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Liebeslied

Es war nicht zu leugnen. Thomas war verliebt. Immer wenn er sie sah, bekam er rote Wangen, es kribbelte ihm in den Fingern und er wurde ganz aufgeregt. So wie bei jeder Liebe konnte er nicht aufhören, an sie zu denken. In der Schule konnte er nur schwer dem Unterricht folgen, immer wieder malte er sie in sein Schulheft und bemerkte nicht, wenn der Lehrer ihn wieder einmal ermahnte, weil er nicht aufgepasst hatte. Ja, diese Liebe nahm viel Zeit und seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Doch Thomas fand das nicht schlimm. Im Gegenteil, er genoss es, dass seine Gedanken immer um sie kreisten. Er konnte es nicht erwarten, sie wiederzusehen, um endlich mit ihr zusammen zu sein. Bei einer solchen, ersten Liebe ist es nicht ungewöhnlich, dass man sich nicht mehr vorstellen kann, ohne sie zu sein. Und so war sich auch Thomas sicher, dass er sie immer in seinem Herzen behalten würde: seine erste Gitarre.

Es war sein Geburtstag gewesen, als er sie auf dem Wohnzimmertisch entdeckt hatte, zwischen Blumen und Schokolade, einem Buch und einem Brettspiel. In dem Moment, da er sie sah, war alles andere unwichtig geworden. Man könnte sagen, es war Liebe auf den ersten Blick. Die Gitarre leuchtete in einem warmen Braun, die Saiten in vibrierendem Silber legten sich um die blitzblanken Knöpfe am Kopf, der Hals lag schmal und anmutig gebettet auf dem weißen Tischtuch. Als Thomas sie in den Arm nahm, fast zärtlich, passte sie sich wie von selbst seiner Körperform an. Er zupfte liebevoll und mit großen Augen an ihrer zartesten Saite und der Ton, der erklang, erfüllte ihn mit Stolz und Freude.

Von diesem Tag an widmete er einen großen Teil seiner Zeit der Liebe zu seiner Gitarre und der Musik, die sie gemeinsam hervorbrachten. Er brachte sich selbst bei, sie so zu spielen, dass die lieblichsten Klänge zutage traten. Diese Gitarre und Thomas, sie teilten alles miteinander. Er erzählte ihr von seinem Alltag, von seinen Ängsten und Hoffnungen. Natürlich erzählte er nicht so, wie er mit seinen Freunden in der Schule redete. Er nahm die Gitarre in den Arm und erzählte mit seinen Fingern. War er traurig, dann weinte sie mit ihm, war er fröhlich, machte sie seinen Tag noch schöner. So wurde die Gitarre zu seinem besten Freund und zu seinem Partner, der ihn ständig begleitete.

Wie jede Liebe erlebte auch die zwischen Thomas und seiner Gitarre schöne und schlechte Zeiten. Das viele Üben strengte Thomas häufig an, es machte ihm nicht immer Spaß, dieselbe Stelle wieder und wieder zu probieren, nur um festzustellen, dass sie immer noch nicht so klang, wie er es sich vorstellte. In diesen Momenten dachte er darüber nach aufzugeben, die Gitarre in die Ecke zu stellen und sich ein neues Hobby zu suchen. Doch er tat es nicht. Er wusste, dass man manchmal an einer Beziehung arbeiten musste, damit sie funktionierte. Und schließlich war es ja auch nicht die Schuld der Gitarre, wenn der Ton mal nicht saß oder ihm seine Finger nicht gehorchten. Und so verzieh er ihr auch die falschen Töne.

Belohnt wurde er mit den Momenten, die zu den glücklichsten seines Lebens zählten. Wenn der Sommer die Welt erwärmte, saß er im Garten und spielte fröhliche Melodien, die ein Lächeln auf die Lippen all jener zauberten, die sie hörten. Bei der Schulaufführung stand er zusammen mit seiner Gitarre auf der Bühne und sie genossen gemeinsam den tosenden Applaus, der durch die Aula schallte. Beim Geburtstag seiner Oma zupfte er die Saiten so zärtlich, dass diese vor Rührung Tränen in den Augen hatte. Ein Bild von diesem Abend steht auf ihrem Nachttisch.

Im Gegensatz zu den meisten ersten Lieben sollte die zwischen Thomas und seiner Gitarre niemals vergehen. Sie blieb zwar nicht seine Einzige, er hatte viele weitere neben ihr, in allen erdenklichen Farben und Formen. Er fand neue, aufregende Freunde, mit denen zusammen er kunstvolle Stücke hervorbrachte. Doch er vergaß seine erste Gitarre nicht. Sie war es, die in seinem Herzen einen besonderen Platz hatte. Und die Melodien, die sie zusammen spielten, werden ewig leben.

Linnea Schneider ist 25 und lebt zusammen mit ihrem Herzmann in Berlin. Er teilt sich den Platz in ihrem Herzen mit der Musik.

Ich und Du

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