Читать книгу Die Burnout Lüge - Martina Leibovici-Mühlberger - Страница 7
Burnout – aber wovon reden wir hier eigentlich wirklich? Der apokalyptische Reiter am Horizont
ОглавлениеMarkus ist gerade 38 Jahre alt geworden und hat alles erreicht, was man sich in diesem Alter wünschen kann und worauf man nach einem Abschluss summa cum laude und entsprechenden Postgraduate-Studien an einer amerikanischen Eliteuniversität hoffen darf. Ein schmuckes Innenstadtappartement in Frankfurt, weil dort das Hauptbüro seines Dienstgebers, eine global operierende Unternehmensberatung, stationiert ist, jede Menge maßgeschneiderter Anzüge, den obligaten Sportwagen, Vorgesetzte, die ihn rund um den Globus hetzen und dabei große Stücke auf sein Verhandlungstalent, seine Lösungskompetenz und seine „behavioural flexibility“ halten. Sein innerbetriebliches strategisches Beziehungsmanagement ist großartig und immer am Puls der Zeit. Nie sieht man ihn mit den „falschen Leuten“ ein Bier nach Dienstschluss trinken, der sowieso weit in den Nachtstunden liegt. Markus ist ein Mann mit Zukunft, nicht nur mit genagelten Schuhen.
Markus ist aber seit einiger Zeit auch ein Mann mit einem Problem, das so ernste Dimensionen anzunehmen droht, dass mich dieser Strahlemann, der jederzeit bei einer Football-Mannschaft anheuern könnte, nach einem Vortrag anspricht und um einen Termin in meiner Praxis bittet. In dem, was ich gerade beschrieben habe, würde er sich zu genau abgebildet wiederfinden, um noch weiter wegsehen zu können. Jedes Telefonat wäre schon längst eine Qual für ihn, jede Auslandsreise ein Martyrium, und das, wo er zumindest zweimal die Woche nach Wien und von dort oft noch weiter in den SO-europäischen Raum fliegen müsse. Zumindest hätten wir auf diese Weise keine Probleme bei der Terminfindung, wenn ich flexibel mit Randzeiten sein könnte, meint er. Außerdem würde ich das Ganze dann ja sozusagen gleich „live“ erleben und behandeln können.
Er befürchtet nämlich, dass er sich so etwas wie eine Flugneurose zugelegt hat. Er durchläuft immer ärger werdende Panikattacken, sobald er in den Flieger steigt. Bis jetzt ist es ihm gelungen, das Ganze zu verbergen, aber wenn er sein Grundgefühl beschreiben müsste, so ist es, als würde seine gesamte Energie aus ihm herausfließen. Er fühlt sich zunehmend leer, ausgehöhlt. Schon morgens beim Aufwachen kommt ihm der Tag wie ein unüberwindbarer Berg vor, der drohend vor ihm steht. Hartnäckige Rückenschmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule quälen ihn nahezu den ganzen Tag und haben ihm das Jogging verleidet. Aber auch das scheint bereits egal, er findet sowieso nicht die Kraft, sich dazu aufzuraffen. Eigentlich möchte er sich nur mehr verstecken, mit niemandem reden müssen, die Decke über den Kopf ziehen, keine Präsentationen mehr halten oder Verhandlungen führen und dabei noch souverän wirken. Natürlich hat er sich mit Aufputschmitteln beholfen und in den letzten Monaten auch eindeutig zu viel Koks konsumiert, aber dieses Sinnlosigkeitsgefühl, das aus der Tiefe in ihm aufzusteigen droht, ist so unerträglich …
Und da ist dann noch die Sache mit Sabine, ursprünglich eine bequeme erotische Freundschaft in Wien, ohne feste Bindungsabsicht mit wechselseitigem Einverständnis der sexuellen Gebrauchskultur schwer beschäftigter Karrieremenschen. Sabine ist jetzt schwanger und hat ihn davon in Kenntnis gesetzt, dass sie mit 36 Jahren und im Hinblick auf das Karriereplateau, das sie erreicht hat, den Zeitpunkt für günstig hält und das Kind bekommen wird. Gleichzeitig damit hat sie ihn, Markus, entsorgt-fairerweise ohne weiteren Alimentationsanspruch. Er ist also ein Samenspender ohne weitere Verwendung. Wenn er es genau bedenkt, hatte gerade damit sein Zustand eine dramatische Wendung zum Negativen erfahren …
Manuela ist eine bildhübsche junge Frau. Nur dieser etwas leere Gesichtsausdruck, der auf eine langfristige Psychopharmakaeinstellung hinweist, um möglichst emotionsbereinigt durch den Alltag zu kommen, rückt ihre äußere Erscheinung und Geschichte in ein Licht, das die Ereignisse der letzten Monate glaubwürdig erscheinen lässt. Sie hat es nämlich von außen betrachtet total fein getroffen, das große Los gezogen, wie alle ihre Freundinnen sicher neidvoll zugeben müssten. Manuela ist mit Paul verheiratet, der knappe fünfzehn Jahre älter als sie, dafür ein Immobilienmagnat der Wiener Innenstadt ist. Sie genießt mit ihm und ihren beiden Kindern ein sorgenfreies Leben. Eine Nanny, eine Haushälterin und ein Gärtner bilden eine stabile entlastende Organisationsstruktur, Paul ist für Männer seiner Finanzklasse vergleichsweise aufmerksam und, von situativen Ausrutschern abgesehen, treu, und Manuela kann sich neben der Betreuung ihrer Kinder und dem Gesellschaftsleben mit Paul der eigenen Instandhaltung ohne wesentlicher Einschränkung widmen. Wie kann also jemand mit einem derartig sorgenfreien Leben von zunehmenden Überforderungsgefühlen, gehäuften Attacken von Herzrasen, die von den besten Internisten vermessen und als nicht somatisch begründet attestiert sind, gravierenden Schlafstörungen, die ohne entsprechende Medikation unbeherrschbar anmuten, und einem generellen Gefühl steigenden Lebensüberdrusses berichten. Burnout – oder doch eher „Bore-out“, aber vielleicht liegt das ja nicht zu weit voneinander entfernt. In den letzten Wochen ist es Manuela erst um die Mittagszeit gelungen, ihr Bett zu verlassen und die Morgentoilette zu bewältigen. Wenn die beiden Kinder aus der Schule gebracht wurden, löste deren Lebendigkeit und Wunsch nach Kommunikation nur Verzweiflung bei ihr aus. Paul hatte, was als ein durchaus ernstzunehmendes Problem gesehen werden muss, bereits mehrere Abendveranstaltungen ohne sie wahrnehmen müssen, da sie der Gedanke, auf so viele fremde Menschen zu treffen, in unstillbare Weinkrämpfe gestürzt hatte.
Dabei fühlt sich Manuela nicht wirklich deprimiert. Ihr vorherrschendes Gefühl ist einfach totale Erschöpfung, bleierne Gliedmaßen, unendliche Müdigkeit, als wäre sie ihr ganzes Leben durch eine Wüste geirrt und würde jetzt nicht mehr können. Endlos lange ist ihr unerklärliches Verhalten für Paul sicher nicht mehr tragbar, so denkt sie selbst …