Читать книгу Wie aus dem Ei gepellt ... - Martina Meier - Страница 45
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Am Ufer der Vechte
Frühling lag in der Luft. Lottas sehnlichster Wunsch war es, endlich den Osterhasen kennenzulernen, von dem Tessa ihr so oft erzählt hatte.
„So ein Quatsch, den gibt es doch gar nicht“, hatte Freddy, Lottas Mann, gesagt. „Hasen sind einfach nur gefährliche Angeber.“
Auch ihre gemeinsame Tochter Cleo hatte Zweifel. Die schwarzweißen Zwergkaninchen lebten bei Tessas Familie. Sie hatte die drei vor einem Jahr von ihren Eltern geschenkt bekommen.
Auf einmal hörten sie Schritte, jemand betrat den Verschlag, in dem sich ihr Käfig befand. Endlich würde es Futter geben und vielleicht konnten sie sogar ins Freigehege. Aber es war nicht Tessa, sondern ihr Vater. Schade, dann würde aus dem Freigehege wohl nichts.
„Na, ihr?“, brummte er und öffnete die mit grünem Maschendraht bespannte Käfigtür. Tessas Vater war groß und besaß riesige Hände, deshalb flüchteten sie sicherheitshalber schnell in die hinterste Ecke. Wie immer gab es nur Trockenfutter, obwohl Lotta sich so sehr nach frischem Gras sehnte. Kaum war Tessas Vater wieder verschwunden, stürzten sich Cleo und Freddy auf den gefüllten Fressnapf. Nur Lotta zögerte, denn irgendetwas war anders als sonst. Genau, Tessas Vater hatte doch tatsächlich den Verschluss der Stalltür offen gelassen. Vorsichtig schob sie die Tür mit ihren Vorderläufen auf, hoppelte zum Ausgang des Verschlags und spähte nach draußen.
Verlockend leuchtete das Grün des Rasens im Licht der untergehenden Sonne. Mit einem einzigen Satz hüpfte sie hinaus und begann gierig ein Büschel Gras nach dem anderen zu rupfen. Es zerging auf der Zunge. Entzückt schloss Lotta die Augen. Wie lange hatte sie diesen Geschmack vermisst, stundenlang hätte sie weitermümmeln können, aber eine Kaninchenmutter ist eben eine Kaninchenmutter. Also lief sie zurück zu Mann und Tochter.
„Ist euch nichts aufgefallen?“, fragte sie.
Freddy und Cleo hockten noch immer vor dem Fressnapf. Lotta hörte das typische Mahlen ihrer Zähne auf dem harten Futter. Die beiden schüttelten kurz ihre Köpfe.
„Wo warst du?“, fragte Freddy.
„Im Garten, das Gras schmeckt herrlich, kommt mit!“
Das ließen sie sich nicht zweimal sagen. Sofort folgten sie Lotta nach draußen und machten sich ebenfalls über die saftigen Halme her.
„War das lecker“, murmelte Cleo, als sie einander schließlich pappsatt gegenübersaßen.
„Dann wollen wir mal zurück in den Käfig“, meinte Freddy.
„Nein, auf keinen Fall!“, knurrte Lotta energisch. „Nie mehr. Wir verschwinden von hier und machen uns endlich auf die Suche nach dem Osterhasen.“
„Jetzt geht das schon wieder los“, stöhnte ihr Mann, „das sind doch nur Geschichten für Menschenkinder. Denkst du überhaupt nicht an Tessa?“
„Schon, aber irgendwann wird sie neue Kaninchen bekommen.“
Weil auch Cleo die Idee, in die Welt hinauszuziehen großartig fand, gab Freddy schließlich nach. Im Schutz der zunehmenden Dunkelheit machten sie sich auf den Weg, stießen aber schon kurz nach den Rhododendronbüschen auf einen riesigen Zaun.
„Da kommen wir doch nie hinüber“, meinte Lotta enttäuscht, während ihr Blick an der grünen Absperrung hochwanderte.
„Dann müssen wir eben unten durch“, sagte Freddy und wühlte sich mit seinen Vorderläufen in die tiefschwarze Erde. Wenn es darauf ankam, konnte sich Lotta immer auf ihren Mann verlassen. Deshalb liebte sie ihn so sehr.
Schon nach kurzer Zeit gelangten die drei Kaninchen auf die andere Seite, stellten sich spähend auf ihre Hinterläufe und sahen auf einen träge dahin fließenden Fluss, dessen Uferböschung mit großen, braunen Feldhasen bevölkert war.
„Sind das alles Osterhasen?“, fragte Cleo.
„Still, Kind!“, zischte Freddy. „Besser, sie bemerken uns nicht. Denen kann man nicht trauen.“
Aber es war zu spät. Auf einmal standen wie aus dem Nichts zwei riesige Rammler vor ihnen. „Wer seid ihr und was habt ihr hier zu suchen?“, herrschte einer der beiden sie an.
Cleo und Lotta duckten sich tief auf den Boden, auch Freddy hatte Angst, aber er versuchte sich so groß wie möglich zu machen: „Das geht euch gar nichts an, hier darf sich jedes Tier aufhalten, ob Kaninchen oder Feldhase“, knurrte er und trommelte kräftig mit seinen Hinterläufen auf den Boden.
Lotta fürchtete, Freddy würde sie durch seine forsche Art in Gefahr bringen. Mit eng an den Kopf gelegten Ohren versuchte sie die beiden Rammler zu besänftigen. „Nichts für ungut, meine Herren, aber mein Mann meint das nicht so. Wir sind aus einem benachbarten Garten und suchen den Osterhasen.“
Die beiden sahen sich an. „Was? Wieso ausgerechnet hier?“
„Einfach so. Ihr seid die Ersten, die wir fragen können. Was ist das eigentlich für ein Fluss?“
Die Feldhasen fühlten sich geschmeichelt. Ihnen gefiel es, ahnungslosen Zwergkaninchen die Welt zu erklären. „Die Menschen nennen ihn Vechte“, begann einer der beiden mit wichtiger Miene. Dann hielt er einen langen Vortrag, erklärte, wo der Fluss entsprang, welches Gras an seinen Ufern wuchs und so weiter und so weiter. Schließlich sagte er: „Was wollt ihr eigentlich vom Osterhasen?“
„Wir wollen ihn kennenlernen und ihm helfen“, schaltete sich Cleo aufgeregt ein.
Nachdenklich kratzten sich die Rammler hinter ihren langen Ohren. „Na gut, folgt uns.“ Blitzschnell drehten sie sich um und verschwanden hinter einem prachtvoll blühenden Forsythienstrauch in einem Höhleneingang.
Die Zwergkaninchen folgten ihnen und trauten ihren Augen nicht. Hier unten herrschte geschäftiges Treiben. Hasen hoppelten hin und her, manche mit Farbe bekleckert, andere mit Kiepen beladen, in denen sie herrlich bunte Eier zum Ausgang trugen. Die bekleckerten Hasen gehörten zu einer Gruppe von Malern, die gut gelaunt und hoch konzentriert ein Ei nach dem anderen färbten, um sie dann den Trägerhasen zu übergeben.
„Glaubst du jetzt endlich, dass es den Osterhasen gibt?“, fragte Lotta ihren Mann und puffte ihn mit ihrer Schnauze in die Seite.
Freddy antwortete nicht, denn im gleichen Augenblick kam ein Hase auf sie zu, der ihnen nicht nur durch seine Größe Respekt einflößte, sondern auch durch seinen Blick. Darin spiegelten sich Klugheit und Güte, aber gleichzeitig eine gewisse Strenge. „Ihr wollt mich sprechen? Ich bin der Osterhase“, sagte er freundlich.
„Genau“, stotterte Freddy.
„Was kann ich für euch tun?“
„Wir würden dir gerne helfen“, antwortete Lotta.
„Hm … Zwergkaninchen haben wir noch nie als Helfer beschäftigt.“ Zweifelnd musterte der Osterhase die Besucher. Gespannt wartete Cleo auf seine Antwort. Alles würde sie für ihn tun, selbst wenn sie nur die Höhle sauber machen durfte. „Also gut“, sagte der Osterhase schließlich. „Zum Tragen der schweren Kiepen seid ihr natürlich nicht geeignet, aber ihr könntet beim Malen helfen. Wir brauchen noch Tiere, die die kleinen Eier färben.“ Er sah sich suchend um. „Hey, Lothar, hier sind drei Zwergkaninchen. Nimm sie unter deine Pfoten. Bei den kleinen Eiern braucht ihr doch noch Helfer, oder?“
Lothar hüpfte heran und wackelte mit seinen langen Hasenohren. „Gute Idee, Boss.“ Und zu den Zwergkaninchen sagte er: „Dann kommt mal mit.“ Er erklärte ihnen, was sie zu tun hatten und schon kurze Zeit später waren Lotta, Freddy und Cleo an der Arbeit.
Verliebt sah Freddy seine Frau an. „Du bist großartig, Lotta. Ohne dich hätten wir das alles hier nicht erlebt“, seufzte er.
„Ich weiß, ich weiß“, antwortete Lotta leicht errötend, weil sie sich sehr über das Kompliment freute. Endlich hatte sie mit ihrer Familie den Platz fürs Leben gefunden hatten.
Mathias Meyer-Langenhoff wurde 1958 im westfälischen Dingden geboren. Nach seiner Zivildienstzeit als Altenpfleger studierte er in Bonn und Münster Diplompädagogik und war danach in verschiedenen pädagogischen Berufen tätig. Seit 1993 arbeitet er als Lehrer für Pädagogik und Psychologie an einer Berufsschule.