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Von Punk zu Hardcore Eine verwaschene Geschichte zum Geleit

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»Hardcore Punk« nannten die MANIACS aus Rothenburg 1984 einen Song, in dessen Refrain die beiden Wörter noch friedlich, ein- und dieselbe Aggression bezeichnend, nebeneinander stehen. Und Hardcore-Punk meinte zu Beginn der Achtziger noch: je härter, desto mehr Hardcore, also rotziger als der Rest (Bands wie EXPLOITED, G.B.H. und ABRASSIVE WHEELS galten damals z. B. als Hardcore). Die Frage nach der Henne und dem Ei läßt sich in diesem Fall leicht beantworten: Punk war zuerst da, Hardcore folgte irgendwann – wann genau, anhand welchen genauen Ereignisses oder anhand welcher Band, läßt sich schwer rekonstruieren. Weder stimmt es, daß Punk Mitte der Achtziger erledigt und ausgesaugt war (der EXPLOITED-Slogan ›Punks not dead‹ ziert noch heute mahnend Häuserwände in aller Welt), noch konnte Hardcore je seine musikalische und inhaltliche Verbundenheit mit Punk völlig leugnen, weshalb die These, es habe einen prototypischen, dem Punk gegenüber völlig autonomen Hardcore-Stil gegeben, sehr anzweifelbar ist. Was den SEX PISTOLS in ihrer durchaus fragwürdigen (aber gerechtfertigten) Popularität gelang, nämlich ein Muster von Punk zu erschaffen, ist einer sich selbst als Hardcore bezeichnenden oder als Hardcore verbuchten Band niemals gelungen.

Ian McKaye, MINOR THREAT-Sänger (später FUGAZI), von vielen Fanzines als Hardcore-Ikone und Wortführer benutzt, äußert sich entsprechend unbestimmt: »Deine Definition von Hardcore wird sicher eine andere sein als meine. Und so unterscheidet sich das je nach der Gegend, aus der einer kommt und je nach den Erwartungen, die einer an Hardcore stellt.«

Eine andere Schlüsselfigur, Henry Rollins, geht 1992 sogar mit seiner Behauptung, BLACK FLAG sei nie eine Hardcore-Band gewesen, so weit, den Begriff bzw. die Bewegung an sich als Erfindung von ›beschissenen Fanzines‹ darzustellen.

Ist Hardcore etwa ein Phantom, eine Musikrichtung, die es nie wirklich als solche gegeben hat, zumindest etwas, das viele der maßgeblich Beteiligten nicht (mehr) ohne Abstriche orten können oder wollen? Oder ist Hardcore gerade dadurch der einzig sinnvolle, weil flexible Sammelbegriff für unabhängige linke Rockmusik, in dessen Spannweite von CHUMBAWAMBA bis YUPPICIDE nicht mehr Stil, sondern ›attitude‹ zum Signifikant geworden ist?

Ausgehend von diesem an sich subversiven Nicht-Definiertsein, das weniger Mangel denn Independence bedeutet (stilistische Unabhängigkeit als ökonomische Verweigerung; Uneinteilbarkeit als Trend-Verweigerung), nimmt die ganze widersprüchliche Geschichte der Hardcore-Bewegung ihren Verlauf. Es ist die Geschichte einer Idee von Freiheit, die das Marketing einer auf Buntheit versessenen Kulturindustrie verkannte und darum im Lauf der Jahre – nicht als erste Subkultur – auch zu deren Objekt wurde.

Für MTV geschaffene Retorten-Bands wie RAGE AGAINST THE MACHINE sind das Ergebnis dessen, was die Hardcore-Legende MINUTEMEN bereits 1985 mit ihrem Project Mersh zynisch thematisierte: Jeder sich noch so radikal gebärdenden Subkultur ist im Zeitalter der ›United Colours‹ der Marktwert schon eingeimpft. Auf dem Cover waren drei Plattenbosse abgebildet, die mit den Worten ›We’ll have them write hit songs!‹ MINUTEMEN auf einer Wandtafel als ›Total Sales Artists #2‹ verbuchen.

Hardcore und Punk musikalisch zu vergleichen, dabei Differenzen und stets gegenwärtige Verknüpfungen festzustellen, ist wesentlich einfacher als anhand beider Bewegungen eine Geschichte politischer Gegenkultur aufzuzeigen. Aber auch darum soll es hier gehen. Unsinnig, den einfachen Weg zu gehen und nur über Musik zu sprechen, wo doch ›it’s more than music‹ nicht nur Hardcore-Wahlspruch wurde, sondern auch Nabelschnur, die für alle Zeit auf die libertäre Idee von Punk zurückverweist.

Gleichzeitig muß ich mich dafür entschuldigen, den Begriff ›links‹ meinerseits oft viel zu leichtfüßig zu gebrauchen. Wer oder was ist wirklich und bewußt links gewesen? – John Lydon schreibt in seiner Autobiographie No Irish, No Blacks, No Dogs: »Außer Sid war keiner der Pistols selbstzerstörerisch drauf – ganz im Gegenteil. Wir hatten die Absicht, das System zu zerstören, aber bestimmt nicht uns selbst.«

Dieser Satz, der einer der ganz wenigen in diesem mehr als 200 Seiten starken Buch ist, in dem es überhaupt diffus um Politik und ›System‹ geht, trifft die ablehnende Haltung des frühen Punk wohl ganz gut. Man kam aus einer miesen Gegend und hatte mit der Upper class nichts am Hut – links im eigentlichen Sinne ist das nicht gewesen. Auf dem Gang durch die Punk- und Hardcore-Geschichte, die dieses Buch unternimmt, wird klar, daß nur eine Handvoll Bands sich tatsächlich einer linken Terminologie bedienten; der Rest verschaffte sich einfach nur Platz gegen eine allgemeine, schwer lokalisierbare Unlust und eine als spießig empfundene Gesellschaft.

In Sachen Musik ist die Entwicklung von Punk zu Hardcore weniger spannend und originär, als es sich auf den ersten Blick darstellt. Der Weg von einer archaischen, radikalen Schlichtheit (Punk) zum ›melting pot‹, dem Sammelbecken von irgendwie – und immer nur: irgendwie – unter einer Idee laufenden Ansätzen/ästhetischen Vorstellungen, ist ein alter Hut. Es ist der Weg, auf dem Mersey Beat in Psychedelic Rock mündete, Punkrock (lange vor Hardcore) in New Wave. Die BEATLES sind diesen Weg gegangen. Und so sehr das White Album in Sachen Vielfalt, Konzeption, Bedachtheit und Unbestimmbarkeit rein stilistisch über ihre »Love Me Do«-Zeit hinausgeht, sind auch die obskur verschlungenen Werke von Psych-Bands wie SPOOKY TOOTH, SOFT MACHINE, FAUST und THIRD EAR BAND letztlich entlaufene Kinder des Viervierteltakts. Bevor Hardcore also als Begriff überhaupt in den Fanzines und auf Platten auftauchte, sorgte schon die ständige Fehde zwischen Punk und New Wave für eine oft kleinlich-feindliche Spaltung in Keine Experimente und Geräusche für die Achtziger, wie es Ale Sexfeind (GOLDENE ZITRONEN/MOTION) an den Titeln zweier deutscher LP-Sampler festmacht: »Der Frontenkampf zwischen sogenannter Kunststudenten-Kacke und Musik für die Arbeiterbewegung.« Daß sich eine ursprünglich kompakte, einfache musikalische Struktur im Laufe der Zeit auflöst, der Dekonstruktion unterworfen wird, ist also nicht neu. Dem Blues ging es so, dem Jazz, dem Rock’n’Roll und dem Beat. Selbst an jüngeren Stilen wie HipHop und Technohouse ist längst eine ähnliche Ausdifferenzierung und ansteigende Komplexität zu erkennen.

Man vergleiche nur GRANDMASTER FLASH mit DE LA SOUL, Acidhouse mit APHEX TWIN. Jede naive, also scheinbar anfangs unreflektiert-spontane Bewegung bringt, so scheint es, eine oder mehrere Generation(en) mit sich, deren Arbeit Plünderung, Demontage, Zitat und also reflektierte Umsetzung in ihren Mittelpunkt stellt. Rob Wright von NOMEANSNO: »Unsere Lieder sind kein bißchen komplizierter als die der RAMONES. Aber distanzierter. Das macht den Unterschied aus.«

Interessante und zugleich wichtige Randbemerkung: NOMEANSNO richten sich trotz des Hervorhebens eines Unterschiedes nicht gegen die RAMONES, haben sogar unter dem Namen THE HANSON BROTHERS eine komplette RAMONES-Tribut-LP aufgenommen. Psychedelic- und Art-Rock waren eine Ausdifferenzierung des Beat, nicht unmittelbar ablehnende Reaktion auf diesen. Bis hin zum durchkomponierten Fantasy-Rock der Siebziger (YES, GENESIS, GENTLE GIANT) handelt es sich um eine klar verlaufende Entwicklungslinie, Illusions-Effekte und musikalisches Können zu verdichten.

Erst mit dem Punk kam es zu einem wegweisenden Bruch, einem unmittelbaren Dagegen: Punk negierte eine Geschichte, an die seitdem anzuknüpfen unmöglich wurde, ohne in Anachronismus zu verfallen. Punk und New Wave haben eine so klare Absage gegen Rock als Traumfabrik geschaffen, daß Hardcore als Ausdifferenzierung von Punk immer der Gefahr ausgesetzt war, selbst wiederum in die Traumfabrik zurückzufallen.

Das Zitat von Rob Wright ist damit beinahe schon paradox: Ist es überhaupt möglich, gegenüber Punk, der in seinen besten Momenten maximal distanziert gewesen ist, selbst wiederum eine Distanz aufzubauen? – Gegenüber einer Band wie den RAMONES mag eine solche Distanz gelingen, da sie zum großen Teil selbst noch Party-Rock-’n’-Roller innerhalb der alten Rock-Ästhetik waren. (Heute allerdings hört Joey Ramone Free Jazz und nahm an einem Tribute To John Cage-Sampler teil – ohne jedoch auf RAMONES-Platten dem alten »Let’s Go«-Stil untreu zu werden). Aber gelingt sie in bezug auf WIRE, auf GANG OF FOUR, auf Bands also, die selbst bereits höchst abgeklärt gearbeitet haben?

In manchen Fällen fielen musikalische Ausdifferenzierung und Komplexität jedoch weit hinter die Radikalität der ersten Generation zurück. Flea von den RED HOT CHILI PEPPERS gab beispielswiese Entertainment von GANG OF FOUR als größten Einfluß für seine eigene Band an. Die Musik der CHILI PEPPERS ist zwar gegenüber dem spröden Funk-Beat auf Entertainment ausdifferenzierter und technisch gekonnter, aber keineswegs reflektierter und konturierter. Obwohl die CHILI PEPPERS also diesen Einfluß angeben, besitzen sie inhaltlich und musikalisch nichts mehr von der Schärfe ihrer Vorbilder. Die knappen, ätzenden politischen Statements der GANG OF FOUR finden sich bei ihnen ebensowenig wieder wie das spröde, aufs Wesentliche reduzierte Gerüst, in dem die Musik von GANG OF FOUR funktionierte. Woran liegt das? Etwa daran, daß die CHILI PEPPERS immer einen Hang zu Rockertum und Entertainment (ohne Anführungszeichen) hatten? Oder daran, daß sie in der Generation nach Punk festhingen, in einer Zeit also, zu der eine gewisse Radikalität einfach schon unnachahmbar historisch geworden war? Wahrscheinlich sind eine Handvoll LPs (z. B. Never Mind The Bollocks, Pink Flag, Entertainment) tatsächlich so enorm weit gegangen, daß sie zu Stolpersteinen für kommende Generationen werden mußten.

Will man Hardcore (als Musik/Denken/Jugendkultur) überhaupt von Punk trennen, ist es sinnvoll, einige ganz und gar voreilig-pauschale Thesen aufzustellen, die in ihrer Brüchigkeit nicht nur zeigen, wie dünn das Eis ist, auf dem ich hier meine Bahnen ziehe, sondern wie ungenau und unbestimmt alles zu einer Frage zweier Generationen verschwimmt oder sogar die Entwicklung einer einzigen Generation dokumentiert, deren Viervierteltakt ins Schwanken geriet.

Dirk [SLIME]: »Daß wir von der Bühne herab damit angefangen haben, dem Publikum zu erklären, wie es zu handeln und zu leben hätte, war für uns der eigentliche Beweggrund, SLIME erst einmal aufzulösen. Es war der Moment, an dem eigentlich alles der Punk-Idee widersprochen hat, der Idee, mit dem Publikum eine Einheit zu bilden, nicht von Oben nach Unten zu kommen. Inzwischen sind wir so weit, zu erkennen, daß SLIME höchstens ein Sprungbrett darstellen kann, keine Ideologie. Unsere Musik ist Emotion, die motiviert, in Antifa-Gruppen aktiv zu werden. Wir predigen das nicht mehr, sondern wir geben höchstens das Gefühl der Notwendigkeit.«

Hier also ein verknappter Fahrplan, woran man den Begriff Hardcore in Abgrenzung zu Punk aufzeigen kann:

1.Ausarbeiten und Formulieren eines über die Musik/Band hinausgehenden Polit-Konzepts; Einbinden der anarchischen Emotion von Punk in komplexe Gesellschaftstheorien. So gesehen wären quasi die englischen CRASS eine der ersten Hardcore-Bands, ihre fast manifestartige Arbeit lieferte dem diffus revoltierenden Punk erstmals eine Art Überbau. [Und dennoch oder gerade deshalb lebte diese Band auf einer Art Hippiefarm]. ›Gegen Sexismus, Rassismus und Kapitalismus‹ wird zum Dreigespann, auf dem Hardcore aufbaut, ganz gleich wie stark nun mit der autonomen Linken verwoben. Andere Selbstverständlichkeiten [›gegen Drogen‹ im Straight Edge, ›gegen Tierversuche‹ etc.] bilden sich heraus, je mehr Hardcore in einzelne Sparten zerfällt.

Aber auch: Entpolitisierung vieler Bands und Fans nach der Erfahrung, wie sehr selbst Punk in den Achtzigern zum Runterbeten starrer Politfloskeln geworden ist; Versuch einer ›positiven‹ Gegenbewegung, die sich textlich nicht auf ein Anblöken gegen den ›Schweinestaat‹ reduzieren will. So paradox es erscheinen mag: In ihrer Gegensätzlichkeit waren beides Wege, sich von Punk abzugrenzen.

2.Ausweiten des vom Rock’n’Roll entlehnten Drei-Akkord-Schemas des Punk im Hardcore [was dann Ende der Achtziger zum oft wahllosen ›anything goes‹-Crossover führte, dessen grundsätzlich begrüßenswerte stilistische Öffnung auch eine Verwässerung mit sich brachte]. Sei es, wie schon sehr früh geschehen, durch ironische Zitate [Country-, Barjazz- und Surfrock-Demontagen bei den DEAD KENNEDYS] oder durch Hinzunahme von Funk-Elementen [MINUTEMEN] und Metal-Strukturen [BLACK FLAG, CRO MAGS u. v. m.].

Die Entwicklung der kalifornischen BLACK FLAG von 1978–86 zeigt wie keine andere Bandgeschichte exemplarisch den kontinuierlichen Abschied vom Punk: Sie haben als reine Punkband im PISTOLS-/BUZZCOCKS-Stil begonnen, entwickelten mehr und mehr einen schweren, depressiven Metal-Beat und endeten schließlich als komplexe, mit Jazz und Funk experimentierende ›Musiker‹-Band.

3.Allgemeine Bezeichnung für musikalische/textliche Verschärfung, z. B. Hardcore-Rap [PUBLIC ENEMY, ICE-T, BLADE u. a.], Hardcore-Pop [eine Wortgeburt in SWF III zugunsten von Prince], Hardcore-Techno, Hardcore-Jazz [John Zorn] usf. Dieser Ausdruck ist oft sehr problematisch; wird von gegenüber der strikt antisexistischen Hardcore-Bewegung Unkundigen gerne dazu verwendet, sexistische Inhalte zu bezeichnen. Bekanntlich existierte Hardcore ja auch lange zuvor als ein Begriff aus der Pornobranche – eine Assoziation, die wohl noch immer in der Allgemeinheit vorrangig ist.

In seiner Offenheit, die Hardcore auf seinem Weg in die Neunziger erfuhr, in der Zersplitterung, die zu einer verwirrenden, für Außenstehende kaum mehr entschlüsselbaren Aufteilung in Substile oder Fusionen führte (Straight Edge, Emocore, Grindcore, Speedcore, Post Punk, Crossover etc.), stellt sich eine Szene immer wieder selbst in Frage.

1989 erzählt Armin Hoffmann von X-MIST, einem der ersten Hardcore-Labels in Deutschland, daß gerade in dieser Undefinierbarkeit eine Chance stecke: »Es gibt keine ›richtige‹ Entwicklung. Das Gute an dieser Szene ist, so lange sie so noch besteht, daß Entwicklungen nicht vorauszusehen sind. Ich konnte auch nicht voraussehen, daß es mal eine Band wie 2 BAD geben wird auf deutschem Niveau, oder international gesehen FUGAZI. Wer hätte damals gedacht, daß aus MINOR THREAT mal FUGAZI hervorgehen? Das ist das Positive, daß es immer innovativ bleibt.« Erst ein paar Jahre später, nachdem das hier als innovativ bezeichnete Undefinierte eine kommerzielle Ausschlachtung mit sich brachte und auch viele Bands sich als Hardcore bezeichneten, ohne damit irgendwelche politischen Hintergründe zu verbinden, vermehrten sich die Rufe gegen eine ins Beliebige führende, Radikalität verlierende Offenheit. »Ich will meine kleine intolerante Szene zurück« (EN-PUNKT-Fanzine, 1993), klagt Klaus N. Frick. Er sollte sie zurückbekommen. Hierzu mehr im Nachwort zum Thema Chaostage.

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