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Die Leuchtkäfer- Religion
ОглавлениеEine Erklärung der Welt bedarf der Einhaltung gewisser Regeln.
Dies ist zwar kein Handbuch für Religionsstifter, im Prinzip aber, ist das nicht so schwierig:
Ich gebe Dir ein Beispiel:
Das, was unser Leben ausmacht, der Odem, die Seele, das ist nicht greifbar und doch irgendwie vorhanden, denn wir unterscheiden uns von einem Stein durch Stoffwechsel, und von einer Tiefseequalle durch die Handhabung eines USB- Sticks. Irgendwie leben wir und sind tot, wenn wir sterben.
Wenn wir sterben, ist die Energie weg, und der Körper wird kalt. Ein schrecklicher Gedanke, und ich tue mich schwer, dies bei der Gute-Nacht Geschichte meinem Kind zu erklären.
Meine Erklärung der Welt stolpert.
Fragt mich das Kind:
„Wo ist sie hin?“
„Wer?“
„Na, die Energie?“
„Die Wärme?“
„Nein, die Seele.“
Schnell habe ich eine Antwort parat. Ich lass mich doch nicht provozieren.
„Ist doch klar: Sie lebt weiter.“
„Aber wo? Wo lebt die Seele weiter?“
„Mein liebes Kind, ich werde es Dir erzählen. Pass mal auf:
Jedes Mal, wenn ein Mensch stirbt, dann schwebt seine Seele auf eine schöne Sommerwiese nach Sonnenuntergang. Dann kommen die kleinen Engel, wie Leuchtkäfer und nehmen diese Seele auf. Sie verbinden sich mit ihr und schweben über die warme Sommerwiese und leuchten und blinken, mit tausend anderen Seelen, ganz still, ganz leise.“
„Und weiter?“
„Nichts weiter. Das wars. Vielleicht kommen sie morgen wieder.“
„Das war eine doofe Geschichte.“
Das reicht nicht. Das ist zu wenig. Diese Geschichte reicht gerade mal aus für 1x Gute-Nacht, aber dann ist sie fertig.
Daraus kannst Du keine Religion machen. Es muss schon mehr sein.
Wir brauchen deutlich mehr Action.
„Die Seele darf überhaupt nicht sterben.“
„Also gut.“
„Und jemand muss darauf aufpassen.“
„Wann?“
„Wenn ich schlafe.“
„Wer?“
„Jemand, der ganz stark ist.“
„Also gut.“
„Dann fange ich von vorne an:
Auf einem großen Baum, mitten auf einer großen Sommerwiese, da lebt ein freundlicher Waldgeist mit einem langen Bart. Er hat eine Zauberflasche mit Seifenblasenwasser, und jedes Mal, wenn er in sein Seifenwassersieb bläst, dann entstehen tausend kleine Seifenblasen und der Wind trägt sie davon.
Und jedes von ihnen trägt eine kleine Seele zu den Babys, die gerade geboren werden. Und wenn sie platzen, legt sich eine kleine Seele zu einem Baby und verbindet sich mit ihm. Sie bleiben zusammen, ein Leben lang.
Und wenn der Mensch nach einem langen Leben stirbt, dann kommt die Seele zurück zum Waldgeist auf die Wiese unter dem Baum, und kleine Leuchtkäfer kommen und verbinden sich mit der Seele und sie blinken und leuchten die ganze Nacht.“
„Jede Nacht?
„Jede Nacht, natürlich. Klar. Schlaf schön, mein Kind.“
Perfekt, jetzt habe ich eine schöne Religion beisammen, und jetzt muss ich nur noch an den Stellschrauben drehen, um sie zu perfektionieren:
Dies ist der Moment, an dem der gesamte Vorspann dieses Buchs zusammengefasst wird zu einem großen Orchester der Religionsmechanik:
Meine persönliche Wahrheit, meine Projektionen, mein Spiegel, mein Leiden, meine tiefen, zerrissenen Psychosen, meine abgrundtiefe Boshaftigkeit. Jetzt bin ich Simon, der steinzeitliche Bibelschreiber.
Ich check jetzt mal für Euch die christliche Religion:
Mein Name ist Simon. Beruf Bibelscheiber. Handbuch für Religionsstifter, Teil 1:
Ich kann leider nicht anders, ich bin abgrundtief böse und fies. Deshalb drehe ich meine Stellschrauben in Richtung Sünde, Gehorsam, Verbot, Strafe, Schuld.
OK, alles hoch. Gecheckt. Eigenverantwortung, Selbstbestimmung, Selbstbewusstsein, geistige Freiheit. Runter damit. Auf Null. OK, vielleicht doch auf Nullkommaeins.
So, jetzt kommt erstmal der Rausschmiss aus der Sommerwiese. Passt. Das Böse, Finsternis, Rache, Hölle, Todesengel. Alles hoch. Ein Böser muss her. Die Sumpfkröte.
Uups, vielleicht war das doch zu viel? Stellschraube runter. Jesus muss her. Bisschen Liebe und Vergebung.
Nee, war doch nix. So ein Weichei! Wieder hoch damit.
Innenpolitisch muss man noch bisschen schärfere Grenzen ziehen: Frauenfeindlichkeit, Hexenverbrennungen, Unterdrückung, Ketzerverfolgung, Kritiker umbringen: Alles hoch.
Ein Katholik kennt keinen Schmerz.
Und jetzt kommt das große Finale: „Tataaaa!“ Schnell noch eine Botschaft auf Twitter und ab geht’s.
Die große Parade. Alle sind da. Alle marschieren auf. Der Tag des Zorns – das Jüngste Gericht. Herrlich! Ich bedanke mich bei mir, dass ich mich selbst erschaffen habe.
Fertig ist die Religion Simons, des Bibelschreibers.
So geht’s. So baut man Religionen. Der Rest sind viele Worte und ein dickes Buch.
Jetzt bist Du dran: Bau Dir Deine eigene Religion. Handbuch für Religionsstifter Teil 2.
Fang mal mit der Sommerwiese an und dann dreh einfach an den Stellschrauben. Woran willst Du drehen? Was setzt Du hoch, was setzt Du runter? Probiere es einfach aus. Es muss Dir selber gefallen.
Bist Du richtig, herrlich fies, wie Moses? Oder bist Du auch nur so ein Weichei, wie Jesus? Du kannst entscheiden.
Vielleicht gefallen Dir die Stellschrauben der Liebe und der Vergebung? Wie gefallen Dir Großmut und Väterlichkeit? Wie wäre es, das Böse und die Strafe auf null zu setzen?
War ja nur ein Vorschlag.