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DAS SPIEL MIT DEM FEUER

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»Hast du das gesehen, Luna?«

Abby hatte sich, wie bei einem wilden Tanz, schnell um sich selbst gedreht. Folglich war ihr schwindelig und sie taumelte auf dem bewaldeten Weg. Es hatte einen Grund, warum sie diese Pirouette gerne einlegte. Denn um ihren Körper knisterten jedes Mal Blitze, wenn sie dies vollbrachte – ein aufregendes Gefühl. Abby wäre fast ins Gebüsch gestolpert. Doch die junge Magiernovizin fand rechtzeitig ihr Gleichgewicht und drehte sich jetzt in die andere Richtung. Das sorgte für mehr Knistern in der Luft.

Luna, die Füchsin, mit der Abby gemeinsam in einer Lichtung unterwegs war, hüpfte aufgeregt um ihre Wegbegleiterin herum. Sie schnappte nach den sanften Blitzen und jedes Mal, wenn sie einen erwischte, stellte sich ihr Fell auf.

Abby kicherte. »Wenigstens du weißt meine kleine Darbietung zu schätzen. Fynn würde mich wahrscheinlich wieder zurechtweisen.« Sie räusperte sich, um die Stimme ihres Lehrers zu imitieren: »Magie ist nicht dazu da, um mit ihr herumzualbern. Dieses Getanze sorgt nur dafür, dass man die Kontrolle darüber verliert!«

Abby amüsierte ihre eigene schauspielerische Interpretation und sie lachte los. Ihr trieb es sogar Tränen in die Augen. Luna wurde dadurch euphorischer und drehte sich selbst im Kreis.

»Gut so, Luna«, stachelte Abby die Füchsin an. »Aber das muss noch viel schneller gehen!« Die Novizin nahm ihre Kür wieder auf. Sie drehte sich jetzt heftiger, um mehr Blitze zu erzeugen. Doch dieses Mal blieb das Knistern aus. Stattdessen spieen ihre Poren Funken. Kurz darauf war sie im Mittelpunkt einer gewaltigen Feuersäule, die das umliegende Gras ansengte.

Abby schrie vor Schock und hörte sofort auf sich zu drehen. Zu ihrer Erleichterung erloschen die Flammen kurz darauf wieder. Feuer weckte traumatische Erinnerungen, die die Novizin stets verdrängte. Einst hatte sie ihre Beherrschung gegenüber Sam, einem Freund aus Kindestagen, verloren. Durch ihren Zorn hatte Abby eine solche Hitze entwickelt, der Sam nicht standhielt – er wurde innerlich ausgebrannt. Natürlich hatte Sam es nicht anders verdient – er war ein Verräter gewesen, der Abby und die Gefährten in eine Falle gelockt hatte. Dennoch fürchtete sie einen erneuten Ausbruch, bei dem geliebte Personen zu Schaden kommen könnten.

Der Schwindel ließ die Novizin endgültig das Gleichgewicht verlieren und sie plumpste auf den verkohlten Boden. Alles drehte sich. Abby hob ihre zitternden Hände und musterte diese mit wachsender Angst – als wären sie der Grund für diese rätselhaften Flammen. Im Laufe ihrer Ausbildung hatte die junge Novizin die Grundlagen der Magie erlernt. Aber sie spürte tief im Inneren, dass dieses Feuer nicht Ursprung ihrer Energie war. Irgendetwas Mächtigeres steckt dahinter, dachte sie sich.

Abby legte sich komplett auf den belaubten Boden und rieb sich ihre pochenden Schläfen. »Fynn hat recht«, gestand sie sich seufzend selbst ein. »Mit der Magie ist nicht zu spaßen. Besonders dann, wenn man sie noch nicht richtig kontrollieren kann – so wie ich.«

Luna schmiegte sich an die junge Novizin und leckte ihre zitternden Hände ab. Das tröstete Abby ein klein wenig und sie schenkte ihr ein sanftes Lächeln. Dennoch haftete die Erinnerung wie ein Geschwür in ihrem Kopf und würde so schnell nicht verschwinden.

Abby beschloss, diese beunruhigenden Gedanken erstmals zu vertagen, und konzentrierte sich auf ihre Aufgabe. »Komm, Luna«, sagte sie, nachdem sie wieder auf den Beinen war. »Wir haben schon genügend Zeit vertrödelt.«

Das ungewöhnliche Duo marschierte die große Lichtung entlang. Abby war sich bewusst, dass die Umgebung nur eine Manifestation ihrer eigenen Gedanken war. All dies fand nur in ihrem Inneren statt und diente dem Zweck, möglichst schnell ihre Fähigkeiten zu schulen. Hier gab es keinerlei Ablenkung. Und obwohl es diese Lichtung nur in ihrem Kopf gab, unterschied sie sich nicht von der Realität: die Kühle des Waldes, die Feuchtigkeit, die sich auf ihrer Haut absetzte, der Gesang der Vögel … alles. Selbst der gedankliche Körper empfand Schmerz – verrückt!

Eine Weggabelung tauchte in der Ferne auf. Abby hielt inne und betrachtete beide Optionen eingehend. Sie hatte keine Idee, welche Richtung es einzuschlagen galt. So wandte sie sich an ihre Weggefährtin. »Was meinst du, Luna?«

Im Gegensatz zu Abby schien die Füchsin genau zu wissen, welcher Weg der Richtige war. Sie hüpfte aufgeregt vor dem linken Pfad und gab immer wieder bellende Laute von sich.

»Na, wenn das so ist«, sagt Abby kichernd, da sich die Füchsin überschlug vor Freude.

Der Weg mündete in einen schmalen Pfad und es wurde immer schwerer, ihn zu passieren. Das nahm Abby nur am Rande wahr. Sie führte sich gedanklich vor Augen, welche Aufgabe ihr Fynn gegeben hatte: Laut ihm bildet jeder Magier körpereigene Energie, die sich an den unterschiedlichsten Punkten bündeln. Er nannte sie Magiequellen, und es galt alle freizusetzen.

Nicht zu verwechseln mit den Magiesträngen, die für den energetischen Fluss verantwortlich sind. Besagte Stränge verlaufen sichtbar unterhalb der Haut. Diese hatten sich bei Abby gebildet, nachdem sie die erste von vielen Quellen in sich freigesetzt hatte. Sie pulsierten, wie bei ihrem Lehrer, in einem violetten Ton – wenngleich nicht so intensiv.

Abby war sehr talentiert und lernte schnell, so meinte Fynn. Ihre Kenntnisse erlaubten ihr, im momentanen Stadium ihrer Ausbildung kleinere Lebewesen, wie Mäuse oder Ratten, zu beeinflussen. Zudem vermochte sie schwächere Verletzungen bei sich selbst heilen. Doch am geschicktesten war sie im Umgang mit Blitzen. Diese ließ sie elegant um sich tänzeln und setzte sie punktgenau frei. Vor ihrem inneren Feuer aber verschloss sich Abby vollkommen. Für dieses Element brachte sie keine Sympathie auf.

Die Magiequellen zu finden, war eine schwere Aufgabe. Normalerweise hätte Fynn sie dabei unterstützt, aber der Magier hatte etwas Dringendes zu erledigen. Stellvertretend stand ihr Luna zur Seite. Sie war ein magisches Wesen und vermochte jegliche Energiequelle aufzuspüren.

Abby hielt ihre Augen weit geöffnet. Ihr Ehrgeiz war groß genug, um vor der Füchsin ihr Ziel zu finden. Es gab aber eine Schwierigkeit: In ihrer inneren Welt konnte diese Quellen alles sein. Staudämme, die einem Bach am Fließen hinderten, oder verletzte Tiere, die es zu heilen galt. Die ganze Umgebung musste kritisch beäugt werden.

Abby fragte sich, in welcher Form sich die nächste Magiequelle manifestieren würde, und stolperte gedankenverloren über Luna. »Hoppla!«, stieß die junge Novizin aus.

Die Füchsin war abrupt stehengeblieben und spähte in das Unterholz. Wie ein Raubtier pirschte sie sich vorsichtig voran. Einen Wimpernschlag später bellte sie auf und sprintete los – weg war sie!

Abby nahm die Verfolgung auf. Äste schlugen ihr ins Gesicht und ihre Füße verhedderten sich des Öfteren im Gestrüpp. So verlor sie die Füchsin fast aus den Augen.

Endlich drosselte Luna ihr Tempo und stoppte vor einer großen Eiche. Völlig erschöpft keuchte Abby und stützte sich auf den Knien ab.

»Das ist also das Ziel?«, fragte die Novizin, nachdem sie wieder zu Luft kam.

Sie studierte den Baum genauer. Auf den ersten Blick unterschied er sich nicht von anderen. Er wirkte ein wenig ausgedörrt und war vom Efeu umschlungen. Ansonsten aber ein gewöhnlicher Baum – nichts Magisches.

»Was muss ich wohl tun?«, überlegte die junge Novizin laut. Sie berührte die poröse Rinde und meinte mitfühlend: »Du bist schon sehr alt und schwach.«

Abby umkreiste den Stamm, um ihn von allen Seiten zu betrachten. Dabei fiel ihr auf, dass sich das Gestrüpp förmlich in die Rinde bohrte. Luna war das ebenfalls nicht entgangen. Sie schnappte nach dem Efeu und zerrte verbissen daran.

Abby sah sich diesen genauer an. Die Stränge pulsierten unheimlich und gaben saugende Geräusche von sich. »Verstehe«, sagte die Novizin, »der Efeu ist das Problem. Wenn ich ihn entferne, wird das die Magiequelle freilegen.«

Der Blick in die Höhe verriet, dass sich der Parasit bis zur Krone schlängelte. Es würde Stunden dauern, ihn per Hand auszureisen, und eine Leiter besaß sie nicht. Dennoch packte sie das Unkraut an einer geeigneten Stelle und zog wie verrückt daran. Mit einem Ruck riss sie ein großes Stück ab und landete hart auf dem Hintern.

»Autsch!«, stieß sie aus und fasste sich an die Hüfte. Erst jetzt bemerkte sie, dass sich der abgerissene Efeu streng um ihren Arm geschnürt hatte. Er pulsierte und entzog ihr Energie. Vor lauter Schock beschwor sie einen Blitz, der den Efeu förmlich wegsprengte. Zurück blieb totes Gestrüpp, das sich problemlos entfernen ließ.

»Hast du das gesehen, Luna?«, fragte sie die Füchsin, die ihr jetzt ihre volle Aufmerksamkeit schenkte. »Anscheinend kann ich den Efeu mit meinen Blitzen abtöten.« Sie stellte sich wieder vor den Stamm und starrte nachdenklich auf das Gestrüpp. »Aber was passiert, wenn ich den Baum mit meiner Magie beschädige? Kann ich diese schon so kontrolliert einsetzen?«

Luna schmiegte sich an ihren Beinen, um sie zu bestärken. Abby erwiderte dies mit einem Lächeln. »Du hast recht, ich muss meinen Fähigkeiten vertrauen.«

Die Novizin konzentrierte sich auf ihre Magie und kurz darauf tänzelten wieder Blitze um ihren Körper. Das Knistern machte den Efeu scheinbar nervös, denn er schnürte sich enger zusammen.

Um den Stamm nicht zu beschädigen, schoss Abby die Blitze nicht blindlings drauflos. Sie legte eine Fingerspitze auf den Efeu und setzte ihre Energie punktgenau frei. Etwa ein Viertel des Gestrüpps glühte auf und bröckelte vom Stamm.

»Wow!«, flüsterte Abby beeindruckt. Luna sprang wieder euphorisch um die Novizin. »Aber von hier unten kann ich nicht den ganzen Efeu entfernen. Mir bleibt wohl nichts anderes übrig, als hinaufzuklettern.« Abby griff nach den untersten Ast und stemmte ihre Beine gegen den Stamm.

Es dauerte eine Weile, bis Abby ihr Vorhaben fortsetzen konnte. Sie war zwar geschickt und gewandt, aber fehlte es ihr an körperlicher Kraft. Zudem hatte sie ständig Kontakt mit dem Efeu und dieser entzog ihr zusätzlich Energie. Was gäbe ich drum zu schweben wie Fynn, ging es ihr durch den Kopf.

Einige schweißtreibende Minuten später hatte es Abby bis zum Ansatz der Baumkrone geschafft. Sie japste nach Luft und brauchte mindestens genauso lange, sich wieder zu erholen. Bald hatte sie das Gefühl, genügend Energie in sich sammeln zu können, um ihr Vorhaben umzusetzen.

Abby ließ sich für ihre Konzentration Zeit. Sie lenkte all ihren Fokus auf die Fingerspitzen und berührte die Efeustränge. Sofort, und mit einem Schlag, befreite sie den Baum von dem pflanzlichen Parasiten.

Endlich konnte die Eiche wieder aufatmen. Der Stamm bekam seine Farbe zurück und die Krone quoll über von frischen Trieben. Abby hatte durch das Freisetzen dieser Magiequelle das Gefühl, sich von alten Lasten befreit zu haben. Zudem war die Furcht vor ihrem inneren Feuer geschrumpft. Aus irgendeinem Grund empfand sie die Energie, die sie von dem Baum bekommen hatte, als besonders rein.

Abbys Körper pochte wie nie zuvor. Ihre Magiestränge leuchteten so intensiv wie bei ihrem Lehrer, und ihr Pulsieren erzeugte wahre Glücksgefühle. Die junge Novizin glaubte abzuheben, so leicht fühlte sie sich. Ohne darüber nachzudenken, stieß sie sich vom Stamm. Statt zu fallen, trug sie der Wind sanft zu Boden. Dort wurde sie von einer euphorisch hüpfenden Füchsin empfangen.

»Schau dir mal meine Haut an, Luna!«, sagte Abby nicht minder aufgeregt und präsentierte ihren nackten Unterarm. »Noch eine Magiequelle mehr und die Stränge leuchten heller als bei Fynn.« Abby umarmte sogar vor lauter Freude den Baum. Er hatte eine Verbindung zu ihr, die sich die junge Novizin nicht erklären konnte.

Die beiden hatten das Unterholz verlassen und folgten der Lichtung. Abby war sich bewusst, dass die nächste Quelle einen gewaltigen Fußmarsch mit sich bringen würde. Zumindest war dies bei den letzten beiden so gewesen. Doch mit Luna an ihrer Seite konnte sie diesen eher lästigen Teil ihrer Ausbildung sogar genießen.

Abby beobachtete die Füchsin. Ein wenig erinnerte sie sie an Amalia. Die Elfe tanzte manchmal genauso leichtfüßig über die Wiesen. Vor ihrem geistigen Auge blitzten jetzt die Gesichter all ihrer Freunde auf. Will, Nicolae, Amalia, John, sprach sie gedanklich die Namen. Die Zeiten, in denen sie gemeinsam aufgebrochen waren, um zu den Hammerbergen zu gelangen, schienen so lange her. Abby hatte damals keine Ahnung von ihrem Talent gehabt. Und jetzt wurde sie, abgeschottet von jeglicher Zivilisation, zur Magierin ausgebildet.

Abby marschierte gedankenverloren den Waldweg entlang und merkte gar nicht, dass Luna nicht mehr neben ihr herging. Sie hielt abrupt inne und wandte sich um. Etwa zehn Schritte hinter ihr entdeckte sie sie wieder. Die Füchsin verhielt sich eigenartig. Sie knurrte und schien aufgebracht zu sein. Ihr sonst so fröhliches Wesen war aus allen Gesichtszügen verschwunden.

»Luna«, flüsterte Abby besorgt, »was hast du denn? Witterst du wieder eine Magiequelle?« Doch die Füchsin reagierte nicht auf ihre Worte.

Abby trat auf Zehenspitzen zu ihr. Sie wollte sie auf keinen Fall aufscheuchen, da offenbar etwas Ernstes passiert war. Lunas weißes Fell war zu Berge gerichtet und die Luft knisterte um den kleinen Körper. Allmählich wurde der jungen Novizin Angst und Bange. Vor der Füchsin bildete sich ein Portal und ehe Abby dies überhaupt realisierte, verschwand sie darin.

Die junge Novizin starrte fassungslos auf das flackernde Feld. Bis vor wenigen Momenten war sie voller Euphorie gewesen angesichts ihrer Fortschritte – doch jetzt empfand sie Panik.

Abby hatte keine Ahnung, was auf der anderen Seite des Portals warten würde. Aber sie würde Luna nicht im Stich lassen. So trat die junge Novizin vorsichtig auf das flimmernde Gebilde zu. Doch ehe sie es erreichte, verpuffte es im Nichts.

Abby blieb förmlich die Luft im Halse stecken. Das bisschen Entschlossenheit wurde von ihrer Angst verdrängt. Jetzt war sie alleine – gefangen in ihrem Inneren! In ihrer Verzweiflung rief sie viele Male nach der Füchsin, und je mehr Zeit verstrich, desto panischer wurde sie. »Was mache ich nur, was mache ich nur?«, stieß sie verzweifelt aus. Ihr ging Lunas Gesichtsausdruck einfach nicht aus dem Kopf. Was, wenn ihr Schlimmes widerfahren wird?

Von der Angst gepackt setzte sich Abby in Bewegung und rannte die Lichtung entlang. Nach wenigen Metern brannten ihre Lungen und sie hatte fürchterliches Seitenstechen. Die Panik schnürte ihr förmlich die Luft ab. Keuchend stützte sie sich auf den Knien ab. Was, wenn das alles nur Teil meiner Ausbildung ist?, fragte sich die junge Novizin. Aber warum hätte sich Luna dann so verhalten?

Abby zwang sich, einen kühlen Kopf zu bewahren, und richtete sich auf. Die sanften Geräusche des Waldes hatten immer eine beruhigende Wirkung auf sie. Dieses Mal aber wühlten sie die verdrängten Erinnerungen an Sam auf. In ihrer Kindheit waren sie oft gemeinsam in den Wäldern gewesen. Eine unbeschwerte Zeit, wie aus einem anderen Leben. Jetzt sah sie nur noch seinen Verrat und wie er tot zu ihren Füßen gelegen hatte.

Abby umklammerte mit beiden Händen ihren Kopf. Die Erinnerung brannte so heiß in ihr, dass sich das Feuer äußerlich manifestierte. Flammensalven kreisten sie ein und bildeten ein unüberwindbares Gefängnis. Vergeblich versuchte sie, einen Muskel zu bewegen. Sie konnte nur mitansehen, wie die tosende Wand näher kam.

In ihrer Todesangst schossen ihr tausend Eindrücke durch den Kopf. Darunter erkannte sie ihre Schwester und Mutter. Doch ein Bild tauchte immer wieder auf: das eines brennenden Baumes.

Wie gefesselt beobachtete sie das Spektakel vor ihrem inneren Auge. Aus einem ihr unerklärlichen Grund empfand sie eine Bindung zu diesem Baum. Und so kam es, dass die junge Novizin vom Feuer verschlungen wurde, ohne dass sie davon Notiz nahm. Je länger die Flammen loderten, desto mehr lösten sich ihre Anspannungen.

Abby setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Zu ihrer Überraschung folgte ihr das Feuer. Sie hob die Hand, drehte ihren Finger einmal im Kreis und wieder gehorchten die Flammen. Ihr erster Impuls war es, dass sie dies mit Hilfe ihrer Magie vollbrachte. Aber was hat es mit dem Baum auf sich?, fragte sie sich selbst. Er scheint mir Energie zu geben.

Neue Bilder tauchten vor Abby auf. Dieses Mal waren es keine Freunde oder Familie. Sie sah flammenumhüllte Umrisse, die nur Dämonen besaßen. »Ahrmonen!«, flüsterte sie zähneknirschend. Wieder bekam sie es mit der Angst zu tun. Denn Abby verstand, dass diese teuflischen Wesen Energie vom Baum bezogen – genau wie sie. Ein schrecklicher Gedanke.

Die Ahrmonen waren schwer zu erkennen, deshalb konzentrierte sich die junge Novizin auf die Bilder. Diese zeigten, wie sie einen Wald niederbrannten, der Abby verdächtig vertraut vorkam. Durch all den Qualm erkannte sie ein kleines Wesen: »Luna!«

Das Szenarium spielte sich im Flüsterwald ab – genau in diesem Moment. Darum war die Füchsin so rasch verschwunden. Sie versuchte verzweifelt, dem Feuer Einhalt zu gebieten, indem sie ihre Magie freisetzte. Die Dämonen lachten angesichts dieses kläglichen Versuchs.

»Luna!«, flehte Abby.

Die Füchsin hielt eine Sekunde inne und wandte ihren Kopf hektisch umher. Hatte sie den stillen Ruf gehört? Einer der Dämonen nutzte diese kurze Unaufmerksamkeit und erwischte sie mit seinem Schattenspeer.

»NEIN!«, brüllte Abby aus Leibeskräften. Ihre Wut brachte die Flammen um sie herum zum Toben. Sie formten sich zu einem verzerrten Gebilde, das im Inneren merkwürdig flackerte. Schwer atmend betrachtete die junge Novizin es. Fynn hatte ihr das nicht beigebracht. Er meinte stets, dass diese Technik zu fortschrittlich sei und die Fähigkeiten eines Novizen übersteigen würden. Und dennoch hatte es Abby geschafft, ein Portal zu beschwören.

Für die junge Novizin bestand kein Zweifel, dass dieser Weg zu Luna führen würde. Der Warnung ihres Lehrers trotzend, welche Gefahren diese magischen Pforten mit sich brachten, stürzte sie sich hinein.

Auf der anderen Seite wurde Abby von Dunst und Qualm umgarnt. Aus Leibeskräften hustend, versuchte sie sich zu orientieren und vertrieb mit einem Handwisch die naheliegenden Flammen. Allmählich zeichneten sich schemenhaft die Bäume des Flüsterwaldes ab. Abby versetzte es einen Stich, da dieser Ort solchen Qualen ausgesetzt war. Sie hätte alles gegeben, um dem ein Ende zu bereiten, doch Luna hatte Vorrang.

Mit zusammengekniffenen Augen stürzte sie sich ins Unterholz. Dabei ließ sie sich von ihrer Intuition leiten. Diese würde sie zu Luna führen, da war sich Abby sicher. Es dauerte nicht lange, da entdeckte sie einen kleinen Körper. Auf dem glühenden Boden stach das weißliche Fell besonders hervor.

Abby ließ sich vor Luna auf die Knie fallen. Mit zitternden Händen betastete sie den Körper der Füchsin. Sie gab ein schwaches Fiepen von sich.

»Luna!«, schluchzte Abby verzweifelt.

Ein Geräusch schreckte die junge Novizin auf. Etwas näherte sich – schwere Schritte, die den Boden erzittern ließen. Sie schienen aus allen Richtungen zu kommen. Abby wurde umzingelt.

»Bleibt mir vom Leib!«, rief sie hysterisch, ehe sie nur einen der Dämonen erblickte. Damit entlockte sie ihnen nur Gelächter, das im ganzen Wald widerhallte.

Einer der Ahrmonen trat in Abbys Sichtfeld und der jungen Novizin verschlug es den Atem. Es war das erste Mal, dass sie einen in seiner normalen Gestalt sah. Sein Auftreten war schier übermenschlich – doppelt so groß und breit wie sie. Selbst der hünenhafte Nicolae hätte neben ihm wie ein schmächtiger Junge gewirkt.

Die anderen tauchten ebenfalls auf und bildeten einen engen Kreis. Trotz der ausweglosen Situation packte Abby die Füchsin und zog sie, vor den Ahrmonen schützend, zu sich. »Jetzt nur nicht aufgeben«, stachelte sie sich selbst an. Sie nahm all ihren Mut zusammen und stieß eine wahre Feuersalve auf ihre Gegner ab.

Die Ahrmonen wurden voll getroffen. Und obwohl die Flammen keinerlei Wirkung gegen sie zeigte, wichen sie zurück. Der naheliegende Nebel verpuffte nämlich allmählich – Atmosphäre, welche die Dämonen aus ihrer Dimension mitbrachten und für sie überlebensnotwendig war.

Abby nutzte den Moment, rappelte sich, mit der Füchsin im Arm, auf und stürzte durch eine Lücke. Sie rannte so schnell, wie es ihr möglich war. »Keine Sorge, Luna«, krächzte sie schwer atmend, »ich bring dich weg von hier!«

Die junge Novizin versuchte erneut, ein Portal zu beschwören. Der Erfolg blieb aber aus – ihr kam einfach nicht in den Sinn, wie sie es vorhin zustande brachte.

Die Ahrmonen hatten schnell die Verfolgung aufgenommen. Sie brachen durchs Unterholz und waren Abby dicht auf den Fersen.

»Verflucht!«, keucht die junge Novizin und wollte noch einen Zahn zulegen. Doch das Tempo konnte sie nicht mehr aufrechthalten und wurde immer langsamer. Luna wurde auf Dauer einfach zu schwer.

Schließlich wurde ihr Oberschenkel von einem Schattenspeer durchbohrt. Abby schrie voller Schmerz auf und stürzte. Dabei entglitt ihr Luna und die Füchsin schlitterte den glühenden Waldboden entlang. Das gab ihr den Rest. Sie fiepte ein letztes Mal auf und verstummte für immer.

Abby konnte es nicht fassen. Sie starrte völlig geistesabwesend auf das leblose Tier. Luna zu retten hatte ihr Kraft gegeben. Doch jetzt hatte sie nicht mal mehr genügend, um sich aufzurappeln. Der Wald um sie herum drehte sich schwindelerregend.

Eine klauenbesetzte Hand griff nach der jungen Novizin und wuchtete sie hoch. Wie ein Pendel hing sie einen Meter über dem Boden. Abby starrte in die gesichtslose Kapuze, die nur aus Nebel zu bestehen schien. »Worauf wartet ihr noch?«, flüsterte sie gedankenverloren. »Tötet mich endlich!«

Teuflisches Gelächter hallte im Wald wider und bescherte der jungen Novizin Gänsehaut. »Wir werden dich nicht töten«, sprach derjenige, der sie in der Luft hielt. »Erst wirst du uns noch einen Dienst erweisen und unseren Meister wiederbeleben.«

Abby fletschte die Zähne. »Das werden wir ja noch sehen!« Sie bündelte ein letztes Mal ihre Energie und ließ Blitze um ihren Körper tanzen. Der Dämon wurde voll getroffen und löste seinen Griff. Die junge Novizin schlug auf dem Boden auf. Ehe sie in der Lage war sich aufzurappeln, traf sie etwas hart am Hinterkopf und sie verlor das Bewusstsein.

John Armis

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