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Kapitel 2
Im feinen Zwirn

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Nicht einmal seine engsten Freunde hätten ihn in diesem Aufzug wiedererkannt. Die schulterlange Lockenmähne war ebenso geschnitten worden wie der struppige Vollbart, der auf ein gepflegtes Maß gestutzt war. Ohne Baseballcap, Holzfällerhemd und zerschlissener Jeans wirkte alles an Daniel Keller deplatziert und unvollkommen. Er selbst fühlte sich unwohl in dem blauen Anzug und dem weißen Hemd. An seinem ganzen Körper juckte und zwickte es. Die Krawatte, die er zuerst angelegt hatte, schnürte ihm den Atem ab, sodass er sie schnell wieder losgeworden war. Einen Rest Würde behielt er sich jedoch, indem er sich nicht von der Ray-Ban Predator trennte und sie auch nicht abnahm, als die Jungs und Mädels vom Secret Service ihn darum gebeten hatten.

»Lassen Sie’s gut sein.« Der Stabschef beschwichtigte die Mitarbeiter und machte eine einladende Geste in den Gang hinein.

Das war nicht Cycles erster Besuch im Weißen Haus. Damals hatten Eileen Hannigan und ihr Team von Präsident Wallace Belobigungen für ihren Einsatz gegen den Verbund der Generäle und Gaia’s Dawn erhalten. Dass sich derselbe Präsident gut zwei Jahre später als Verräter an seinem Land entpuppte, erstaunte Cycle noch immer, obwohl die Sache bereits einige Monate zurücklag. Er folgte Patterson durch die breiten Korridore. Sie begegneten Mitarbeitern aus dem Stab, Bediensteten, Pressevertretern und Secret-Service-Agenten. Nur Letztere nahmen Notiz von Cycle. Für alle anderen war er nur irgendein Besucher im Anzug, ein Gast des Stabschefs.

Im Westflügel machte Patterson einen Schwenk und ging eine Treppe hinunter, anstatt den direkten Weg zum Oval Office zu wählen. Cycle sagte nichts, sondern trottete ihm nur hinterher. Als sie vor einem Aufzug stehen blieben, pfiff Patterson leise vor sich hin.

»Das ist nicht der Weg zum Oval Office.«

Der Stabschef lächelte, während sich die Aufzugtüren öffnete. »Wir gehen nicht ins Oval Office.«

Beide betraten den Fahrstuhl und fuhren ein Stockwerk tiefer. Als die Türen sich beiseiteschoben, fand sich Cycle in einer Tiefgarage wieder.

»Das ist nicht der Weg zum Situation Room.«

»Wir gehen nicht …«

»Sagen Sie es nicht.«

»Also schön, da vorn, der SUV. Wenn Sie bitte einsteigen würden?«

Cycle sah sich um. Keine Spur von Sicherheitspersonal oder Personenschützern. Irgendetwas stimmte hier nicht. Er folgte Patterson bis zu dem Auto, blieb dann jedoch davor stehen.

»Kein Secret Service?«

»Ich bin keine schützenswerte Person, Mister Keller.«

»Cycle.«

»Bitte?«

»Einfach nur Cycle.«

Patterson seufzte. »Wenn Sie jetzt einsteigen würden?«

Cycle nahm auf der Rückbank Platz, während der Stabschef sich hinter das Steuer klemmte. Der Umstand, dass Patterson selbst fuhr, verwunderte Cycle, aber er fragte nicht weiter nach. Sie fuhren aus der Tiefgarage über den Vorplatz, umrundeten die Rasenfläche und verließen das Gelände über das Westtor an der Pennsylvania Avenue. Die Fahrt ging noch weiter nach Norden, dauerte etwa fünfzehn Minuten, bis Patterson hinter dem Rock Creek Park eine Abzweigung nahm und ins Park Areal bog. Der SUV schlängelte sich eine schmale Waldstraße entlang, nahm eine weitere Abzweigung über einen Schotterweg und hielt dann vor einer Park-Ranger-Station an, die, nach ihrem Zustand zu urteilen, das letzte Mal vor zehn oder fünfzehn Jahren genutzt worden war. Die Fenster waren milchig, am Geländer auf der Veranda waren einige Bretter herausgebrochen, die Holzfassade wirkte verwittert und heruntergekommen, und die amerikanische Flagge hing schlaff am Fahnenmast vor dem Haus herunter, löcherig, vergilbt.

»Da wären wir«, sagte Patterson und parkte neben vier anderen SUVs.

Vor dem Eingang der Ranger-Station standen zwei Männer in dunklem Anzug, mit Sonnenbrille auf der Nase und Funkempfänger mit Spiralkabel im Ohr. Zweifelsohne Agenten des United States Secret Service. Cycle zählte eins und eins zusammen. Kein Begleitschutz für den Stabschef des Weißen Hauses, aber hier draußen bewachten oder beschützten sie irgendetwas oder irgendjemanden? Wo zwei von denen steckten, waren sicherlich draußen im Wald noch mehr. Vermutlich hatte ein Scharfschütze ihren Wagen just in dem Moment ins Visier genommen, in dem er die Auffahrt hochkam. Patterson schaltete den Motor ab und stieg aus.

Cycle folgte ihm. Die Einladung ins Weiße Haus hatte er nur angenommen, weil sowohl Irina Bocanová als auch Bozena Stylez ihn darum gebeten hatten.

Eher genötigt, dachte er.

Dass sich das Treffen dann zu diesem gottverlassenen Ort verlagerte, stand nicht in der Agenda. Natürlich gab es überhaupt keine Agenda, er wusste nicht einmal, wozu er hier war, und vertraute auf die Worte Bozenas, dass er ein Angebot erhalten würde.

Ein Angebot. Im Hinblick auf seinen letzten Job und dem Verrat an seinen Arbeitgeber brauchte er auch dringend ein neues Tätigkeitsfeld. Genug beiseitegelegt, um sich zur Ruhe zu setzen, hatte er in all den Jahren nicht. Er hatte Geld auf der hohen Kante, aber es reichte eben nicht, um ganz aufzuhören. Bei Burger King hinter dem Tresen zu stehen, war nicht seine Art und etwas anderes, außer taktische Operationen durchzuführen und Menschen zu erschießen, hatte er nicht gelernt.

Gemeinsam mit Patterson betrat er die alte Station. Im Innern roch es muffig und moderig. Zentimeterdicker Staub hatte sich auf das Mobiliar gelegt. Hier war seit Jahren nicht mehr gelüftet worden. Als Patterson die Tür zu der Toilette öffnete, wusste Cycle mit einem Mal, warum. Dahinter befand sich keine Keramik, sondern nach zehn Zentimetern eine weitere Tür. Nicht aus morschem Holz wie die erste, sondern aus massivem Stahl. Neben ihr waren ein Tastenfeld und ein Fingerabdrucksensor angebracht. Darüber leuchtete eine Infrarotoptik neben einer winzigen Kameralinse.

Patterson gab einen Zahlencode ins Tastenfeld, legte den Daumen auf den Scanner und blickte dann in die Linse. Dreifache Sicherung: Pin, Fingerabdruck und Retinascan. Die Tür glitt beiseite und gab den Anblick auf eine kleine Kabine frei, in die vielleicht fünf Leute passten. Es handelte sich um einen Fahrstuhl.

Was auch sonst?, dachte Cycle.

Es ging abwärts. Im Innern der Kabine war nicht erkenntlich, mit welcher Geschwindigkeit sie fuhren oder wie viele Stockwerke sie passierten. Außer einem sanften Ruck beim Absenken und einem weiteren beim Anhalten spürte Cycle nichts. Sie konnten sich eine Etage oder auch zwanzig unter der Erde befinden. Die Tür öffnete sich und gab den Anblick auf einen angrenzenden Korridor frei. Schwach beleuchtet. Die Wände aus Metall. Neben dem Ausgang des Aufzugs standen zwei weitere Secret-Service-Leute. Patterson nickte ihnen kurz zu, verließ die Kabine und bedeutete Cycle, ihm zu folgen. Sie passierten mehrere Türen zu beiden Seiten des Flurs und nahmen die letzte auf der rechten Seite. Cycle bemerkte, dass hier keine weiteren Wachen standen. Wer auch immer ihn und den Stabschef des Weißen Hauses hier empfing, schien es hier unten für sicher genug zu halten, um auf weitere Posten zu verzichten.

Der Raum hinter der letzten Tür war vielleicht fünfzehn mal fünf Meter groß. In seiner Mitte befand sich ein langer ovaler Holztisch mit spiegelglatt polierter Platte, drumherum gepolsterte Schwenk- und Drehsessel drapiert. Er glich dem Situation Room im Weißen Haus, war vielleicht eine Spur kleiner, aber nicht minder mit Technik bis zum Abwinken ausgestattet. Beamer, digitales Whiteboard, Videokonferenzsysteme, 70-Zoll-Flachbildschirme, und vor jedem Platz stand ein Laptop, den jeder Besucher nutzen konnte.

Cycle blickte in die Gesichter der Anwesenden. Augenscheinlich war er der zuletzt eingetroffene Teilnehmer der geselligen Runde. Mit Irina Bocanová und Bozena Stylez hatte er gerechnet. Die anderen drei kannte er nicht. Es waren zwei Männer und eine weitere Frau. Einer mit kurzem glatten Haar, Dreitagebart und Grübchen im Kinn und um die Mundwinkel. Der andere mit leicht gelockten kurzen Haaren und einem Mondgesicht. Er wirkte jünger, als er vielleicht war. Die Frau hatte sandblonde lange Haare und mandelförmige Augen, die einen asiatischen Einschlag bei den Ahnen vermuten ließen. Ihr Kinn lief spitz zu und ihr Blick wirkte genervt, als sie in Cycles Richtung schaute.

Patterson wies auf einen der freien Stühle und Cycle wollte sich auf den Platz, der am weitesten vom Kopfteil des Tisches entfernt lag, setzen, doch Irina schüttelte den Kopf und wies auf den freien Stuhl zwischen sich und Bozena. Cycle tat den beiden Frauen den Gefallen und ließ sich in ihrer Mitte nieder.

»Ihr seid spät dran«, raunte Bozena ihm zu. Sie trug eine hellrote Bluse, einen schwarz-grau-gestreiften Mini und Schuhe mit hohen Absätzen. Die Brille als Accessoire rundete das Klischee eines typischen Outfits einer Sekretärin oder Assistentin ab. Wer Bozena kannte, wusste aber, dass sie im Gegensatz zu ihrer Vorgängergeneration nicht nur eine Intelligenzbestie und exzellente Computerspezialistin war, sondern auch im Kampf nahezu unschlagbar war. Die Brille, die sie zum Sehen nicht benötigte, war eines ihrer technischen Gadgets, die die Stylez gerne einsetzten. Er fragte sich, ob Patterson oder die anderen im Raum ihre wahre Bedeutung kannten.

»Erzähl das meinem Kutscher.« Cycle nicke mit dem Kinn in Richtung Patterson.

»Ladys und Gentlemen, vielen Dank, dass Sie es einrichten konnten.«

»Ersparen Sie uns jetzt ein langes Vorwort«, sagte Grübchen und trommelte mit zwei Fingern auf der Tischplatte. »Sie haben ein Angebot? Schießen Sie los. Ist es lukrativ, steigen die Chancen, dass ich einsteige.«

»Sie disqualifizieren sich gerade, Mann«, sagte der andere mit den Lockenhaaren. »Wissen Sie, wer diese Mann ist?«

»Weiß ich.« Grübchen machte eine wegwerfende Handbewegung. »Aber selbst wenn die Präsidentin hier stünde, Zeit ist Geld und ein Luxus, den zu verschwenden ich mir nicht leisten kann.«

An der gegenüberliegenden Wand, hinter dem Sessel, in den sich Cycle zuerst setzen wollte, öffnete sich eine weitere Tür, durch die eine attraktive, schlanke Frau Ende vierzig trat. Als Cycle sie das letzte Mal in einem Fernsehinterview gesehen hatte, waren ihre Haare noch lang und schwarzbraun gewesen. Jetzt trug sie sie kurz als Pagenschnitt mit tief hängenden Strähnen auf der rechten Seite und wesentlich heller.

Die Anwesenden standen bei ihrem Anblick automatisch auf. Cycle erhob sich genauso wie Grübchen.

»Madam President«, sagte der Typ, der gerade noch über sie gelästert hatte.

»Mister Reid.« Sie lächelte freundlich und machte eine Geste, die den anderen bedeutete, sich wieder hinzusetzen.

Emma Gainsborough, Präsidentin der Vereinigten Staaten von Amerika, nahm selbst auf dem Stuhl vor Kopf des Tisches Platz und gab Patterson zu verstehen, er solle fortfahren.

Dieser faltete die Hände ineinander und nickte kurz. »Ich verspreche, es kurz zu machen, Mr Reid. Wir haben Sie hierher eingeladen, um Ihnen einen Job anzubieten. Arbeiten Sie für Uncle Sam. Ja, ich weiß, einige von Ihnen tun das bereits, doch wir möchten Sie gerne für andere Aufgaben anheuern.«

Er griff eine Fernbedienung vom Tisch auf und drückte einen Knopf. Das Licht im Raum verdunkelte sich und auf dem digitalen Whiteboard, das auch gleichzeitig eine Projektionsfläche darstellte, erschient ein Symbol: ein O, das mit einer Klinge aufgespießt worden war. Fast wie die Darstellung des griechischen Buchstabens Omega, bei näherer Betrachtung doch eher wie ein durchstochener Apfel. Der Stabschef verlor kein Wort zu dem Symbol, sondern blätterte gleich weiter zur nächsten Folie.

»Vor ihrer Amtseinführung hat Präsidentin Gainsborough hautnah miterlebt, wie korrupt und schmutzig die frühere Regierung gearbeitet hat. Nichts davon ist an die Öffentlichkeit gelangt und konnte geheim gehalten werden, aber einige von den Anwesenden waren dabei und Teil von Operationen, die von privaten Organisationen geleitet wurden, die auch für amerikanische Behörden und Nachrichtendienste gearbeitet haben. Diese Söldnertruppen oder privaten Sicherheitsdienste, wie auch immer man sie benennen möchte, bewegen sich in den Grauzonen. Ihre Existenz wird abgestritten und dennoch arbeitet der Staatsapparat mit ihnen und beauftragt sie mit Missionen, die von offizieller Stelle niemals genehmigt oder durchgeführt werden könnten, weil sie sich am Rande der Legalität bewegen … oder sagen wir besser vorbei bewegen.«

»Ist bekannt«, ließ Grübchen, den Cycle mittlerweile als Mr Reid kannte, vernehmen.

»Dann wissen Sie auch, dass diese Organisationen gerne ihre eigenen Süppchen kochen. Wenn Leerlauf ist. Wenn andere Institutionen oder Staaten sie anheuern. Wenn jemand mehr bietet. Niemand dieser Leute ist wirklich loyal gegenüber Uncle Sam, sondern arbeitet alleine für den Schotter, den sie mit uns verdienen.«

Reid nickte und Cycle fühlte sich in dem Moment unwohl in seiner Haut, hatte er doch vor einigen Monaten ebenfalls in den Diensten einer solchen Söldnertruppe gestanden. Er schluckte.

»Sie dagegen haben sich durch Ihre Dienste an unserem Land ausgezeichnet und sind als vertrauenswürdig eingestuft«, fuhr Patterson fort. »Sie alle gehören Spezialeinheiten an und sind Experten auf Ihrem Gebiet.«

Reid beugte sich vor und sah in Bozenas Richtung. »Nichts für ungut, aber Sie sehen nicht aus, als hätten Sie je was anderes getan, als Ihrem Boss den Kaffee zu bringen.«

»Reid!« Die Ermahnung kam von der Präsidentin und alle sahen augenblicklich in ihre Richtung.

Der Angesprochene hob abwehrend die Hände.

»Mr Reid, wir haben Sie ausgewählt, um ein Team anzuführen. Zeigen Sie Respekt und verdienen Sie sich den Respekt Ihrer zukünftigen Kameraden.«

»Bei allem Respekt, Madam President, aber ich weiß ja noch nicht einmal, worum es geht, und ich habe noch lange nicht zugestimmt.«

»Dann hören Sie zu«, sagte Gainsborough. »Fahren Sie fort, Alex.«

Patterson schürzte die Lippen. »Darüber hinaus ist Mrs Stylez im Nahkampf und an allen konventionellen Waffen ausgebildet und würde Sie im Sparring innerhalb von fünf Sekunden auf die Matte geschickt haben.«

Reid lachte.

Cycle schmunzelte, aber aus einem anderen Grund als Reid, denn er kannte Bozenas Fähigkeiten.

»In vier«, sagte Bozena todernst und erntete fragende und zweifelnde Blicke. »Weiter, Mr Patterson.«

»Die Präsidentin hat eingesehen, dass die Regierungsgeschäfte einige unkonventionelle Methoden erfordern, die nicht von offizieller Seite abgesegnet werden können, um keine diplomatischen Zwischenfälle zu erzeugen und um die Bevölkerung nicht zu beunruhigen oder zu verunsichern. Mr Keller …«

Cycle zuckte zusammen. Er hatte nicht damit gerechnet, direkt angesprochen zu werden.

»Ihr letzter Einsatz bei Trigger One führte Sie damals nach Bolivien. War es notwendig, die Drogenbaronin Aguilar aus dem Weg zu schaffen, um die Versorgungskette von hundert Prozent reinem, nicht gestreckten Kokain in die Vereinigten Staaten zu unterbinden und dabei zu helfen, Tausenden oder Zehntausenden potenziellen Suchtkandidaten das Leben zu retten? Ja, das war es, aber nicht um den Preis, um den die CIA die Sache angegangen ist, nämlich für die Kartelle Boliviens eine Konkurrentin aus dem Weg zu schaffen, damit die Versorgungsketten der anderen Drogenbarone stabil blieben und die CIA ihren Anteil an finanziellen Mitteln erhielt, die sie für Operationen im Nahen Osten einsetzte. Gutes tun, um Böses zu unterstützen, darf nicht Ziel von verdeckten Operationen sein. Wir wollen tun, was getan werden muss, um die Welt und die Zustände für unser Land zu verbessern. Das geht nur mit loyalen Mitarbeitern, die nicht nebenher noch Mordaufträge für andere Dienste erledigen und sich an den Höchstbietenden prostituieren.«

»Verstehe ich das richtig«, sagte diesmal das Mondgesicht, »Sie beabsichtigen eine Spezialeinheit für verdeckte Operationen zusammenzustellen, die ausschließlich im Auftrag der Präsidentin arbeitet, deren Existenz oder Kenntnis dennoch jederzeit vom Oval Office bestritten werden würde?«

»Gut erfasst, Mr Hutchinson«, sagte Gainsborough. »Und glauben Sie mir, ich habe nächtelang wach gelegen, als die Idee in mir gereift ist. Ich fühle mich nicht wohl dabei, aber gewisse Umstände zeigen eine Notwendigkeit, diesen Weg zu gehen. Ich muss Ihnen vertrauen können, meine Damen und Herren. Kein Deputy Director oder Führungsoffizier einer anderen Behörde darf sie für seine eigenen zwielichtigen Zwecke nutzen oder missbrauchen. Die Operationen werden ausschließlich von mir abgesegnet. Sie bekommen regelmäßige Vergütungen, auch in Zeiten, wenn Sie keine Aufträge durchführen. Darüber hinaus werden Sie mit allen Mitteln ausgestattet, die für Ihre Aufträge erforderlich sind.«

»Sie meinen … Waffen, Munition, Transportmittel, Satellitenkommunikation und all den technischen Schnickschnack?«, fragte Reid.

Patterson nickte und antwortete anstelle der Präsidentin. »Glauben Sie mir, den technischen Schnickschnack, den wir Ihnen zur Verfügung stellen können, ist heißer Scheiß. Technologie weder von morgen noch von übermorgen, sondern um Jahre voraus. Natürlich kann Uncle Sam die enormen Ausgaben dafür nicht vor dem Kongress rechtfertigen und wir werden keine illegalen Budgetverschiebungen anstoßen, die uns später bei Finanzprüfungen zur Last gelegt werden können. Es gibt einige Investoren, die Präsidentin Gainsborough bereits bei ihrem Wahlkampf unterstützt haben. Sie stehen hinter der Sache, werden uns aber niemals ins Geschäft reinreden. Sie geben das Geld, wir erledigen die Aufträge.«

»Vielleicht machen sich die Herrschaften erst einmal untereinander bekannt.« Patterson drückte auf die Fernbedienung und auf dem Whiteboard erschien ein Foto von Reid, daneben sein Name, Rang und Ausschnitte seiner Dienstakte.

»Captain Ovid Cooper Reid, U.S. Ranger Battalion. Dekorierte Einsätze im Irak und Afghanistan. Antiterrorbekämpfung in Islamabad.«

Das Bild wechselte. Mondgesicht.

»Sergeant Granville Hutchinson. Navy SEALs. Mehrere Auszeichnungen für Tapferkeit und nachrichtendienstliche Ermittlungen, die zur Verhinderung von Terroranschlägen und einem drohenden Krieg im Nahen Osten führten.«

Neues Bild. Die Blonde.

»Corporal Lacy Helms. U.S. Marines. Rettete ein halbes Dutzend Kameraden in einem beispiellosen Einsatz. Eine Geschichte fürs erste Lagerfeuer.«

Das nächste Bild zeigte Cycle und er merkte, wie ihm heiß in dem Anzug wurde, der ihm von Minute zu Minute unbequemer schien.

»First Sergeant Daniel Keller. Der Held von Islamabad. Hat eine Gruppe Navy SEALs auf der Suche nach Osama bin Laden rausgehauen. Kennen Sie sich zufällig?«

Hutchinson schüttelte den Kopf. »Aber ich hab von Ihnen gehört. Gute Arbeit, Mann.«

Cycle nickte nur.

»Ehemals Mitglied der Intelligence Support Activity, danach bei diversen Teams, unter anderem Trigger One, TEC bei den Free Allied Forces und zuletzt Nexus Initiative. Dazu kommen wir noch.«

Das nächste Bild. Irina.

»Irina Bocanová. Lieutenant. Ehemals Mitglied der privaten Gruppe Gaia’s Dawn. Half bei verdeckten Operationen, diese zu zerschlagen.«

Dann folgte Bozenas Bild. Cycle war gespannt, was er zu ihr sagen würde.

»Mrs Bozena Stylez. Ohne Rang. Wir stufen Sie aber ebenfalls als Lieutenant ein. Gehörte demselben Team wie Miss Bocanová an und verhinderte den Tod zahlreicher Menschen in St. Petersburg, indem sie den Einsatz von Gaia’s-Dawn-Waffen der übernächsten Generation stoppte.«

Noch ein Bild. Diesmal war Cycle wie elektrisiert. Es zeigte einen attraktiven Mann in den Vierziger Jahren, mit stechendem Blick und schwarzen, zurückgekämmten und gegelten Haaren. Interessanterweise trug er auf dem Foto einen Anzug, der Cycles nicht unähnlich war, wenn er auch eine Krawatte um den Hals geschnürt hatte.

»Seine Lordschaft James Edward of Narwick.« Patterson hielt inne und blickte in die Runde. »Keine Sorge, der ist nicht im Team. Narwick war Gründer und Anführer einer Weltverbesserungsgruppe namens Gaia’s Dawn, die ich gerade schon erwähnt hatte. Er unterhielt zahlreiche Technologiefirmen und -konzerne und arbeitete an destruktiven Mitteln, die Menschheit, wie wir sie kennen, auszulöschen und neu entstehen zu lassen, um eine friedvolle Welt ohne Neid und Hass, Krankheiten, Verbrechen und Kriege zu errichten … Sie kennen sicherlich das Geschwätz solcher Gruppen. Narwick konnte vor ein paar Jahren gestoppt werden, was den anwesenden Damen Bocanová und Stylez sowie Mister Keller zu verdanken ist.«

Und Eileen Hannigan und dem Rest des Teams, dachte Cycle, sprach es aber nicht aus. Der Ruhm, den sie dafür ernteten, war die Belobigung des damaligen und mittlerweile verstorbenen Präsidenten, der jedoch nie an die Öffentlichkeit gelangen durfte. Die Welt hatte damals gefährlich nah am Abgrund gestanden, vielleicht sogar einen halben Schritt darüber hinaus. Niemand, von einigen wenigen verschwiegenen Menschen und jenen abgesehen, die dabei gewesen waren, durfte jemals davon erfahren, wie knapp die Sache damals gewesen war und wer die Leute waren, die die Welt gerettet hatten.

»Narwick ist tot, seine Organisation G-Dawn zerschlagen, seine Mitstreiter eliminiert. Zumindest soweit wir wissen, ist Miss Bocanová die letzte Überlebende der militärischen Einheiten G-Dawns gewesen.«

Er verschwieg den anderen, dass wahrscheinlich doch noch ein Gaia-Engel überlebt hatte, aber auch das behielt Cycle für sich. Die anderen mussten nicht unnötig verunsichert werden.

»Die Technologieunternehmen konnten unter Kontrolle gebracht werden«, fuhr Patterson fort. »Ein in Kanada ansässiges konnten wir sogar infiltrieren und übernehmen, um es für uns arbeiten zu lassen. Allerdings schlummern auf der ganzen Welt verteilt noch immer irgendwo geheime Trainings- und Depoteinrichtungen mit Narwicks fortschrittlicher Technologie. Sie können sich ausmalen, dass gerade DARPA ein Interesse daran hat, diese Technologien in die Finger zu bekommen, aber auch andere Unternehmen haben davon Wind bekommen.«

Das Bild auf dem Whiteboard wechselte wieder und zeigte einen älteren Mann, vielleicht um die fünfzig, mit ernstem Gesichtsausdruck und schütterem, kurzem Haar. Auch er trug einen Anzug mit Krawatte.

»Eines dieser Unternehmen ist eine Gruppe namens Acheron, von der wir bisher wenig wissen, abgesehen von dem Namen, dass sie existiert und dass ihr Vorsitzender dieser Mann ist: Michael Chamberlain. Acheron hat unter anderem ein mittlerweile aufgelöstes privates Sicherheitsunternehmen mit Namen Nexus Initiative für sich arbeiten lassen, eine Söldnerfirma, die allerdings parallel auch für Uncle Sam gearbeitet hat. Wir wissen, dass Acheron einige der früheren Mitglieder von Nexus auf seine Seite gezogen hat, Mr Keller hier davon ausgenommen.«

»Lassen Sie mich raten«, unterbrach Reid. »Dieser Kerl da ist den technologischen Geheimnissen von dem anderen schmierigen Typ auf der Spur.«

»So kann man sagen«, sagte Gainsborough, faltete die Hände ineinander und legte sie auf die Tischplatte. »Acheron hat bereits … eigene technologische Fortschritte erlangt, die Anlass zur Besorgnis geben.«

Cycle wusste, wovon die Präsidentin sprach. Bozenas Schwester Brit war Chamberlain in die Hände gefallen. Ihre modifizierte DNA-Struktur, die es ermöglichte, ihr Hautgewebe für kinetisch beschleunigte Objekte undurchdringlich zu machen, hatte zwei Prototypen hervorgerufen, gegen die Cycle bereits gekämpft hatte und die getötet wurden. Gott weiß, wie viele von diesen Killermaschinen Acheron noch gezüchtet hatte. Er konnte sich ausmalen, worauf die Präsidentin und ihr Stabschef hinauswollten.

»Wir können es uns nicht leisten zuzusehen, wie diese Organisation mehr dieser Technologien erbeutet, ausbaut und sie für ihre zwielichtigen Zwecke einsetzt oder an Schurkenstaaten verkauft.«

Reid beugte sich vor. »Acheron ist also der Gegner, den wir ausknipsen sollen?«

Die Präsidentin schüttelte den Kopf. »Nein, ich möchte, dass Sie die Hinterlassenschaften und das Vermächtnis G-Dawns aufspüren und für uns bergen, damit die nicht in die falschen Hände geraten können. Egal, ob in Acherons oder die anderer Organisationen und Mächte. Ladys und Gentlemen, ich habe noch dringende Staatstermine. Daher bitte ich Sie, mich jetzt zu entschuldigen. Alex wird alle weiteren Details mit Ihnen besprechen.«

Gainsborough erhob sich. Sofort schnellten auch alle anderen anstandshalber in die Höhe und warteten, bis die Präsidentin den Raum verlassen hatte. Danach nahmen sie einer nach dem anderen wieder Platz. Auch Patterson setzte sich nun, auf den Stuhl, auf dem das US-Staatsoberhaupt zuvor gesessen hatte.

»Ich will nichts beschönigen«, sagte er. »Wir haben nicht viel Zeit, denn Acheron ist uns schon in vielen Dingen zuvorgekommen. Deswegen kann ich Ihnen nicht sehr viel Bedenkzeit einräumen. Sie bekommen ein in meinen Augen fürstliches Honorar. Dank unserer Investoren spielt Geld nur eine unterordnete Rolle und der Tech-Konzern, den wir bereits von G-Dawn infiltrieren konnten, wirft die Gewinne direkt in unsere Tasche. Also …?«

Er ließ seinen Blick aufmerksam in die Runde schweifen, verharrte bei jedem kurz und wanderte dann weiter. Cycle war verwirrt. Er meinte, sie sollten sich jetzt entscheiden?

Die Blonde neben Hutchinson schien den gleichen Gedanken zu haben und sprach ihn laut aus.

»Ja, so sieht es aus.« Patterson grinste.

»Nicht Ihr Ernst, oder?«, fragte Hutchinson.

»Ich habe mich bereits entschieden«, sagte Irina. »Bin dabei.«

»Ich auch.« Bozena nickte. »Aber das wissen Sie ja bereits.«

»Mr Keller?« Der Stabschef blickte Cycle an. Als er nicht reagierte, ergänzte er: »Da Sie bereits mit Miss Bocanová und Mrs Stylez zusammengearbeitet haben, gehe ich davon aus, dass Sie sich uns auch anschließen werden.«

Cycle sagte noch immer nichts und bekam einen Stoß von Irina in die Seite.

»Ich …«

Noch ein Knuff von Bozena in die andere Seite.

»… bin dabei.«

»Fein.« Pattersons Blick wanderte zu den anderen drei Anwesenden, während Cycle verständnislos zuerst Irina und dann Bozena ansah. Wofür genau hatte er sich gerade freiwillig gemeldet?

»Lassen Sie uns erst einen Blick auf die Konditionen werfen«, sagte Reid.

»Er hat recht«, stimmte Hutchinson zu. »Die Katze im Sack zu kaufen, war noch nie mein Ding.«

Der Stabschef zog ein Smartphone aus seiner Jacke und tippte etwas hinein. Er runzelte die Stirn, schürzte die Lippen, pfiff vor sich hin und schnitt dann eine Grimasse, die alles besagen konnte in dem Zusammenhang, aber wahrscheinlich bedeutete, dass die Anwesenden zufrieden sein konnten. »Sagen wir so, wir verfünffachen den Sold, den Sie bei Ihren bisherigen Einheiten erhalten haben, inklusive aller Orts-, Gefahren- und Sonderzulagen. Für die anderen Herrschaften, die bereits im privaten Sektor gearbeitet haben, bedeutet es immerhin noch eine dreifache Erhöhung der bisherigen Bezüge.«

Cycle wurde heiß und kalt. Er rechnete im Kopf und befand, dass es sich durchaus lohnte, zugestimmt zu haben. Wenn er auch kaum Möglichkeiten hatte, so viel Geld überhaupt ausgeben zu können, wenn man ihn mit Missionen auf Trab hielt.

Hutchinson pfiff durch die Zähne. Reid ließ sich nichts anmerken. Helms bekreuzigte sich seltsamerweise vor der Brust, was Cycle irritierte.

Das Smartphone in Pattersons Hand vibrierte. Er zog die Brauen hoch und stand auf. »Da muss ich rangehen«, sagte er und wandte sich zur Tür. »Wenn Sie zusagen, können Sie theoretisch morgen anfangen, aber die Sache ist auch mit einem Umzug verbunden. Ich weiß, dass Sie alle quer übers Land verteilt leben. Die Basis, die wir für das neue Team nutzen, befindet sich allerdings nicht auf amerikanischem Boden.«

»Sondern?«, fragte Cycle.

Patterson schritt über die Türschwelle.

»New Brunswick«, hörten sie ihn noch sagen, ehe die Tür hinter ihm ins Schloss fiel. »Kanada.«

* * *

Die Adresse 3101 Chain Bridge Road NW in Washington D. C. lag in der Nähe des Batterly Kemble Parks in einer etwas vornehmeren Wohngegend. Normalerweise patrouillierten die Officers Jodie Powers und Miles Cook von der Metropolitan Police nicht in diesem Gebiet, aber sie waren auf dem Rückweg von einem anderen Einsatz weiter nördlich gerade in der Nähe gewesen und von der Einsatzzentrale hierherbeordert worden.

»Ich esse keine Donuts«, sagte Powers und verschränkte auf dem Beifahrersitz des Streifenwagens die Arme vor der Brust.

»Nun hab dich nicht so. Klischee hin oder her, dort gibt es die besten Donuts, die man für Geld kaufen kann.«

»Ich mag keine Donuts«, beharrte die Polizistin.

Cook verdrehte die Augen. »Wie kann man nur so stur sein? Alle essen Donuts, nicht nur Cops.«

Powers machte ein Geräusch, das sich wie die entweichende Luft eines Reifens anhörte. »Ich gehe auch nirgendwohin, wo man mich zwingt, Donuts zu essen.«

»Sturkopf.« Cook hielt den Wagen am Straßenrand, als sie die von der Zentrale angegebene Adresse erreicht hatten. »Dann gehen wir eben zu Rick’s Oceanbar und es gibt fangfrischen Hummer.«

Er sah den angewiderten Blick seiner Kollegin und wusste, dass er einen empfindlichen Nerv getroffen hatte.

»Vielleicht esse ich doch Donuts.«

Cook verkniff sich ein Grinsen, triumphierte jedoch innerlich. Er wies mit einem ausgestreckten Arm zu dem Anwesen. »Hier hat jemand richtig Asche. Schau dir diesen Palast an.«

»Ich möchte hier nicht wohnen«, sagte Powers. »Überleg mal, wie lange du mit Putzen beschäftigt bist.«

Cook lachte. »Wer sich so eine Hütte leisten kann, hat sicherlich auch eine Heerschar an Bediensteten, die die Arbeit für ihn erledigen. Okay, schauen wir mal. Wir sollen nach dem Rechten sehen. Hier wohnt eine … Moment. Hier steht nur Black.«

»Mr oder Mrs Black?«

Cook zuckte die Achseln. »Kein Vorname angegeben. Einfach nur Black. Das ist merkwürdig.«

»Ich schau mir das mal an«, sagte Powers, schnallte sich ab und öffnete die Tür.

»Warte.« Doch sie war schon ausgestiegen und schlenderte zu dem schmiedeeisernen Tor im das Grundstück umgebenden Zaun zu. Cook fluchte und griff nach dem Funkgerät. Er meldete der Zentrale, dass sie am Einsatzort eingetroffen waren und jetzt anklingeln würden. Power war bereits auf dem Grundstück. Er eilte ihr hinterher.

»Nun warte doch.«

Als er das Tor erreichte, stand sie vor der Tür und läutete. Sie faltete die Hände ineinander, trat ungeduldig auf der Stelle und sah sich nach allen Seiten um. Cook erreichte seine Partnerin, die genau in diesem Moment noch einmal klingelte.

»Niemand da?«, fragte er.

Sie zuckte die Achseln. »Ungewöhnlich bei so einem Anwesen. Die haben doch sicherlich eine Schar Diener.«

Cook schirme seine Augen mit einer Hand ab und warf einen Blick durch die kleinen Fenster neben der Tür.

»Und?«

»Ich kann nichts sehen …«

Powers streckte die Hand aus, um ein drittes Mal zu läuten.

»Warte mal …«

Ihr Zeigefinger näherte sich der Klingel.

»Hey, das … NICHT!«

»Was …?« Zu spät. Officer Jodie Powers berührte den Knopf. Ein Funke zündete. Feine elektrische Entladungen züngelten um ihre Fingerkuppe. Reflexartig zog sie die Hand weg und rief noch: »Au!«, ehe sie und ihr Kollege die Feuersbrunst erblickten, die, ausgelöst durch eine Explosion, von der anderen Seite der Tür genau auf sie zugefegt kam. Die Flammenwand schoss durch Glas und Holz des Eingangs und verzehrte die beiden Polizisten, ehe sie überhaupt die Hitze, Druckwelle oder die Glas- und Holzsplitter zu spüren bekamen.

Das Vigilante-Komplott (Vigilante 4)

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