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ОглавлениеBonds intellektuelles Gegenstück
Gemeint ist weder OSS 117 noch Kommissar X oder Matt Helm oder Derek Flint und schon gar nicht der eingreifende Geheimagent Barrett. Die sind alle „Nachfolger“ oder sagen wir lieber „billige“ Kopien, die im Kielwasser des Erfolgs eines Agenten namens James Bond 007 entstanden. Hier geht es um einen anderen Agenten ihrer Majestät:
Harry Palmer
Die Figur entstammt den Agententhrillern von Len Deighton und hat, wenn ich mich an meine Lektüre aus den 80ern richtig erinnere, in den Büchern keinen Namen. So würde ich also zu der Spekulation neigen, dass man sich für die Reihe eigens einen Namen aus den Fingern gesau… ausgedacht hat.
Im Gegensatz zu seinem Kollegen Bond hat Palmer bislang kein Heer an Darstellern verschlissen, bisher wurde die Figur lediglich von einem britischen Schauspieler gespielt. Der hat es zwar leider noch in keinen Bond Film geschafft, dafür dürfte Sir Michael Caine aber einer der am meisten beschäftigten Schauspieler
a) der Welt
b) derzeit
c) aller Zeiten
d) neben Gerard Depardieu und Christopher Lee
sein. Hat er es auch nicht zum Bondgegner gebracht, so wurde er doch zumindest Batmans Butler, Jack the Rippers Jäger und Captain Nemos… Nemo, um nur einen Bruchteil seines Schaffens zu nennen.
Harry Palmer spielte er insgesamt fünfmal. In den 60ern entstanden, zeitgleich mit Bond und von dessen Ko-Produzenten Harry Saltzman produziert, drei Filme um den Agenten. 1995 wurden dann noch die beiden Fernsehfilme „The Palmer Files: Der Rote Tod“ und „The Palmer Files: Herren der Apokalypse“ gedreht.
Ipcress - streng geheim
Palmer ist nicht der glamouröse Agent, den wir in James Bond (dem Bond vor Craig!) sehen, sondern eher das Gegenteil davon. Er macht den Job für Majestät und Vaterland nicht aus Patriotismus, sondern um dem Gefängnis zu entgehen. Bei der Wahl Knast oder Geheimdienst hat er sich für letzteren entschieden, was immer wieder sein Leben in Gefahr bringt. Abgesehen davon fährt er nicht die tollsten Schlitten und speist in den teuersten Restaurants, sondern muss sich mit Formularen und Anträgen, kurz Bürokratie herumschlagen. Das hemmt sowohl seinen Enthusiasmus als auch eine schnelle Auflösung seiner Fälle.
In diesem ersten Film darf er dafür allerdings das erleben, worauf Bond Jahrzehnte seiner Filmkarriere warten muss: Er erfährt Folter und Gehirnwäsche am eigenen Leib. Das ist schmutzig und brutal, das ist Bond, wie er heute vorgibt zu sein, aber doch nicht wirklich ist. Aber wird Harry Palmer die Folter überleben…
Natürlich, denn sonst gäbe es doch wohl keine Filmserie, oder?
Finale in Berlin
Naja, theoretisch könnten alle weitere Teile vor „Ipcress“ spielen, was in der Tat mal ein interessantes Konzept für eine Serie wäre… aber natürlich ist es hier nicht so.
Bei „Ipcress“ stammt die Filmmusik übrigens, wie man unschwer hören kann, von Bond Komponisten John Barry. Da der Film und sein Soundtrack in zeitlicher Nähe zu dem Bond Film „Feuerball“ entstanden, kann man durchaus Parallelen zwischen den beiden Musiken erkennen.
Im zweiten Teil „Finale in Berlin“ (im Original „Funeral in Berlin“, womit auf die Art und Weise angespielt wird, wie man die Leute aus der DDR herausschmuggelt… und auf die eine oder andere Leiche) darf Palmer (nach Ausfüllen aller notwendigen Papiere) nach Berlin reisen. Dort soll er einem russischen General beim Überlaufen helfen. Außerdem trifft er seinen alten Freund Johnny Vulkan wieder. Natürlich geht das alles nicht ohne jede Menge Verwicklungen ab. Es gibt Verrat an so vielen Orten, dass man am Ende fast nicht mehr weiß, wer nun eigentlich wen für was verraten hat… doch, das weiß man schon, aber es klang einfach so gut, es zu schreiben. Ein komplexer Thriller, in dem der britische Agent nicht immer der Gewinner ist.
Da der Film in Berlin spielt und das ganze in den 60ern war, gibt es, anders als heute, jede Menge Deutsche, die jede Menge Deutsche spielen. Paul Hubschmidt gibt Johnny Vulkan, des Weiteren sind mit dabei „Ekel Alfred“ Heinz Schubert, Herbert Fux und Wolfgang Völz (die sich in der deutschen Fassung leider alle nicht selber sprechen) sowie Synchronstar Rainer Brandt (der sich in der deutschen Fassung tatsächlich selber spricht).
Das Milliarden-Dollar-Gehirn
Der letzte Teil der Filmreihe... und nicht unbedingt ihr Höhepunkt. Während „Ipcress“ noch den Geschmack eines schmutzigen, kleinen Thrillers hat und „Finale“ das Flair eines internationalen Spionagestreifens, merkt man „Gehirn“ an, dass es hier Probleme mit dem Geld gab. Und zwar zuviel davon – vom Geld, nicht von den Problemen!
Man sieht dem Film an, dass er teuer war – und so was führt oft dazu, dass die Handlung zugunsten von Schauwerten auf der Strecke bleibt. Das ist hier leider auch so. Es gibt Unmengen an Statisten, Tanklastwagen, Schnee, Eis… aber zu wenig Handlung, die das alles stützt. Alles wirkt bombastisch und gleichzeitig leer. Palmer darf durch die Welt reisen, Stockholm, Texas, Ostblock. Was er genau da soll, verwischt im Laufe des Films und hätte Oberst Stock, der angebliche Überläufer aus dem letzten Film, uns am Ende nicht so freundlich daran erinnert, wir hätten es komplett vergessen.
So ist „Gehirn“ ein eher unwürdiger Abgang für einen ansonsten sehr würdigen Agenten. Vielleicht war das der Grund, warum man in den 90ern noch einmal auf die Figur zurückgegriffen hat… aber wenn man sich die Filme ansieht, dann war wohl doch eher das Geld (oder die Gier danach) die wahre Motivation.
The Palmer Files: Der Rote Tod / Herren der Apocalypse
Im Jahre 1995 kehrte Harry Palmer zurück. Nicht auf die große Leinwand, sondern auf den kleinen Bildschirm. Zwei Fernsehfilme, die die Figur des Harry Palmer benutzen, dargestellt von Michael Caine mit klassischer Brille. Was tatsächlich anfängt wie eine Agentengeschichte wandelt sich dann jedoch schnell in austauschbare Ware um, bei der es eigentlich egal ist, ob die Figur Harry Palmer, Harry Potter oder Harry Pellafonte heißt. Es ist irgendwas mit Action und von dem „intellektuellen“ Gegenstück zu Bond ist auch nichts mehr zu merken. Sean Connerys Sohn Jason ist mit dabei, aber wie viel das alles nun überhaupt noch mit den Büchern von Len Deighton zu tun hat, ist fragwürdig. War „Gehirn“ schon kein würdiger Abgesang, das hier ist es noch weniger. Schade, denn Harry Palmer hätte besseres verdient gehabt.
Harry Palmer auf Deutsch
Mit Michael Caine macht man eigentlich nie was falsch. Gut, das Remake von „Get Carter“ kann er nicht retten, aber sonst ist er in den meisten Filmen jemand, der diese Werke aufwertet. Wenn man sich seine Filmographie ansieht, wirkt es so, als würde er das Wörtchen „Nein“ nicht kennen und hätte in seinem Leben nie ein Projekt abgelehnt. Tatsächlich ist aber ein (einziger!) Film verbürgt, den er abgelehnt hat. Ursprünglich sollte er William von Baskerville in „Der Name der Rose“ spielen, lehnte aber angeblich ab, weil er für die Rolle hätte abnehmen müssen. So ging sie an Connery und es wurde mit einem großartigen Comeback Filmgeschichte geschrieben. Wenn auch die Figur des Harry Palmer bisher nur von einem Schauspieler gespielt wurde, so gilt das für die deutsche Fassung leider nicht. Wir haben drei Filme, in denen die deutsche Besetzung jeweils komplett wechselte. Das ist unschön, aber es kommt leider vor. Das gilt für Oberst Ross gleichermaßen wie für Palmer selbst. Guy Doleman wird im ersten Film von John Wayne Stimme Arnold Marquis gesprochen, im zweiten von Alec Guiness Sprecher Wilhelm Borchert und im dritten von Cary Grants Curt Ackermann (während Marquis dort unsinnigerweise als Stimme des Computers zu hören ist).
Michael Caine dagegen wird in „Ipcress“ einmalig von Peer Schmidt gesprochen, der jahrelang der Stammsprecher von Jean-Paul Belmondo war und vielen vielleicht bekannt ist als Rod Taylor in „Die Zeitmaschine“.
In „Finale“ kam dann Eckart Dux zum Zuge, der Caine auch danach in diversen Filmen seine Stimme lieh, aber nicht mehr als Harry Palmer. Dux ist ein bisschen ein Phänomen, denn er ist einer der am längsten aktiven Synchronsprecher. Man hört ihn u.a. in der herrlich schwarzen Komödie „Wir sind keine Engel“ von 1955, als Norman Bates in „Psycho“ (Anthony Perkins, 1959), als Hannibal Smith in „Das A-Team“ (George Peppard, 1983ff), als Vater des „King of Queens“ in der gleichnamigen Serie (Jerry Stiller, 1998ff) und als Gandalf in „Der Hobbit“ (Ian McKellen, 2012). Eine großartige Stimme und ein großartiger, wandelbarer Schauspieler.
Warum man hier ständig umbesetzte ist mir nicht bekannt, aber im „Gehirn“ wurde Caine dann von Christian Rode gesprochen, der ihn auch danach noch ein paar Mal sprach. Rode ist oft eher auf Bösewichte abonniert, machte seine Sache als Dr. McCoy in zwei „Star Trek“ Filmen aber auch nicht schlecht. Für Michael Caine finde ich ihn jedoch nicht die beste Wahl.
Erst in den beiden Fernsehfilmen erhielt Caine dann seinen inzwischen langjährigen Stammsprecher Jürgen Thormann, der ihn inzwischen in mehr als der Hälfte seiner Filme gesprochen haben müsste. Neben Caine spricht er u.a. auch für Peter O’Toole, Peter Sellers und John Hurt und wie bei Dux ist es auch bei ihm meist ein Genuss, ihm zuzuhören.