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Einleitung

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Wenn es nur noch um Musik geht

Dann war alles nur ein Irrtum

Volker Rühe macht jetzt Punkrock

Es ist nichts mehr wert

[… BUT ALIVE, »Scheiße erkennen«]

Hardcore ist neben Punkrock die einzige Musik, die innerhalb der autonomen Linken eine solche internationale Akzeptanz erreichte, daß die kritische Aufarbeitung, die nicht nur ein Nachdenken über Musik, sondern über ein subkulturelles Medium mit all seinen Widersprüchen und Bruchstellen sein sollte, längst überfällig ist.

Von Punk ausgehend eine ›Hardcore history‹ zu skizzieren, kann nicht allen an der Szene Beteiligten nach den Lippen reden, da Hardcore als soziopolitische Gegenkultur je nach Alter, Region und persönlicher Erwartung/Erfahrung anders erlebt wurde und wird. So entstand (wie auch schon im Punk) ein extrem weit gefächerter Aktionsradius, der von unpolitischen Fun-Bands bis zu Personen reicht, die Musik ganz in den Dienst der ›message‹ stellen oder sogar zugunsten von politischer Aktion aufgegeben haben; von strikten Alkohol- und Drogengegnern bis zu Personen, die unter dem ›harten Kern‹ Abgewracktsein verstehen und zelebrieren; von Menschen, die mit hohem Engagement und geringstem Einkommen Leben und Beruf Punk/Hardcore widmen bis hin zur kulturindustriellen Ausschlachtung, die (zum Teil mit Erfolg) versucht, aus Punk/Hardcore eine massenwirksame Jugendkultur zu erstylen.

Weshalb ein solches Buch heute, Mitte der Neunziger? Verweist eine solche ›history‹ bzw. Bestandsaufnahme nicht gerade darauf, daß es sich bei dem Thema um ein abgeschlossenes Kapitel handelt und Punk/Hardcore als subkulturelle Erscheinung Geschichte geworden ist? Tatsächlich ist seit Beginn der Neunziger (zeitgleich mit dem Aufstieg und Fall von NIRVANA, der letzten ernsthaft punkinspirierten Mainstream-Band, die doch niemals Mainstream werden wollte) vieles in Bewegung geraten, was darauf hindeutet, daß Hardcore als rebellischer, radikaler Musikstil und Ausdrucksmittel der Linken an Referenz verloren hat: Während eine Großzahl der einst auf ihre überschaubare Szene und Selbstverwaltung so stolzen Bands sich plötzlich von Majorfirmen und MTV verwalten läßt (HENRY ROLLINS BAND, SICK OF IT ALL, Cro Mags u. a.), wächst gleichzeitig das Interesse der Linken an anderen musikalischen Ausdrucksformen, etwa an HipHop, Drum ’n’ Bass und Raggamuffin. Obwohl es noch heute in Sachen Punk/Hardcore eine Unzahl an musikalischem Nachwuchs gibt, ist die einst voller Emotionen gepflegte homogene Szene aufgebrochen und fand schließlich ihren Weg zur Massenkultur. Außerhalb dieser überschaubaren, familiären Szene jedoch ist die politische Relevanz von Hardcore blaß geblieben: Vom autonomen Jugendzentrum zur Mattscheibe gewechselt, haben viele Bands an Schärfe verloren und klingen gegenüber Rappern wie IceT nach harmund belanglosem weißen Trash.

Während HipHop sich seiner Funktion als Massenkultur stets bewußt gewesen ist und von Anfang an lernte, in diesem Medium politisch zu agieren, sich also medienadäquat zu präsentieren, sind Schweiß, Slamdance und Stagediving, die direkte Energie, Intimität und Wut von Hardcore nicht auf einen Videoclip übertragbar. Andere Bands dagegen, die sich der Industrie (noch) entzogen haben, sind im Laufe der Zeit zu Konservendosen ihrer selbst geworden, reproduzieren sich selbst von Jahr zu Jahr ähnlich nostalgisch wie die RAMONES: Auf den fast jährlichen Tourneen von Heroen wie BAD RELIGION, THE FREEZE und NOFX versuchen Bands und Publikum einen Spirit aufzutauen, dessen Wurzeln bis zu zehn Jahre zurückliegen. Von Direktheit kann da kaum mehr die Rede sein. Damit sind Punk und Hardcore geworden, was sie nie sein wollten: konservativ – gegen alle Beteuerung, niemals sterben zu wollen und zu können, selbst schon ein Stück Musikgeschichte und damit oft so ranzig wie Mick Jagger und Manfred Mann.

Ein Stück Geschichte, das sich daran abzeichnet, daß die allsommerlich stattfindenden Open-Air-Massenveranstaltungen vor Zehntausenden längst nicht mehr nur von Konsens-Bands aus dem Rock-/Popbereich getragen werden (z. B. U2, METALLICA), sondern daß dem gegenüber Hardcore Konsens geworden ist: Headliner des ›Rheinkultur Festivals‹ in Bonn 1994 waren SICK OF IT ALL und NOFX, das ›Bizarre Festival‹ in Köln präsentierte 1994 fast ausschließlich Hardcore-Bands (SPERMBIRDS, BIOHAZARD, BAD RELIGION). Einerseits ist Hardcore damit mehr Mittelpunkt des musikalischen Geschehens denn je, hat einen zentralen Stellenwert erlangt, der in den Neunzigern daneben nur noch HipHop und Techno zukommt; andererseits zeichnet sich damit auch ein Ende ab. Wo ein ›noch größer‹ kaum mehr möglich ist, bleibt in den meisten Fällen Stagnation. Und sei es, daß die Bands, irgendwann ausgequetscht wie Zitronen, saftlos liegengelassen, als ein bedauernswertes Häuflein Jahr für Jahr durch Pubs und kleine Clubs tingeln werden. Die Zukunft des Hardcore entspricht heute schon dem Scheideweg zwischen Joe Cocker (einst als neu und wild empfunden, heute flacher Radio-Mainstream) und MAN (einst als progressiver Psych-Underground gefeiert, heute tingeln sie abgehalftert von einem Provinzschuppen zum nächsten): Aufrechterhalten der Stadiongröße durch ein medienwirksam aufgebauschtes Revival ohne erkennbare Weiterentwicklung, oder Abnudeln alter Klischees vor einem kleinen, vergangenheitstrunkenen Publikum. Genau dort fängt ein Stil ja an, sich als ausgebranntes Relikt zu erweisen: wo große oder vermeintlich große Namen umkippen ins Lächerliche und manchmal auch Bedauernswerte.

Darum ist es möglich, 1995 ohne Sentimentalität über dieses Thema zu schreiben und mögliche Fehler aufzuzeigen, die klarmachen, warum Punk/Hardcore als subkulturelle Bewegung nicht bestehen konnte, obwohl doch entscheidende Impulse für kommende Generationen gegeben wurden.

Keine Musik stirbt von heute auf morgen. Wir befinden uns gerade im Dazwischen.

If the kids are united

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