Читать книгу Das Alte Ägypten - Martin Bommas - Страница 29
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ОглавлениеAusbildung eines ägyptischen Kunstkanons Das Hauptbildwerk der Dynastie 0 ist zweifellos die monumentale Narmer-Palette, in der die Grenzen zwischen Bild und Schrift zeitweise zu verschwimmen scheinen. Wie die späteren Hieroglyphen bedient sich der hier vertretene Darstellungskanon der Seitendarstellung. Die Frontaldarstellung fehlt hingegen, und so gerät alles Bildliche in Bewegung und tritt in einen erzählerischen Prozess ein. Die Darstellung ist jedoch auch von einer inneren Dynamik geprägt, wie dies das Wechselspiel von Frontal- und Dreiviertelansichten verdeutlicht, die beispielsweise in der Darstellung des schreitenden Narmer zu erkennen ist: Während die sogenannte Rote Krone des im obersten Register nach rechts ausschreitenden Königs in Seitenansicht dargestellt ist, wurde das Auge des Herrschers frontal wiedergegeben, während für die Bauch- und Beckenansicht die Dreiviertelansicht gewählt wurde. Die Vermengung der Perspektiven, die im Falle der Narmer-Palette aus dem Verzicht auf die dritte Dimension entstand, kann als eines der produktivsten Elemente der ägyptischen Kunst beschrieben werden. Bereits in der prädynastischen Zeit angelegt, ist mit dem dynamischen Perspektivenwechsel der ägyptischen Kunst ein Ausdrucksmittel an die Hand gegeben, das über mehr als 3000 Jahre Bestand haben sollte und als eine Art Grammatik einer von Dynamik geprägten bildlichen Erzählkunst verstanden werden kann. Die linguistischen Mittel, derer sich die ägyptische Bildsprache bereits zu diesem frühen Zeitpunkt bedient, machen deutlich, dass Narmer über die Darstellung der politischen Wende hinaus sich einer Metrik bediente, die ebenfalls ein Produkt der Naqadisierung gewesen sein muss. Das Ergebnis dieser Überlegungen war offenbar so erfolgreich, dass es später nur noch akzentuiert, nie mehr jedoch in Frage gestellt wurde. Die Geburt des ägyptischen Staates geht einher mit der Geburt der ägyptischen Kunst, ihrer narrativen Ausdrucksmöglichkeiten, aber auch der hieroglyphischen Erzählform, die Monumentalität mit Ereignishaftigkeit in Einklang setzt. Aus dieser Periode der Naqadisierung Ägyptens in fruchtbarer Form Konsequenz zu ziehen und begrifflich festzuhalten, ist aus der Sicht des Kulturhistorikers das Erbgut der prädynastischen Epoche, mit deren Ende in der 3. Dynastie das pharaonische Ägypten seinen Anfang nimmt.