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Kapitel 3

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Glücklicherweise war es nicht Prosser, der den Fall bearbeitete. Es war mein alter Kollege Lohmann, von dem ich mich wunderte, dass er noch immer bei der Polizei war. Er war fast erfreut mich zu sehen, besonders, als ich ihm den Grund meiner Anwesenheit erklärte.

„Ich darf Ihnen nichts über den Fall sagen.“

„Das müssen Sie sogar, da es sich bei dem Tatverdächtigen um meinen Klienten handelt und wenn Sie mir keine Auskunft geben, werde ich einen richterlichen Beschluss erwirken, der Ihnen die weiteren Ermittlungen untersagt!“ Ich erzählte immer irgendetwas in dieser Richtung und immer ließen sie sich dadurch einschüchtern. „Würden Sie mir jetzt bitte etwas über den Tathergang erzählen?“

„Also gut“, seufzte er. „Siggi Feldmann wurde erstochen. In den Hals, was verhindert hat, dass er schrie. Jemand nahm seinen Brieföffner und stieß ihm den in den Hals. Und es sieht so aus, als habe dieser Jemand vorher eine Jacke genommen, um damit zu verhindern, dass das Blut auf die eigene Kleidung spritzt.“

„Und Sie nehmen an, dass dieser Jemand Duffy ist, ja?“

„Wer sonst?“

„Eben das herauszufinden ist Ihre Arbeit. Aber wenn ich Ihnen ein paar Denkhilfen geben dürfte...“

„Oh, bitte gern.“

„Ihre Jacke bitte.“ Er zog sie aus und gab sie mir. „Haben Sie auch einen Stift?“ Er hatte. „Gut, also der Stift ist jetzt der Brieföffner. Ich nehme die Jacke, damit mich kein Blut trifft.“ Ich legte die Jacke über meinen Arm und griff mir durch den Stoff den Stift. „Nun ersteche ich Sie damit und es kommt kein Blut an meinen Körper. Aber: Es kommen auch keine Fingerabdrücke auf den Öffner!“

Das sah er ein.

„Außerdem ist es doch wohl ziemlich unwahrscheinlich, dass man für so eine Aktion seine eigene Jacke nimmt, besonders dann, wenn das Ziel ist, Blut auf der eigenen Kleidung zu vermeiden. Und die Jacke dann auch noch blutverschmiert zurückzulassen ist dann ja wohl völliger Schwachsinn.“

„Rhode, Mörder denken nicht vernünftig!“

„Aus welchem Film stammt das? Mörder denken nicht vernünftig... Sie haben zu viele Serien gesehen. Mörder denken meist viel vernünftiger als andere Menschen – sie handeln nur nicht so! Denken Sie über das nach, was ich Ihnen gesagt habe.“

Am nächsten Morgen begab ich mich in Duffys Schule. Ich schlenderte durch das Gebäude und atmete den Duft des Lernens ein, also den von Dope und Bier. Manche Dinge änderten sich nicht, auch wenn dies nicht meine alte Schule war, denn die war in Hamm, und da würde sie auch bleiben.

Ich fragte mich bis zum Lehrerzimmer durch, eine unnötige Angelegenheit, denn noch immer wimmelte es von Polizisten und im Lehrerzimmer stieß ich dann auch auf Lohmann. Er verhörte gerade eine attraktive Lehrerin – also genau das, was ich an seiner Stelle auch gemacht hätte. Ich nickte ihm zu und tat so, als würde ich die Ermittlungen leiten. Das hatte ich jahrelang gemacht, nicht nur so getan, jedenfalls hatte ich Übung darin. Als ich mich gerade mit einem jungen bärtigen Lehrer, Typ Rebell, unterhalten wollte, kam Lohmann auf mich zu und verwies mich höflich aber bestimmt darauf, dass ich hier nichts zu suchen hatte.

„Rhode, ich leite die Ermittlungen in diesem Fall.“

„Lassen Sie sich nicht dabei stören.“

„Ich lasse mich dabei auch nicht stören, ich möchte Ihnen nur sagen, dass Sie hier nichts zu...“

„Mein lieber lieber Lohmann, ein Klient, der nebenbei ein Freund von mir ist und dessen Frau nebenbei ein Kind erwartet…“

„Von Ihnen?“

„…ich hoffe nicht! Wo war ich? Ach ja: …würde es sehr gerne sehen, wenn ich diesem Fall nachgehen würde und ich kann diesem Fall nur nachgehen, wenn ich Untersuchungen anstelle und ich kann nur Untersuchungen anstellen, wenn ich Leute befrage und ich kann nur Leute befragen, wenn ich hier bin!“

„Ähm, würde es Ihnen helfen, wenn Sie Einblick in die Untersuchungsergebnisse bekommen?“

„Ja, das würde mir helfen, aber es würde mir noch mehr helfen, wenn ich mich hier umsehen könnte.“

„In Ordnung. Was halten Sie von Kooperation?“

„Keine schlechte Idee, lassen Sie hören.“

„Ich... äh, ich weiß nicht...“

„Das ist nicht sehr kooperativ, Lohmann! Ich habe Ihnen meine Theorie zu diesem Fall gesagt, sagen Sie mir Bescheid, wenn Sie etwas Neues herausgefunden haben.“

„In Ordnung.“

„Gut. Ich will hoffen, Sie folgen der Spur, auf die ich Sie aufmerksam gemacht habe.“

„Ja...“

„Gut, ich seh mir jetzt den Tatort an.“ Ich sah mich um. „Wo ist der Tatort?“

Lohmann deutete den Gang hinunter.

„Danke.“ Ich schlenderte über den Gang, bis mir ein uniformierter Polizist den Weg versperrte. Ich sah zu Lohmann hinüber, er nickte widerwillig dem Polizisten zu und ich durfte eintreten. Taktvollerweise, aber auch aus ästhetischen und verwesungstechnischen Gründen, hatte man die Leiche Feldmanns inzwischen entfernt, aber eine dieser hübschen Kreidezeichnungen hielt fest, wie er sein Ableben verbracht hatte. Er hatte vorm Fenster gelegen, als man ihn gefunden hatte. Die Blutspur ließ annehmen, dass er mit dem Gesicht nach unten dort gelegen hatte.

Ich nahm auf den Besucherstuhl Platz und stellte mir vor, wie Duffy mit den Sachen vor mir auf dem Schreibtisch herumspielte – wie es nun mal so seine Art war. Dass man nun ausgerechnet den Brieföffner und seine Jacke, die er auch noch dort vergessen hatte, für einen Mord benutzt hatte, war pures Pech. Aber wer konnte schon sagen, wieviele Leute auf all den Stücken Seife ausgerutscht und zu Tode gestürzt waren, die er in all den Jahren in irgendwelchen Duschen vergessen hatte?

Duffy würde seine Jacke wohl über die Lehne des Stuhls gehängt haben, hatte sich seine Predigt angehört, die Schelle hatte die Auseinandersetzung beendet und Duffy war jackenlos von dannen gezogen. Am selben Tag war dann noch der Mörder hereingeschneit, denn selbst Duffy merkte irgendwann, dass er mal eine Jacke besessen hatte. Blieb die Kernfrage einer jeden Kriminalgeschichte: Wer war der Mörder? Was uns zu der anderen Frage führte: Wer – außer Duffy – hatte ein Motiv für die Tat?

Wahrscheinlich hatte Feldmann zunächst mit dem Rücken zu seinem Täter gestanden. Der hatte sich dazu durchgerungen, statt der Briefe Kehlen zu öffnen, hatte aber keine Lust, Fingerabdrücke zu hinterlassen. Also sah er sich um, fand Duffys fein säuberlich über der Rückenlehne baumelnde Jacke, schnappte sie sich, schnappte sich den Öffner, ging auf Felmann zu, der sich nun umdrehte und statt einer offenen Aussprache eine offene Kehle bekam. Tod errat demonstrandum. Natürlich verteilte sich das Blut nicht nur über den Teppich, sondern auch über Duffys Jacke. Aber wer könnte es gewesen sein? Und warum?

Ich erhob mich und sah, dass Lohmann in der Tür stand und mich beobachtete. Ich erläuterte ihm kurz meine Theorie des Tathergangs und fragte ihn nach seinen Verdächtigen. Er hatte keine – außer Duffy, natürlich! Das waren nicht gerade die besten Aussichten.

In der Pause sah ich mir den Unterrichtsplan an, stellte fest, welcher Kurs bei Direktor Feldmann Unterricht haben sollte und machte mich auf den Weg. Dann stellte ich fest, dass ich den Weg nicht kannte und fragte jemanden. Die Tür zum Klassenraum war offen, also ging ich hinein und fand natürlich die ganze Klasse vor, die mich fragend anstierte.

„Sind Sie nicht Harry Rhode?“ fragte einer.

„Äh, ja“, gab ich, etwas überrascht, zur Antwort.

„Hab ich doch recht gehabt. Wir haben mal Zeitungsartikel durchgenommen, die Polizeiberichte.“

„Ahaaaaa.“

„Sie untersuchen sicher den Mordfall an Direktor Feldmann, oder?“

Ich nickte und ließ mich auf dem Pult nieder.

„Ist er nicht bei der Polizei rausgeflogen, letztes Jahr?“ ließ sich eine vorlaute Stimme vernehmen.

„Hmmm, da ihr also offensichtlich alle wisst, wer ich bin, könnt ihr mir vielleicht weiterhelfen. Ich nehme an, ihr kennt alle den Hauptverdächtigen in diesem Fall?“ Sie kannten ihn. „Wer glaubt, dass er es gewesen ist?“ Ein paar zögerliche Finger. „Begründung?“

„Die beiden hatten Streit.“

„Ja, das ist ein Motiv. Abgesehen davon, dass er euer Lehrer ist, für wie doof haltet ihr ihn? Denkt ihr, dass er bescheuert genug ist, seine Fingerabdrücke zu hinterlassen und seine eigene Jacke blutverschmiert am Tatort zurück zu lassen?“ Sie verneinten. „Das ist Punkt eins, der dagegen spricht.“

„Und was ist Punkt zwei?“

„Ein Fall, bei dem der Mörder von Anfang an feststeht ist langweilig!“ Da mussten sie mir beipflichten. „Nachdem wir ihn also als Täter ausschließen, wer kommt dann in Frage?“ Ich sah von einem zum andern. „Na, irgendwelche Vorschläge?“ Wenn sie welche hatten, war ich offensichtlich der letzte, dem sie sie anvertrauen wollten. „Naja“, murmelte ich, „es könnte jeder von euch gewesen sein!“ Mit diesen Worten ließ ich sie zurück. Ich hatte die Adresse eines Mitarbeiters von Glich herausgefunden und die lag rein zufällig genau in dieser Gegend.

Irgendwie musste die Erinnerung an Maximilian Glich tief in den Erinnerungen seiner ehemaligen Mitarbeiter verwurzelt sein, denn als ich F. Dieckmann sprechen wollte, bekam ich nur die Antwort, ich solle mich verziehen. Auch das war mir nicht neu. Ich schellte noch einmal und erklärte, dass ich von der Polizei wäre, also die übliche Lüge. Doch auch das zog nicht. Ich schellte wieder und behauptete, ich sei von der Mafia. Wieder nichts. Langsam gingen mir die Ideen aus. Ich schellte wieder und behauptete, ich sei der Blumenlieferant. Nach meinem siebten Versuch erschien F. Dieckmann in Form einer Frau an der Tür und sah mich mit vor Hass funkelnden Augen an. Das F stand, wie sich herausstellte, für Frederike.

„Hat Ihnen schon mal jemand gesagt, dass Sie eine furchtbare Nervensäge sind?“

„Ja, das ist mir nicht neu. Sind Sie F. Dieckmann?“

„Was, wenn ich sage, dass ich es nicht bin?“

„Dann werde ich so lange die ganze Nachbarschaft nerven müssen, bis ich F. Dieckmann gefunden habe.“

„Sie haben sie gefunden. Hören Sie...“

„Rhode, Harry Rhode.“

„Wie originell, der Hund meiner Tante heißt auch so.“

„Rhode?“

„Ja.“

„Wow. Wissen Sie, in meinem Stammbaum gibt es einige Hunde. Es fing, glaube ich, 1612 mit Bello Rhode an, dessen Sohn Waldi Rhode...“

„Sparen Sie sich den Atem. Sie wollen mit mir über Maximilian Glich sprechen, hab ich recht?“

„Wenn es Ihnen nichts ausmacht.“

„Es macht mir aber was aus.“

„In dem Fall auch.“

„Eine echte Nervensäge sind Sie.“

„Ja, ich weiß.“

„Ich werde Sie nicht hereinbitten.“

Ich seufzte. „Es ist ja nicht so, dass Sie mich ohne dieses ganze Theater schon lange wieder los wären und Sie dann weiter Ihrer Beschäftigung nachgehen könnten. Wo wir schon mal dabei sind, was machen Sie eigentlich? Telefonseelsorge?“

„Bei Nervensägen wie Ihnen kann es leicht passieren, dass mir das Küchenmesser ausrutscht.“

„Keine Drohungen! Sie können mir alles sagen, aber ich warne Sie, mir zu drohen!“

„Warum, sind Sie Karatechampion?“

„Nein, nur furchtbar sensibel.“

Darauf wusste sie erstmal nichts zu sagen.

„Also, ich will Sie nicht länger aufhalten, als es unbedingt notwendig ist. Was können Sie mir über Maximilian Glich sagen?“

„Sie wollen Detektiv sein? Sie haben ein ziemlich merkwürdiges Verhalten bei Personen, von denen Sie Informationen wollen.“

„Schätzchen, wir leben nicht mehr in der Zeit, in der man irgendwelchen Informanten ein paar Kröten über den Tisch geschoben hat und die haben dann ausgepackt!“

„Doch, das tun wir.“

„Ich nicht! Ich wiederhole meine Frage!“

„Haben Sie nen Zwanziger?“

„Können Sie auf tausend rausgeben?“

„Ja.“

„Auch auf zehntausend?“

„Nein.“

„Dann hab ich auch keinen! Was ist mit Glich?“

„Er ist tot, das weiß doch inzwischen jeder. Aber wenn Sie so weitermachen, werden Sie nicht weit kommen.“

„Aha. Das ist ja spitze. Professionelle Tipps von einer, was waren Sie doch gleich? Hausfrau?“

„So bringen Sie niemanden dazu, sich zu verplappern! Geben Sie sich mal mehr Mühe!“

„Mühe, Mühe, wie stellen Sie sich das vor? Soll ich ein bisschen steppen, bis Sie mir aus Mitleid sagen was ich wissen will?“

„Sie sind wirklich ein Anfänger!“

„Ach ja?“

„Ja, Hundename, Sie haben mir gerade etwas verraten, das ich eigentlich gar nicht wissen sollte. Und nun stellen Sie sich doch mal vor, ich würde für die Gegenseite arbeiten!“

„Für die Gegenseite?“

„Na für Fliedner und seine Mafia...“ Sie stockte.

„Ahh, meinten Sie das mit Verplappern?“

„Ja...“

„Doch, ich denke, das war ein gutes Beispiel. Erzählen Sie mir mehr darüber.“

„Ich... ich... Wissen Sie, wie Glich gestorben ist?“

„Deswegen bin ich hier. Was ist mit Fliedner?“

„Was soll mit ihm sein?“

„Das sagen Sie mir. Sie haben sich verplappert, schon vergessen? Wenn er wirklich so gefährlich ist wie er zu erscheinen wünscht, würde es ihn doch sicher interessieren, dass Sie seinen Namen erwähnt haben, oder?“

„Das würden Sie nicht...“

„Nein, aber es ist ein gutes Druckmittel. Andererseits, naja, Sie müssen das auch mal von meinem Standpunkt aus sehen. Ich brauche ein Erfolgserlebnis. Wenn ich Fliedner nun einen kleinen Tipp gebe und er lässt Sie, sagen wir mal, umbringen, dann wäre das doch die Möglichkeit für mich, seine Leute auf frischer Tat zu ertappen. Nach dem Mord, versteht sich!“

„Ich glaube, ich habe Sie falsch eingeschätzt.“

„Das geht vielen Leuten so. Erzählen Sie mir was über Fliedner.“

„Ich kann Ihnen nicht viel sagen. Ich weiß nur, dass damals nicht alles korrekt abgelaufen ist. Fliedner hing da in irgendeiner Sache drin, aber ich weiß nicht was es war. Ich... hatte eine kurze Affäre mit ihm und da hab ich ein bisschen davon mitbekommen. Aber ich kann Ihnen nicht weiterhelfen. Ich weiß wirklich nicht, was damals passiert ist. Aber Max hatte nichts mit dem verschwundenen Geld zu tun.“

„Gut, vielen Dank.“

„Hilft Ihnen das weiter?“

„Nein, eigentlich nicht. Aber für den Fall, dass Sie in nächster Zeit umkommen sollten, weiß ich, an wen ich mich zu wenden habe.“

Mord aus vergangenen Tagen

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