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Deutsche Demokratische Republik, Berlin, 27.3.1952
ОглавлениеAnna klopft an die Holztür, die von innen dick gepolstert ist und zum Sekretariat von Alexander Jukowski führt. Zwei Tage sind vergangen, seit sie Auerbach gefasst hat. Zwei Tage, in denen sie im Versicherungsbüro Akten gewälzt hat.
Jukowski ist Generalmajor, gehört dem MGB an, dem mächtigen russischen Geheimdienst, und ist faktisch der Chef der Staatssicherheit der DDR. Jukowski weiß alles, sieht alles, hört alles. Fast alles. Diese verdammte kleine Pistole ist ihm entgangen. Er hat Tausende Spitzel, im Westen wie im Osten.
Christel Neureuther, Jukowskis erste Sekretärin, ruft »Herein«. Ihre Stimme wäre ein gutes Folterinstrument. Sie ist schrill und durchdringt mühelos die gepolsterte Tür. Ansonsten ist sie eine angenehme Person, sie duzen sich, haben einen gemeinsamen Feind: Nazis.
Anna drückt die Tür auf. Sie gibt kein Geräusch von sich, die Angeln sind bestens geölt. Christel nickt nur in Richtung der Tür, die zu Jukowskis Reich führt. Auch diese Tür ist gepolstert, aber viel dicker als die des Sekretariats. Durch diese Sperre dringt kein Laut nach außen, auch wenn Jukowski brüllt. Das will etwas heißen, denn wenn Jukowski jemanden zusammenstaucht, dann könnte er mit seiner Stimme ein startendes Flugzeug übertönen.
Anna nimmt, ohne zu fragen, vor dem riesigen Nussbaumschreibtisch Platz. Vor lauter Papieren, Büchern und Plänen kann man die Tischplatte nicht sehen. Nur eine lederne Schreibunterlage ist frei. Darauf liegt eine aufgeklappte Akte.
Jukowski lächelt. »Liebe Anna, ich darf Sie doch so nennen?«
Sein Deutsch ist akzentfrei.
»Aber selbstverständlich, Genosse Generalmajor.« Jede andere Antwort würde Jukowskis Zorn auf Anna heraufbeschwören.
»Wunderbar, Anna. Was kann ich für Sie tun?«
Anna drückt das Kreuz durch. »Auerbach hatte eine Waffe. Wie kann das sein?«
»Oh«, sagt Jukowski gedehnt, »Da gibt es viele Möglichkeiten. Er hat sie gut versteckt. Er hat sie auf dem Weg zu Ihnen zugesteckt bekommen …«
»Aber ihre Leute …«
Jukowskis Faust fährt auf den Schreibtisch nieder. Es klingt wie ein Pistolenschuss. Anna zuckt nicht mit der Wimper. Sie kennt seine kleinen Tricks, um Menschen einzuschüchtern.
»Meine Leute leisten hervorragende Arbeit. Ihre Leute haben geschlampt, so einfach ist das. Außerdem müssen Sie immer mit allem rechnen.« Er schreit nicht. Das hat er bei ihr nicht nötig. »Sie hätten es fast versaut, weil Sie unaufmerksam waren. Sie hätten ihn bei Kontakt unauffällig abtasten müssen. Das kann nicht schwer sein, der Kerl war doch sicherlich brünstig wie ein Hirsch.« Er lacht dröhnend.
Anna schweigt. Sie ist zu weit gegangen. Jukowski duldet keine Kritik an sich oder seiner Abteilung. »Entschuldigen Sie, Genosse, Sie haben ja recht.«
»Hätten Sie ihn rangelassen? Er sieht gut aus.«
»Nein.« Mehr will sie nicht sagen. Eher hätte sie sich erschießen lassen.
Jukowski klappt die Akte zu, reicht sie Anna. »Kleine Aufmerksamkeit meinerseits. Sie werden Auerbach verhören, schließlich kennen Sie ihn gut. Sie wissen, wo Sie ihn packen können. Eine kleine Abwechslung tut Ihnen gut, und eine kleine Pause. Was halten Sie davon?«
Jukowski erwartet Dankbarkeit. Die soll er haben. »Das ist eine Ehre für mich. Ich dachte, Sie wollten ihn haben, Genosse Generalmajor, er sei wichtig, sagten Sie.«
»Das ist er. Und er läuft mir nicht davon. Machen Sie mit ihm, was sie wollen, nur lassen Sie ihn am Leben und vernehmungsfähig. Ich stelle Ihnen Fahrenbach zur Seite. Wenn Sie grob werden müssen, dann mit der Rasierklinge, nicht mit dem Säbel.«
Anna steht auf und salutiert. »Ich danke Ihnen sehr, Genosse Generalmajor.«
»Schon gut«, sagt Jukowski und winkt sie raus.
Vor der Tür bleibt Anna einen Moment stehen. Sie soll Auerbach ausquetschen? Gemeinsam mit Fahrenbach? Sie hat nicht gewusst, dass Fahrenbach einfühlsam vorgehen kann. Bisher wurde er immer bei den hoffnungslosen Fällen eingesetzt, für diejenigen, die nichts sagen wollten oder konnten, deren Tod nicht ins Gewicht fällt. Kaum jemand hat seine Behandlung überlebt.
Sie betrachtet die Akte. Sie ist dünn. Vielleicht zehn oder zwanzig Blatt, sie kennt sie auswendig. Weiß Jukowski, warum sie diesen Mann so hasst?
Vom nächsten Diensttelefon aus ruft sie den medizinischen Dienst an. Auerbach kann erst morgen verhört werden.