Читать книгу Das Erbe von Sunneck. Band 2 - Martina Frey - Страница 8
Mechtheim, Oktober 1242
ОглавлениеDer Wald färbte sich immer mehr in eine bunte Tracht. Die ersten welken Blätter lösten sich von den Ästen und tanzten im Wind. Blumen senkten ihre Köpfe und beugten sich der hereinbrechenden Kälte. Die Tage wurden kürzer und die Sonnenstrahlen schwächer.
Wieder lag ein anstrengender Tag vor Simon. Die Ernte war in den letzten Tagen eingefahren worden. Zu dieser Zeit waren er und Ulrich früher zur Jagd aufgebrochen. Es war Tradition gewesen, nach getaner Arbeit ein Fest zu veranstalten, zu dem jeder Bewohner des Tals eingeladen wurde. Das war schon lange vorbei.
Simon befestigte die Beinlinge mit dem Band am Gürtel über einer Bruche aus Leinen. Auf seiner Brust waren noch rosige Narben zu erkennen, die ihn bis zum Ende seines Lebens daran erinnern würden, wie nahe er dem Tode gekommen war. Das naturfarbene Leibhemd spannte um seinen Oberkörper, darüber zog er eine einfache Tunika aus Brokat.
In den letzten Jahren hatte er es kaum vermisst, dass die Traditionen seit dem Tod seiner Mutter nicht aufrecht gehalten wurden. Früher hatten sie im Herbst das Erntedankfest gefeiert. Seltsam, dass er ausgerechnet heute daran dachte. Würde es nicht so schlecht um Mechtheim stehen, wäre ein rauschendes Fest genau das Richtige. Die Moral der Männer, die mehr aus Treue hiergeblieben waren, sank mit jedem Tag.
Schnelle Schritte erklangen.
Simon griff nach seinem Waffenrock und das Lederwams. Beides würde er heute hoffentlich nicht brauchen. Für einen Kampf besaß er nicht genug Ausdauer und Kraft. Jeden Tag übte er und versuchte, seine alte Stärke zurückzuerlangen. Zu seinem Leidwesen dauerte es länger als ihm lieb war.
Sein Schwert lag auf dem Bett. Seit Wochen erwartete er einen Angriff. Jeden Tag suchte Simon das Tal nach ungebetenen Reitern ab und konnte die Nächte nicht schlafen. Die Unruhe ließ ihn nicht mehr los.
Gunnar hatte sich umgehört und herausgefunden, dass sich dort draußen tatsächlich etwas zusammenbraute. Ob aus Nassau Gefahr drohte oder Burckhart von Isingen dahintersteckte, war noch unklar.
Die Tür wurde aufgeworfen. »Simon, rasch, Ihr müsst kommen!« Oskar stürmte herein, völlig außer Atem.
»Greift Burckhart von Isingen an?«
»Nein, schlimmer«, keuchte Oskar angestrengt. »Ein Bote aus Nassau ist angekommen.«
Damit hatte Simon gerechnet. Es war nur eine Frage der Zeit gewesen. Er griff nach seinem Schwert, gürtete es sich um und eilte Oskar nach.
Jonata trat aus der Küche, als er die Stufen hinuntersprang. Sie trug eine verblichene, mit Wasserflecken besprenkelte Cotte. Immer mehr war ihr die Schwangerschaft anzusehen. Das Kleid hatte sie erweitern müssen. Der Stoff schmiegte sich um ihren Leib. Ihr Gesicht hatte eine rosige Frische. Ihre Wangen waren von der Arbeit gerötet. Aus ihren geflochtenen Haaren hatten sich einige Strähnen gelöst, die sie mit einer fahrigen Handbewegung aus ihrem Gesicht strich. Seine Eile schien sie zu beunruhigen. »Werden wir angegriffen?«
»Nein. Wir haben Besuch«, sagte Simon knapp und ging weiter.
Vor dem Haus stieg der Mann von seinem Pferd und sah sich misstrauisch um.
Gunnar trat Simon in den Weg. »Es ist soweit.« Er sah an ihm vorbei auf Jonata, die ihm mit bleichem Gesicht gefolgt war.
Ohne auf Gunnars düstere Voraussage zu achten, drehte sich Simon zu Jonata um. »Geh ins Haus, das ist sicherer.«
Unbeirrt blieb sie neben ihm stehen. »Ich möchte dem Hausherrn ungern widersprechen, aber ich glaube, es ist sicherer, wenn ich bleibe.« Ihr sorgenvoller Blick hob sich zu ihm. »Der Bote soll mich sehen und wissen, dass ich hier bin.«
Simon hatte keine Lust auf einen Streit mit ihr und ging auf seinen unerwarteten Gast zu, während sie im Hintergrund blieb.
Der Reiter stand misstrauisch und lauernd mit den Zügeln in den Händen da. Erst als Simon vor ihm stehenblieb, sagte er: »Ich bringe Nachricht aus Nassau. Gerald von Stein will Euch sehen.«
Simon atmete tief durch. Er wusste, dass dieser Tag kommen würde und er eines Tages für seine Taten büßen müsste. Selbst Jonata konnte ihn davor nicht bewahren. Doch er hatte gehofft, es sei nicht so bald.
Er nickte dem Boten zu. »Richtet Gerald von Stein aus, dass ich zu dem Treffen komme. Wann und wo?«
Der Mann musterte ihn skeptisch. »Beim nächsten Vollmond. Kennt Ihr die alte Kapelle am Hahnenkopf?«
Simon nickte.
Der Blick des Boten fiel an ihm vorbei auf Jonata. »Ich soll mich nach ihrem Befinden erkundigen. Es war der Wunsch von Lorentz von Marbach.«
Gunnar räusperte sich mehrmals.
Simon winkte Jonata zu sich und achtete nicht auf seinen Waffenkameraden. Er wunderte sich auch nicht, dass der Ritter in Nassau verweilte. Wohin hätte er auch gehen sollen, nachdem er seine Treue zum Erzbischof gebrochen hatte? Er verkroch sich feige unter die Fittiche des Grafen.
Jonata zögerte nicht und trat neben ihn. In ihren Augen glitzerte es herausfordernd.
Sie lächelte den Boten an. »Seid gegrüßt.«
»Seid Ihr wohlauf, verehrte Jonata? Lorentz von Marbach will das wissen.«
»Richte ihm Grüße aus«, hörte er Jonata sagen. Ihr war nicht anzuhören, ob sie überrascht war, von ihrem einstigen Verlobten zu hören. Ging es ihr nahe? Was dachte sie? Simon würde sie das später fragen. »Mir geht es gut. Lorentz von Marbach soll Gerald an unser Abkommen erinnern.«
Hatte sie etwas von dem Gespräch gehört? Simon hoffte nicht. Je weniger sie wusste, desto besser.
Der Bote neigte den Kopf. »Ich werde es ihm ausrichten.« Nach diesen Worten stieg er auf sein Pferd und ritt davon.
»Warum war er hier?«, erkundigte sich Jonata zu Simon gewandt. »Das war kein reiner Höflichkeitsbesuch.«
Erleichtert, dass sie nichts gehört hatte, winkte er ab. »Nichts, was dich sorgen muss.« Es gab schon genug Probleme, um die sie sich kümmern musste, da sollte sie sich nicht noch um ein Treffen sorgen, das unausweichlich war. Das waren seine Sorgen.
Tatsächlich gab sich Jonata mit seiner Antwort zufrieden. Er kannte sie aber besser und ahnte, dass ihre Neugier nicht gestillt war. Irgendwann würde sie wieder fragen und wenn sie von ihm keine zufriedenstellende Antwort erhielt, holte sie sich diese eben woanders. Hatte es sie berührt, zu erfahren, wo sich Lorentz aufhielt, oder dass er sich sorgte? Bisher hatten sie nicht über das, was auf Sunneck geschehen war, gesprochen. Sie schien ihr altes Leben hinter sich gelassen zu haben, wie auch ihren Verlobten. Bereute sie ihre Entscheidung? Simon wollte sie endlich danach fragen. Ehe er dazu kam, machte Jonata kehrt und ging auf eine Magd zu.
Gunnar raunte: »Du kannst dich nicht mit Gerald treffen. Das ist eine Falle. Er wird dich gefangen nehmen oder töten.«
»Ich habe keine Wahl, Gunnar. Mechtheim wird fallen, wenn wir uns auf einen Kampf einlassen. Wir haben keine Verbündeten, also muss ich mich um Frieden bemühen.«
»Ob Burckhart uns tötet oder Gerald von Stein …« Gunnar zuckte mit den Achseln. »Ist das nicht einerlei?«
»Mit dem jungen Burckhart werden wir nicht verhandeln können. Gerald ist reifer und vernünftiger.«
»Was könntest du ihm anbieten?«
»Ich habe keine Ahnung, aber ich finde es heraus«, murmelte Simon.
Gunnar knirschte mit den Zähnen und zeigte hasserfüllt auf Jonata, die am Haus stand und mit der Magd sprach. »Dann schick die Frau fort. Vielleicht ist sie es, was Gerald will. Gib sie ihm, dann haben wir vor ihm und Lorentz Ruhe.«
Simon schüttelte den Kopf. »Das hier hat nichts mit Jonata zu tun, Gunnar. Das weißt du genau. Hier geht es um meine und Ulrichs Taten.«
»Vielleicht ist es doch ein Fehler, nicht mehr auf Raubzüge zu gehen.«
Simon runzelte die Stirn. Gunnar hatte sich durch Mut und Unerschrockenheit ausgezeichnet, was Ulrich beeindruckt hatte. Dennoch besaß er nicht das, was Ulrich von seinen Männern verlangt hatte. Immer wieder war Gunnar damals aufgefallen, weil er sich weigerte, Befehle zu befolgen. Das hatte immer für viel Tumult zwischen Ulrich und Gunnar geführt. Dennoch kämpften sie Seite an Seite.
»Als Ulrich noch lebte, bist du zu mir gekommen und hast mir gesagt, dass du keine Überfälle mehr machen willst und jetzt willst du wieder auf Raubzug gehen?«
Gunnar nickte. »Ich war die Überfälle leid und hätte nichts dagegen gehabt, ein ruhigeres Leben zu führen. Aber Handlanger des Erzbischofs zu sein, hat uns einiges eingebracht.« Gunnar fuhr sich durch sein kurzes Haar. »Ich sage ja nicht, dass die Raubzüge etwas Gutes sind, aber wenn jeder glaubt, wir seien auch ohne Ulrich gefährlich, wird es niemand wagen, uns anzugreifen. Burckhart von Isingen eingeschlossen.«
»Sollen wir dahin zurückkehren? Ist es das, was du vorschlägst? Soll ich die Männer mobilisieren, um Kaufleute zu überfallen und Angst und Schrecken zu verbreiten, damit niemand es wagt Mechtheim zu überfallen?« Simons Blick fiel auf das Haus. Es hätte einen Anstrich nötig. Überhaupt gab es hier genug Arbeit, statt Händler zu überfallen oder den Zoll von der Pfalz zu stehlen.
»Du könntest nach Mainz gehen«, schlug Gunnar vor.
»Und vor dem Erzbischof auf die Knie fallen?« Ihm war nicht wohl bei dem Gedanken, dass sich der Erzbischof an ihn erinnerte und ihn wieder für seine Machenschaften einband.
Simon atmete tief durch. »Glaubst du, das würde uns den Hals retten? Keine Raubzüge und auch kein Erzbischof werden uns helfen.«
»Ich versuche wenigstens, eine Lösung zu finden, um Mechtheim zu retten. Was tust du? Du willst dem Feind in die Arme laufen. Ich sage dir, Gerald wird dich töten und dann fällt Mechtheim in die Hände deines Onkels.«
»Ich treffe mich mit Gerald und werde mit ihm verhandeln«, fuhr Simon unbeirrt fort. »Wenn wir mit ihm Frieden schließen, werden wir mit den Nassauern Handel treiben können.« Simon ging an ihm vorbei auf das Wohnhaus zu.
»Wenn er dich am Leben lässt«, höhnte Gunnar.
Ein Zucken umspielte seine Lippen, als Simon weiterging. Er tat so, als hätte er seinen Kameraden nicht gehört. Gunnar übertrieb wieder einmal. Er machte alles schlecht oder vermutete das Schlimmste. Oft genug hatte Gunnar recht. Diesmal musste er sich einfach irren.