Читать книгу Was für ein Hund! - Martin Danders - Страница 8

5. Kapitel

Оглавление

Im Sommer 2009 fuhr ich mit Tachoti von Berlin nach Wusterwitz in Brandenburg. In diesem elendigen Nest hatte ich Jahre zuvor einen Bauernhof gekauft, den ich jetzt unbedingt verkaufen wollte. Gegen Mittag traf ich mich an einem Sonntag mit Kaufinteressenten, um ihnen das Grundstück mit den Gebäuden zu zeigen. Als ich am Anwesen ankam, parkte ich an der hinteren Zufahrt, schloss das Metalltor auf und fuhr meinen Wagen auf das mit hohem Gras bewachsene Grundstück. Danach stieg ich aus, holte den Hund aus dem Auto und lief mit ihm durch den verwilderten Garten zum Innenhof des Bauernhofes. Tachoti war stets begeistert von dem Grundstück, weil das Erkunden sämtlicher Gebäude und der buchstäbliche Urwald für sie pures Abenteuer war. Die Natur hatte erbarmungslos ganze Arbeit geleistet, denn alles war wieder ziemlich zugewachsen. Von Berlin aus konnte ich nicht häufig genug hinfahren, um mich um ein Grundstück mit ca. 3000 Quadratmeter ausreichend kümmern zu können. Seitdem ich in Bremen arbeitete, hatte sich der Zustand sogar noch verschlimmert, weil mir noch weniger Zeit zur Verfügung stand. Nun wollte ich das Grundstück an eine junge Familie verkaufen, damit ich die Verantwortung und Belastung los wurde. Der Kaufpreis für die Familie war geringer, als das Geld, was ich insgesamt für die Immobilien aufgewendet hatte. Trotzdem wollte ich es verkaufen, denn die Immobilienpreise in den östlichen Bundesländern waren weiter am Fallen, weil viele Ostdeutsche nach der Wende nach Westdeutschland oder ins Ausland gezogen waren.

Als die Leute an der Haustür auf der Straßenseite standen und klingelten, band ich Tachoti sicherheitshalber an einem Baum im Schatten fest. Natürlich fand sie das nicht gut, denn sie hätte gerne die Fremden auf ihre Art begrüßt. Das Wetter war an diesem Tag sonnig, also ideal für eine Hausbesichtigung. Ich begrüßte ein junges Paar, die Kaufinteressenten, mit zwei Kindern und ein älteres, das die Eltern von dem jungen Mann waren. Bei der Besichtigung zeigte ich alle Ecken des Wohnhauses, die Scheune, das Waschhaus und zugewachsene Grundstück mit den Obstbäumen. Kein unangenehmes Detail verheimlichte ich und nannte auch die möglichen Kosten, die auf die Käufer zukamen. Nach der Begehung standen wir im Innenhof und diskutierten.

„In der Anzeige standen 55.000 EURO. Hiermit senke ich den Kaufpreis auf glatte 50.000 EURO. Nach meiner Einschätzung müssen sie weitere 50.000 EURO für die Sanierung ausgeben“, erklärte ich den Anwesenden.

„Das Dach muss gemacht werde, die Hausisolierung fehlt, die Fenster und Türen müssen ersetzt werden. Die Scheune und die westliche Wand des Wohnhauses zum Nachbargrundstück müssen gesichert werden. Meiner Meinung nach reichen die 50.000 € bei weitem nicht“, schätzte der ältere Mann, der sich als Handwerker ausgab. Meines Erachtens war er wirklich ein Fachmann.

„Sie können sich den Kauf ja noch überlegen. Mein Verkaufspreis bleibt bei 50.000 €“, antwortete ich.

„In Ordnung“, entgegnete der junge Mann, der sehr an dem Bauernhof interessiert schien.

Nachdem ich mich freundlich von den Leuten verabschiedet hatte, fuhren sie mit zwei Autos davon. Ich verschloss wieder das Wohnhaus und holte Tachoti, die immer noch am Baum angeleint war. Ich ließ sie wieder auf dem Grundstück herumstöbern. Innerhalb kurzer Zeit war das Grundstück ihres, deswegen bellte sie jeden an, der sich dem Zaun näherte. Ein Nachbar hatte Ponys, was sie natürlich mehr als aufregend fand. Mein Gefühl sagte mir, dass diese Leute meine Polenkate kaufen werden. Gutgelaunt ging ich zum zum Auto, ließ Tachoti hineinspringen und rangierte den Wagen durch die hintere Toreinfahrt heraus. Nachdem ich die Metalltür verschlossen hatte, fuhr ich mit Tachoti Richtung Ziesar zur Autobahn.

„Eigentlich wäre so ein Grundstück ideal für so einen Hund, aber ich muss den Bauernhof verkaufen, weil ich zu wenig Zeit habe“, murmelte ich vor mich hin.

15 Minuten später erreichte ich die A2 bei Ziesar und nahm die Auffahrt Richtung Hannover. Erwartungsgemäß war die Autobahn voll, denn es war Sonntag Nachmittag, wo viele Pendler unterwegs waren. An diesem Tag musste ich noch bis nach Oyten fahren, weil ich Montag in Bremen zur Arbeit musste. Ab Magdeburg wurde die Autobahn noch voller, denn die Sachsen und Sachsen-Anhaltiner kamen ab dort noch dazu. Auf drei Spuren quälte sich eine Blechlawine Richtung Westen. Viele waren Pendler, die ihre Arbeitsstätten irgendwo im Westen hatten. Für mich waren die Automassen keine Überraschung, denn ich pendelte schon zwei Jahre von Berlin nach Bremen.

Tachoti schlief wie immer auf der Autobahn hinten im Auto. Wenn wir schnell fuhren, dann konnte sie draußen nichts mehr erkennen, weil alles zu rasch an ihr vorbeiflog. Wenn ich stattdessen in einer Stadt langsamer fuhr, fand sie das Herausschauen wesentlich interessanter, denn sie konnte nun alles erkennen, wie insbesondere Radfahrer, Fußgänger und andere Hunde. Bei solchen Fahrten schaute sie immer aus dem Fenster und bellte, insbesondere bei Hunden, Radfahrern und Motorrädern. Wir passierten Helmstedt, die ehemalige innerdeutsche Grenze. Später quälten wir uns an Braunschweig vorbei und fuhren weiter Richtung Hannover. Immer wieder bremsten die anderen Wagen heftig, sodass ich ebenfalls stark stoppen musste. Die Gründe für diese plötzlichen Abbremsungen lagen an der hohen Masse an Autos und an dem in der Regel viel zu geringen Abstand der Autos. Jedes mal bremste ich rasant von 120 Stundenkilometer auf 20 herunter. Immer wieder rutschte der Hund nach vorne, da die Bremsungen zu stark waren. Natürlich versuchte ich solch heftiges Abbremsen wegen dem Hund tunlichst zu vermeiden, aber es gelang mir nicht immer. Außerdem fuhr ich in der Regel, auch wenn die Geschwindigkeit freigegeben war, maximal nur 130 Stundenkilometer, weil es mit dem Hund ratsamer war.

Am Himmel sah ich einen dicken schwarzen Kumulus, aus dem sich der erste heftige Niederschlag ergoss. Auf der Autobahn standen mindestens 10 Zentimeter Wasser. Aufgrund dessen fuhr ich eine Zeitlang nur noch ungefähr 30 Stundenkilometer. Nachdem dieser Superschauer vorbei war, fuhren alle Autos dreispurig wieder ca. 120. Auch ich passte meine Geschwindigkeit den Anderen an. Keine 10 Minuten später kam der nächste Superschauer mit der gleichen unwahrscheinlich großen Wassermenge. Erneut verlangsamte sich abrupt die Geschwindigkeit der Blechlawine. Wenig später ging die Fahrt erneut mit 120 Stundenkilometer weiter. Zu guter Letzt folgte noch ein dritter Schauer, der die gleichen Auswirkungen wie die beiden vorangegangenen Güsse hatte. Die Situation war äußerst gefährlich, weil die Autos auf allen Fahrspuren gleichzeitig immer sehr plötzlich abbremsten.

Kurz vorm Kreuz Hannover Ost sah ich einen Stau, der wegen eines Unfalls mit mehreren Autos ausgelöst wurde. Einsatzfahrzeuge waren bereits vor Ort. Der Rückstau breitete sich gerade Richtung Osten aus. Tachoti war hinten unruhig im Auto, deswegen entschied ich mich wegen ihr auf einen Autohof zu fahren.

„Vielleicht muss sie kacken“, murmelte ich vor mich hin.

Just in dem Moment, wo ich mir einen Parkplatz suchte, begann ein Superguss, den die Welt noch nicht gesehen hatte. Innerhalb von kürzester Zeit standen auf der Betonfläche des Autohofes mindestens 10 Zentimeter Wasser. Die Gullis schafften es nicht die Wassermassen aufzunehmen. Der Himmel war pechschwarz. Blitze zuckten gen Boden. Krachende Donner waren zu hören. Eigentlich wollte ich mit dem Hund aussteigen, aber ich blieb wegen dem Regen im Auto sitzen. Jetzt war es so wie so egal, wenn Tachoti ins Auto scheißen sollte. Ungefähr eine halbe Stunde später war der Guss vorbei. Aufgrund dessen wagte ich einen Ausstieg und ging mit Tachoti eine Gassirunde über den Autohof. Seltsamerweise hatte sie keinen Kegel gelegt oder Durchfall. Warum war sie vorhin im Auto so unruhig? Als wir wieder im Auto saßen, hörte ich im Radio, dass sich eine Vielzahl von Massenkarambolagen auf der A2 Fahrtrichtung Westen zwischen Kreuz Hannover Ost bis Braunschweig auf einer Streckenlänge von ca. 50 Kilometer ereignet hatten. Sofort war mir klar, dass dieser kleine Unfall am Kreuz Hannover Ost, dessen Stauende sich nach Osten ausgebreitet hatte, das Fiasko ausgelöst hatte. In weiteren Horrormeldungen aus dem Radio sprach man von Rettungseinsätzen auf 50 Kilometer Länge. Die Zahl der Verletzten und Toten war zu diesem Zeitpunkt noch unklar.

„Wenn du vorhin nicht unruhig gewesen wärst, wäre ich nicht von der Autobahn gefahren. Du bist wahrscheinlich mein Glückshund, auch wenn man dich eigentlich nicht mehr Tachoti sondern Kaoti nennen sollte“, sagte ich zu ihr. Sie schaute mich dabei aufmerksam an.

Vollkommen zittrig startete ich den Motor und passierte die Landstraßenbrücke über die A2. Dort sah ich den ersten Unfallpunkt mit mehreren Fahrzeugen am Kreuz Hannover Ost. Dahinter war ein Stau, dann wieder einen Unfall mit mehreren Autos, dann wieder einen Stau. Wieder folgte ein Unfall mit diversen Beteiligten, dahinter erneut einen Stau unterbrochen von weiteren Unfällen. Diese Szenerie breitete sich nach Osten aus so weit das Auge reichte. Als sich der erste Unfall ereignet hatte, waren mehrere Fahrzeuge darin verwickelt. Schließlich kamen die folgenden Autos zum Stehen. Ein neuer Stau baute sich auf, bis einige Fahrzeuge wieder ins Stauende rasten. Hinter diesem Unfall kamen die dahinter folgenden Autos zum Stehen. Es baute sich ein neuer Stau auf, bis erneut mehrere Fahrzeuge, die zu spät bremsten, in das neue Stauende hinein donnerten. So breitete sich das Geschehen immer weiter Richtung Osten auf 50 Kilometer Länge aus. Natürlich bin ich nicht auf die Autobahn gefahren, sondern geradeaus auf der Landstraße weitergefahren Richtung Norden. Nach einer kleinen Irrfahrt hatte ich es geschafft die Autobahn A7 und eine Auffahrt Richtung Bremen und Hamburg zu finden. Obwohl auch diese Autobahn voll war, kamen wir ohne weitere Zwischenfälle in Oyten an. Tachoti hatte mich vor dem Desaster gewarnt. Wenn sie es nicht getan hätte, wäre vermutlich mein Auto jetzt Schrott gewesen. Wir liefen noch eine Hunderunde und gingen frühzeitig ins Bett, denn der Tag war wegen der anstrengenden Fahrt und Massenkarambolagen sehr nervenaufreibend.

Nach einer unruhigen Nacht war ich am nächsten Tag wie gerädert. Ich trank meinen Kaffee, duschte und zog mich an. Nachdem ich Tachoti gefüttert hatte, gingen wir unsere normale Gassirunde. Wir fuhren mit dem Wagen zum Bäcker. Während Tachoti im Auto wartete, holte ich mir dort belegte Brötchen. Im Laden gab es auch einige Presseerzeugnisse, die alle die Massenkarambolagen als Headline hatten. Zusätzlich kaufte ich mir eine Bild-Zeitung, die ich normalerweise nicht lass, aber dort waren die besten Bilder abgebildet.

„Über 100 Massenkarambolagen auf 50 Kilometer der A2, 250 Verletzte, keine Tote “, war in dem Blatt zu lesen.

Bei der netten Bäckereiverkäuferin zahlte ich, ging zum Auto und lass auf dem Fahrersitz schnell die wichtigsten Zeilen. Zum Glück gab es keine Toten, aber 250 Verletzte waren allerdings schon eine Ansage. Ausgehend vom Kreuz Hannover Ost hatten sich die Auffahrunfälle bis nach Braunschweig ausgebreitet. Die Rettungskräfte mussten auf der gesamten Strecke antreten, weil sich über 100 Unfälle auf einer Strecke von 50 Kilometer gebildet hatten. Diese hohe Zahl von Massenkarambolagen, war der größte Autobahnunfall, den es jemals in Deutschland gegeben hatte. Mehr als 300 Autos wurden zu Schrott gefahren. Auslöser waren zu hohe Geschwindigkeit, zu geringer Abstand, mehrere heftige Regenschauer und die absolut überfüllte Autobahn.

Auf der Arbeit erzählte ich den Kollegen von meinem Erlebnissen auf der Autobahn und von meinem Glückshund, wegen dem ich die Autobahn verlassen hatte. Als Beweisstück hatte die Bild-Zeitung dabei, die ich den staunenden Kollegen zeigte. Am gleichen Tag hatte ich den betreffenden Artikel zur Erinnerung an meine Bürowand geklebt.

Was für ein Hund!

Подняться наверх