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Das Erforschen des Rauschens braucht BegegnungsRäume mit Haltung

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Hier möchten wir uns jenem Beziehungsraum, Begegnungsraum, Kooperationsraum, diesem ganz besonderen Kontext widmen, der zwischen Mäusen und Waschbären, zwischen Menschen, die in herausfordernden Situationen Unterstützung suchen, und Begleiterinnen dieser Reisen, hilfreich gestaltet wird und entstehen kann. Dieser Raum findet sowohl in der äußeren Welt als auch zwischen den Beteiligten eine Entsprechung und kann auf beiden Ebenen so gestaltet werden, dass Wahrscheinlichkeiten auf hilfreiche Prozesse erhöht werden.

So wie der äußere Raum – z. B. der jeweilige Raum, wo die Begleitung stattfindet – Wohlbefinden und Stimmigkeit für die Begleiterin repräsentieren kann (In welchem Umfeld fühlt sich Waschbär zu Hause? Was erlebt er als artgerecht und seinen Bedürfnissen gerecht werdend?), so können Aussagen, Gesten, Haltungen, Wortwahl u. v. m. einen Blick auf die innere Welt der Begleiterin freilegen. Die Beziehungsräume, in denen wir uns begegnen – Reisende, Mäuse, Waschbären –, werden zumeist unwillkürlich und oft sogar unbewusst gestaltet, laden Menschen implizit in diese Welt ein und können ganz bewusst genutzt und gestaltet werden. Nicht im Sinne eines linear-kausalen, einseitigen Prozesses, sondern vielmehr als ein gemeinsames Gestalten.

Diese Prozesse, die in und zwischen Menschen sekündlich ablaufen, sind vielschichtig und komplex, und wir möchten hier wieder darauf hinweisen, dass wir darum bemüht sind, zum leichteren Verständnis, diese Prozesse wie linear zu beschreiben (mit der Gewissheit, dass es so etwas wie Linearität im Bereich lebender Systeme gar nicht geben kann).

Wir möchten nun Begrifflichkeiten aus der bereits erwähnten Polyvagaltheorie einführen, die uns relevant erscheinen, den Begegnungsraum zwischen Mäusen und Waschbären zu gestalten. Um gut mit Menschen in Kontakt zu gehen, brauchen wir Sicherheit – nur dann ist es auch möglich, Nähe zuzulassen und herzustellen. Um einen hilfreichen gemeinsamen Begegnungsraum zu gestalten macht es daher Sinn – das ist unsere Erfahrung –, für diese Sicherheit zu sorgen. Da wir keinen direkten Einfluss auf unsere Klientinnen haben, haben wir zunächst vor allem die Möglichkeit, uns selbst in äußere und innere sichere Räume zu begeben. Intuitiv machen wir das, wenn wir unsere äußeren Räume so einrichten, dass wir uns wohlfühlen. Dass das Sein in unseren Räumen innere Stimmigkeit ermöglicht. Wir richten uns ein. Da sind Farben, Formen und Gegenstände, die mit uns im Einklang sind, die auf einer bestimmten Ebene uns zeigen. Ähnlich kann auch unsere innere Welt gestaltet werden – was brauchen wir, um uns sicher zu fühlen?

Hör dir dazu die Taschentuch-Trance im BegegnungsRaum des Reisebeginns an (S. 33).

Ohne dass es uns bewusst sein muss und ohne unser Zutun signalisiert unser Organismus unentwegt unseren eigenen emotionalen Zustand. Dieser zeigt sich laut Stephen Porges in unserem Gesicht, vor allem im oberen Gesichtsbereich (der Augenringmuskel spielt dabei eine zentrale Rolle – durch ihn zeigen wir besonders sichtbar für andere Freude und Zuneigung), in der Intonation unserer Stimme (Prosodie) und auch durch unsere Gesten und Körperspannung.

Um unsere BegegnungsRäume für uns selbst möglichst sicher zu gestalten und um die Wahrscheinlichkeit für Sicherheitsgefühle unserer Gegenüber zu erhöhen, können wir auf diese Basis achten. Und gleichzeitig, so sehr auch »die Chemie« zwischen zwei Menschen stimmen mag, sind es immer noch zwei Menschen, die sich aus verschiedenen inneren und äußeren Welten annähern und die Bezug, Kommunikation und Entwicklung ermöglichen möchten. Begleiterinnen bringen in den beratenden, therapeutischen Kontext nicht nur ihre gelernten Methoden und ihre diesbezüglichen Erfahrungen mit, sie bringen sich als ganze Menschen selbst ein. Ihre Lebenserfahrungen, ihre Bindungserfahrungen, ihre Beziehungserfahrungen, all ihre Erfahrungen auf allen Gebieten ihres Lebens. Wenn also zwischen Begleiterin und jenen Menschen, die gerade auf dem Weg sind, ihr Rauschen kennenzulernen, »die Chemie stimmt« – und das entscheidet sich zumeist in wenigen Sekunden –, dann stimmt die Chemie mit dem ganzen Menschen und nicht nur mit der von ihr eingebrachten Methoden oder den angebotenen Interventionen.

Menschen begeben sich dann in Beratung oder Psychotherapie und gehen dann auf ihre Reise, wenn sie mit den ihnen derzeit zur Verfügung stehenden Möglichkeiten keine für sie befriedigenden Ideen für die Herausforderungen ihres Lebens mehr finden können, wenn sie spüren, dass die Reise mit Begleitung für sie unterstützend und hilfreich sein kann.

Das Erleben der Maus in diesen ersten Zeiten der gemeinsamen Reise kann manchmal gekennzeichnet sein von einem Verlust an Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und Kompetenzen. Dabei hinderliche Zugriffe auf Erfahrungen sind oft lange gebahnt und laufen zumeist unbewusst ab – Unsicherheiten, Angst, können im Vordergrund des Erlebens stehen, und der Organismus kann auf Schutz- oder Abwehrhaltung schalten. Die bisherigen Lösungsversuche zeigen sich oft als Teil des Problems – so wie die Maus von sich aus gar nicht auf die Idee käme zu springen, weil sie bis zu diesem Zeitpunkt gar nicht weiß, dass das Springen sie Dinge sehen lässt, die sie noch gar nicht kennt. Um zu verstehen, dass Springen bisher aus guten Gründen keine Option war, braucht es unserer Erfahrung nach Verständnis für die Kultur und Lebenswelt des Menschen, der dem Rauschen folgen möchte.

Auch wenn wir gemeinsam auf das Rauschen hören – wie schon oben erwähnt, kann sich das Rauschen ja auch als sogenanntes Symptom bemerkbar machen –, dann können wir uns in diesem gemeinsamen Beziehungsraum darauf einigen, mit welchem Ohr wir hinhören möchten, mit welchem Blick, welcher Haltung wir dem Rauschen gemeinsam begegnen möchten.

Schau dir dazu die Pacing-Übung im BegegnungsRaum der Ich-Welt an (S. 65).

Diese Herangehensweise kann hier verstanden werden als eine Option, möglichst im Dienste von Sicherheit für Mäuse und Waschbären in diesem gemeinsamen Kontext. Jede Frage, jede Bemerkung, jede Begegnung und Interaktion – verbal oder nonverbal – kann dann erlebt, erfahren werden und gehört und gesehen werden und überhaupt wahrgenommen werden, wenn die Basis des Begegnungsraums auf Sicherheit aufbaut, bzw. wenn, bei bleibender erlebter Unsicherheit, neue andere Erfahrungen gemeinsam in den Fokus gestellt werden können. Dies stellt aus unserer Sicht keine Technik dar – es entspricht vielmehr unserer Haltung.

In therapeutischen und beratenden Räumen begegnen sich zunächst zwei Menschen, die sich scheinbar auf den ersten Blick in einem Ungleichgewicht befinden. Mäuse, die ein Rauschen hören und dadurch vielleicht irritiert sind, nicht wissend, scheinbar noch keine Ideen dazu haben, oder denen der Zugriff auf ihre diesbezüglichen Kompetenzen noch nicht (alleine) möglich ist. Eine Situation, in der Klientinnen mit dem Erleben von Scheitern, Misserfolg und auch Ohnmacht reagieren können – wo sie ein deutliches Rauschen zumeist schon seit längerer Zeit begleitet.

Die Begegnung mit einem anderen Menschen, mit seinen Kompetenzen und Fähigkeiten, die Möglichkeit, sich in einer schwierigen Situation begleiten zu lassen, birgt oft eine große Hoffnung – Hoffnung auf Linderung, auf ein anderes Leben. Gleichzeitig und blitzschnell werden da manchmal auch andere Erfahrungen aus Beziehungen, aus Situationen aktiviert, wo sich Menschen zu anderen Zeiten schon als unterstützungssuchend erlebt haben. Erfahrungen, die ihren Erwartungen nicht gerecht wurden und ihnen Lösungen abverlangt haben, die in diesem Kontext jetzt als hinderlich beschrieben werden können. Zum Beispiel Erfahrungen, die zu Unsicherheit und Misstrauen führen, so, wie die Maus zunächst davon ausgeht, dass der Frosch sie hereingelegt hat, als sie bei ihrem ersten Sprung im Wasser landete und gerade noch mit letzter Kraft ans Ufer schwimmen konnte.

Und die Maus hört ein Rauschen

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