Читать книгу Das Erbe von Sunneck. Band 2 - Martina Frey - Страница 5
Mechtheim
ОглавлениеDie Tage zogen sich dahin. Jonata kümmerte sich unermüdlich um Simon. Die Heilerin verschwand aus der Kammer, sobald sie eintrat. Nachdem sie an diesem Morgen Simons Wunden neu verbunden hatte, erkundete sie, trotz Gunnars Verbot, das Haus und betrat im oberen Stockwerk den Versammlungsraum. Hier sah es genauso schlimm aus wie in der Küche und dem Rest des Hauses. Die alten Binsen stanken und der Kamin war seit langer Zeit nicht gesäubert worden. Die Asche quoll aus ihm heraus und hatte sich über den Boden verteilt. Von den ekelerregenden Haufen in den Ecken, die von den Hunden stammten, breitete sich ein unangenehmer Gestank aus. Angewidert drehte sich Jonata um.
Hier musste dringend etwas getan werden. Warum sollte sie untätig darauf warten, Ulrichs Kind zu gebären? Stattdessen konnte sie sich nützlich machen. Es würde Gunnar zur Weißglut bringen, wenn sie gegen seinen Willen für Ordnung sorgte. Allein das reizte sie. Er führte sich auf, als sei er der Herr dieser Länderei. Der eigentliche Anführer lag fiebernd auf seinem Lager. Als Gemahlin des Herrn von Mechtheim gehörte ihr die Schlüsselgewalt. Es wurde Zeit, dass sie diese einforderte.
Zwei Mädchen und ein älterer Knecht betraten den Saal und blieben wie angewurzelt stehen, als sie Jonata entdeckten. Diese schob mit dem Fuß einige Binsen zusammen.
»Wann ist hier das letzte Mal aufgeräumt worden?«, fragte sie.
»Das weiß ich nicht«, kam es prompt.
»Habt ihr schlechte Augen?«
»Warum?«
»Weil ihr den Dreck nicht zu sehen scheint.«
»Niemand hat uns gesagt, dass wir das tun sollen.«
Jonata drehte sich zu den Dreien um. »Dann tue ich es. Ihr werdet den Boden säubern und kehren. Außerdem muss gelüftet werden. Bei dem Gestank vergeht einem ja der Appetit. Ein Knecht soll Holz holen. Die Bank dort«, Jonata zeigte in die Richtung, wo eine kaputte Bank umgekippt lag, »muss ausgebessert werden.«
»Aber …«
»Nichts aber. Die Tische müssen gescheuert werden, solange bis kein Fleck mehr zu sehen ist.«
»Gunnar wird es nicht gefallen«, murmelte der Knecht widerwillig, »dass Ihr uns solche Aufgaben gebt. Ihr habt uns nichts zu sagen.«
Jonata blieb unbeeindruckt. »Wenn es Gunnar nicht gefällt, dann kann er sich gerne bei mir beschweren. Jetzt tut, was ich sage.«
Oh ja, das wird Gunnar überhaupt nicht gefallen, dachte sie triumphierend und blieb mitten im Saal stehen, um die Mägde und den Knecht bei der Arbeit zu überwachen.
Während Jonata Anweisungen gab, wurde das Gemurre lauter.
Den Knecht musste Jonata anschreien, damit er endlich den Kamin ausfegte. Irgendwann stellte er geräuschvoll den Ascheeimer auf den Boden und verschränkte die Arme vor seiner Brust. »Gunnar hat gesagt, wir sollen nicht auf das hören, was Ihr sagt.«
»So hat er das?«, fuhr Jonata unwillig auf.
Dieser Hof ist ein Schandmal in der Landschaft, dachte sie.
»Ich werde Gunnar sagen, dass Ihr uns herumkommandiert«, schimpfte eine der Mägde.
»Nur zu«, erwiderte Jonata.
»Er wird Euch einsperren«, drohte der Knecht.
»Soll er es versuchen. Ich bin von meinem Gemahl Schlimmeres gewohnt.«
Plötzlich verstummte das Maulen. Die Frauen starrten sie an, als hätte sie eine Zauberformel gesprochen. Ihr wurde klar, dass Ulrich hier nicht anders gewesen war als auf Sunneck. Für ihn war das Gesinde nichts wert. Er hatte alles getreten, was er nicht für würdig hielt. Diese Menschen hatten vermutlich genauso unter seinen Schikanen gelitten wie sie.
»Sie tut WAS?«, brüllte eine Stimme durch das Haus.
Jonata stand in der Küche und gab Anweisungen, was alles entsorgt und gereinigt werden sollte, als sie das Donnerwetter hörte. Eine Magd trug den Eimer mit dem verschimmelten Inhalt durch den Raum. Die Arbeitsplatte wurde gescheuert. Die Herdstelle musste ebenfalls gereinigt werden. Es lagen eiserne Roste auf dem Boden, verdreckte Töpfe und Pfannen stapelte sich daneben.
»Das darf doch nicht wahr sein!«, donnerte es wieder von draußen. »Na warte.«
Jonata versuchte, nicht auf das Gebrüll zu achten. Es war eine Frage der Zeit gewesen, bis Gunnar von ihrem Walten erfuhr.
In den großen Messingkessel, der an einer Kette über der Feuerstelle hing, hatte Jonata noch keinen Blick gewagt. Wortlos zeigte sie auf drei steinerne Mörser, in denen etwas zerstoßen worden war, das sie nicht mehr bestimmen konnte. Der stille Hinweis wurde verstanden, denn die Magd begann die Gefäße zu reinigen.
Jonata hatte dem Gesinde verkündet, dass Simon nicht mit Gunnars Verboten einverstanden wäre. Sobald es ihm besser ginge, würde er das klarstellen. Ihre Äußerung hatte noch mehr Unsicherheit verbreitet, sodass es für Jonata leichter wurde, Anweisungen zu geben.
Die Tür flog auf und prallte gegen die Wand. Putz bröckelte zu Boden. Gunnars Gestalt füllte den Türrahmen aus. »Was zum Teufel habt Ihr vor, Weib?«
Unter jedem Wort zuckte Hilde zusammen. Die Mägde wichen erschrocken zurück. Nur Jonata stand unverwüstlich da und blinzelte nicht einmal.
»Ich sorge hier für Ordnung«, erklärte sie gelassen.
»Wer seid Ihr, dass Ihr zu entscheiden habt, was Ordnung ist und was nicht?« Sein Gebrüll tat ihr in den Ohren weh.
»Na, dann schaut Euch um«, schrie sie zurück. »Die Küche sieht schlimmer aus als der Schweinestall auf Sunneck. In der Halle stinkt es, genau wie hier, wo das Essen zubereitet wird.«
»Das hochwohlgeborene Fräulein von Sunneck meint wohl, es müsste Mechtheim zu ihrem Paradies machen«, höhnte Gunnar jetzt.
»Nein, ich tue das, was Simons Mutter tat und was jetzt meine Aufgabe ist.«
Gunnar öffnete den Mund, um etwas zu erwidern. Überrascht klappte er ihn wieder zu und stand einfach nur stumm da. Ihr wurde klar, dass es nicht ihr Wunsch nach Ordnung war, der ihn erzürnte, sondern ihre Widerspenstigkeit. Sie tat einfach nicht das, was er ihr befahl.
Jonata beruhigte sich wieder. »Ich führte den Haushalt von Sunneck. Ich weiß, was hier zu tun ist, Gunnar. Lasst es mich tun. Es wird nicht zu Eurem oder Simons Nachteil sein.«
Es gefiel Gunnar sichtlich nicht, was Jonata ihm unterbreitete. »Ihr wollt ein Recht an Euch reißen, das Euch nicht zusteht. Ich werde nicht zulassen, dass Ihr hier alles durcheinanderbringt, nur weil es Euch gerade gefällt.«
»Wenn wir schon von Recht sprechen, Gunnar, so steht es mir als Ulrichs Gemahlin durchaus zu.«
»Ihr hasst ihn.«
»Ich habe ihn nicht heiraten wollen. Er hat mich gezwungen«, erinnerte sie ihn. »Aber ich hasse nicht diese Menschen hier.«
Gunnar presste die Lippen aufeinander und machte ein so störrisches Gesicht, als wehrte er sich gegen die Vernunft, Jonatas Vorschlag anzunehmen. Schließlich gab er sich geschlagen und murrte: »Meinetwegen. Aber eines sage ich Euch. Wenn Ihr etwas tut, was mir nicht gefällt, werde ich Euch in Ulrichs Kammer sperren, bis Simon wieder auf den Beinen ist.« Nach diesen Worten stampfte er mit hochrotem Gesicht aus der Küche und murmelte unverständliche Worte vor sich her, die eindeutig Jonata galten.
Die Köchin starrte sie mit offenem Mund an. »Ihr seid mutig«, lallte sie. »Gunnar lässt sich nie von jemandem etwas sagen. Wie habt Ihr das gemacht?«
Jonata schüttelte den Kopf und bemerkte, dass ihre Hände vor Aufregung zitterten. Sie wusste, wie unberechenbar er sein konnte und wunderte sich selbst, dass er nachgegeben hatte. »Ich weiß es nicht. Ich dachte, er würde mich einsperren, anstatt nur zu drohen. Gunnar ist ein Sturkopf.«
»Oh ja, und was für einer.« Hilde lachte erleichtert. »Er hat nicht mit Eurer Beherztheit gerechnet.«
Jonata drehte sich zu ihr um. Es lag Achtung in den Augen der Frau. Das tat ihr gut.
»Es ist auf Sunneck viel passiert«, murmelte sie. »Vielleicht ist sein Argwohn berechtigt, aber ich bin nicht hier, um euch zu schaden.«
Hilde legte den Lappen auf den Tisch und schob eine Schüssel mit Dörrobst zu Jonata. »Esst eine Kleinigkeit. Dem Kind zuliebe.«
Hunger verspürte sie keinen. Widerwillig griff Jonata nach einer getrockneten Pflaume und steckte sie sich in den Mund.
»Ist es wahr, was man sich erzählt? Ihr habt Euch gegen Ulrich gewehrt?«, wollte eine der Mägde, die sich noch immer im Hintergrund hielten, wissen.
»Das habe ich.« Unter Qualen, dachte sie, ohne es auszusprechen.
»Ihr seid am Leben«, erwiderte Hilde. »Also seid Ihr eine starke Frau, Herrin. Ich wünschte mir …« Sie verstummte, dann scheuchte sie die Mägde aus der Küche.
Jonata horchte auf. Irgendetwas schien die Köchin zu beschäftigen. »Was wünschst du dir, Hilde?«
Die Frau seufzte und lächelte traurig. »Jemanden wie Euch braucht Mechtheim. Ich wünschte, Ihr würdet bleiben. Ihr könnt nicht einfach gehen. Was soll aus Eurem Kind werden?«
Darüber wollte Jonata nicht nachdenken. Weder über das Kind, noch über dessen Zukunft oder ihre eigene.
»Es gehört hierher«, antwortete sie ausweichend. »Ich nicht.«
»Unser Herr Ulrich war ein grausamer Mann.« Ängstlich blickte sie sich um. Niemand außer Jonata hatte ihre Worte gehört. »Das habe ich nie zu Euch gesagt.« Sie wirbelte herum und machte sich daran, die verschimmelten Kübel hinauszutragen.
Nachdenklich blickte Jonata ihr nach. Im Augenblick wollte sie sich nicht mit ihrer Zukunft beschäftigen. Egal was auf sie wartete, sie wollte sich ihrer Aufgabe widmen und alles andere verdrängen. Es gab viel zu tun, und je eher sie anfing, desto weniger dachte sie über ihr Schicksal und ihren Zustand nach. Als die Köchin mit dem leeren Kübel zurückkehrte, sagte Jonata: »Ich erwarte, dass das Gesinde zusammenkommt. Ich habe etwas zu verkünden.«
Hilde nickte und eilte davon, um alle zusammenzurufen.
Nur wenige befolgten die Anweisung. Es wunderte Jonata, dass überhaupt jemand in der Küche auftauchte. Sie hatte damit gerechnet und war dennoch enttäuscht, dass die Küche nur halb gefüllt war. Jonata wollte sich nicht entmutigen lassen und verteilte Aufgaben an die Wenigen.
Nachdem sich Jonata an diesem Morgen am Brunnen gewaschen hatte, kümmerte sie sich wie immer um Simon und hoffte, dass sich sein Zustand bald besserte. Die ein oder andere Wunde hatte sich entzündet. Jonata trug regelmäßig Salben und Kräuter auf. Während Schrammen und leichte Schnitte verblassten, heilten die tiefen Verletzungen nur langsam. Jeden Tag kämpfte Jonata mit den blutigen Verbänden und bereitete Kräuter zu.
Sie betete zu Gott, er möge ihr nicht mehr an Aufgaben aufbürden, als sie tragen konnte. Es war jetzt schon zu viel.
Die meisten Menschen hier gingen ihr weiterhin aus dem Weg und mieden sie, als hätte sie eine ansteckende Krankheit. Keine ihrer Anweisungen wurden ausgeführt. Das Gesinde erschien weder zur angeordneten Zeit noch erledigte es seine Aufgaben. Der Kamin blieb kalt, die Binsen stanken wieder nach wenigen Tagen. Der vergammelte Misthaufen vor dem Haus war nicht abgetragen worden und verbreitete einen üblen Geruch. Sogar die Hunde machten, was sie wollten und verteilten überall ihre stinkigen Hinterlassenschaften. Jonata war fest davon überzeugt, dass Gunnar dahintersteckte. Mit Drohungen, so vermutete sie, hielt er die Mägde und Knechte davon ab, Jonatas Befehlen nachzukommen. Wollte er sie mürbe machen? Da hatte er sich in ihr getäuscht. So schnell würde sie nicht aufgeben.
Hilde war die Einzige, die Jonata unterstützte und ihre Hilfe anbot. Es tat gut, in ihr jemanden gefunden zu haben, mit dem sie reden konnte. Heute wollte sie sich die Küche vornehmen. Das war kein leichtes Unterfangen.
Jonata entsorgte die schimmelnden Überreste der letzten Mahlzeiten, ordnete die Vorratskammer und säuberte die Tische. Mit Hilde schrubbte sie den Boden, bis ihr Rücken schmerzte und ihre Hände rot vom Scheuern waren.
Die dicke Holzplatte, auf der gearbeitet wurde, war von Schmutz und schimmelnden Überresten befreit. In der gesäuberten Feuerstelle lagen Holzscheite. Essensreste waren aus den Ecken gekehrt und das Ungeziefer beseitigt worden.
»Ich habe einiges vernachlässigt«, murmelte Hilde reumütig und beschämt, nachdem sie den ganzen Unrat beseitigt hatten.
Der Anblick der Küche, seitdem sie gesäubert worden war, erfüllte Jonata mit Stolz und ließ den schmerzenden Rücken und die brennenden Hände vergessen.
»Es ist noch viel zu tun. Morgen werden wir den Vorrat aufstocken. Ich habe gesehen, dass es keine Gewürze und Kräuter mehr gibt.«
Hildes Gesicht trübte sich. »Wir haben nichts, womit wir das bezahlen können. Keiner will unsere abgemagerten Kühe kaufen. Der Garten gibt auch nicht genug her.« Verlegen kratzte sie sich am Kopf. »Es hat sich keiner mehr darum gekümmert.«
Den Garten, der eher ein Paradies für Unkraut war, hatte sich Jonata bereits angesehen. »Dann frage ich Gunnar und mit dem Gesinde werde ich auch ein Wörtchen reden.«
»Wenn Ihr meint, Herrin, nur zu. Für heute habe ich noch Gemüseeintopf.«
Davon ernährten sie sich seit Tagen. Da Jonata wusste, dass es sonst nichts gab, was sie hätten kochen können, machten sie sich an die Arbeit die halb vertrockneten Steckrüben und Karotten zu schneiden, um den Eintopf etwas zu strecken. Hilde holte den Kessel und schürte das Feuer.
Im verwilderten Garten hatte Jonata Zwiebeln und Knoblauch gefunden. Sogar etwas Rosmarin wuchs zwischen dem ganzen Unkraut. Jetzt lag er zerkleinert auf der Arbeitsplatte und würde der Speise eine würzige Note verleihen.
Nach kurzer Zeit roch es nach frischem Eintopf. Hilde stand am Kessel und rührte mit einem großen Holzlöffel darin, damit nichts anbrannte.
Jonata würde morgen einen weiteren Versuch wagen, das Gesinde auf ihre Seite zu ziehen. Ob ihr das gelingen würde, wusste sie nicht, aber auf keinen Fall würde sie aufgeben.
Als Jonata am nächsten Tag in die Küche trat, herrschte emsiges Treiben. Hilde scheuchte eine Magd, um den Kessel sauber machen.
Kaum widmete sich Jonata ihrer Arbeit, reichte die Köchin ihr eine einfache Cotte aus Leinen und dazu eine frische Schürze. »Mir ist aufgefallen, dass Ihr immer das gleiche Kleid tragt.«
»Ich habe sonst nichts«, erwiderte Jonata und schaute verlegen an sich herunter. Sie hatte vergeblich versucht, die schlimmsten Flecken auszuwaschen. Durch das Schrubben in der Küche hatte ihr Kleid noch mehr gelitten. Zwar waren die Wasserflecken wieder getrocknet, aber die schmutzigen Stellen hatte Jonata nicht aus dem Stoff entfernen können.
»Das Kleid lag in einer der Truhen oben in der Kammer und müsste Euch passen«, fuhr Hilde fort. »Ihr könnt nicht in diesem Fetzen herumlaufen. Kein Wunder, dass niemand auf Euch hört. Ihr seht nicht aus wie die Herrin von Mechtheim.«
Jonata nahm das Kleid und strich über den sauberen Stoff. »Aus der verschlossenen Kammer?«
»Das war die elterliche Kemenate. Da liegt genug herum. Ich dachte, ich schaue mal nach, ob ich etwas Passendes für Euch finde. Euren Zustand könnt Ihr bald nicht mehr verbergen. Da platzen ja nachher alle Nähte.«
Das Unterkleid fühlte sich kratzig an und roch etwas modrig, dennoch würde es genügen. Bisher hatte Jonata nicht gewagt zu fragen, warum der Raum im oberen Stockwerk verschlossen war. Sicher gab es dafür einen Grund. Jonata hatte sich trotz ihrer Neugier nicht getraut hineinzugehen.
»Es heißt, der Vater von Simon und Ulrich war genauso grausam«, sagte sie nachdenklich.
»Das war er«, bestätigte Hilde zu ihrer Überraschung. »Er hat seine Söhne nach seinem Vorbild erzogen.«
Ein Schauer rieselte über ihren Rücken. Schnell schob Jonata die düsteren Gedanken beiseite. Im Augenblick hatte sie andere Probleme.
Diesmal nahm sie es selbst in die Hand, die Frauen und Männer in die Küche zu rufen. Es wunderte sie, dass sich alle nach kurzer Zeit einfanden.
»Nachdem ihr glaubt, ihr steht über der Herrin von Mechtheim, werde ich heute etwas verkünden.« Sie machte eine kurze Pause, um für ihre nächsten Worte alle Aufmerksamkeit zu haben. »Jeder Knecht und jede Magd, die ihre Arbeit ab heute nicht nach meiner Zufriedenheit erledigt, hat hier nichts mehr verloren.« Grummeln wurde laut. Ihre feste Stimme übertönte die Aufregung: »Meine Anweisungen waren klar, aber die Arbeiten wurden nicht erledigt. Das wird ab jetzt Folgen haben.«
Eine der Mägde lachte hämisch. »Ihr habt das nicht zu bestimmen, das tun die Herren von Mechtheim. Der eine ist tot und der andere stirbt bald.«
Jonata stemmte die Hände in die Hüften. »Simon wird nicht sterben, sondern bald wieder auf den Beinen sein, und dann sorgt er für Ordnung.«
»Und solange tun wir, was wir immer tun«, erwiderte ein Knecht mürrisch.
»Mit eurer Treue scheint es nicht gut bestellt zu sein«, warf Jonata ihnen vor. »Ihr dient Mechtheim. Ich bin mir sicher, Simon würde nicht gutheißen, dass ihr so faul seid.«
Jonata spürte in ihrem Rücken eine Bewegung. Gunnar stand an der Tür und lauschte. Wahrscheinlich rieb er sich gerade vor Schadenfreude die Hände, weil niemand auf Jonata hörte. Na, dem würde sie es zeigen.
»Ich bin die neue Herrin, und wenn du glaubst, ich könnte dich nicht davonjagen, sage ich dir was. Ich werde meinen Willen durchsetzen«, versicherte sie dem widerwilligen Knecht.
»Gunnar hat das Sagen«, mischte sich nun ein älterer Mann ein. »Er ist der Einzige, der uns Anweisungen geben kann.«
»Er ist nicht für den Haushalt zuständig. Spricht er etwa mit Hilde den Speiseplan durch und besorgt alles auf dem Markt oder erntet das Gemüse im Garten?«, fragte sie herausfordernd in die Runde.
Kopfschütteln war die Antwort.
»Oder weiß er, wie man den Braten zubereitet, und überwacht er die Mägde, wie sie die Kammern durchzufegen haben?«
Wieder Kopfschütteln.
Jonata ließ die Hände aus ihren Hüften sinken. »Ich verspreche, es wird niemand bereuen, meine Anweisungen zu befolgen. Ich werde diesen Haushalt führen, und zwar auf meine Weise. Wem das nicht gefällt, kann seine Sachen packen und gehen.«
Das folgende Getuschel zeigte Jonata, dass zumindest einige unsicher wurden. Ihr entschlossenes Auftreten wirkte einschüchternd. Es wunderte sie, dass ihr das vor Aufregung gelang.
»Ich lasse mir von Euch nichts sagen. Ihr kommt einfach daher und glaubt, uns Befehle geben zu können. Geht dahin zurück, wo Ihr herkommt«, ärgerte sich einer der Knechte.
Jonata ärgerte sich über diese Frechheit und wies mit einer Hand auf die Tür.
»Was soll das?«, fragte eine Magd.
»Er kann gehen. Dort ist die Tür. Jeder, der faul ist, hat hier auf Mechtheim nichts mehr verloren.«
Wieder Murmeln und Empörung.
»Jemand soll Gunnar rufen«, verlangte der ältere Knecht.
»Ihr könnt Euch gerne bei ihm beschweren!« Den Satz hatte sie absichtlich lauter ausgesprochen. Von draußen war ein Grummeln zu hören. Sie zeigte noch immer auf die Tür. »Ich meine es ernst. Niemand sollte sich mit mir anlegen.«
Schweigen.
Der aufsässige Knecht schien noch eine Weile mit sich zu ringen. Jonatas einschüchternde Haltung verunsicherte ihn. Da er nichts mehr sagte, wagten es auch die anderen nicht weiter, gegen Jonata aufzubegehren.
Da schließlich keiner der Männer und Frauen ausprobieren wollte, ob Jonatas Äußerungen eine Täuschung waren oder sie tatsächlich die Macht besaß, sie hinauszuwerfen, ließen sie ihre Köpfe hängen.
Das war für Jonata das Zeichen, ihre Anweisungen zu wiederholen und Aufgaben zu verteilen. Das Gesinde ging zwar murrend und widerwillig auseinander, tat aber, was die Herrin ihnen aufgetragen hatte. Die Aufregung fraß sich durch Jonatas Glieder, als sie den Arm sinken ließ und den Mägden und Knechten nachblickte. Sie konnte es nicht fassen, aber diesmal schien sie gewonnen zu haben.
»Das war gut«, hörte sie Hilde im Hintergrund sagen. »Wie in alten Zeiten.«
Gunnar erreichte mit gemischten Gefühlen die Treppe.
Jonatas Rede vor einigen Tagen in der Küche hatte Eindruck hinterlassen. Das ärgerte ihn immer noch maßlos. Ihr herrisches Auftreten hatte die Leute verunsichert. Seitdem benahm sich das Gesinde demütig und gehorsam. Die letzten Tage wurde geschuftet. Niemand wagte es wie früher, am Mittag herumzulungern.
Es war ein Sturm von fegenden und putzenden Mägden durch das Haus gezogen. Fenster waren geöffnet, der Boden gekehrt und frische Binsen ausgelegt worden.
Gunnar hatte nirgendwo Ruhe gefunden. Er mischte sich auch nicht ein, sondern hatte sich gewundert und gleichzeitig geärgert, wie vehement Jonata vorging. Sollte sie tun, was sie für richtig hielt, solange es keinem schadete. Im Augenblick sah er keine Gefahr darin, sie walten zu lassen.
Er besuchte Simon, wann immer er konnte, um sich von seiner Genesung zu überzeugen. Gunnar war froh, wenn er die Verantwortung endlich wieder abgeben konnte. Die Sorgen und Ängste der Mechtheimer wuchsen ihm über den Kopf. Er hatte keine Ahnung, wie er die Leute beruhigen sollte. Die Kasse von Mechtheim war leer, die Vorräte neigten sich längst dem Ende. Es war ein Wunder, dass sie immer noch etwas zu essen auf den Tisch bekamen. Der Eintopf der letzten Tage, der mehr einer Suppe ähnelte, schmeckte zwar, machte aber nicht satt. Allein das Brot war immer frisch. Auch der Vorrat an Getreide war bald zu Ende.
Gestern hatte er mit der Köchin und Jonata heftig gestritten. Sie hatten von ihm verlangt, Einkäufe auf dem nächsten Markt zu machen. Doch mit Nichts konnte nichts bezahlt werden. Das hatte er versucht Jonata klar zu machen. Die Bauern hielten sich nicht an ihre Abgaben. Auf dem Viehmarkt wollte keiner die Tiere aus Mechtheim. Niemand brachte ihnen Getreide oder Gemüse, und um den eigenen Nutzgarten hatte sich Gunnar nie gekümmert. Die Gefolgsmänner waren gereizt und die Schutzbefohlenen von Mechtheim beunruhigt.
Eigentlich dachte er, Jonata würde aufgeben und sich in Ulrichs Kammer verkriechen. Stattdessen hatte sie verkündet, auf anderem Wege an Nahrung zu kommen. Irgendetwas würde ihr schon einfallen. Daran zweifelte er nicht, genauso wenig daran, dass sie die Willensstärke besaß, diesen Ort tatsächlich zu verändern.
Damit beschäftigte sich Gunnar nicht weiter. Es gab andere Probleme, schwerwiegendere, um die sich einer kümmern musste. Er würde nicht allein Herr darüber werden. Das bereitete ihm schlaflose Nächte. Mit so wenig Männern, der schlechten Stimmung und den geringen Waffen würden sie dem Sturm nicht trotzen, der sich dort draußen, außerhalb des Tals, zusammenbraute. Gunnar hatte sich umgehört und erfahren, dass die Feinde der Mechtheimer ihren erbärmlichen Zustand kannten und dies ausnutzen würden. Es war nicht Gunnars Aufgabe, für das Anwerben von Männern und die Verstärkung der Mauer zu sorgen.
Ärgerlich stapfte er die Stufen hinauf. Simon musste endlich gesund werden und die Leute anführen, ehe alles auseinanderfiel.
Gunnar öffnete die Tür und trat in die Kammer.
Sein Herr sah besser aus als die letzten Tage. Simons Gesicht hatte Farbe bekommen. Gunnar würde es nie laut zugeben, doch Jonata hatte heilende Hände, anders konnte er es sich nicht erklären, wie dieser Mann wieder knapp dem Tod entkam.
Noch vor Kurzem hatte Gunnar überlegt, was er tun würde, sollte Simon sterben. Immerhin hatte die Heilerin seinen Tod vorhergesagt. Der einzige noch lebende Verwandte von Mechtheim war Simons Onkel. Zumindest würde Carl die Feinde mit nur einem Streich vertreiben. Seine Kampfeslust und Überlegenheit seinen Feinden gegenüber hatten ihm einen unheilvollen Ruf eingebracht. Zurzeit kämpfte er an der Seite des Papstes und war nicht in der Nähe.
»Was gibt es, Gunnar?«
Über den Tod seines Anführers nachzudenken, war genauso zermürbend, wie über die schlechte Lage von Mechtheim.
»Die Überfälle an der Grenze nehmen zu«, begann er ohne Umschweife.
»Und?«
»Und?«, wiederholte Gunnar ungläubig. »Ich weiß nicht, wie ich die Verteidigung aufrechterhalten soll. Wir sind angreifbarer geworden, seitdem bekannt wurde, dass Ulrich tot ist.«
»Hast du nichts Gutes zu berichten?«
Seine schlechte Laune verwandelte sich in Zorn. Mechtheim stand kurz vor seinem Untergang und sein Herr lag da und kümmerte sich nicht darum. Am liebsten hätte Gunnar ihn aus dem Bett gezerrt, um ihm alles zu zeigen. Ihm blieb aber nichts anderes übrig, als mit Worten zu umschreiben, wie es um sie stand. »Die Kasse ist leer. Die Köchin weiß nicht, was sie Essbares in den Topf werfen soll und die Bauern weigern sich, ihre Abgaben zu liefern. Ist dir das alles egal?«
»Ich bin nutzlos geworden«, stieß Simon teilnahmslos hervor. »Was willst du von mir hören?«
»Die Antwort auf meine Frage. Was sollen wir machen, um die Kasse zu füllen?« Gunnar hatte nicht den Eindruck, als würde es Simon kümmern.
»Überfallt einen Händlertross«, schlug der Ritter vor und hob eine Hand an seine Stirn.
Gunnar starrte den Mann überrascht an. War das sein Ernst? Ausgerechnet Simon, der jedes Mal mit seinem Bruder in Streit geraten war, wenn es um Überfälle ging, schlug ihm so etwas vor?
»Ist das dein einziger Rat? Selbst wenn ich es wollte, fehlen mir wehrhafte Männer.« Er schnaubte spöttisch und regte sich immer mehr auf. »Männer, die auf ihren Lohn verzichten. Weißt du, mit deinem Bruder …«
Mit Ulrich wäre so etwas nicht passiert.
Die Worte lagen unausgesprochen in der Luft.
Simon ließ die Hand von seiner Stirn sinken und starrte ihn so eisig an, dass er nicht wagte, seinen Satz zu beenden. Dabei ärgerte er sich, damit angefangen zu haben. Er wollte Ulrich nicht erwähnen. Seitdem Simon wieder bei Bewusstsein und ansprechbar war, hatten sie weder über Sunneck noch Ulrichs Tod gesprochen. Ihm war, als hätte Simon vergessen, was geschehen war. Wie nahe ihm der Tod seines Bruders ging, wusste Gunnar nicht. Zwischen den Brüdern hatte es oft Streitereien gegeben und doch standen sie in der Not zusammen.
Gunnar hatte Ulrichs Tod gleichmütig hingenommen. Auf Sunneck war ihm keine Zeit geblieben, zu überlegen, was das für ihn oder Mechtheim bedeutete. Unter Ulrich zu dienen war nicht leicht gewesen. Gunnar würde es niemals zugeben, aber dass der grausamere Bruder zu Tode gekommen war, hatte ihn nicht sonderlich betrübt.
Er war hier aufgewachsen und mit diesem Tal so sehr verbunden wie die beiden Ritter. Ihm war es egal, für wen er kämpfte. Wichtig war ihm nur, dass es den Menschen gutging.
Solange Ulrich lebte, scheuten sich die Feinde davor, Mechtheim anzugreifen. Würde es Simon gelingen, diesem Tal den Frieden zu bringen und seine Gegner in die Knie zu zwingen?
Gunnar beugte sich vor. »Du musst so schnell wie möglich auf die Beine kommen. Ich weiß nicht, wie lange sich unsere Feinde zurückhalten.«
»Gerald von Stein?«
»Den meine ich nicht. Auch nicht diesen Herold des Erzbischofs. Die beiden haben sich nicht blicken lassen, so wie es vereinbart war.«
»Dank Jonata.«
Ihr Name allein trieb ihm Zornesfalten auf die Stirn. Diese Frau war etwas, über das er unbedingt mit seinem Herrn sprechen musste. »Sie ist eine kleine Hexe! Simon, nimm dich vor ihr in Acht. Irgendetwas führt sie im Schilde.« Seine Warnung traf auf taube Ohren. Daran hatte er sich gewöhnt. Schon auf Sunneck hatte er Simon davor bewahren wollen, sich in Ulrichs Angelegenheiten zu mischen. Es war wegen dieser Frau immer wieder zu Streitereien zwischen den Brüdern gekommen. Gunnar war davon überzeugt, dass es Jonatas Absicht war, die beiden Männer gegeneinander aufzubringen.
»Was sollte das sein?«, hörte er Simon. »Ihre Rache hatte sie mit dem Tod meines Bruders bekommen.«
»Und sein Kind? Hast du schon daran gedacht, was sie mit dem Kind vorhat?«
Simon massierte wieder mit einer Hand seine Stirn. »Lass gut sein, Gunnar. Kümmere dich um unsere Feinde, nicht um Jonata. Sie ist nicht diejenige, die wir fürchten müssen.«
Daraufhin hätte Gunnar gerne etwas erwidert, stattdessen sagte er: »Dann werde schnell gesund und zeige der Welt, dass die Mechtheimer noch immer zu fürchten sind.«
»Glaubst du, ich liege hier zum Spaß?«, brauste Simon auf.
Gunnar drehte sich um und durchquerte den Raum. »Eines muss ich Jonata lassen. Ihr ist es wieder einmal gelungen, dich dem Tod zu entreißen. Die Heilerin hatte dich längst aufgegeben.« Er verließ die Kammer und ging mit schnellen Schritte Richtung Halle.
Die Männer fanden sich dort ein. Es war Essenszeit und jeder fragte sich, was heute auf den Tisch kam. Wahrscheinlich würden wieder alle enttäuscht sein, wenn die Suppe so dünn war und fad schmeckte wie die letzten Tage. Auch das sorgte für Unzufriedenheit unter den Männern.
Gedankenverloren betrat Gunnar die Halle und blieb wie angewurzelt stehen. Irgendetwas war anders als sonst. Oder fiel es ihm erst heute auf? In den letzten Tagen hatte er keine Zeit gehabt, hier zu speisen.
Der Boden war mit frischen Binsen ausgelegt. Es war gelüftet worden, denn der Dunst, der sonst wie ein Schleier unter der Decke hing, war verschwunden. Die Wärme des Sommertages drang durch die Fenster. Neben dem gesäuberten Kamin lagen geordnet Holzscheite. Die Kerzen waren ausgewechselt. Die gedeckten Tische standen zur Mittagszeit mitten im Raum. An den Wänden hingen, von Spinnweben befreit, die alten Schwerter und Schilder von früheren Generationen. Die Teppiche, die bisher von Staub nur zu strotzten, strahlten frisch in ihren Farben und ließen den Raum freundlicher wirken.
Die Männer, die ihm folgten oder sich in kleinen Gruppen bei der Tafel versammelt hatten, setzten sich. Gunnar ließ sich neben Oskar nieder. Zinnschüsseln standen bereit, statt wie sonst das Fladenbrot als Unterlage zu nutzen.
Wenn Jonata glaubt, sie könne so tun, als seien sie hier bei Hofe, hat sie sich getäuscht, dachte Gunnar gereizt.
Sonst hatten sie sich immer auf ein paar Bänke gesetzt und gierig das Essen verschlungen, ehe sie wieder an ihre Arbeit gegangen waren. Sie saßen an einer Tafel, auf der eine große Schüssel stand. Der würzige Duft des Essens stieg in Gunnars Nase. Schmerzhaft zog sich sein Magen zusammen. Er hatte einen solchen Hunger, dass er sich am liebsten auf das Essen gestürzt hätte. Das letzte Mal, als er so etwas Köstliches gerochen hatte, war er nicht in Mechtheim gewesen. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen.
Zwei Mägde brachten frisches Brot und eine Platte mit gepökeltem Fleisch. Eine der Frauen schenkte Wein aus.
»Was ist passiert? Sind wir tot?«, witzelte einer der Männer neben Gunnar. Sein Nachbar kratzte sich am Kopf und wunderte sich über den sauberen Becher, der vor ihm stand. Eine Magd blieb bei ihm stehen und schenkte ihm ein.
»Das muss der Himmel sein«, lachte Oskar und nahm den vollen Becher hoch.
»Du glaubst, wir kommen in den Himmel?«, erwiderte Gunnar spöttisch und musste seine eigene Verwunderung verbergen.
»Teufel noch«, stieß einer der Männer hervor, hielt den Becher, aus dem er eben getrunken hatte, vor sich und gaffte ihn fassungslos an.
Gunnar sprang sofort auf, die Hand an seinem Dolch. »Geht es dir gut? Ist der Wein vergiftet?«
Sein Kamerad sah ihn an und lachte. »So einen guten Tropfen habe ich schon lange nicht mehr getrunken.«
Die Männer prosteten sich zu und schütteten den wohlschmeckenden Wein in sich hinein.
Gunnar beruhigte sich und setzte sich wieder. Seine Skepsis blieb.
Oskar dagegen war guter Laune. In den letzten Tagen hatte er eine besorgte Miene zur Schau getragen. Der Wein schien seinen Trübsinn weggespült zu haben.
Gunnar nahm einen kleinen Schluck. »So gut habe ich ihn nur an einem Ort getrunken.« Er ließ das irdene Gefäß sinken und sah zur Tür.
Jonata trat ein. Mit sicheren Schritten und prüfenden Blicken durchquerte sie den Saal. Es schien sie zufrieden zu stimmen, was sie sah, denn ihr Gesichtsausdruck entspannte sich. Ihre aufrechte Haltung ärgerte Gunnar. Sie führte sich auf, als sei dies ihr Zuhause.
Ihr Zustand war nicht mehr zu verbergen. Unter dem Gewand war eine leichte Wölbung zu sehen. Trotz des abgetragenen Oberkleides bewahrte sie ihre Eleganz und strahlte eine Ruhe aus, die Gunnar fast bewunderte, genauso wie die Kunst, die Mahlzeiten schmackhaft zuzubereiten. Dabei wollte er nichts an dieser Frau wertschätzen. Sein Misstrauen war sein einziger Schutz gegen ihren Liebreiz.
Noch immer fragte er sich, warum sie Simon begleitet hatte. Allein das Versprechen für den Frieden konnte es nicht sein. Natürlich hatte er bemerkt, wie sehr Simon diese Frau begehrte. Schon zu Ulrichs Lebzeiten. Doch an Liebe zwischen Jonata und Simon glaubte er nicht. Dafür war zu viel geschehen. Zwei Menschen, die so unterschiedlich waren, konnten nicht zusammenfinden.
Es musste etwas anderes sein.
Etwas, das den Tod aller hier bedeutete. Sie plante das Ende von Mechtheim. Nur so konnte es sein. Diese Frau war wie die Schlange im Paradies. Sie würde dafür sorgen, dass Gunnar und den anderen eines nachts die Hälse aufgeschlitzt wurden.
Misstrauisch beobachtete er die Frau, wie sie am Tisch stehenblieb und den Männern ein Lächeln schenkte.
Er stellte seinen Becher zu fest auf den Tisch, sodass Oskar ihn irritiert musterte. »Was ist mir dir? Du schaust so grimmig, als wolltest du in eine Schlacht ziehen.«
Seine Lippen aufeinander gepresst erwiderte er Jonatas triumphierenden Blick. Sie war gut, musste Gunnar zugeben. Erst hatte sie das Gesinde auf ihre Seite gebracht. Nun erwarb sie sich die Gunst der Männer. Ein Lächeln von ihr genügte für diese einfältigen Narren.
»Es ist nichts«, murmelte er schließlich. »Iss, damit wir wieder an die Arbeit gehen können.«
Eine Frau brachte eine Wasserkanne und eine Schüssel herein und stellte beides neben Gunnar. Wortlos reichte sie ihm ein Tuch.
»Was soll das?«, fuhr er sie an.
»Auf Wunsch der Herrin von Mechtheim«, sagte das Mädchen schüchtern. »Ihr sollt Euch die Hände waschen.«
Gunnar knirschte mit den Zähnen, während Oskar lachte. »Wie in alten Zeiten.« Er goss das Wasser in die Schüssel und wusch sich die dreckigen Hände. Dann trocknete er sie ab und reichte Gunnar das Tuch. »Du willst nicht wie ein Ferkel essen, wenn eine Dame am Tisch sitzt, oder?«
Grummelnd tauchte Gunnar seine Hände in das trübe Wasser und rieb den Dreck von seiner Haut. »Ich schwöre, sie richtet uns ab, wie Hunde.«
»Du übertreibst. Ulrich hat vieles schleifen lassen.«
»Ulrich hätte sich das niemals von einer Frau gefallen lassen.«
Wenn es das Letzte wäre, was Gunnar tun würde. Er würde Jonatas Absichten aufdecken und sie zur Strecke bringen.
Jonata nahm den obersten Platz der Tafel ein und warf einen Blick in die Runde. Es hatte sie große Überwindung gekostet, hierherzukommen. Hilde hatte ihr gesagt, dass es nicht angemessen sei, die Mahlzeiten in der Küche einzunehmen. Sie gehörte auf den Platz, der ihr zustand.
Nach der ganzen Mühe und Schufterei in den letzten Tagen hatte Jonata beschlossen, heute an der Tafel zu sitzen und dem zu trotzen, was ihr jeden Tag entgegenschlug. Ihr Blick fiel auf Gunnar.
Die Gespräche waren verstummt. Schweigend starrten die Männer sie an. Es war das erste Mal nach langer Zeit, dass eine Mahlzeit an dieser Tafel, so gesittet eingenommen wurde. Jonata hatte sich lange genug dieses Treiben angesehen, wie die Männer mit den Hunden hereinstürmten, über die Schüsseln herfielen und ein Schlachtfeld von Essensresten auf dem Tisch und dem Boden hinterließen.
»Ich hoffe, Wein und Essen munden euch«, sagte sie freundlich in die Runde. »Ich führe jetzt den Haushalt. Daher werden ab heute die Mahlzeiten in diesem Raum eingenommen. Die Hunde bleiben draußen.« Sie wedelte mit der Hand und deutete an, dass sich jemand darum kümmerte, die fünf Hunde aus dem Saal zu scheuchen.
Tatsächlich stand einer der Männer, den sie als Oskar kennengelernt hatte, auf und lockte die Hunde hinaus, sodass kein Streuner unter dem Tisch darauf lauerte, Essensreste aufzufangen. Schließlich setzte er sich an den Tisch zurück. Gunnar warf ihr einen unheildrohenden Blick zu, als versuchte er, sie mit unsichtbaren Messern zu erdolchen.
Ihr Lächeln war auf ihrem Gesicht wie eingemeißelt. »Ich danke Euch, Oskar.«
In den letzten Tagen hatte sich Jonata die Namen der Männer und Frauen eingeprägt, sodass sie jeden direkt ansprechen konnte.
Die Plätze zu beiden Seiten waren leer. Sie saß allein am Kopfende und fühlte sich auch so. Sie hatte niemanden und kämpfte um Anerkennung und Respekt und wusste nicht, ob sie als Siegerin hervorgehen würde. Dennoch wollte sie keine Schwäche zeigen.
Zumindest muss ich nicht mit einem dieser Dreckspatzen den Löffel teilen, dachte sie und griff nach ihrem gefüllten Becher, um den Männern zuzuprosten. In einem Zug trank sie den Wein. Er schmeckte fast so gut wie auf Sunneck. Es fehlte das ein oder andere Gewürz und die Süße ließ zu wünschen übrig, weil sie nicht genug Honig im Wald gefunden hatten.
Herausfordernd sah sie zu Gunnar, der grollend auf seinem Platz saß. Ihr Lächeln traf ihn. Ehe er etwas sagen konnte, erhob sich sein Nachbar.
»Wir haben es bisher versäumt, Herrin. Willkommen in Mechtheim.«
Einer nach dem anderen stand auf und nahm seinen Becher, um ihr zuzuprosten.
Jonata schluckte den Kloß in ihrem Hals hinunter und entspannte sich etwas.
»Ein Wohl auf Jonata«, sagte Oskar und hob seinen gefüllten Becher. »Die neue Herrin von Mechtheim.«
Schließlich standen alle Gefolgsmänner Simons. Gunnar blieb trotzig sitzen.
Gunnar hätte am liebsten laut geschrien, dass sie alle Trottel waren und auf Jonatas Verlockungen hereinfielen. Ihre Schönheit und ihre scheinheilige Freundlichkeit ärgerten ihn maßlos, noch mehr, da sie bei allen Eindruck machte.
Oskar setzte sich wieder und stieß Gunnar in die Seite. »Ich weiß nicht, was du gegen sie hast«, raunte er ihm zu. »Der Himmel hat sie uns geschickt.«
Die Männer begannen schwatzend und lachend zu essen, während die Mägde für Nachschub sorgten. Der Bohneneintopf war mit frischer Petersilie und Bohnenkraut gewürzt, dazu gab es gepökeltes Fleisch. Schnell füllten sich die Mägen.
»Es ist alles ordentlich. Sogar der Eintopf schmeckt besser als sonst und wir sitzen nicht im verrauchten und stinkenden Mief. Ich sag dir, so schlecht ist sie nicht. Sie ist ein Engel für Mechtheim.«
Gunnar stocherte mit dem Messer auf seinem Stück Brot herum. »Ich weiß noch nicht, was sie ist, aber ein Engel bestimmt nicht«, zischte er leise und erinnerte sich, dass Simon erzählte, wie sie seine Verbände geöffnet und darauf gewartet hatte, dass er elend verblutete. Ein kaltblütiges Frauenzimmer, zu allem fähig. Der Priester in Mechtheim hatte immer vor dem weiblichen Trug gewarnt und würde es noch immer tun, hätte Ulrich ihn nicht aus dem Tal gejagt.
Gunnar hatte diese Frau während der beiden Kämpfe auf Sunneck gesehen. Mit Pfeil und Bogen bewaffnet stand sie zwischen ihnen und zielte auf seine Kameraden. Einer ihrer Pfeile hatte sich in Simons Brust gebohrt. Jetzt saß sie da, am Ende der Tafel, dort wo Ulrich und Simon gesessen hatten und sah tatsächlich wie ein unschuldiger Engel aus, mit ihren goldenen Locken und diesem freundlichen Lächeln.
Gunnar schnaubte höhnisch. »Ihr seid blinde Dummköpfe, die sich von ihrem Getue beeindrucken lassen. Habt ihr schon vergessen, wer sie ist?«
»Ihr Getue schmeckt gut«, widersprach Oskar und deutete begeistert auf den Eintopf. »Ich frage mich, wie es ihr gelungen ist, dass das Essen so würzig ist und satt macht. Ein Gefühl, das wir schon lange nicht mehr hatten.«
Die anderen nickten ihm einstimmig zu.
»Hör auf zu meckern«, verlangte einer der Männer, der nicht auf Sunneck gekämpft hatte. »Wie hat Ulrich das angestellt, dass sie ihn heiratet? Ich kenne keine Frau, die ihn freiwillig haben wollte.«
Gunnar trank einen Schluck und stellte den Becher hart auf den Tisch zurück. Seine Finger umfassten ihn so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten. »Jonata hat ihn nicht freiwillig gewollt«, sagte er leise. »Das macht mir ja gerade Sorgen. Sie hat Ulrich abgrundtief gehasst. Sie hasst alle Mechtheimer.«
Er erinnerte sich daran, wie sie auf Sunneck vor dem Geistlichen gestanden und sich geweigert hatte, zu der Vermählung ihr Einverständnis zu geben. Sie wäre lieber gestorben, als Ulrich zu ehelichen. Allein seine Drohung, ihre Schwester zu töten, hatte sie einknicken lassen. Später erst erfuhr sie, dass Ulrich ihre Schwester einsperrte, statt sie wie versprochen freizulassen. Ein Grund mehr, für ihren Hass. Solch ein Eigenwillen hatte Gunnar bei keiner Frau erlebt. Vielleicht hatte Ulrich das beeindruckt, falls er dazu fähig war. Gunnars ehemaliger Dienstherr war nicht für seine Einfühlsamkeit und Rücksichtnahme bekannt gewesen. Gunnar bezweifelte, dass Ulrich überhaupt so etwas wie Zuneigung oder Achtung kannte.
»Sie sieht nicht aus, als plant sie etwas Böses gegen uns«, überlegte Oskar laut und prostete der Frau fröhlich zu. »Ich meine, wenn sie uns so hasst, hätte sie Gift in den Wein gerührt, statt frische Kräuter.«
Gunnar ließ die Frau nicht aus den Augen. Sie begann zu essen und lauschte interessiert den Gesprächen der Männer.
Simon müsste dort sitzen. Er müsste dafür sorgen, dass Mechtheim wieder stark und gefürchtet wurde. Jonata mochte sich darum kümmern, dass alles ordentlich aussah, aber sie hatte keine Ahnung, was für Gefahren dort draußen lauerten, besonders seitdem bekannt wurde, dass Mechtheim ohne Ulrichs Erbarmungslosigkeit ungeschützt war. Gunnar machte sich nichts vor. Auch wenn Simon wieder auf die Beine kam, war er nur halb so kaltblütig und grausam wie sein Bruder.
»Ich sage nur, ihr solltet sie nicht so freundlich willkommen heißen. Eines Tages wird sie uns alle verraten und Rache nehmen.«
»Ulrich ist tot«, sagte Oskar. »Warum sollte sie uns grollen?«
»Kennst du eine Frau, die je Unrecht an ihr vergisst? Wir haben ihr Heim zerstört, ihren Vater getötet. Wir haben ihr ganzes Leben ausgelöscht, an einem einzigen Tag.« Gunnar unterdrückte den Wunsch, aufzuspringen und sie hinauszuwerfen. »Und sie sitzt da, als sei alles in Ordnung, dabei ist gar nichts in Ordnung.«
»Zumindest aus Nassau droht uns keine Gefahr, solange sie hier ist, nicht wahr?«, hörte er Oskar sagen.
Jonata ist ahnungslos und einfältig, dachte Gunnar, ohne auf die Bemerkung seines Kameraden einzugehen. Diese heile Welt, in der sie lebten, war nur ein wackeliges Gerüst, das jederzeit einstürzen konnte. Die Feinde der Mechtheimer scharrten mit den Füßen und rüsteten sich zum Kampf. Sie würden kommen. Es dauerte nicht mehr lange.
Er hatte es Simon klarmachen wollen. Noch wusste er nicht, aus welcher Richtung Gefahr drohte, dafür aber, dass der Tag der Abrechnung kommen würde.