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Оглавление1. „Bethlehem, im jüdischen Lande“
Es ist nicht weit von Jerusalem nach Bethlehem. Zwei bis drei Stunden brauchte man einst zu Fuß, acht Kilometer Luftlinie. Die Straße schlängelte sich durch Olivenhaine, vorbei am griechisch-orthodoxen Elias-Kloster. Dann sah man das Städtchen vor sich liegen. Es schmiegt sich an die bewegte Landschaft an, wird eins mit ihren Hügeln und Hängen. Von Bethlehem aus geht der Blick weit hinaus über das bergige Land im Süden Jerusalems. Von hier aus erklingen immer noch die Glocken christlicher Kirchen über die judäische Wüste.
Hinter Mauern
Heute gehört „Bethlehem im jüdischen Lande“ zum Staatsgebiet Palästinas. Wer den Ort in diesen Tagen besuchen will, muss Grenzen überwinden und ausgefeilte Kontrollen über sich ergehen lassen. Bethlehem ist abgeschnitten vom Rest der Welt, isoliert auch von den anderen Mosaikstücken des palästinensischen Staates. Rund zwanzig Kilometer Sperranlagen schnüren das Städtchen ein: ein bis zu neun Meter hoher Mauerwall im Norden und Nordwesten, der Stacheldraht eines Hochsicherheitszauns im Osten, jüdische Siedlungen im Süden. Die Bewohner fühlen sich gefangen.
Im Zentrum indessen hat Bethlehem nichts von seinem Reiz verloren. Alle wichtigen Wege führen zum Mangerplatz. Dort steht gegenüber einer Moschee die Geburtsbasilika. Sie ist über jener Grotte errichtet, die nach der Überlieferung der Stall war, in dem Jesus zur Welt kam. In den Besitz der Basilika teilen sich die armenisch-orthodoxe und die griechisch-orthodoxe Kirche. Um ihren Besitz streiten sich die christlichen Brüder seit Jahrhunderten – unweit des Hirtenfeldes, auf dem laut Weihnachtsgeschichte himmlische Boten der Menschheit „Frieden auf Erden“ verkündeten.
Touristen seit der Bronzezeit
Wer ist in Bethlehem und dem jüdischen Land nicht alles aufgekreuzt! Und wieder abgezogen. Ausgrabungen zwischen Jordanfluss und Mittelmeerküste haben Spuren ältester menschlicher Zivilisation zu Tage gefördert. Westsemiten siedelten sich an, Kanaanäer bauten Königstädte, die einander heftig befehdeten. Lange Zeit gehörte das alte Israel zur Einflusszone Ägyptens. Dann kamen die Assyrer und Babylonier aus dem heutigen Irak. Es folgten, auf dem Weg zum Nil, die Perser aus dem gegenwärtigen Iran. 332 stattete Alexander der Große aus Mazedonien Jerusalem eine Stippvisite ab. Danach tauchten wieder die Ägypter auf, gefolgt von den Syrern und schließlich den Römern.
Bethlehem war immer eine ziemlich kleine Ansiedlung. Weltweites Ansehen gewinnt der Ort erst in der christlichen Ära als Geburtsstadt des Erlösers. Pilger strömen zur Stätte von Jesu Geburt. Die wird schon früh, spätestens um das Jahr 150, mit einer Höhle gleichgesetzt. Kaiser Konstantin lässt hier, wiederum rund 150 Jahre später, eine Basilika errichten. Sie ist ein Vorläufer des heutigen fünfschiffigen Baus. Immer häufiger bekommt der heilige Ort prominenten Besuch: Kirchenvater Origenes um 248, die Kaiserinmutter Helena 326, ein „Pilger von Bordeaux“, wie er in der Literatur genannt wird und der vermutlich nicht alleine kam. Kirchenvater Hieronymus lässt sich 385 in Bethlehem nieder und errichtet ein Kloster. 614 rettet nur ein Missverständnis die Geburtskirche vor der Zerstörung durch die Perser: Den Eingang der Kirche zieren die Weisen aus dem Morgenland – in der Tracht persischer Mithraspriester.
Um die gleiche Zeit macht sich der Islam daran, die Welt zu erobern. Der siegreiche Kalif Omar verrichtet 638, vielleicht schon 634, in der Geburtsbasilika seine Gebete. Für Jahrhunderte wird die Kirche als Omar-Moschee zu einer Stätte der Verehrung Allahs. Bis die Kreuzfahrer aufkreuzen. Weihnachten 1100 wird Balduin I. zum König von Jerusalem gekrönt. Zuvor hatten christliche Ritterhorden eine Visitenkarte abendländischer Kultur abgegeben: Unter dem Motto „Gott will es!“ massakrierten sie die gesamte Einwohnerschaft Jerusalems. Auch die Kinder, Frauen und alten Leute wurden gnadenlos niedergemacht. Knöcheltief wateten die Kreuzfahrer in Blut. Bethlehem wird Bistum, die Geburtskirche Kathedrale. Aber nicht für lange. Schon 1244 bringen Türken den Ort wieder in muslimischen Besitz.
Warten auf ein Ende der Gewalt
Auch in der Neuzeit kennt Bethlehem viele Herren: Aijubiden, Mamelucken, Osmanen, Briten, Jordanier, Israelis. 1995 schließlich, drei Tage vor Weihnachten, wird die Stadt von israelischer Besetzung befreit und Teil des Autonomiegebiets der Palästinenser. Die gewalttätigen Auseinandersetzungen, die zu Zeiten palästinensischer Intifadas traurige Höhepunkte erleben, sind damit aber noch nicht beendet. Bethlehem hofft auf Frieden. Denn auch wenn der Anteil der (arabischen) Christen der Stadt in den letzten Jahren stark gesunken ist, Bethlehems Einwohner, ob Christen oder Moslems, leben vom Tourismus.
Auf dem Krippenplatz und in den Gassen des Städtchens bieten Souvenirläden auch in den gegenwärtigen mageren Zeiten an, was christlicher Andenkenhandel zu bieten hat, Geschnitztes und Gemaltes, selbst Produziertes und Importiertes, mehr Kitsch als Kunst. Rosenkränze, Kreuze, Schmuckschatullen, von Beduinen aus Kamelknochen verfertigt, und immer wieder Jesus oder die Geburtsszene im Stall, in Olivenholz, als T-Shirt. Höhepunkt jedes Bethlehem-Aufenthalts bleibt natürlich ein Besuch der Geburtsbasilika, wo ein 14-zackiger Silberstern jenen Ort anzeigt, an dem die Krippe gestanden haben soll.1
Nur: Jesus von Nazareth ist nicht in Bethlehem geboren. Aller Wahrscheinlichkeit nach hat er die Stadt in seinem ganzen Leben nicht betreten.
2. Es begab sich aber zu der Zeit
„Es begab sich aber zu der Zeit …“ Vielen klingen die Worte vertraut. Manche haben diese Verse als Kinder auswendig gelernt. Vielleicht haben sie den Text sogar an einem Heiligabend unter den brennenden Kerzen eines Lichterbaumes aufgesagt. Die Weihnachtsgeschichte – unzweifelhaft ein Stück Weltliteratur.
Bilder, die zum Herzen sprechen
Szenen und Motive dieser Geschichte haben die Fantasie von Generationen beflügelt, Millionen immer von neuem angerührt, die Gestaltungskraft von Malern und Dichtern, Komponisten und Bildhauern angeregt.
Die hochschwangere Frau ohne Bleibe
Das junge Paar auf Herbergssuche
Die Geburt im Stall zwischen Ochs und Esel
Das Kind in Windeln
Die Krippe mit Heu und Stroh
Die Hirten auf dem Feld bei ihren Schafen
Die Botschaft der Engel: Friede auf Erden
Die Weisen aus dem Morgenland
Der Stern, der zum Stall von Bethlehem führt
Die Angst eines mächtigen Königs vor einem schwachen Säugling
Die Lügen und Intrigen der Machthaber
Verfolgung und Flucht
Die kindertötende Staats- und Kriegsmacht des Herodes
Die schützende Hand Gottes über dem Weg der Wehrlosen
Ein Stück Weltkultur
Man sprach und sang durch die Jahrhunderte von diesem Kind. Unzählige Weihnachtslieder, in allen Tonarten und vielen Sprachen, besingen die heiligen Gestalten, hymnisch oder volkstümlich, hoch künstlerisch oder zutiefst sentimental. Oratorien und Vertonungen, von Bach und Händel bis Camille Saint-Saëns und Hugo Distler, feiern das Ereignis. Rund um die Welt erklingen zu jeder Advents- und Weihnachtszeit Chöre und Konzerte. Wenn in der Kapelle des Kings College im englischen Cambridge im Widerschein der Kerzen die Knabenstimmen des berühmten Chores zur hohen gotischen Decke des Gewölbes aufsteigen, legt es sich wie ein Zauber auf die Zuhörer. Skandieren im afrikanischen Kinshasa Chor und Gottesdienstbesucher zum Rhythmus der Trommeln voller Inbrunst „Bettelhemm, Bettelhemm“, läuft es einem vor Erregung den Rücken herunter.
Kirchenvater Hieronymus (um 420) führt ein bewegendes Zwiegespräch mit dem Jesuskind: „Sooft ich die Krippe im Stall von Bethlehem anschaue, kommt mein Herz zu einem Gespräch mit dem Jesuskind.
Ich sage zu ihm: ‚Ach, mein Herr Jesus! Du zitterst so und liegst so hart um meiner Seligkeit willen. Wie kann ich dir das jemals vergelten?‘
Dann kommt es mir vor, als hörte ich aus der Krippe: ‚Lieber Hieronymus! Nichts begehre ich von dir! – Aber singe: Ehre sei Gott in der Höhe! Und lass dir’s gefallen, dass ich noch bedürftiger werde im Ölgarten und am Kreuz von Golgatha.‘
Hieronymus: ‚Liebes Jesuskind! Was kann ich dir nur schenken? Ich will dir all mein Geld und mein Vermögen geben!‘
Das Jesuskind: ‚Ach nein, der ganze Himmel und die ganze Erde ist doch mein Eigentum! Gib dein Geld den armen Leuten. Das will ich so ansehen, als sei es mir geschenkt …‘“2
Meister Eckhart schreibt um 1300: „Wir feiern Weihnachten, auf dass diese Geburt auch in uns geschieht. Wenn sie nicht in mir geschieht, was hilft sie mir dann? Gerade, dass sie auch in mir geschieht, darin liegt ja alles.“3
Der raue Bert Brecht schenkt uns unter dem Titel „Die gute Nacht“ besonders zarte weihnachtliche Verse4:
„Der Tag, vor dem der große Christ
zur Welt geboren worden ist
war hart und wüst und ohne Vernunft.
Seine Eltern, ohne Unterkunft
fürchteten sich vor seiner Geburt
die gegen Abend erwartet wurd.
Denn seine Geburt fiel in die kalte Zeit.
Aber sie verlief zur Zufriedenheit.
Der Stall, den sie doch noch gefunden hatten
war warm und mit Moos zwischen seinen Latten
und mit Kreide war auf die Tür gemalt
dass der Stall bewohnt war und bezahlt.
So wurde es doch noch eine gute Nacht
auch das Heu war wärmer, als sie gedacht,
Ochs und Esel waren dabei
damit alles in der Ordnung sei.
Eine Krippe gab einen kleinen Tisch
und der Hausknecht brachte ihnen heimlich einen Fisch.
(Denn es musste bei der Geburt des großen Christ
alles heimlich gehen und mit List.)
Doch der Fisch war ausgezeichnet und reichte durchaus
und Maria lachte ihren Mann wegen seiner Besorgnis aus
denn am Abend legte sich sogar der Wind
und war nicht mehr so kalt, wie die Winde sonst sind.
Aber bei Nacht war er fast wie ein Föhn.
Und der Stall war warm und das Kind war sehr schön.
Und es fehlte schon fast gar nichts mehr
da kamen auch noch die Dreikönig daher!
Maria und Joseph waren zufrieden sehr.
Sie legten sich sehr zufrieden zum Ruhn
mehr konnte die Welt für den Christ nicht tun.“
Drei Dichter von vielen, die im Laufe der Jahrhunderte weihnachtliche Geschichten und Legenden, Verse und Lieder, Gedichte und Krippenspiele schufen.
Kaum ein Bericht der Bibel schildert so konkret und anschaulich. Kein Wunder, dass ungezählte Gemälde und Abbildungen, Fresken und Ikonen voller Liebe die Ereignisse dieser Nacht oder die Madonna mit dem Kind abbilden. Oft genug verraten sie auf sympathische Weise die Heimat und die Zeit, in denen der Künstler lebte. Weihnachten ist ein Stück Weltkultur.
Bräuche der Völker
Unübersehbar auch die Formen und Ausprägungen weihnachtlichen Brauchtums: Krippen und Krippenfiguren, Engelgestalten und Sterne, Pyramiden und Kalender, Ketten und Kugeln, Geschnitztes und Bemaltes und was es nicht alles an Schmuck und weihnachtlicher Dekoration gibt. In Peru trägt das Christkind indianische Züge und dunkles Haar, in Nordeuropa liegt es hell und blond in der Krippe, in Natal leuchtet das Weiß der Augen aus einem schwarzen Jesusgesicht.5
Wenn Turmmusikanten über Weihnachtsmärkte Adventschoräle blasen, wenn von den Eltern bestellte Weihnachtsmänner und -engel an Kinder von den Eltern gekaufte Geschenke verteilen, wenn Sternsinger für Hilfsaktionen Geld sammeln, dann vermischen sich auf eigentümliche Weise Tradition, Folklore, Gemüt, Kommerz und Nächstenliebe. Aber die Sitten, Bräuche und Symbole, wie sehr sie sich Umfeld und Jahreszeit angepasst haben mögen, schlagen doch, auch in einer nachchristlichen Welt, den Bogen zurück zu den Ursprüngen, zur Geburt im Stall von Bethlehem.
„Ich steh’ an deiner Krippe hier, o Jesu, du mein Leben.“ So beginnt einer der bekanntesten Weihnachtschoräle, von Paul Gerhardt gedichtet und von Johann Sebastian Bach vertont. Ganz offensichtlich, das Kind in der Krippe berührt die Herzen.
Nur: Wie kam Jesus in die Krippe? Und wie kam die Krippe nach Bethlehem?