Читать книгу Das Rütli - ein Denkmal für eine Nation? - Martin Schaub - Страница 48

2.3.5 Nichtteilnehmende Beobachtung 2.3.5.1 Instrument

Оглавление

Als weiteres qualitatives Instrument diente die Beobachtung, ein «methodisch kontrolliertes Fremdverstehen», das darauf abzielt, Handlungsabsichten, -gründe und -erklärungen von untersuchten Subjekten zu rekonstruieren.[312] Um dieses Ziel zu erreichen, ist der Forscher angehalten, gegensätzliche Ansprüche auszubalancieren. Er ist angehalten, sich von sich selbst, seiner Alltagswirklichkeit zu distanzieren, um sich mit dem Standpunkt der Beobachteten zu identifizieren. Umgekehrt muss er sich von den untersuchten Subjekten distanzieren und mit seinen Forschungsfragen identifizieren, um das Handeln beschreiben und verstehen zu können.[313] Die Methode der Beobachtung bot sich gerade für das vorliegende Projekt an, weil sie erlaubt, näher und anders an die gelebte Praxis der Besucherinnen und Besucher heranzugehen und auf diese Weise die Kurzinterviews zu ergänzen: Die Logik der Praxis kann sich von den erzählten subjektiven Theorien (der handelnden Subjekte) über ebendiese Praxis unterscheiden, die ihrerseits beeinflussbar ist durch das Moment der sozialen Erwünschtheit.[314]

Die Beobachtung erfolgte systematisch, unstrukturiert und strukturiert, mit geringem oder keinem Partizipationsgrad.[315] Besonders die Frage der Strukturierung ist bedeutsam: Sie läuft der für diesen qualitativen Zugang zentralen Haltung einer grossen, voraussetzungsfreien Offenheit entgegen, die nötig ist, um das untersuchte soziale Feld in seiner Eigenheit und in theorieentdeckendem Sinn zu erfassen. Dieser Anspruch einer möglichst detailreichen Wahrnehmung resp. Niederschrift der Praxis birgt jedoch die Gefahr in sich, vor lauter Details das für die Fragestellung Relevante zu übersehen. Demgegenüber würde ein vorab festgelegtes, detailliertes Kategoriensystem der methodischen Grundintention zuwiderlaufen. Deshalb wird empfohlen, vor der Feldarbeit allgemeine Richtlinien in Form grober Hauptkategorien als Beobachtungsrahmen zu formulieren, was Kelle/Kluge als «theoretische Sensiblisierung» bezeichnen.[316] Vor diesem Hintergrund entstanden – wiederum auf der Basis von Hettlings «Erlebnisraum»-Konzept – zwei Beobachtungsfokusse, die den Forschungsprozess kanalisierten: Wie nehmen die Besuchenden das Denkmal wahr? Inwiefern werden Auseinandersetzungen mit dem Ort sichtbar und welcher Art sind sie?

Neben der Frage der Strukturierung stellte sich bei der systematischen Beobachtung auch diejenige der Partizipation. An sich wäre eine Teilnahme des Forschenden an individuellen Rütlibesuchen denkbar gewesen, dennoch sprachen im Wesentlichen zwei Gründe dagegen. Zum einen war es nicht erforderlich, grundsätzliches Wissen über das beforschte soziale Feld zu generieren.[317] Zum anderen, auch wenn eine partizipative Begehung praktisch möglich gewesen wäre, hätte sie wohl den in der Regel wortlosen, privaten und auch politisch grundierten Besuch gestört. Deshalb erfolgte die Beobachtung ohne Interaktion mit dem Feld und ohne dessen Wissen, beobachtet zu werden. Gleichzeitig ergab sich daraus eine statische – anstelle einer dynamischen – Vorgehensweise. Ein Rütli-Rundgang führt zu mehreren inszenierten Stellen, die sich aufgrund der Besuchsfrequenz als Beobachtungsposten eignen: die Schiffstation, der Schwurplatz und die Rütliwiese. Um die schriftliche Fixierung der Beobachtungen zu erleichtern, entstand im Verlauf der Vorstudie ein Beobachtungsplan, welcher die drei Beobachtungsposten mit Verhaltenstypologien (Anschauen, Verstehen, sonstiges Handeln), verhaltensbezogenen Objekten (Info-Tafel, Reiseführer etc.) sowie Zeitdauer kombinierte. Bereits die ersten Versuche zeigten, dass die verfügbare Beobachtungszeit nicht reichte, um die Eindrücke kriterial vollständig zu verschriftlichen. Für die Hauptuntersuchung wurde deshalb der Plan auf zwei Ebenen reduziert: auf die quantitative Erfassung allgemeiner Verhaltensweisen sowie auf offene, detaillierte Beobachtungen (Feld «Notizen»; Darstellung 9).


Darstellung 9

In der Hauptuntersuchung blieben der Beobachtungsort und das statische Vorgehen unverändert, wobei sich die Schiffstation in der Vorstudie als am wenigsten ergiebig erwiesen hatte. Der Beobachtungsplan wiederum fand nur beschränkten Einsatz, die darin explizierten Fokusse dienten jedoch auch weiterhin als implizite Leitplanken, als Sensibilisierungsraster. Die Verschriftlichung erfolgte nunmehr in freier Form – aus zwei Gründen: Die Beobachtung sollte, wie erwähnt, möglichst diskret, also von den Besuchenden unbemerkt, erfolgen, da ansonsten die Präsenz des Forschenden das Verhalten seiner Untersuchungspersonen hätte beeinflussen können. Ein grösseres elektronisches Schreibgerät oder ein physisch sichtbarer Notizblock schied deshalb, nicht zuletzt aufgrund der kleinräumigen Verhältnisse auf dem Rütli, aus. Geeignet erwies sich deshalb das Mobiltelefon, das als Notizblock diente.[318] Der zweite Grund bestand darin, dass sich auch im vereinfachten Raster die Beobachtungen nicht genügend rasch in die vorgegebenen Rubriken eintragen liessen oder das Beobachtete andere Eigenschaften aufwies.

Das Rütli - ein Denkmal für eine Nation?

Подняться наверх