun niemandem was. Ich weiß von einem, sagen wir mal Schatz, der einfach so rumliegt, ohne dass der Besitzer den wahren Wert kennt. Wir gehen einfach rein, holen uns den Schatz und gehen wieder raus.«
»Ich klaue auch keine Juwelen oder so«, sagte Arslan trotzig.
»Du bist echt so spießig! Ein Scheißspießer. Echt, Alter.« Tayfun war mehr amüsiert als verärgert. »Dann geh doch zurück nach Hause und vergiss deine Träume. Wärst ja nicht der Erste. Mehmet hat das letztes Jahr gemacht. Hat den Druck und das Heimweh nicht mehr ausgehalten. Dafür hat er jetzt sein Leben lang die Hölle auf Erden. Oder hast du Bock, wie Ali zu enden?«
Arslan bekam eine Gänsehaut, wenn er an Alis Schicksal dachte. Er hatte Ali zwar nicht kennengelernt, denn das passierte lange vor seiner Zeit, doch jeder in der WG kannte die Geschichte von Ali. »Ich habe nur keinen Bock, im Knast zu landen. Ich bin damals mit Sozialstunden davongekommen und …«
»Wir landen nicht im Knast. Das versprech ich dir, Alter.«