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Dreizehntes Kapitel.
Unliebsame Ueberraschungen

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Inhaltsverzeichnis

Es ist erstaunlich, in wie kurzer Zeit manchmal gerade die allermerkwürdigsten Dinge es fertig bringen, sich zu ereignen. Ein paar Minuten hatten einst hingereicht, den kleinen Jungen, der seine rotbestrumpften Beine von Mr. Hobbs' Schreibstuhl herunterbaumeln ließ und ein höchst anspruchsloses Dasein in einer weltentlegenen Straße führte, in einen englischen Edelmann und den Erben eines unermeßlichen Besitztums zu verwandeln. Und wieder hatten ein paar hundert Worte genügt, diesen Edelmann zu einem kleinen Usurpator zu stempeln, der keinen Heller besaß und auf den Glanz, der ihn umgab, nicht das geringste Anrecht hatte. Und so unglaublich es scheinen mag, nahm es wieder nicht allzu lange Zeit in Anspruch, von neuem alles umzugestalten und dem, der in Gefahr gestanden hatte, alles zu verlieren, alles zurückzugeben.

Daß diese letzte Wandlung der Dinge verhältnismäßig rasch vollzogen werden konnte, rührte besonders daher, daß die Frau, die sich Lady Fauntleroy nannte, ihrer Rolle in keiner Weise gewachsen war. Als Mr. Havisham sie einem ziemlich scharfen Kreuzverhör über ihre Verheiratung und über ihr Kind unterworfen hatte, war ihr begegnet, zwei- oder dreimal mit ihren eignen Aussagen in Widerspruch zu geraten, was sein Mißtrauen in hohem Grade erweckte. Sobald ihr aber dies zum Bewußtsein gekommen war, hatte sie alle Selbstbeherrschung und Geistesgegenwart verloren und sich in ihrer Wut immer mehr ins Verderben geredet. Ihre Angaben waren nur in bezug auf den Knaben unrichtig und schwankend; über die Thatsache ihrer Heirat mit Bevis Lord Fauntleroy, und ihre darauf folgende Entzweiung hatte auch Mr. Havisham keinerlei Zweifel. Dagegen brachte er heraus, daß ihre Aussage über den Ort, wo das Kind geboren war – eine Vorstadt von London – auf Erfindung beruhte, und als er auf Grund dieser ersten Unwahrheit mit mehr Hoffnung auf Erfolg als bisher seine Nachforschungen zu betreiben anfing, kam der Brief des jungen New Yorker Advokaten, sowie die beiden Schreiben von Mr. Hobbs.

Das war ein Abend, als der Graf und Mr. Havisham, die Briefe vor sich, in der Bibliothek saßen und ihre weiteren Plane besprachen!

»Von der dritten Unterredung an,« sagte Mr. Havisham, »war mir die Person in hohem Maße verdächtig. Das Kind schien mir älter zu sein, als sie angab, und sie irrte sich plötzlich einmal in der Jahreszahl seiner Geburt und versuchte dann, die Sache wieder zu vertuschen. Verschiedene Verdachtsmomente, die mir aufgestoßen waren, stimmen genau zu der in diesen Briefen erzählten Geschichte. Das Beste ist jedenfalls, diese beiden Tiptons telegraphisch zu benachrichtigen, daß sie sofort herüberkommen sollen, sie darf keine Ahnung davon haben und muß gänzlich unvorbereitet mit ihnen konfrontiert werden. Bei Licht betrachtet, ist sie eine ziemlich armselige Intrigantin und wird höchst wahrscheinlich die Geistesgegenwart verlieren und sich sofort verraten.«

Und so geschah es. Mr. Havisham setzte, um sie keinen Verdacht schöpfen zu lassen, seine Unterredungen mit der Prätendentin in der bisherigen Weise fort und versicherte sie, daß er eifrig damit beschäftigt sei, die Berechtigung ihrer Ansprüche gesetzlich prüfen und feststellen zu lassen, so daß ihr der Kamm außerordentlich schwoll und sie im Gefühl der Sicherheit jeden Tag anmaßender und kecker wurde.

Eines schönen Morgens, als sie, Zukunftsträumen nachhängend, in ihrem kleinen Wohnzimmer in dem einfachen Gasthause saß, ward Mr. Havisham bei ihr gemeldet: als er aber auf ihren Wunsch eintrat, folgten ihm nicht weniger als drei unangemeldete Besucher, der erste ein pfiffig dreinschauender halbwüchsiger Junge, dann ein hochgewachsener, breitschulteriger junger Mann und schließlich Seine Herrlichkeit der Graf in eigner Person.

Sie sprang auf und stieß einen gellenden Schreckensschrei aus – sie hatte weder Zeit noch Kraft, einen solchen zu unterdrücken. Seit Jahren hatte sie der beiden, die da hereintraten, höchstens hier und da einmal flüchtig gedacht, und wenn sie es gethan, so hatten ihre Gedanken ein Weltmeer und viele Tausende von Meilen zwischen sie und jene gelegt – die Möglichkeit eines Wiedersehens war ihr nie in den Sinn gekommen.

»Hallo, Minna!« sagte Dick, dessen Manieren leider nicht so vollendet waren, um in des Grafen erlauchter Gegenwart ein Grinsen zu vermeiden.

Der hochgewachsene junge Mann – Ben Tipton – sah sie schweigend an.

»Die Dame ist Ihnen bekannt?« fragte Mr. Havisham, von einem zum andern blickend.

»Jawohl,« sagte Ben, »wir kennen uns!« Damit wandte er ihr den Rücken, als ob er den verhaßten, widerlichen Anblick nicht länger ertragen könnte, und trat ans Fenster. Die Frau, die sich so vollständig entlarvt und preisgegeben sah, geriet nun in eine an Wahnsinn grenzende Wut, die freilich für Ben und Dick nichts Neues war, und erging sich in entsetzlichen Schimpfreden, Drohungen und Verwünschungen, was auf Dick die Wirkung hatte, daß sein Grinsen sich nicht mehr ganz innerhalb der Grenzen des Schönen hielt. Ben blieb abgewandt, regungslos stehen.

»Ich kann es vor jedem Gerichtshof beschwören, daß sie es ist,« sagte er dann zu Mr. Havisham, »und wenn es nötig ist, kann ich außerdem noch ein Dutzend Zeugen dafür beibringen. Ihr Vater ist von Haus aus ein anständiger Mann, freilich sehr heruntergekommen, die Mutter war gerade wie sie. Der Vater lebt noch und hat Ehrgefühl genug, sich seiner Tochter zu schämen. Er kann's Ihnen sagen, wer sie ist, und ob sie mich geheiratet hat oder nicht.«

Dann, plötzlich die Faust ballend, wandte er sich zu ihr.

»Wo ist das Kind?« fragte er. »Es geht mit mir! Mit dir ist der Knabe fertig, so gut wie ich!«

Kaum hatte er ausgesprochen, als sich die in das Schlafzimmer führende Thüre ein wenig aufthat und das Kind, vermutlich durch das laute Sprechen neugierig gemacht, hereinguckte. Es war kein hübsches Kind, aber das Gesicht war klug und angenehm, ganz und gar dem Vater ähnlich, und am Kinn war die sehr sichtbare, dreizackige Narbe.

Ben ging auf ihn zu und nahm ihn bei der Hand; seine eigne zitterte heftig.

»Ja,« sagte er, »daß der der meine ist, kann ich auch beschwören. Tom,« wandte er sich zu dem Kleinen, »ich bin dein Vater und ich will dich mitnehmen. Wo ist dein Hut?«

Der Junge deutete auf einen Stuhl, wo derselbe lag. Das Mitgenommenwerden schien ihm offenbar eher erfreulich, und er hatte in den paar Jahren seines Erdenlebens des Ueberraschenden schon so viel erfahren, daß es ihm gar nicht verwunderlich vorkam, in diesem Fremden seinen Vater sehen zu sollen. Die Frau, die vor wenig Monaten zu ihm gekommen war, in das Haus, wo er von seiner ersten Kindheit an lebte, und ihm gesagt hatte, daß sie seine Mutter sei, war dem kleinen Manne so zuwider, daß er sehr bereitwillig war, sich von ihr zu trennen. Ben nahm den Hut und ging nach der Thüre.

»Wenn Sie mich wieder brauchen,« sagte er zu Mr. Havisham, »so wissen Sie ja, wo ich zu finden bin.«

Damit ging er hinaus, sein Kind an der Hand, ohne sich nur ein einziges Mal nach der Frau umzusehen. Diese schäumte jetzt buchstäblich vor Wut, wobei der Graf sie mit großer Ruhe fixierte.

»Kommen Sie, kommen Sie,« sagte Mr. Havisham. »So geht das nicht. Wenn Sie nicht in die Zwangsjacke wollen, so müssen Sie sich zusammennehmen.«

Der geschäftsmäßige, kühle Ton dieser Bemerkung schien ihr klar zu machen, das ihre Zornausbrüche hier ganz wirkungslos waren, und mit einem fürchterlichen Blicke auf den Anwalt rauschte sie ins andre Zimmer, die Thüre dröhnend hinter sich zuschlagend.

»Die macht uns weiter keine Not mehr,« bemerkte Mr. Havisham gelassen, und er hatte recht. Noch in derselben Nacht verließ sie die »Dorincourt Arms« und fuhr nach London, wo ihre Spur verloren ging.

Nach diesem Abschluß der widerlichen Szene bestieg der Graf sofort seinen Wagen.

»Nach Court Lodge,« lautete sein Befehl.

»Nach Court Logde!« rief Thomas im Aufsteigen dem Kutscher zu, »können sich darauf verlassen, da passiert wieder 'mal was Besondres,« setzte er hinzu.

Als der Wagen vor Court Lodge anfuhr, war Cedrik eben bei seiner Mutter im Wohnzimmer.

Ohne sich melden zu lassen, trat der Graf ein, er sah um einen halben Schuh größer aus als sonst und um viele, viele Jahre jünger; seine Augen leuchteten.

»Wo ist Lord Fauntleroy?« rief er.

Vor Erregung errötend, trat Mrs. Errol ein paar Schritte vor.

»Ist er Lord Fauntleroy?« fragte sie bebend. »Ist er's wirklich?«

Der Graf ergriff ihre Hand.

»Ja,« erwiderte er, »ja, er ist's!«

Dann legte er die andre Hand auf Cedriks Schulter.

»Fauntleroy,« sagte er in seinem gebieterischen Tone, »frage deine Mutter, wann sie zu uns aufs Schloß kommen will!«

Fauntleroy schlang jauchzend die Arme um des Mütterchens Hals.

»Ganz bei uns bleiben sollst du! Hörst du, bei uns wohnen!«

Der Graf sah Mrs. Errol an und sie ihn. Es war sein voller Ernst; er hatte es für angemessen erkannt, mit der Mutter seines Erben Frieden zu schließen, und einmal zum Entschluß gelangt, wollte er die Angelegenheit mit gewohnter Bestimmtheit und Raschheit erledigt haben.

»Sind Sie ganz gewiß, daß Sie mich brauchen können?« fragte Mrs. Errol mit ihrem reizenden, sanften Lächeln.

»Ganz gewiß,« versetzte er kurz, »wir hätten Sie von Anfang an haben sollen – wir haben's nur nicht gewußt. Ich hoffe, daß Sie kommen!«

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