Читать книгу Wünsch dich ins Wunder-Weihnachtsland Band 1 - Martina Meier - Страница 14
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Das erhörte Gebet
Es ist Weihnachten. Ich sitze alleine im warmen Wohnzimmer mit einer dampfenden Tasse Tee in meinem gemütlichen Sessel und blicke aus dem Fenster und auf die kahlen Bäume der Straße. Seit Jahren hat es zu Weihnachten nicht mehr richtig geschneit – ein Jammer. Ich lausche dem Läuten der Kirchturmglocken, die hell und eindringlich die Menschen rufen und die heilige Messe ankündigen. Wie viele Kinder wohl dieses Jahr mit ihren Familien zum Gottesdienst gehen, frage ich mich und schweife gedanklich in meine eigene Jugendzeit ab. Es ist schon viele Jahre her, doch ich werde dieses Erlebnis wohl niemals im Leben vergessen.
Es war zur Weihnachtszeit. Meine Familie war ziemlich arm, hatte nicht das Geld, in Urlaub fahren zu können. Wir waren nie gemeinsam in Urlaub gefahren und ich hatte in der Kirche um einen Urlaub gebetet, weil meine Freundinnen alle wegfuhren und begeistert von ihren Abenteuern erzählten, ich aber nie etwas zu erzählen hatte. Ich war ungefähr acht Jahre alt, hatte blonde, meist geflochtene Zöpfe und eine Menge Sommersprossen. Ich saß in der Kirche zwischen meinem Bruder Peter und meiner Mutter. Mein Blick blieb auf dem großen Tannenbaum haften, der in der Nähe des Altares stand. Ich konnte mich kaum noch auf die Worte des Pfarrers konzentrieren, denn in Gedanken sah ich unseren bunt geschmückten Tannenbaum mit den herrlichen Lichtern vor mir, in den Ästen das Engelshaar. Doch dann kehrten meine Gedanken wieder zurück zu meinem innigsten Wunsch und ich betete voller Innbrunst für einen Urlaub – und das Wunder wurde wahr. Ein Freund und Arbeitskollege meines Vaters wurde krank und überließ uns eine Woche seine Jägerhütte im Schwarzwald. Unsere Freude war riesengroß.
Peter wollte beinahe sein halbes Zimmerinventar mitnehmen, bevor meine Eltern ihn bremsten. Ich hatte vom Pflaster bis zum Nähzeug alles Wichtige in meinen Koffer gepackt, den ich für die Reise von meiner Oma geschenkt bekommen hatte. Es war zwar ein alter schäbiger Koffer, der sich schon gar nicht mehr richtig schließen ließ, aber es war mein Koffer, meiner! Und ich fuhr damit in Urlaub. Mein eigenes Abenteuer, von dem ich meinen Freundinnen würde erzählen können. Dass für dieses Erlebnis erst jemand krank werden musste, störte mich kaum, wusste ich doch, Herr Kleinschmidt würde schon bald wieder gesund werden. Also konnten wir – ohne schlechtes Gewissen – unseren Urlaub antreten.
Wir fuhren mit unserem alten gelben Opel. Ich sehe jetzt noch den besorgten Blick meines Vaters vor mir, als er mit meiner Mutter über das Auto sprach. Er hatte Angst, dass es diese Fahrt vielleicht nicht mehr schaffen würde, aber er wollte uns auch nicht den Urlaub vermiesen. Also überprüfte er noch einmal den Reifendruck, füllte das Motorenöl nach und schleppte seinen Werkzeugkasten in den Kofferraum – für alle Fälle. Als wir mit Packen fertig waren, war der Kofferraum bis oben hin gefüllt. Mutter hatte viel zu essen mitgenommen, damit wir nichts kaufen mussten. So sparten wir Geld, das sowieso an allen Ecken und Kanten fehlte. Ich wusste das, also hatte ich meinen Weihnachtswunsch auf diesen Urlaub beschränkt – mehr wollte ich gar nicht haben. Mein Bruder war da ausnahmsweise einmal meiner Meinung, obwohl er immer wieder auf dieses aufziehbare Auto zu sprechen kam. Peter war mehr als zwei Jahre älter als ich, aber mindestens genauso aufgeregt.
Und dann war es endlich so weit. Wir fuhren schon ganz früh am Morgen los. Mutter versuchte uns den weiten Weg über mit Spielen zu beschäftigen. Ab und an warf sie meinem Vater ängstliche Blicke zu, wenn er das Radio leiser stellte und allzu interessiert auf das Motorengeräusch achtete. Dann legten wir eine Pause ein und liefen, während sich der Motor abkühlte, ein wenig in der frostigen Gegend umher.
Fast den ganzen Weg über hatte es geschneit, sodass wir kaum voran kamen, aber irgendwann hatte unser altes Auto es doch noch geschafft. Das letzte Stück fuhren wir über einen schmalen Weg in den verschneiten Wald hinein.
Und da war es! Genau wie von Herrn Kleinschmidt im Plan aufgezeichnet. Das Jägerhäuschen! Die Autoreifen versanken im hohen Schnee und wir mussten Otto, so nannten wir den alten Opel, den Rest des Weges schieben.
Das machte uns jedoch nichts aus, denn wir freuten uns auf unser Urlaubshaus, dessen Spitzdach hoch mit Schnee bedeckt war. Es sah aus wie ein Lebkuchenhaus mit Pulverzucker, umsäumt von riesigen Tannen, deren Äste mit dicker klebriger Zuckerwatte umhüllt waren.
Als wir ausstiegen, schlug uns die kalte, würzige Tannenwaldluft entgegen. Es war bitterkalt und wir waren durchgefroren. Wir sehnten das prasselnde Feuer im Kamin herbei, doch zuvor musste Otto erst einmal ausgeladen werden.
Peter und ich liefen um die Wette, denn jeder von uns wollte zuerst seine Fußabdrücke im frischen Schnee hinterlassen. Als Vater die Hütte aufschloss, waren wir sehr gespannt. Es gab nur drei Zimmer, eine Wohnküche und zwei kleine Schlafzimmer.
Die Räume waren trist und kahl, abgesehen von den Rehgeweihen an den Wänden. Ich weiß noch, dass mir die Rehe so furchtbar leid getan haben. Nachdem wir das Auto ausgeladen hatten, versuchte Vater ein Feuer im Kamin zu entfachen, was ihm auch nach einer Weile gelang. In der Hütte gab es keine Elektrizität, doch wir hatten alles, was wir brauchten.
Mutter kochte auf einem Gaskocher und abends spielten wir etwas zusammen, im Gaslaternen- und Kerzenlicht. Ich hatte meine Eltern noch nie so unbeschwert erlebt.
Die ganze Nacht über hatte es durchgeschneit und auf den Sechseckfenstern des Jägerhäuschens hatten sich sternförmige Eiskristalle gebildet. Wenn man durch sie hindurchblickte, wirkte die winterliche Landschaft noch unwirklicher und märchenhafter. Am nächsten Tag erkundeten wir die Gegend und versanken im tiefen Schnee. Gemeinsam bauten wir Schneemänner, jeder einen, und Peter seifte mein Gesicht zum Schluss mit Schnee ein, weil er meinen Schneemann schöner fand als seinen.
Wir hatten vom Förster, auf den wir während unseres Erkundungsganges getroffen waren, die Erlaubnis erhalten, einen kleinen Tannenbaum zu schlagen, und das taten wir dann auch. Vater und Peter schleppten ihn nach Hause. Als wir die kleine Hütte wieder erreichten, waren wir bis zu den Knien nass, sodass wir unsere Kleidung vor dem Kamin trocknen mussten.
Nach dem Essen bastelten wir aus Papier und Popkorn Weihnachtsbaumschmuck und am Heiligen Abend lag für meinen Bruder ein silbernes aufziehbares Auto unter dem kleinen Tannenbaum. Über Peters strahlendes Gesicht vergaß ich ganz meine Puppe auszupacken, die ich zu Weihnachten geschenkt bekommen hatte. Wir sangen Weihnachtslieder und mein Bruder und ich trugen Gedichte vor.
In dieser kleinen Hütte, durch deren Ritze der Wind pfiff, ohne Strom und mit nur dem Notdürftigsten ausgestattet, verbrachte ich eine der schönsten Wochen meines Lebens. Nur die Familie, der kleine Tannenbaum und die vier Schneemänner vor der Türe.
Die besten Geschenke nutzen nichts, wenn man seine Zeit nicht mit den Menschen verbringen kann, die man am meisten auf der Welt liebt, denke ich und sehe auf meine Uhr. Jeden Moment wird mein Mann mit unseren Kindern nach Hause kommen und wie jedes Jahr werden die drei behaupten, dass dieser Tannenbaum, den sie ausgesucht haben, der schönste ist, den wir je hatten. Ich lasse sie in dem Glauben, schnuppere den würzigen Tannenbaumduft und denke an das Jägerhäuschen im Wald.
Martina Schneider lebt in Köln, singt, liest und schreibt gerne. Sie hat bereits eine Weihnachtsgeschichte veröffentlicht.