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Abb. 1: Umspringbild: Salvador Dalí, Studie zum Sklaven- markt. – © Salvador Dalí. Fundació Gala – Salvador Dalí / VG Bild-Kunst, Bonn 2017.

Mit Vexier- oder Umspringbildern kann man in der Psychologie die Eigenarten des Gesichtssinns bei der Erfassung der Umwelt demonstrieren. Ein und dasselbe Bild erscheint einem einmal als Vase, das andere Mal als zwei einander zugewandte Gesichtsprofile – doch nie kann man beide Darstellungen zusammen wahrnehmen. Auch in die bildende Kunst haben solche optischen Täuschungen Eingang gefunden, etwa beim katalanischen Surrealisten Salvador Dalí: In der hier abgebildeten Studie erscheint der Durchgang zu einem orientalischen Sklavenmarkt auf einmal als Büste des französischen Philosophen Voltaire.

Ebenso ist E. T. A. Hoffmanns 1814 veröffentlichtes Märchen Der goldne Topf ein Der goldne Topf, ein literarisches UmspringbildUmspringbild, freilich ein literarisches, denn man kann es auf mehrerlei Art lesen. »Ein Märchen aus der neuen Zeit« verkündet der Untertitel, und als solches weist sich die Erzählung schon durch ihren Inhalt aus: Von einem Magier wird da berichtet und von seiner Feindin, einer Hexe; von Verwünschungen, wunderbaren Verwandlungen und Verzauberungen ist die Rede, von Salamandern und Erdgeistern, von verführerischen Schlangen und einem sprechenden Türklopfer, einem Zaubergarten und natürlich von einem goldenen Topf. Und am Schluss löst sich alles in einem Happy End auf, wie es sich für ein Märchen eben gehört.

Oder doch nicht? Muss man die ganze Geschichte wirklich ernst nehmen? Ist das, was den Figuren widerfahren ist, in Wirklichkeit nur Einbildung gewesen? Hat es sich bei all dem Wunderbaren in Wahrheit nur um Sinnestrug gehandelt? Hoffmanns Märchen spielt nicht im unbestimmten Irgendwo, sondern im zeitgenössischen Dresden, in einer aufgeklärten Zeit, die das Phantastische mit der Hilfe des Verstandes zu entzaubern versucht, in der die Welt von der Vernunft her gedeutet wird.

Alles ist logisch erklärbar – und auch wiederum nicht. Und so bleibt am Ende die Frage offen, was man eigentlich gelesen hat: tatsächlich ein Märchen oder die Geschichte eines Menschen, der sich in einem Märchen wähnt. Das Irritierende daran ist, dass der Autor Hoffmann darauf keine eindeutige Antwort gibt, vielmehr alles in der Schwebe lässt. Der Text bleibt offen für mehrere Lesarten – so wie ein Umspringbild nicht nur ein einziges Bild in sich vereinigt.

All das lässt vielleicht eine schwer verständliche Geschichte vermuten. Tatsächlich hat Der goldne Topf bis heute zahlreiche Interpreten zu Vielschichtigkeitunterschiedlichsten Stellungnahmen angeregt – doch sollte man sich davon als Leser nicht einschüchtern lassen: So wie ein Vexierbild vergnüglich anzusehen ist, so ist auch Hoffmanns Märchen dank seiner sprühenden Einfälle und der darin waltenden Ironie bis heute eine lohnende, unterhaltsame Lektüre geblieben – nicht trotz, sondern eben wegen seiner Vielschichtigkeit.

Der goldne Topf von E.T.A. Hoffmann: Reclam Lektüreschlüssel XL

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