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Einleitende Gedanken zur Gegenwart
ОглавлениеSo wie der Arzt auf einen Patienten anders blickt als der medizinische Laie, so sieht auch der Experte die Geschichte mit anderen Augen als der Durchschnittsbürger. Beide Sichtweisen sind wertvoll und tragen zum Verständnis bei. In vorliegendem Buch schaut ein Arzt auf die Geschichte und kommt zu ebenso interessanten wie nachvollziehbaren Diagnosen, Therapien und Vorbeugemaßnahmen.
Bei der Auseinandersetzung mit Hitlers „Mein Kampf“ geht es einerseits um die deutsche Vergangenheit. Andererseits aber um deren Relevanz für unsere heutige Zeit. Es fallen deutliche Parallelen zur Gegenwart auf. Hitlers Hass, seine fanatische Weltanschauung, seine Gewaltbereitschaft ähneln aktuellen Entwicklungen in unseren Gesellschaften weltweit, in Europa, in Deutschland.
Ideologien und Feindbilder sind dabei austauschbar.
Heute sieht sich die Welt einer neuen Dimension von Gewalt und Extremismus ausgesetzt. Die dahinter stehenden Motive mögen ideologisch, religiös, geopolitisch oder ökonomisch sein. Das Ergebnis ist immer das gleiche:
Elend und Zerstörung.
Vor rund 100 Jahren begann der erste Weltkrieg, vor ca. 75 Jahren der zweite, heute Kriege in der Ukraine, Syrien, Irak, Gaza, Jemen und in Teilen Afrikas ohnehin. Terrorismus überall auf der Welt.
Große Teile Europas leben seit 70 Jahren in Frieden. Nur noch wenige Menschen haben selbst einen Krieg erlebt. Die meisten aber sind daran gewöhnt, dass man sich in vielen Teilen der Welt immer wieder mit Waffengewalt begegnet. In der heutigen Zeit häufiger, brutaler, näher. Beunruhigend ist, mit welcher Leichtigkeit der Einsatz von Militär als politisches Mittel wieder erwogen wird. Auch von deutschen Politikern.
NSU Prozess in München mit bitteren Erkenntnissen über die rechtsäugige Blindheit der deutschen Sicherheitsorgane. Bei Protesten gegen Israel wegen der aggressiven Politik im Gazastreifen ertönen ewig gestrige Parolen gegen Juden auf deutschen Straßen. Deutsche Staatsbürger lassen sich zu islamistischen Terroristen ausbilden und befürworten Enthauptungen von Andersdenkenden. Staaten greifen mit gierigen Fingern nach Regionen, in denen sie nichts zu suchen haben. Rechtspopulistisches Denken in deutschen Köpfen lässt ebensolche Parteien und Gruppierungen entstehen und bei Wahlen erfolgreich sein, wobei sie alles Rechtsideologische scharf von sich weisen und doch gegenteilig handeln. Wieder brennen Flüchtlingsheime in Deutschland. Ein NPD Verbot ist erneut in Arbeit. Viel entscheidender wäre das Verschwinden nationalsozialistischen Gedankenguts aus den Hirnen und Chatrooms.
Menschen gehen auf die Straße und protestieren gegen vermeintliche Feinde der abendländischen Kultur.
Rechtes Denken in Deutschland ist weit verbreitet. Es ist beängstigend mit welcher Leichtfertigkeit das Kreuz auf dem Wahlzettel bei einer Partei gemacht wird, die völkisches und rassistisches Gedankengut verbreitet und deren Ziele im Unklaren sind.
Gefahr einer erneuten Gewaltherrschaft? Wohl kaum.
Viele Faktoren müssen zusammenkommen, damit der Nährboden entsteht, der eine Diktatur gedeihen lässt. Davon sind wir weit entfernt, die heutige Bundesrepublik ist nicht vergleichbar mit der Weimarer Republik.
Die Deutschen dachten damals trotz wirtschaftlichem und politischem Chaos nicht an Krieg und Gewaltherrschaft, obwohl Hitler seine Pläne in „Mein Kampf“ veröffentlicht hatte.
Man nahm ihn nicht ernst.
Viele Bürger meinen heute, die Aufbereitung der NS Zeit sei abgeschlossen, wobei vielleicht diese erst jetzt mit großem zeitlichen Abstand umfassend möglich ist!
So etwas passiert nie wieder!
Was eigentlich?
Ist heutzutage jedem klar und bewusst, was damals geschehen ist – und warum? Und wie das Erstarken radikaler Kräfte in Zeiten der Krise vermieden werden kann?
Da es zu den genannten Entwicklungen kommt, darf dies bezweifelt werden. Es ist zunächst unerheblich, welche Ideologie hinter der Gewalt steht, und ob sie von innen oder von außen kommt.
Müssen sich Grausamkeiten der Geschichte immer wiederholen? Reicht es nicht, dass sich alle mit der Geschichte beschäftigen und erkennen, dass Gewalt und Krieg nie Lösung sind, sondern immer größtes Leid und Elend verursachen, die dunkelsten Seiten des Menschen aktivieren?
Aber so einfach ist das nicht.
In der heutigen sehr komplexen Zeit sind viele Menschen verunsichert. Sie haben das Gefühl, die vielfachen Einflüsse, die ihr Leben bestimmen, nicht mehr im Griff zu haben. Einige von ihnen machen denselben Fehler, der auch von früheren Generationen gemacht wurde. Wegen diffusen Existenzängsten sucht man sich einen Sündenbock und verfällt dem Hass. In den vergangenen Monaten richtete sich der Hass gegen Islamisten; und friedliche Muslime wurden sogleich mit in einen Topf geworfen.
Viele Menschen in Deutschland verstehen den Islam nicht. Statt sich mit dieser Kultur auseinander zu setzen, entwickeln sie lieber eine lähmende Angst.
Es sind sehr komplexe, vielschichtige und unübersichtliche Zeiten. Globale Einflüsse bestimmen unser Leben. Was tun?
Einfache Lösungen für schwierige gesellschaftliche Herausforderungen gibt es nicht. Erstaunlich, dass doch viele Menschen danach streben.
Ein Blick nach innen, ein Innehalten wäre ein Anfang.
Die Geschichte zeigt, dass raffinierte Manipulatoren Individuen und vor allem Massen in beliebige Richtungen steuern können. Insbesondere in Krisenzeiten! Dazu lieferte Hitler ausführliche Hinweise und ‚Techniken’. Es hilft aber der gesunde Menschenverstand, um dem Widerstand zu bieten. Ebenso die Verantwortung des Einzelnen für sich, seine Lieben und die Gesellschaft. Skrupellose Menschenfänger arbeiten nicht nur mit plumpen Parolen, sie versuchen das Unbewusste anzusprechen und Emotionen zu erzeugen. Gut, wenn man vorbereitet ist und seinen Standpunkt in einer gerechten und friedlichen Welt, die Hass und Ausgrenzung keine Chance bietet, gefestigt hat. Dann ist es unmöglich für einen Hetzer, das Böse zu aktivieren.
Man braucht eigentlich nur darüber nachzudenken.
Ein Massenmörder, der größte Verbrecher, der sich an der Menschheit vergangen hat, ein skrupelloser Diktator schrieb über seine Motive ein Buch, bevor er zuschlug.
Eine historische Rarität mit der sich ein jeder beschäftigen sollte.