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Erde und Wasser

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Wenn man das üppige Grün der Regenwälder näher betrachtet, kann man sehen, dass ein ständiges Ringen um Nahrung, Licht und Wasser im Gange ist. Pflanzen versuchen, mit herabhängenden Luftwurzeln jeden einzelnen Regentropfen bereits im Fall aufzufangen und ihm die dringend benötigten Nährstoffe zu entziehen, noch bevor er den Boden erreicht. Andere Arten lassen sich als Schmarotzer auf den höchsten Ästen ihrer Wirtsbäume nieder, um so an Licht und Wasser zu kommen. In der Amazonasregion finden sich im Vergleich zu anderen Regenwäldern auffallend viele Epiphyten, also Pflanzen, die auf anderen Pflanzen oder Bäumen siedeln. Es gibt Arten, deren Lianen langsam zu Wurzeln erstarren und die so den Wirtsbaum im Laufe der Jahre vollkommen umschließen und langsam erdrosseln. Am Ende stirbt der Wirt. Auch die Tiere sind vorwiegend in den Kronen der Bäume zu Hause: Insekten, Vögel, Schlangen, aber auch größere Säugetiere wie zum Beispiel das Faultier. Hier ist es leichter, an Licht, Nahrung und Wasser zu gelangen als am Boden des Amazonasregenwaldes, der überdurchschnittlich nährstoffarm ist. Wissenschaftler sprechen sogar davon, dass die hiesigen die nährstoffärmsten Böden des Planeten seien. Das liegt an der geologischen Beschaffenheit des Amazonasbeckens, hauptsächlich aber daran, dass der beständige Regen vorhandene Mineralien und Nährstoffe auswäscht. Und das seit Jahrtausenden. Zwar führt der Regen dem Boden auch einige Mineralien wieder zu. teilweise in Form von Sand und Staub, den der Wind mit sich trägt, teilweise durch die periodischen Überschwemmungen, doch sind keinerlei Reserven in den Böden vorhanden. Alles, was da ist, wird sofort verbraucht. Der Boden gibt Pflanzen und Bäumen Halt, aber ansonsten kaum Nahrung. Darum also das Wetteifern der Tier- und Pflanzenarten in den oberen Bereichen des Waldes. Die Wurzeln der meisten Regenwaldbäume reichen nicht sehr weit in die Tiefe, sondern breiten sich eher flach im Erdreich aus. Tote Bäume oder Tiere werden sofort durch Pilze oder Insekten weiterverwertet und finden so wieder Eingang in den ökologischen Kreislauf Regenwald. Wissenschaftler bezeichnen das Ökosystem Regenwald als einen kurzgeschlossenen Kreislauf.

Die Knappheit an Nährstoffen zeigt sich auch an der Höhe der Bäume. Sie sind im Amazonasregenwald im Durchschnitt niedriger als in den Regenwäldern des Kongo oder in Asien. Besonders die vulkanischen Böden Indonesiens verleihen den dortigen Regenwäldern – soweit sie noch vorhanden sind – eine außergewöhnliche Üppigkeit, der Amazonasregenwald ist jedoch wegen der erforderlichen Spezialisierung der Tier- und Pflanzenarten artenreicher und in seiner Ausdehnung größer.

Was für den Regen gilt, gilt auch für das Wasser der Flüsse und Seen Amazoniens. Gemeinhin werden drei Wassertypen unterschieden: Schwarzwasser, Weißwasser und Klarwasser. Der Rio Negro ist ein Schwarzwasserfluss. »Wie Coca-Cola«, sagt mir ein Einheimischer an Bord eines Flussschiffes, als wir über die Reling gebeugt die Mündung des Rio Negro in den Rio Solimões betrachten. Das Wasser des Rio Negro ist von dunkler, beinahe schwarzer Farbe, das des Solimões hellbraun. Wenn die Sonne im richtigen Winkel darauf scheint, kann es aussehen wie Sand. Das Wasser des Rio Negro und das des Solimões fließen über viele Kilometer nebeneinanderher und vermischen sich nicht, obwohl sie sich schon längst zum Rio Amazonas vereinigt haben. Ähnliches kann man in Peru am Zusammenfluss des Río Nanay und des Río Amazonas beobachten.

Alexander von Humboldt hat während seiner Südamerikareise als einer der Ersten versucht, die unterschiedlichen Wassertypen wissenschaftlich zu erklären und zu beschreiben. Im Schwarzwasser, fand er heraus, leben weniger Fische und Pflanzen als im Weiß- oder Klarwasser. Die Schwarzwasserflüsse sind arm an Nährstoffen – Sedimente fehlen bedingt durch die geologische Beschaffenheit – und Sauerstoff. Die dunkle Färbung und der hohe Säureanteil stammen von der im Wasser verrottenden Vegetation. Dies sorgt dafür, dass weniger Sonnenlicht eindringt, was wiederum die Bildung einer entsprechenden Vegetation erschwert.

Im Weißwasser hingegen sind viele Sedimente vorhanden, darum gilt es als nährstoffreich. Die gelösten Mineralstoffe geben dem Weißwasser seine helle Färbung. Hier leben deutlich mehr Fisch- und Insektenarten als im nährstoffarmen Schwarzwasser, auch sind seine Ufergebiete besser für die landwirtschaftliche Nutzung geeignet. Der Río Amazonas ist ein solcher Weißwasserfluss, da er viele Sedimente aus den Anden mit sich führt. Klarwasserflüsse bilden eigentlich eine Mischform der beiden bereits beschriebenen Wassertypen. Ein zumeist felsiger Untergrund verhindert die Anreicherung des Wassers mit Sedimenten, und es fehlt die dunkle Färbung durch die Rückstände der Vegetation. Der brasilianische Rio Xingu ist ein solcher Klarwasserfluss. Die Kategorisierung der drei Typen lässt sich auch auf die Seen des Amazonasgebietes anwenden. Allerdings können diese ihren Wassertyp ändern, wenn es während der Regenzeit zu Überflutungen durch andere Gewässer kommt. In einigen Fällen unterscheiden sich verschiedene Abschnitte ein und desselben Flusses in der Art des Wassers.

Das Ökosystem des Regenwaldes ist äußerst komplex und zudem noch lange nicht vollständig erforscht. Er lebt von und mit dem Wasser, das ihn durchströmt und überflutet, und wird derzeit direkt wie indirekt vom Menschen bedroht: Trocknet der Regenwald aus, sei es durch Abholzung oder als Folge des Klimawandels, wird ein Teufelskreis in Gang gesetzt, der eines Tages unumkehrbar ist. Wenn die Regenwaldzerstörung zu weit vorangeschritten ist – das heißt, wenn ein bestimmter Anteil der Regenwaldfläche vernichtet wurde –, lässt sich auch der verbliebene Rest nicht mehr retten. Die Amazonasregenwälder können nur in einer bestimmten Größe und Ausdehnung existieren. Darunter geht es nicht. Es handelt sich um ein äußerst sensibles System, das auch seinen menschlichen Bewohnern, den Indigenen, einige Anpassung abverlangt. Es sind nicht nur die Tier- und Pflanzenarten, die sich auf das Leben im Ökosystem Regenwald spezialisieren müssen. Auch die menschlichen Bewohner haben seit Generationen eigene Wege gefunden, um in den Amazonasregenwäldern leben zu können.

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